Urteil des SozG Konstanz vom 17.12.2013

einkommen aus erwerbstätigkeit, berechtigte person, vergleichbare leistung, krankenversicherung

SG Konstanz Urteil vom 17.12.2013, S 8 EG 2317/13
Gewährung von Elterngeld: Berechnung von Elterngeld; Zulässigkeit des
Abzugs einer Pauschale für die Kranken- und Pflegeversicherung bei im
Ausland erzielten Erwerbseinkommen
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld.
2 Die im Jahr 19 ... geborene Klägerin ist Mutter des am ...2013 geborenen Kindes V.
Die Klägerin lebt in Deutschland und arbeitete zuletzt vor der Geburt ihrer Tochter
als Grenzgängerin in einer abhängigen Beschäftigung in der Schweiz. Sie war
dabei über die schweizerische V. AG krankenversichert. Die Klägerin erhielt von
der Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich im Zeitraum vom 02.04.2013
bis 08.07.2013 eine Mutterschaftsentschädigung.
3 Mit Bescheid vom 27.06.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin auf ihren Antrag
Elterngeld in Höhe von 0 EUR (erster bis dritter Lebensmonat), in Höhe von 848,49
EUR (vierter Lebensmonat) und in Höhe von 1.095,96 EUR (fünfter bis zwölfter
Lebensmonat). Bei der Elterngeldberechnung berücksichtigte die Beklagte eine
dem Mutterschaftsgeld vergleichbare Leistung und kürzte insoweit das Elterngeld.
Das elterngeldrelevante Einkommen vor der Geburt ermittelte die Beklagte aus den
in der Schweiz erzielten Bruttoeinkünfte der Klägerin und zog hiervon einen
Arbeitnehmerpauschbetrag, Steuern und Sozialabgaben ab. Für die Abzüge für
die Kranken- und Pflegeversicherung nahm die Beklagte pauschal neun Prozent
der durchschnittlichen Monatseinkünfte.
4 Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass sie in
Deutschland nicht versicherungspflichtig sei und somit als freiwillig oder privat
krankenversichert gelte.
5 Mit Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Dabei führte sie an, dass zur Ermittlung des Elterngeldes Abzüge für
Steuern und Sozialabgaben in pauschalierter Form vorgenommen worden seien.
Die tatsächlichen Abzüge seien unbeachtlich. Als Grenzgängerin mit einem
Beschäftigungsverhältnis in der Schweiz sei sie dort
krankenversicherungspflichtig. Diese Krankenversicherungspflicht sei einer
Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 12 Sozialgesetzbuch (SGB)
V gleichzustellen. Ebenfalls gleichzustellen sei ihre Versicherungspflicht in der
schweizerischen Renten- und Arbeitslosenversicherung.
6 Am 12.09.2013 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Konstanz Klage erhoben.
Sie führt an, dass ihre Krankenversicherung in der Schweiz einer privaten
Krankenversicherung gleiche. Während des Elterngeldbezuges werde die
Versicherung nicht beitragsfrei fortgeführt, d.h. sie müsse weiterhin die Prämien für
die Versicherung bezahlen. Damit werde sie benachteiligt. Abzüge für
Sozialabgaben erfolgten nur insoweit zu Recht, als eine Versicherungspflicht in
dem jeweiligen Zeig der gesetzlichen Sozialversicherung oder einer
vergleichbaren Einrichtung bestehe. Für freiwillig und privat Krankenversicherte
erfolge kein Abzug. Grenzgänger, die insoweit nicht der deutschen
Sozialversicherung unterlägen, könnten schon deshalb nicht mit den (deutschen)
Pauschalen behandelt werden.
7 Die Klägerin beantragt,
8
den Bescheid der Beklagten vom 27.06.2013 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 13.08.2013 abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen, ihr, der Klägerin, höheres Elterngeld zu gewähren, indem bei der
Ermittlung des elterngeldrelevanten Einkommens keine Abzüge für eine Kranken-
und Pflegeversicherung erfolgen.
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, auf
die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die Klage ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht erhoben und
ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthaft. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die
angefochtenen Verwaltungsakte der Beklagten, nämlich der Bescheid vom
27.06.2013 und der Widerspruchsbescheid vom 13.08.2013, sind nicht
rechtswidrig und beschweren die Klägerin nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG. Die
Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld. Von den schweizerischen
Einkünften aus Erwerbstätigkeit wurden von der Beklagten zutreffend auch eine
Pauschale für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge abgezogen.
