Urteil des SozG Landshut vom 03.12.2009

SozG Landshut: stationäre behandlung, ärztliche behandlung, kausalität, arthrose, arbeitsunfähigkeit, unfallversicherung, behandlungsbedürftigkeit, klinik, diagnose, anschluss

Sozialgericht Landshut
Urteil vom 03.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 1 KR 250/08 E
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Verfahrenskosten hat die Klägerin zu tragen.
Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
III. Der Streitwert wird auf 17.473,90 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Streitig ist ein Erstattungsanspruch in Höhe von 17.473,90 Euro gem. §§ 102 ff SGB X.
Der Versicherte S. H. (Beigeladener) erlitt am 29.07.2005 gegen 16 Uhr bei der Heuernte einen Unfall, als er beim
Steigen über die Deichsel des Gitterwagens stürzte. Die Vorstellung beim Durchgangsarzt erfolgte noch am Unfalltag.
Dabei wurde als Diagnose "V.a. Rotatorenmanschettenläsion links" festgehalten. Durch die kernspintomografische
Untersuchung am 10.08.2005 wurde diese Diagnose bestätigt. Es zeigte sich ein "frischer kompletter Abriss der
Supraspinatussehne mit kräftigen Einblutungen und Retraktion des Sehnenendes von fast 3 cm, eine Teilruptur der
Infraspinatussehne von deutlich mehr als 50%, ein zumindest subtotaler frischer Abriss auch der Subscapularissehne
mit fraglich noch einzelnen durchziehenden Restfasern und ebenfalls Retraktion der rupturierten Sehnenanteile von
mehr als 3 cm, ansonsten mäßige ACG-Arthrose links ohne Hinweis auf eine Reaktivierung". Außerdem wurde eine
"eher bereits ältere Ruptur" der langen Biszepssehne festgestellt (Kernspintomografiebefund Dr. G. vom 10.08.2005).
Vom 12.09.2005 bis 29.09.2005 erfolgte eine stationäre Behandlung im Kreiskrankenhaus V ... Hierbei wurde die
operative Rekonstruktion der Rotatorenmanschette links durchgeführt. Anschließend fand eine
berufsgenossenschaftliche stationäre Weiterbehandlung vom 04.10.2005 bis 06.11.2005 in der Klinik R. in B. B. statt.
Gestützt auf ein Zusammenhangsgutachten des Orthopäden Dr. W. vom 22.02.2006 hat die Klägerin mit Bescheid
vom 24.03.2006 gegenüber dem Beigeladenen als Folgen des Arbeitsunfalles vom 29.07.2005: "Prellung des linken
Ellbogens und Stauchung des linken Schultergelenkes, die folgenlos ausgeheilt sind" anerkannt, die weiteren
Schäden im linken Schultergelenk wurden als unfallfremd abgelehnt. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit habe bis
14.08.2005 bestanden. Die darüber hinaus vorliegende Behandlungsbedürftigkeit bzw. die Arbeitsunfähigkeit seien auf
die bestehenden unfallunabhängi-gen Leiden zurückzuführen. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 03.05.2006 machte die Klägerin gegen die beklagte Krankenkasse einen Erstattungsanspruch für
die an den Beigeladenen erbrachten Leistungen (Heilbehandlung, Heil- und Hilfsmittel, Verletztenrente, Verletztengeld,
Fahrtkosten) in Höhe von 17.473,90 Euro geltend.
Die Beklagte lehnte eine Erfüllung des Erstattungsanspruches ab, nachdem der von ihr beauftragte MDK in zwei
Gutachten bzw. sozialmedizinischen Stellungnahmen zu dem Ergebnis gelangt war, dass die Ruptur der
Rotatorenmanschette ursächlich auf das Unfallereignis vom 29.07.2005 zurückzuführen sei.
Der vom Gericht mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragte Chirurg Dr. B. N. kam in seinem
Gutachten vom 10.08.2009 zu der abschließenden Beurteilung, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit alle festgestellten
und operativ behandelten Gewebsschäden am linken Schultergelenk ursächlich auf das Unfallereignis vom 29.07.2005
zurückzuführen seien. Gleiches gelte für die bis 12.02.2006 andauernde Arbeitsunfähigkeit des Beigeladenen sowie
für die streitigen Behandlungskosten.
