Urteil des SozG Köln vom 27.01.2011

SozG Köln: gewöhnlicher aufenthalt, klinik, berechnung der frist, stationäre behandlung, unterbringung, auflage, leistungsausschluss, stadt, inhaftierung, arbeitsmarkt

Sozialgericht Köln
Urteil vom 27.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Köln S 32 AS 307/10
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.01.2010 für die Zeit vom 30.11.2009 bis 26.05.2010 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 359,00 Euro zu gewähren. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten
des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit
einer stationären Rehabilitationsmaßnahme.
Der am 02.08.1962 geborene Kläger ist geschieden und lebte in der Zeit vom 01.06.2007 bis 23.04.2008 gemeinsam
mit seiner damaligen Lebensgefährtin O. in V., ohne dort jedoch ordnungsbehördlich gemeldet zu sein. Am 23.04.2008
wurde der Kläger aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts B. zum Zweck der Untersuchungshaft in der
Justizvollzugsanstalt St. G. inhaftiert und später, am 25.08.2008, in die Justizvollzugsanstalt W. verlegt. Am
14.11.2008 wurde der Kläger durch das Landgericht M. zu einer Haftstrafe verurteilt, zu deren Vollstreckung der
Kläger in die Justizvollzugsanstalt R. verbracht wurde. Während der Zeit der Inhaftierung bezog der Kläger von der
Beigeladenen, dem für V. zuständigen Träger der Sozialhilfe Leistungen nach § 35 SGB XII. Mit Bescheid vom
13.08.2008 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme
für die Dauer von 26 Wochen in der E.-Klinik in H. zur Therapie einer Suchtkrankheit. Am 25.11.2009 wurde der Kläger
unter Zurückstellung der Strafvollstreckung und unter Auszahlung eines Überbrückungsgeldes in Höhe von 434,46
Euro in bar aus der Haft in der Justizvollzugsanstalt R. entlassen und noch am gleichen Tage in der E.-Klinik in H. zur
stationären Rehabilitation aufgenommen.
Am 30.11.2009 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, dem für H. örtlich zuständigen Träger der Grundsicherung
für Arbeitssuchende, die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Mit seinen
Antragsunterlagen reichte der Kläger eine Bescheinigung der E.-Klinik vom 26.11.2009 zu den Akten, in der eine
stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 25.11.2009 bis voraussichtlich 26.05.2010 bestätigt wurde. Mit
Bescheid vom 10.12.2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers unter Bezugnahme auf die Regelung des § 7
Abs. 4 SGB II ab. Der Kläger befinde sich vom 25.11.2009 bis 26.05.2010 und damit für eine Zeit von voraussichtlich
mehr als sechs Monaten in einer stationären Einrichtung. Unter diesen Umständen sei ein Anspruch auf Leistungen
nach dem SGB II ausgeschlossen. In Betracht komme vielmehr ein Leistungsanspruch gegen den zuständigen Träger
der Sozialhilfe. Den gegen den ablehnenden Bescheid am 19.12.2009 eingelegten Widerspruch des Klägers wies der
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2010 als unbegründet zurück.
Am 25.01.2010 hat der Kläger Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
gestellt. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Kammer den Beklagten verpflichtet, dem Kläger vorläufig
für die Zeit vom 25.01.2010 bis 26.05.2010 Regelleistungen in Höhe von monatlich 359,00 Euro zu gewähren (SG
Köln, Beschluss vom 23.02.2010, Az. S 32 AS 290/10 ER). Mit der Klage verfolgt der wie ursprünglich beabsichtigt
am 26.05.2010 aus der E.-Klinik entlassene Kläger sein Begehren in der Hauptsache weiter.
Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II bestehe. Insbesondere stehe diesem Anspruch nicht der Leistungsausschluss
nach § 7 Abs. 4 SGB II entgegen, da die Dauer der stationären Unterbringung vorliegend weniger als sechs Monate
betrage. Dabei sei, weil die Anzahl der Tage pro Monat variiere, schon aus Gründen der Gleichbehandlung nicht von
einer Berechnung in Monaten, sondern von einer Berechnung in Tagen oder Wochen auszugehen. Dem Kläger sei
eine stationäre Therapie von 182 Tagen bzw. 26 Wochen bewilligt worden. Da das Jahr 365 Tage, ein halbes Jahr
somit 182,5 Tage habe, sei die voraussichtliche Aufenthaltsdauer in Tagen bemessen kürzer als ein halbes Jahr.
