Urteil des SozG Landshut vom 18.02.2011

SozG Landshut: krankengeld, ärztliche behandlung, physikalische therapie, arbeitsunfähigkeit, mitgliedschaft, sonntag, ausnahmefall, unterbrechung, wochenende, unterlassen

Sozialgericht Landshut
Urteil vom 18.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 1 KR 111/10
I. Unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2010 wird
die Beklagte verurteilt, der Klägerin unter Anrechnung der bereits gewährten Leistung über den 10.01.2010 hinaus bis
einschließlich 10.03.2010 Krankengeld zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Gewährung von Krankengeld über den 10.01.2010 hinaus bis 10.03.2010.
Die am ...1948 geborene Klägerin ist Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie war zuletzt vom 14.02.2009 bis
30.11.2009 als Hilfskraft in einer Praxis für physikalische Therapie beschäftigt. Ab 24.09.2009 war die Klägerin
arbeitsunfähig krank. Die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber endete am 24.11.2009, ab 05.11.2009 bezog sie
von der Beklagten Krankengeld bis einschließlich 10.01.2010 (= Sonntag). Am 11.01.2010 wurde weitere
Arbeitsunfähigkeit bis 18.01.2010 bescheinigt. Ab 19.01.2010 bis 09.03.2010 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld, die
Arbeitsunfähigkeit endete am 10.03.2010.
Die Beklagte verneinte das Bestehen eines Krankengeldanspruches über den 10.01.2010 hinaus: Ein
Krankengeldanspruch bestehe nach den gesetzlichen Bestimmungen und der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts erst am Tag nach der ärztlichen Feststellung, im vorliegenden Fall am 12.01.2010. An diesem
Tag habe jedoch kein Versicherungsschutz mit Krankengeldanspruch mehr bestanden. Krankengeld könne daher für
die Arbeitsunfähigkeit ab 11.01.2010 nicht gezahlt werden. Bei der sich offenbar schon abzeichnenden
fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit hätte die Klägerin, um weiterhin den Krankengeldanspruch aufrecht zu erhalten,
am Freitag den 08.01.2010 einen Arzt aufsuchen müssen, nicht erst am Montag den 11.01.2010. Im Übrigen sei die
Klägerin auf die ständige Rechtsprechung und deren Folgen bei nicht lückenloser Nachweisung der Arbeitsunfähigkeit
hingewiesen worden und habe dies mit Unterschrift auch bestätigt (Bescheid vom 18.01.2010, Widerspruchsbescheid
vom 20.04.2010).
Für die Zeit vom 11.01.2010 bis 18.01.2010 zahlte die Beklagte Krankengeld "aus Kulanzgründen".
Mit ihrer Klage zum Sozialgericht Landshut machte die Klägerin weiterhin einen Krankengeldanspruch bis 10.03.2010
geltend. Zur Begründung wurde von ihrem bevollmächtigten Ehemann im Wesentlichen vorgetragen: Er sei am
07.01.2010 mit dem Krankengeldauszahlschein von Dr. K. in der Geschäftsstelle P. gewesen. Bei dieser Gelegenheit
sei ihm auf ausdrückliche Nachfrage erklärt worden, es reiche aus, wenn er die Anschluss-AU-Bescheinigung am
Montag den 11.01.2010 vorlege. Bei der Abgabe der AU-Bescheinigung am 11.01.2010 sei plötzlich erklärt worden,
dass die AU-Schreibung verspätet sei. Ohne die Zusicherung der Sachbearbeiterin hätte sich seine Frau noch am
Freitag eine AU-Folgebescheinigung ausstellen lassen.
Zu der Klagebegründung gab die zuständige Sachbearbeiterin am 17.06.2010 eine dienstliche Stellungnahme ab, in
der eine Falschberatung in Abrede gestellt wurde.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung stellte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag, die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2010 zu
verurteilen, der Klägerin über den 10.01.2010 hinaus Krankengeld bis einschließlich 10.03.2010 unter Anrechnung der
bereits gewährten Leistung zu gewähren.
Der Beklagtenvertreter stellte den Antrag, die Klage abzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den wesentlichen Inhalt der
beigezogenen Beklagtenakte, auf die im Klageverfahren zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie
auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat über den 10.01.2010 hinaus bis einschließlich 10.03.2010
Anspruch auf Krankengeld. Die ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 18.01.2010 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.04.2010 ist rechtswidrig.