13 Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für den streitigen Zeitraum richtet sich
nach den am 01.01.2007 in Kraft getretenen Vorschriften des Bundeselterngeld-
und Elternzeitgesetzes (BEEG) vom 05.12.2006 (BGBl. I 2006, 2748) in der
Fassung des ab 18.09.2012 gültigen Gesetzes zur Vereinfachung des
Elterngeldvollzugs (EGeldVereinfG) vom 10.09.2012 (BGBl. I 2012, 1878).
14 Die Klägerin erfüllt die Grundvoraussetzungen für den Anspruch auf Elterngeld
gemäß § 1 Abs. 1 BEEG. Insbesondere lebt sie mit ihrer Tochter in einem Haushalt
und betreut und erzieht sie. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
Ebenfalls unstreitig zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung der aus der
Schweiz gezahlten Mutterschaftsentschädigung, die mit einer deutschen
Mutterschaftsleistung (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BEEG) vergleichbar ist, auf das
Elterngeld.
15 Für die hier allein streitige Höhe des Elterngeldanspruchs der Klägerin sind §§ 2 ff.
BEEG maßgebend. Nach § 2 Abs. 1 BEEG wird Elterngeld wird in Höhe von 67
Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt.
Das Einkommen aus Erwerbstätigkeit errechnet sich dabei nach Maßgabe der §§
2c bis 2f aus der um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderten
Summe der positiven Einkünfte u.a. aus nichtselbständiger Arbeit, die im Inland zu
versteuern sind. Die Berechnung der Abzüge für Sozialabgaben ergibt sich aus §
2f Abs. 1 BEEG. Danach sind als Abzüge für Sozialabgaben die Beträge für die
gesetzliche Sozialversicherung oder für eine vergleichbare Einrichtung sowie für
die Arbeitsförderung zu berücksichtigen. Die Abzüge für Sozialabgaben werden
dabei einheitlich für die Einkommen aus nichtselbstständiger und selbstständiger
Erwerbstätigkeit anhand von Beitragssatzpauschalen ermittelt, wenn
Versicherungspflicht bestand (§ 2f Abs. 1 Satz 2 BEEG). Für die Kranken- und
Pflegeversicherung ist eine Beitragssatzpauschale in Höhe von neun Prozent
vorgegeben, falls die berechtigte Person in der gesetzlichen Krankenversicherung
nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 bis 12 SGB V versicherungspflichtig gewesen ist (§
2f Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BEEG).
16 Da Elterngeld zu den Familienleistungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1j VO (EG)
883/2004 gehört (vgl. hierzu Vießmann/Merkel, Die europäische Koordinierung von
Familienleistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, NZS 2012, 572, 573),
ist insoweit auch die Gleichstellungsregelung des Art. 5b VO (EG) 883/2004
anwendbar. Hat danach nach den Rechtsvorschriften des zuständigen
Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse
Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen
Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob
sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären. Die EG-Verordnung ist in den
Beziehungen zwischen der Schweiz und den EU-Mitgliedstaaten ab dem
01.04.2012 anwendbar (vgl. revidierter Anhang II zum Freizügigkeitsabkommen
vom 13.02.2012).
17 Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass für die in Deutschland lebende und vor
der Geburt ihres Kindes in der Schweiz arbeitende Klägerin zum einen
Einkommen, das in der Schweiz versteuert wurde, nach Art. 5 VO (EG) 883/2004
im Inland versteuertem Einkommen gleichzustellen und damit insgesamt der
Elterngeldberechnung zu unterwerfen ist. Zum anderen bedeutet die
Sachverhaltsgleichstellung in der EG-Verordnung aber auch, dass für das in der
Schweiz erzielte Einkommen bei einer dortigen Krankenversicherungspflicht auch
pauschale Abzüge für Sozialabgaben im Bereich Kranken- und
Pflegeversicherung stattzufinden haben. Dementsprechend geht der Gesetzgeber
in seiner Gesetzesbegründung für die Neuregelung des § 2f BEEG von einer
Anwendung der Beitragssatzpauschale für Einkommen aus, die in einem dem EU-
Ausland gleichgestellten Staat einer Sozialabgabenpflicht unterliegen (vgl. BT-Drs.
17/9841 S. 26).