Entsprechendes gelte bei einer Berechnung in Wochen, da das Jahr 52 Wochen und einen weiteren Tag habe.
Leistungen für Unterkunft und Heizung werden durch den Kläger nicht geltend gemacht.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.01.2010 für die Zeit vom 30.11.2009 bis 26.05.2010 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes in Höhe der monatlichen Regelsatzleistung von 359,00 Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren weiterhin der
Auffassung, dass ein Leistungsanspruch des Klägers nach § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen sei, da der stationäre
Aufenthalt in der E.-Klinik vom Tag der Aufnahme in die Klinik an voraussichtlich nicht weniger als sechs Monate
betragen habe. Entgegen der Auffassung des Klägers sei eine nach Monaten bemessene Frist gemäß § 188 Abs. 2
BGB auch nach Monaten und nicht nach Tagen oder Wochen zu berechnen. Der Kläger habe einen Anspruch auf
Sozialhilfeleistungen.
Die Beigeladene teilt die Auffassung des Beklagten zur Berechnung der Frist, ist aber der Auffassung, dass als
maßgeblicher Prognosezeitpunkt vorliegend nicht auf den Tag der Aufnahme in die E.-Klinik am 25.11.2009, sondern
auf den Tag der Antragstellung bei dem Beklagten am 30.11.2009 abzustellen sei. Von diesem Zeitpunkt ausgehend
habe der Aufenthalt des Klägers voraussichtlich weniger als sechs Monate betragen. Der Kläger habe einen Anspruch
auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der
Gerichtsakte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes S 32 AS 290/10 ER sowie auf den Inhalt der
beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Passivrubrum war von Amts wegen zu berichtigen. Nach § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB II sind die gemeinsamen
Einrichtungen mit der Bezeichnung Jobcenter als Rechtsnachfolger an die Stelle der Arbeitsgemeinschaften getreten.
Die Kammer kann vorliegend gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil
die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 10.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2010 ist
rechtswidrig und verletzt den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch
auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom
30.11.2009 bis 26.05.2010 in Höhe von monatlich 359,00 Euro gegen den Beklagten.
Die Anspruchsgrundlage für den durch den Kläger geltend gemachten Anspruch ergibt sich aus den §§ 19 Satz 1, 7
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 SGB II. Danach erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenzen
nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Gemäß § 20 Abs. 1 SGB II
umfasst die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege,
Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarf des täglichen Lebens sowie in
vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Die monatliche
Regelleistung beträgt für Personen, die alleinstehend oder allein erziehend sind oder deren Partner minderjährig ist,
gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 SGB II in Verbindung mit der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen
Bekanntmachung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über die Höhe der Regelleistung vom 17.06.2009
(BGBl. I, Seite 1342) monatlich 359,00 Euro. Dieser Betrag ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zur Bemessung der Regelsätze bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber zugrunde zu legen
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 09. Februar 2010, Az. 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, BVerfGE 125, 175 ff.).
