Urteil des SozG Köln vom 07.01.2010

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Sozialgericht Köln, S 14 AS 256/09 ER
Datum:
07.01.2010
Gericht:
Sozialgericht Köln
Spruchkörper:
14. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 14 AS 256/09 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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I: Streitig ist im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Höhe des Zuschusses
der Antragsgegnerin für den Basistarif der privaten Kranken- und Pflegeversicherung
des Antragstellers.
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Der Antragsteller ist 54 Jahre alt. Er hat eine Ausbildung zum Technischen Zeichner
absolviert. Seit 1984 hat der Antragsteller ein Gewerbe angemeldet und ist freiberuflich
tätig als technischer Zeichner und Kostrukteur. Durch Wegfall seines einzigen
Auftraggebers verlor der Antragsteller im Jahr 2009 seine Einkünfte aus seiner
selbständigen Tätigkeit. Seit dem 18.06.2009 erhält der Antragsteller von der
Antragsgegnerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Antragsgegnerin bewilligte für den Zeitraum vom
18.06.2009 bis 31.12.2009 (im Juni anteilig) eine monatliche Regelleistung in Höhe von
359,- EUR und Kosten der Unterkunft in Höhe von 236,60 EUR (Bescheid vom
24.07.2009). Als Zuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung des
Antragstellers wurden (ab Juli in dieser Höhe) 124,32 EUR für die
Krankenversicherungsbeiträge und 17,79 EUR monatlich für die
Pflegeversicherungsbeiträge bewilligt (Gesamtzuschuss 142,11 EUR).
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Mit einem Schreiben vom 29.10.2009 wandte sich der Antragsteller an die
Antragsgegnerin und wies darauf hin, dass er mit den bewilligten Leistungen nicht in der
Lage sei, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Umstellung seiner privaten
Krankenversicherung auf den Basistarif führe zu einem Krankenversicherungsbeitrag
von monatlich 284,82 EUR und einem Pflegeversicherungsbeitrag von monatlich 35,83
EUR (Gesamtbeitrag 320,65 EUR). Die Antragsgegnerin zahle als Zuschuss für diese
Beiträge monatlich insgesamt 142,11 EUR (Differenz zu den tatsächlichen Beiträgen
monatlich 178,54 EUR). Es gebe eine Gerichtsentscheidung, nach der ein Empfänger
von Arbeitslosengeld II (Alg II) ein Anrecht auf die volle Übernahme der Beiträge für die
private Kranken- und Pflegeversicherung im Basistarif habe. Es liege eine
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systemwidrige Belastung von Leistungsempfängern vor, die mit dem
verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar sei.
Der Antragsteller fügte einen Schriftwechsel mit seiner privaten Krankenversicherung
bei. Darin wird ausgeführt, dass der monatliche Beitrag der privaten
Krankenversicherung im Basistarif 569,63 EUR betrage. Bei nachgewiesener
Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II
und SGB XII) halbiere sich der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit auf 284,82
EUR. Der Antragsteller könne seinen Versicherungsschutz rückwirkend zum 01.08.2009
auf den Basistarif umstellen. Auch der zur Zeit monatlich 71,66 EUR betragende
Basistarif der Pflegeversicherung werde bei bestehender Hilfebedürftigkeit um die Hälfte
reduziert auf den Beitrag von 35,83 EUR. Eine weitere Beitragsreduzierung sei nicht
möglich.
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Mit Schreiben vom 10.11.2009 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass
nach Prüfung der Sach- und Rechtslage als Zuschuss zur privaten Kranken- und
Pflegeversicherung nur der gesetzliche Beitrag übernommen werden könne. Dieser
betrage ab dem 01.07.2009 monatlich 124,32 EUR für die Krankenversicherung und
monatlich 17,79 EUR für die Pflegeversicherung. Bei dem vom Antragsteller
angeführten sozialgerichtlichen Eilbeschluss handele es sich um eine
Einzelfallentscheidung.
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Der Antragsteller legte gegen das Schreiben vom 10.11.2009 Widerspruch ein
(Widerspruchsschreiben vom 29.11.2009). Er wies inhaltlich darauf hin, dass er nicht in
der Lage sei, die Differenz von 178,54 EUR monatlich zwischen dem Beitragszuschuss
der Antragsgegnerin und den tatsächlich nach dem Basistarif zu zahlenden Beiträgen
zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung aus seiner Regelleistung zur Sicherung
seines Lebensunterhalts in Höhe von 359,- EUR aufzubringen. Nach Aktenlage ist
bisher keine Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers getroffen worden.