Die Klägerin legte zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen die Stellungnahme des beratenden Arztes Dr.
D. vom 03.09.2009 vor. Hierzu nahm wiederum der gerichtliche Sachverständige Dr. N. am 21.10.2009 ergänzend
Stellung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Vertreter der Klägerin den Antrag, die Beklagte zur Erstattung von
17.473,90 Euro zu verurteilen, ferner der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Der Bevollmächtigte der Beklagten stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der
beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, auf das
Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. vom 10.08.2009 (nebst ergänzender Stellungnahme vom
21.10.2009) sowie auf die Stellungnahme des Orthopäden Dr. D. vom 03.09.2009 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen, die ihr im Zusammenhang mit dem Unfall des
Beigeladenen vom 29.07.2005 entstanden sind. Die Rotatorenmanschettenruptur im linken Schultergelenk ist nach der
in der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebenden Theorie der wesentlichen Bedingungen ursächlich auf das
Unfallgeschehen zurückzuführen. Nachdem die Klägerin somit selbst zuständige Leistungsträgerin war, besteht kein
Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 102 ff SGB X.
Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:
Die Anerkennung und Entschädigung einer Gesundheitsstörung gem. § 8 SGB VII setzt voraus, dass sie Folge eines
Arbeitsunfalles ist. Eine Gesundheitsstörung ist demnach als Unfallfolge dann anzuerkennen, wenn ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem festgestellten Körperschaden (haftungsausfüllende Kausalität)
besteht. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhanges genügt nicht. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer
äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen oder abzuwägen ist,
ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die Auslösung akuter
Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes
andere alltäglich vorkommende Ereignis zu der selben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (Gelegenheitsursache).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die Kammer im Anschluss an das Gutachten des gerichtlichen
Sachverständigen Dr. N. und nach Auswertung aller Beweisunterlagen davon überzeugt, dass es beim Beigeladenen
durch das Unfallereignis vom 29.07.2005 nicht lediglich zu einer Prellung des linken Schultergelenkes mit Stauchung
am linken Schultergelenk kam, sondern zu einer Läsion der Rotatorenmanschette, die zu der operativen Behandlung
und langdauernden Arbeitsunfähigkeit führte. Die von Dr. W. in seinem für die Klägerin angefertigten "orthopädischen
Zusammenhangsgutachten" gemachten Aussagen zur angeblichen Ungeeignetheit des Unfallmechanismus, sowie zu
den angeblichen massiven Vorschäden sowie seine daraus resultierende Schlussfolgerung, die
Rotatorenmanschettenschädigung müsse "als vollkommen unfallunabhängig durch schicksalhaft abgelaufene
Verschleißprozesse hervorgerufen" angesehen werden, wurden durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. N. in
überzeugender Weise widerlegt.
Im Einzelnen:
1. Die Ausführungen des Dr. W. zur Ungeeignetheit des Unfallgeschehens überzeugen nicht. Zum einen kann, wie Dr.
N. unter Bezugnahme auf Loew: "Empfehlungen zur Begutachtung der Rotatorenmanschettenruptur" ausführte, die
Analyse des Verletzungsmechanismus in der Kausalitätsbeurteilung lediglich als Indiz, nicht aber als Beweis gelten.
Die Stärke der Indizwirkung hängt dabei davon ab, inwieweit der vermutete Geschehensablauf durch andere Befunde
gestützt wird, sie geht gegen Null, wenn ein nachträglich konstruierter Unfallablauf keine Erklärung für die
festgestellten Strukturschäden liefert. Dies ist vorliegend der Fall. Die beim Beigeladenen aufgetretenen
Weichteilverletzungen im Schulterbereich lassen sich durch den von Dr.W. konstruierten Unfallher-gang ("dabei
befand sich der linke Ellbogen vor dem Körper, die Schulter verriss er sich bei dem Sturz jedoch nicht") nicht erklären.