Der Beklagte ist für die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes örtlich zuständig. Gemäß §
36 Satz 3 SGB II werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende durch den jeweiligen Träger
erbracht, in dessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen tatsächlichen Aufenthalt hat, wenn ein
gewöhnlicher Aufenthalt nicht feststellbar ist. So liegt es hier. Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den
gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in
diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Bei einem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung kann ein
gewöhnlicher Aufenthalt am Ort der Einrichtung begründet werden, wenn subjektive und objektive Anhaltspunkte dafür
sprechen, dass der bisherige Aufenthalt aufgegeben worden ist. Allerdings muss der Aufenthalt in der Einrichtung
grundsätzlich zukunftsoffen sein, was insbesondere in den Fällen des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II fraglich sein
kann, da die Unterbringung höchstens sechs Monate betragen darf (Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage
2008, § 36 Rn. 25a). Bis zu seiner Inhaftierung am 23.04.2008 hielt sich der Kläger im Sinne eines gewöhnlichen
Aufenthalts in der Stadt V. auf. Dies ergibt sich für die Kammer zweifelsfrei aus dem Inhalt der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beigeladenen, ausweislich derer die damalige Lebensgefährtin des Klägers mit Schreiben vom
26.06.2008 gegenüber der Beigeladenen schriftlich bestätigt hat, dass der Kläger am 01.06.2007 in ihre Wohnung im
Haus B. eingezogen sei. Von dort aus sei man dann gemeinsam am 06.10.2007 in eine andere Wohnung im Haus R.-
Straße und am 07.01.2008 noch einmal in das Haus U.-Straße umgezogen. Die Angaben der Lebensgefährtin des
Klägers sind durch die Beigeladene seinerzeit durch eine Befragung der durch die Lebensgefährtin angegebenen
Vermieter überprüft worden. Die Vermieter haben jeweils übereinstimmend bestätigt, dass der Kläger in der Wohnung
der Lebensgefährtin wohnhaft gewesen war. Das Fehlen einer ordnungsbehördlichen Meldung steht der Annahme
eines gewöhnlichen Aufenthalts nicht entgegen (vgl. Schlegel, in: jurisPK SGB I, 1. Auflage 2005, § 30 Rn. 44
m.w.N.). Den in der Stadt V. begründeten gewöhnlichen Aufenthalt hat der Kläger nach Auffassung der Kammer
jedoch während seiner Inhaftierung - ohne dass sich die Kammer hier auf einen genauen Zeitpunkt festlegen muss -
aufgegeben. Der Kläger ist aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts B. am 23.04.2008 in die
Justizvollzugsanstalt St. G. inhaftiert worden. Am 25.08.2008 ist der Kläger zur weiteren Verbüßung der
Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt W. verlegt worden. Nach der Verurteilung zu einer Haftstrafe durch das
Landgericht M. am 14.11.2008 ist der Kläger zur Vollstreckung in die Justizvollzugsanstalt R. überstellt worden, wo er
am 25.11.2009 unter Zurückstellung der Strafvollstreckung entlassen und am gleichen Tage in die E.-Klinik in H. zur
stationären Rehabilitation aufgenommen worden ist. Zum Zeitpunkt der Antragstellung dort hat sich der Kläger damit
seit annähernd zwei Jahren nicht mehr in der Stadt V. aufgehalten. Persönlich befragt hat der Kläger hierzu im Termin
zur mündlichen Erörterung des Sachverhaltes am 16.09.2010 für die Kammer glaubhaft angegeben, dass die
Beziehung zur damaligen Lebensgefährtin etwa ein Jahr nach seiner Verhaftung beendet worden sei. Seitdem habe er
keinen Kontakt mehr zu ihr. Damals sei er letztlich aus einer Laune heraus zu seiner Lebensgefährtin nach V.
gezogen. Über diese Beziehung hinaus habe jedoch kein persönlicher Bezug zu V. bestanden. Er habe dem
entsprechend nach dem Ende der Beziehung auch nie beabsichtigt, nach seiner Entlassung nach V. zurückzukehren.
Tatsächlich lebt der Kläger seit dem in M. Schließlich hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer auch durch den
Aufenthalt in der E.-Klinik keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in H. begründet. Die in der E.-Klinik absolvierte
Rehabilitationsmaßnahme war von vornherein auf einen nur bis zum 26.05.2010 dauernden Aufenthalt angelegt und
damit nicht zukunftsoffen. Über persönliche Beziehungen zur Stadt H. verfügt der Kläger nicht.
Der Kläger ist Leistungsberechtigter im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II. Insbesondere ist der Kläger
hilfebedürftig. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit
und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend
aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu
berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen,
insbesondere Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Nach den Ermittlungen der Kammer hat
der Kläger während der Zeit seiner Unterbringung in der E.-Klinik weder über ausreichendes Vermögen noch über
ausreichendes Einkommen verfügt, um seinen nach dem gesetzlichen Regelsatz von 359,00 Euro monatlich zu
bemessenen Lebensunterhalt sicherzustellen. [ ...]