Die Entscheidung der Kammer ergibt sich im Wesentlichen aus folgenden Erwägungen:
1. Die Klägerin war ursprünglich aufgrund Beschäftigung mit Anspruch auf Krankengeld versichert (§ 5 Abs.1 Ziff.1
SGB V). Ab 24.09.2009 war sie arbeitsunfähig krank mit Anspruch auf Krankengeld ab 05.11.2009. Nach dem Ende
des Beschäftigungsverhältnisses zum 30.11.2009 bestand die Mitgliedschaft gem. § 192 Abs.1 Ziff.2 SGB V fort und
zwar unbestritten zunächst bis 10.01.2010 (Ende der AU-Schreibung durch Dr. K.). 2. Eine anspruchsvernichtende
Unterbrechung der Mitgliedschaft zum 11.01.2010 ist nicht eingetreten. Die Beklagte hat zwar unter Hinweis auf § 46
Satz 1 Ziff.2 SGB V das Vorliegen eines Krankengeldanspruches ab 12.01.2010 verneint, trotzdem hat sie der
Klägerin "aus Kulanzgründen" für die Zeit vom 11.01. bis 18.01.2010 Krankengeld bezahlt, mit der Folge, dass gemäß
§ 192 Abs.1 Nr.2 SGB V die Mitgliedschaft aufrecht erhalten wurde. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung kommt
es nämlich für den Erhalt der Mitgliedschaft nur auf den Krankengeldbezug als solchen an, nicht darauf, ob das
Krankengeld mit Rechtsgrund geleistet wurde. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Krankengeldzahlung
ausdrücklich auf der Grundlage des § 19 Abs.2 SGB V erfolgt wäre. Solche Krankengeldzahlungen sind schon aus
rechtssystematischen Gründen nicht geeignet, im Sinne von § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V eine Mitgliedschaft zu erhalten
(vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 05.05.2009 B 1 KR 20/08 R Anm.18). Nach dem Wortlaut des
angefochtenen Bescheides vom 18.01.2010 handelte es sich jedoch ausdrücklich um eine "Kulanzentscheidung" zur
Überbrückung des leistungsfreien Zeitraumes bis zum Beginn des Arbeitslosengeldanspruches. Für den
nachfolgenden Zeitraum bis 10.03.2010 wurde jeweils lückenlos und rechtzeitig Arbeitsunfähigkeit dokumentiert, so
dass auf der Grundlage des § 192 Satz 1 Ziff.2 SGB V Anspruch auf Krankengeld für den gesamten streitigen
Zeitraum bestand. 3. Auch wenn es nach Auffassung der Kammer hierauf für die Entscheidung nicht ankommt, sei
hilfsweise auf folgenden Gesichtspunkt hingewiesen: Grundsätzlich müssen die Voraussetzungen eines
Krankengeldanspruches bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krankengeldgewährung für
jeden Bewilligungsabschnitt erneut vorliegen (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. BSG a.a.O.).
Dabei ist § 46 Satz 1 Nr.1 SGB V zu beachten, d.h. der Anspruch besteht ab dem Tag, der auf den Tag der ärztlichen
Feststellung folgt. Dies würde bedeuten, dass sich die Klägerin spätestens am Samstag den 09.01.2010 hätte
krankschreiben lassen müssen, um "Nahtlosigkeit" im Sinne des § 192 SGB V zu sichern. Nachdem samstags und
sonntags Arztpraxen normalerweise geschlossen sind, hätte die Klägerin sich demnach bereits am Freitag den 08.01.
um eine neue AU-Schreibung bemühen müssen. Nach Auffassung der Kammer liegt bei dieser Konstellation
(Krankschreibung bis Sonntag) ein Ausnahmefall im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, in dem
die unterbliebene ärztliche Feststellung der AU am Montag nachgeholt werden kann. Es ist in ständiger
Rechtsprechung anerkannt, dass das Unterlassen der ärztlichen AU-Feststellung einem Anspruch auf Krankengeld
nicht entgegengehalten werden darf, wenn die rechtzeitige Feststellung oder Meldung der AU durch Umstände
verhindert oder verzögert wurde, die nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen sind (BSG
a.a.O., Anm. 21 m.w.N.). Nach Auffassung der Kammer ist es den Versicherten, wenn der Arzt eine AU-Schreibung
bis Sonntag vornimmt, nicht zuzumuten, sich bereits am Freitag davor in ärztliche Behandlung zu begeben, um sich
vorsichtshalber eine neue AU-Bescheinigung ausstellen zu lassen. Gerade bei einem akuten Krankheitsgeschehen,
das sich über das Wochenende bessern kann, würde diese Rechtsauffassung zu überflüssigen Arztbesuchen führen
und möglicherweise auch zu Gefälligkeitsbescheinigungen. Um Rechtsnachteile zu vermeiden, müsste der
Versicherte sich immer rein vorsorglich, ohne zu wissen, ob er am darauffolgenden Montag tatsächlich krank ist, am
Freitag eine AU-Bescheinigung "besorgen" und der Arzt sie vorsorglich ausstellen. Dass jemand, der eine AU-
Bescheinigung in Händen hat, geneigt sein wird, diese auch zu nutzen, lässt sich wohl kaum ernsthaft bestreiten. Der
Klage war daher stattzugeben. Die Klägerin hat über den 10.01.2010 hinaus bis 10.03.2010 durchgehend Anspruch auf
Krankengeld. Das bereits für die Zeit vom 11.01. bis 18.01. gezahlte Krankengeld sowie das ab 19.01.2010 gezahlte
Arbeitslosengeld sind anzurechnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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