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Der Antragsteller hat am 01.12.2009 beim Sozialgericht einen Antrag auf einstweiligen
Rechtsschutz gestellt mit dem Ziel, von der Antragsgegnerin einen Zuschuss zur
privaten Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen
zu erhalten. Seine Krankenversicherung habe die Kündigung des Vertragsverhältnisses
angedroht (Schreiben vom 05.11.2009). Ihm sei es nicht möglich, seinen
Krankenversicherungsschutz aus eigener Kraft aufrecht zu erhalten. Ein weiteres
Abwarten sei ihm nicht zumutbar, da sein Krankenversicherungsschutz sonst erlösche.
Eine gesetzliche Krankenversicherung sei ihm aufgrund seiner vorherigen privaten
Versicherung nicht möglich.
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Nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen beantragt der Antragsteller,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm
vorläufig einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt
320,65 EUR monatlich zu zahlen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie führt aus, der Antragsteller unterliege gemäß § 5 Abs. 5a Fünftes Buch
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Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Der Anspruch des Antragstellers auf einen Zuschuss zu seinen
Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung sei gemäß § 26 Abs. 2 SGB II
i.V.m. § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der
Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG) beschränkt auf die
Höhe des Betrages, der für einen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung
versicherten Leistungesbezieher zu zahlen ist.
II:
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nicht begründet.
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Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine
einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer
einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h. des
materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, voraus sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller
betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2
Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).
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Ein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung besteht
nicht. Dem Antragsteller ist zuzumuten, eine Entscheidung in der Hauptsache
abzuwarten. Ihm entstehen keine unzumutbaren, nicht wieder gut zu machenden
Nachteile. Mit seinem Schreiben vom 29. Oktober 2009 hat der Antragsteller inhaltlich
einen Überprüfungsantrag im Sinne von § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X)
bezogen auf den Bewilligungsbescheid vom 24.07.2009 gestellt. Dieser Antrag wurde
von der Antragsgegnerin durch Bescheid vom 10.11.2009 beschieden. Das
entsprechende Schreiben der Antragsgegnerin enthält zwar keine
Rechtsmittelbelehrung, beinhaltet aber die Ablehnung des Überprüfungsantrags. Die
Antragsgegnerin hat somit eine Regelung getroffen und einen Verwaltungsakt erlassen.
Gegen diesen Bescheid (Ablehnung seines Überprüfungsantrags) hat der Antragsteller
fristgerecht Widerspruch eingelegt. Dieser Widerspruch ist von der Antragsgegnerin
noch zu bescheiden. Im Falle der Zurückweisung des Widerspruchs durch einen
Widerspruchsbescheid, steht dem Antragsteller der Klageweg offen. Im Klageverfahren
ist die streitige Rechtsfrage zu entscheiden.
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Es besteht kein Eilbedürfnis für eine gerichtliche einstweilige Anordnung, wenn
Leistungsträger nach dem SGB II oder SGB XII Zuschüsse zur privaten Kranken- und
Plfegeversicherung nicht in der tatsächlichen Höhe des Basistarifs zahlen (so auch LSG
NRW Beschluss vom 16.10.2009 Az: L 20 B 56/09 SO ER und Beschluss vom
12.10.2009 Az: L 7 B 196/09 AS ER; SG Dresden Beschluss vom 18.09.2009 Az: S 29
AS 4051/09 ER; SG Hildesheim Beschluss vom 23.07.2009 Az: S 43 AS 730/09 ER;
a.A. LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 16.09.2009 Az: L 3 AS 3934/09 ER-B; SG
Gelsenkirchen Beschluss vom 02.10.2009 Az: S 31 AS 174/09 ER). Während der Dauer
des Verwaltungs- und Klageverfahrens verliert der Antragsteller seinen
Krankenversicherungsschutz aufgrund einer eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht.
Bei entstehenden Beitragsrückständen in der privaten Krankenversicherung bleibt der
Krankenversicherungsschutz eines Hilfebedürftigen (im Sinne des SGB II oder SGB XII)
bestehen. Dies folgt aus § 193 Abs. 6 Satz 5 des Gesetzes über den
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Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz vom 23.11.2007, BGBl. I S. 2631 -
VVG).