Der Kläger ist schließlich nicht aufgrund seines Aufenthalts in einer stationären Therapieeinrichtung durch § 7 Abs. 4
Satz 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, da vorliegend die Ausnahmevorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr.
1 SGB II greift. Danach erhält abweichend von Satz 1 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB
II, wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus oder einer sonstigen Vorsorge- und
Rehabilitationsmaßnahme im Sinne von § 107 SGB V untergebracht ist.
Nach Auffassung der Kammer hat der Beklagte zwar zunächst zutreffend darauf abgestellt, dass die von § 7 Abs. 4
Satz 3 Nr. 1 SGB II vorausgesetzte Dauer von weniger als sechs Monaten überschritten ist, wenn hinsichtlich des
Fristbeginns auf die Aufnahme in die Therapieeinrichtung am 25.11.2009 abzustellen wäre. Entgegen der Auffassung
des Klägers ist das Fristende nämlich gemäß §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 26 Abs. 1 SGB X nach Maßgabe von §
188 Abs. 2 BGB und damit nicht nach Tagen oder Wochen, sondern nach Monaten zu berechnen. Danach endete
eine von der Aufnahme in die E.-Klinik am 25.11.2006 an gerechnete sechsmonatige Frist am 25.05.2010. Eine darin
liegende Ungleichbehandlung - weil nicht alle Monate gleich an Tagen sind - wäre als sachlich gerechtfertigte
Vereinfachung der Fristberechnung wie bei allen materiellrechtlichen oder prozessualen Monatsfristen durch den
Kläger hinzunehmen.
Allerdings ist, wie die Kammer bereits mit Beschluss vom 23.02.2010 (a.a.O.) ausgeführt hat, als maßgeblicher
Prognosezeitpunkt nicht auf die Aufnahme in die E.-Klinik am 25.11.2006, sondern auf die Antragstellung am
30.11.2009 abzustellen. Von diesem Zeitpunkt ausgehend hat der Aufenthalt des Klägers voraussichtlich weniger als
sechs Monate betragen, da die sechsmonatige Frist am 30.05.2009 verstrichen wäre, der Kläger aber voraussichtlich
schon am 26.05.2010 entlassen werden sollte. Ob bei der Anwendung von § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II auf den Tag
der Aufnahme in die Einrichtung oder auf den Zeitpunkt der Antragstellung als maßgeblicher Prognosezeitpunkt
abzustellen ist, ist in Rechtsprechung und Schrifttum nicht abschließend geklärt.
Das Bundessozialgericht hat zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung
für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) mit Wirkung zum 01.08.2006 entschieden, dass als
maßgeblicher Prognosezeitpunkt zunächst auf den Tag der Aufnahme in das Krankenhaus bzw. die
Therapieeinrichtung abzustellen ist, darüber hinaus aber offen gelassen, ob der Prognosezeitraum durch eine gezielte
Antragstellung auch nach hinten verschoben werden kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2007, Az. B 14/7b
AS 60/06 R). Der entscheidende Senat teilte zwar die Bedenken, dass einem solchen beliebigen Verschieben des
Prognosezeitpunkts ein gewisses Missbrauchspotential innewohne. Allerdings entspreche es der Grundintention des
SGB II, jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Erwerbsarbeit zu integrieren. Gehe der Leistungsausschluss durch
Unterbringung in einer Einrichtung gemäß § 7 Abs. 4 SGB II absehbar zeitlich zu Ende, so entspreche es dem
Aktualitätsprinzip des SGB II, den Prognosezeitraum grundsätzlich ab dem Zeitpunkt beginnen zu lassen, zu dem der
Antragsteller Leistungen nach dem SGB II begehre und damit zugleich anzeige, dass er Leistungen zur Eingliederung
in Arbeit gemäß §§ 14 ff. SGB II erhalten möchte. Diese Erwägungen sind im Schrifttum teils positiv aufgegriffen und
auch auf die aktuelle Fassung von § 7 Abs. 4 SGB II übertragen worden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die von § 7 Abs.