Vorliegend beschrieben sind jedoch Befunde, die sich laut Dr. N. nur erklären lassen, wenn die gewaltsame
Auslenkung des Oberarmkopfes durch axiale Gewalteinwirkung nach vorn bzw. vorne oben stattgefunden hat, wie es
bei dem Sturz nach hinten oder seitlich der Fall ist, wenn der Verletzte versucht, entweder mit ausgestrecktem Arm
abzumildern oder bei dem er auf den nach hinten weisenden Ellenbogen fällt.
2. Es ist nicht erwiesen, dass massive Verschleißveränderungen am linken Schultergelenk, insbesondere im Bereich
des subacromialen Raumes (wie von Dr. W. behauptet) vorgelegen haben. Der Röntgenbefund des linken
Schultergelenkes am Unfalltag beschreibt lediglich eine "initiale Arthrose im Schultereckgelenk", der
Kernspintomografiebefund eine "mäßige ACG-Arthrose links ohne Hinweis auf eine Reaktivierung", von einer Arthrose
im Bereich des Schulterhauptgelenkes ist nirgends die Rede.
3. Auch die vom Versicherten selbst erwähnten gelegentlichen Beschwerden an der linken Schulter in der
Vergangenheit sind kein Beweis für fortgeschrittene Verschleißveränderungen an der Rotatorenmanschette.
Wiederkehrende Schmerzen können auch durch andere Ursachen (z.B. Neuralgie) erklärt werden. Fest steht, dass der
Verletzte über Jahre nicht in Behandlung war und den linken Arm bei seiner körperlich belastenden Tätigkeit als
Nebenerwerbslandwirt offenbar einsetzen konnte. Eine gewisse Vorschädigung am linken Schultergelenk ist demnach
zwar möglich, eine Feststellung des Schweregrades lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Ohne dass Art und
Ausmaß der Vorschädigung nachgewiesen sind, ist die Annahme einer sogenannten "Gelegenheitsursache" nicht
zulässig.
4. Zusammengefasst sprechen nach den überzeugenden Feststellungen des Dr. N. Primärbefund, Klinik, MRT-
Befund, Operationsbericht und Gewebsbefund für eine traumatische Ursache der Rotatorenmanschettenruptur. Dass
Dr. W. zu einem anderen Ergebnis kommt, ist nach Auffassung der Kammer darauf zurückzuführen, dass von ihm
klare Befunde übersehen werden (so die im Kernspinbefund beschriebenen eindeutig frischen Verletzungen der
Sehnen der Rotatorenmanschette), sowie darauf, dass er die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Theorie
der wesentlichen Ursache bei der Beurteilung der Kausalität verkannt hat; danach sind diejenigen Bedingungen
(mit)ursächlich, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
Wie bereits erwähnt, muss die haftungsausfüllende Kausalität hinreichend wahrscheinlich sein. Ein Zusammenhang
ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlicher wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen
ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden. Dabei müssen die Faktoren, die für den
Ursachenzusammenhang sprechen, die Umstände, die gegen die Kausalität sprechen, deutlich überwiegen. Dies ist
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Fall.
Die Arbeitsunfähigkeit des Beigeladenen bis 12.02.2006 sowie die ärztliche Behandlung waren demnach in vollem
Umfang auf die Folgen des Arbeitsunfalles vom 29.07.2005 zurückzuführen.
Die von der Beklagtenseite in das Verfahren eingeführte Stellungnahme des beratenden Arztes Dr. D. vom 03.09.2009
beinhaltet keine adäquate Auseinandersetzung mit der medizinischen Problematik des Falles, sondern enthält
lediglich eine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen, die keinerlei Beweiswert haben. Man kann sich des Eindrucks
nicht erwehren, dass dieser Arzt die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen überhaupt nicht zur Kenntnis
genommen hat. Dass sich Dr. D. im letzten Satz seiner knappen Stellungnahme sogar zu der Behauptung hinreißen
lässt, es spiele für den Ursachenzusammenhang keine Rolle, inwieweit der Gutachter den Versicherten suggestiv
befragt haben soll, entwertet seine Stellungnahme vollständig.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs.2 VwGO, die Festsetzung des Gegenstandswertes
auf § 52 Abs.3 GKG.
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