18 Die Klägerin unterlag als Grenzgängerin über ihre Erwerbstätigkeit in der Schweiz
dort der Krankenversicherungspflicht. Neben den Personen, die in der Schweiz
ihren Wohnsitz haben (vgl. Art. 3 des schweizerischen Bundesgesetzes über die
Krankenversicherung - KVG), sind nämlich dort seit dem Inkrafttreten der
bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union per
01.06.2002 auch EG-Staatsangehörige wie die Klägerin
krankenversicherungspflichtig, wenn sie im EG-Raum wohnen, aber in der
Schweiz erwerbstätig sind (vgl. Art. 11 Abs. 3a VO (EG) 883/2004). Von der
Möglichkeit, sich von der obligatorischen Krankenversicherung in der Schweiz
befreien zu lassen (vgl. Anhang XI Deutschland Nr. 2 zur VO (EG) 883/2004), hat
die Klägerin keinen Gebrauch gemacht. Sie war im Bemessungszeitraum, d.h. im
Jahr vor der Geburt ihres Kindes, bei einem schweizerischen
Krankenversicherungsunternehmen krankenversichert. Dass dabei die
Mitgliedschaft bei einer Krankenversicherung - anders als in Deutschland - nicht
automatisch mit Beginn der Erwerbstätigkeit und den Arbeitgeber abgewickelt wird,
sondern der Grenzgänger sich selbst um seinen (privaten) Versicherungsschutz
kümmern muss, steht einer Krankenversicherungspflicht nicht entgegen.
19 Aufgrund der Krankenversicherungspflicht der Klägerin in der Schweiz anlässlich
ihrer dortigen Erwerbstätigkeit, was einer Krankenversicherungspflicht in
Deutschland nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V entspricht, hat die Beklagte damit zu
Recht pauschale Abzüge für Sozialabgaben von dem Einkommen berücksichtigt.
20 Ein Verstoß gegen Art. 3 Grundgesetz (GG), wonach die Klägerin gegenüber in
Deutschland Privatversicherten, die wie sie für die Zeit des Elterngeldbezuges
zwar Krankenversicherungsbeiträge weiterzahlen müssten, jedoch die Beiträge
dann nicht bei der Elterngeldberechnung berücksichtigt werden dürften,
benachteiligt wäre, konnte die Kammer in der Regelung nicht erkennen. Art. 3 Abs.
1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nämlich nicht jede Differenzierung. Der
Gesetzgeber hat gerade auch im Bereich des Elterngeldrechts einen weiten
Gestaltungsspielraum. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist
grundsätzlich erst dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im
Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen
beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Bei der
Überprüfung eines Gesetzes auf Übereinstimmung mit dem allgemeinen
Gleichheitssatz ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste
oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die
verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Es
bleibt grundsätzlich ihm überlassen, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die
er dieselbe Rechtsfolge knüpft, die er also im Rechtssinn als gleich ansehen will
(vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2013, Az. B 10 EG 10/12 R m.w.N.).
21 Die vorliegende gesetzliche Regelung dient vor allem der
Verwaltungsvereinfachung (vgl. BT-Drs. 17/9841 S. 26). Bei Bestehen einer
Versicherungspflicht sollen bei allen Pflichtversicherten pauschale Beiträge vom
Bemessungsentgelt abgezogen werden. So kann die Bemessungsgrundlage
vereinfacht und unabhängig von der tatsächlichen Beitragshöhe ermittelt werden.
Ein Abzug macht auch Sinn, da die Sozialversicherungsbeiträge - wie auch bei der
Klägerin - das berücksichtigungsfähige Einkommen des Elterngeldberechtigten
mindern, und das Elterngeld nur das frühere Nettoeinkommen ersetzen soll. Dass
demgegenüber bei in Deutschland privat oder freiwillig Krankenversicherten die
Krankenversicherungsbeiträge bei der Elterngeldberechnung nicht absetzbar sind,
mag zwar leichte Ungereimtheiten aufwerfen (vgl. hierzu Röhl, jurisPR-SozR
1/2013 Anm. 4). Allerdings wirkt sich die Nichtberücksichtigung der
Beitragszahlung nicht nur zugunsten dieses Versichertenkreises, sondern auch zu
seinen Lasten aus. Denn die privat oder freiwillig Krankenversicherten dürfen die
Krankenversicherungsbeiträge auch nicht zur Reduzierung des während des
Elterngeldbezuges erzielten Einkommens heranziehen. Ein Überschreiten der
Schwelle der Verfassungswidrigkeit aufgrund einer Ungleichbehandlung kann
insoweit nicht gesehen werden.
22 Da im Übrigen weder Fehler bei der konkreten Elterngeldberechnung geltend
gemacht wurden noch solche ersichtlich sind, war die Klage nach alledem
abzuweisen.
23 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.