4 Satz 3 Nr. 1 SGB II verlangte Prognoseentscheidung sei zwar im Grundsatz der Tag der Aufnahme in das
Krankenhaus bzw. die Therapieeinrichtung. Allerdings solle bei einem länger als sechs Monate dauernden Aufenthalt
in einer Einrichtung bei einer späteren Antragstellung dem Charakter einer Prognoseentscheidung entsprechend nur
noch auf die prognostizierte Restzeit in der Einrichtung abzustellen sein (Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2.
Auflage 2008, § 7 Rn. 67). Die Gegenmeinung stellt maßgeblich auf das bereits durch das Bundessozialgericht
problematisierte vermeintliche Missbrauchspotential einer solchen Handhabung ab und verweist für die Interpretation
von § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II jedenfalls ab Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung
für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 (a.a.O.) auf die entsprechende Gesetzesbegründung, nach der die
Prognosentscheidung zu Beginn des Aufenthalts im Krankenhaus zu treffen sei (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz,
Urteil vom 18. Dezember 2008, Az. L 5 AS 31/08 unter Verweis auf BT-Drs. 16/1410 S. 20). Vielfach findet sich keine
ausdrückliche Auseinandersetzung mit der hier zu entscheidenden Frage (vgl. Hackethal, in: jurisPK SGB II, 2.
Auflage 2007, § 7 Rn. 52; Hänlein, in: Gagel, SGB II/III, Loseblattsammlung, Stand: 39. Ergänzungslieferung 2010, §
7 Rn. 78; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, Loseblattsammlung, Stand: 30. Ergänzungslieferung IV/10, Teil K, § 7
Rn. 208). Auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat die Frage bislang nicht entscheiden müssen; dort
entsprach der Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung auch dem Zeitpunkt der Antragstellung (vgl.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Februar 2008, Az. L 7 B 274/07 AS).
Nach Auffassung der Kammer ist jedenfalls dann, wenn die Aufnahme in ein Krankenhaus oder eine sonstige
Therapieeinrichtung nicht während des laufenden Leistungsbezugs nach dem SGB II erfolgt, sondern der erstmaligen
Beantragung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende vorausgeht, auf den Zeitpunkt der
Antragstellung abzustellen. Die Kammer macht sich dabei zunächst die Erwägungen des Bundessozialgerichts
(a.a.O.) zu eigen, nach denen der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 in erster Linie vor dem Hintergrund der
in § 1 SGB II niedergelegten Grundintention des SGB II, erwerbsfähige Hilfebedürftige in den Arbeitsmarkt zu
integrieren, auszulegen ist. Soweit § 7 Abs. 4 SGB II Personen, die in stationären Einrichtungen untergebracht sind,
trotz grundsätzlich bestehender Erwerbsfähigkeit vom Leistungsbezug ausschließt und damit zugleich dem
Sozialhilfebezug nach dem SGB XII zuweist, geschieht dies, weil die Betroffenen einer Integration in der Arbeitsmarkt
für die Dauer ihrer Unterbringung nicht zur Verfügung stehen. Im Schrifttum wird daher gelegentlich von einer Fiktion
der Nichterwerbsfähigkeit gesprochen (vgl. Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 7 Rn. 60).
Dieser Konzeption entsprechend gilt der Leistungsauschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II dann nicht, wenn
der Betroffene trotz Unterbringung in einer stationären Einrichtung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich arbeiten kann. Auch die Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1
SGB II ist vor diesem Hintergrund zu sehen, wenn sie den Leistungsausschluss ausnahmsweise suspendiert, wenn
der Betroffene voraussichtlich weniger als sechs Monate stationär untergebracht ist. In diesem Fall machte eine
Überführung in den Sozialhilfebezug nach dem SGB XII nur wenig Sinn, weil der Betroffene in absehbarer Zeit wieder
in den Leistungsbezug nach dem SGB II aufzunehmen wäre. Verlangt wird damit eine rein zukunftsgerichtete
Prognoseentscheidung auf der Grundlage eines jeweils aktuellen Informationsstandes. Der Prognosezeitpunkt dürfte
dabei von den jeweiligen Umständen anhängen. Für den Regelfall eines laufenden Leistungsbezugs nach dem SGB II
dürfte als Prognosezeitpunkt regelmäßig auf den Tag der Aufnahme in das Krankenhaus oder die Therapieeinrichtung
abzustellen sein, da die Aufnahme in eine Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II hier Anlass gibt, eine
Prognoseentscheidung über die künftige Verfügbarkeit des Leistungsempfängers zur Integration in den Arbeitsmarkt
zu treffen. Wenn dagegen erstmals Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende beantragt werden, kann sich
auch die Frage nach der künftigen Verfügbarkeit für Integrationsmaßnahmen frühstens zu diesem Zeitpunkt stellen.
Eine Prognoseentscheidung muss dann dem Aktualitätsprinzip entsprechend als Prognosezeitpunkt auf den Zeitpunkt
der Antragstellung abstellen, so dass bei einem bereits begonnenen Aufenthalt in einer Einrichtung im Sinne von § 7
Abs. 4 SGB II nur die voraussichtliche Restdauer zu berücksichtigen ist. Die Einbeziehung zurückliegender
Aufenthaltszeiten widerspräche dem zukunftsgerichteten Charakter der zu treffenden Prognosentscheidung.
Der durch das Bundessozialgericht (a.a.O.) entwickelte Ansatz für die vor Inkrafttreten des Gesetzes zur
Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 geltende Fassung von § 7 Abs. 4 SGB II ist
nach Auffassung der Kammer auch auf die aktuelle Gesetzeslage übertragbar. Auch nach aktueller Gesetzeslage ist
nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II eine Prognoseentscheidung über die voraussichtliche Dauer des Aufenthalts in
einem Krankenhaus oder einer sonstigen Therapieeinrichtung zu treffen. Der Gesetzgeber hat die Regelung in § 7
Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II gerade nicht so formuliert, so dass ein Leistungsauschluss immer dann greift, wenn der
Aufenthalt tatsächlich länger sechs Monate dauert. Auch aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung von § 7 Abs.
4 SGB II lässt sich nicht zwingend Gegenteiliges schließen. Soweit dort ausgeführt wird, dass eine
Prognoseentscheidung zu Beginn des Aufenthaltes im Krankenhaus zu treffen sei (BT-Drs. 16/1410 S. 20), mag der
Gesetzgeber dabei allein den Regelfall eines Krankenaufenthaltes während des laufenden Leistungsbezugs nach dem
SGB II vor Augen gehabt haben, indem es auch nach der hier vertretenen Auffassung als Prognosezeitpunkt
regelmäßig auf den Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung ankommen dürfte.
Schließlich überzeugt die Kammer auch der der hier vertretenen Auffassung entgegengehaltene Hinweis auf ein
Missbrauchspotential nicht. Richtig ist zwar, dass der Betroffene hiernach durch eine geschickte Wahl des
Antragszeitpunkts, einen aufgrund der pauschalierten Regelsätze gegenüber § 35 Abs. 2 SGB XII attraktiveren
Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zielgerichtet herbeiführen kann. Indes wird einem Missbrauch jedenfalls im
Ansatz durch die Regelung des § 37 Abs. 2 SGB II vorgebeugt, wonach Leistungen der Grundsicherung für
Arbeitssuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden. Damit steht derjenige, der sich zwar
tatsächlich länger als sechs Monate in einem Krankenhaus oder einer sonstigen Therapieeinrichtung aufhält, seinen
Antrag aber erst dann stellt, wenn absehbar ist, dass der Aufenthalt in weniger als sechs Monaten zu Ende geht, nicht
besser, als derjenige der von vornherein nur für einen voraussichtlich weniger als sechs Monate dauernden Aufenthalt
in ein Krankenhaus oder eine sonstige Therapieeinrichtung aufgenommen wird.
[ ...]
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.