Das Gesetz trifft eine Sonderregelung für Versicherungsnehmer, die hilfebedürftig im
Sinne des SGB II oder SGB XII sind. Grundsätzlich tritt das Ruhen von
Krankenversicherungsleistungen ein nach einem Rückstand von Beiträgen für zwei
Monate und entsprechender Mahnung durch den Versicherer. Das Ruhen endet, wenn
der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des SGB
II oder SGB XII wird (§ 193 Abs. 6 Satz 5 VVG). Demnach wirken sich
Beitragsrückstände auf den Versicherungsschutz im Basistarif der privaten
Krankenversicherung bei Leistungsempfängern nach dem SGB II oder SGB XII nicht
aus. Leistungen müssen in der vollen versicherten Höhe erbracht werden, auch wenn
ausstehende Beiträge nicht vollständig beglichen sind (vgl. auch Bericht des
Gesundheitsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs
in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV - Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-
WSG) in BT-Drucks. 16/4247 S. 68).
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Wegen des fehlenden Anordnungsgrundes kann dahinstehen, ob ein materieller
Anspruch auf den geltend gemachten höheren Beitragszuschuss zur privaten Kranken-
und Pflegeversicherung besteht (Anordnungsanspruch). Der Gesetzestext ist eindeutig.
Der Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen für die private Krankenversicherung ist
auf die Höhe des Betrages begrenzt, der auch für Bezieher von Alg II in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu zahlen ist. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II gilt für
Bezieher von Alg II, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
versicherungspflichtig und nicht familienversichert sind und die für den Fall der
Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind § 12
Abs. 1c Satz 5 und 6 VAG. In dieser Vorschrift ist im zweiten Halbsatz ausdrücklich
festgelegt, dass der zuständige Träger für den Personenkreis, bei dem Hilfebedürftigkeit
nach dem SGB II oder SGB XII besteht, unabhängig von der Höhe des zu zahlenden
Beitrags zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung den Betrag als Zuschuss zahlt,
der auch für einen Bezieher von Alg II in der gesetzlichen Krankenversicherung zu
tragen ist. Ob das Gericht entgegen dieses Wortlauts im Klageverfahren einen höheren
Zuschuss zusprechen kann (so SG Karlsruhe Urteil vom 10.08.2009 Az: S 5 AS
2121/09), erscheint zweifelhaft.
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Die Begrenzung des Zuschusses zu den Versicherungsbeiträgen für die private
Kranken- und Pflegeversicherung von Hilfebedürftigen nach dem SGB II und SGB XII ist
eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen und keine Regelungslücke,
die vom Gericht geschlossen werden kann. Es war die ausdrückliche Regelungsabsicht
des Gesetzgebers, eine solche Rechtslage zu schaffen. Nachzulesen ist dies im
Parlamentsprotokoll über die Debatte im Bundestag über den Antrag einer Fraktion
unter der Bezeichnung "Krankenversicherung für Selbständige bezahlbar gestalten"
(Parlamentsprotokoll der 230. Sitzung der 16. Wahlperiode am 2. Juli 2009 zu
Tagesordnungspunkt 45,25925 - 25929). In der Diskussion wird durch den
Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion auf den "völlig zutreffende(n) Bericht im
Nachrichtenmagazin Spiegel" der Sitzungswoche verwiesen. Es wird sogar der Titel
des Artikels zitiert "Armut per Gesetz" (vgl. Spiegel Nr. 27/2009 S. 45). Alle Fraktionen
des Bundestages waren sich darüber einig, dass "tatsächlich Nachbesserungsbedarf"
(aaO 25925) besteht. Trotzdem wurde keine Regelung getroffen für "viele sogenannte
kleine Selbständige (für die) der Krankenversicherungsschutz nicht finanzierbar ist" (vgl.
aaO 25928). In der Debatte wurde darauf hingewiesen, "der gesetzliche Zwang zur
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privaten Überschuldung (müsse) weg. Ob die Lücke durch Steuergelder (d.h. Zuschuss
des SGB II-Trägers), die private Krankenversicherung (d.h. Senkung des Basistarifs auf
die Höhe des Betrages des für gesetzlich Versicherte zu zahlendenden Zuschusses)
oder auf einem anderen Weg gelöst (werde), soll die Bundesregierung entscheiden"
(aaO 25927). Es gibt verschiedene gesetzliche Möglichkeiten, die Problematik der
Beitragslücke im Bereich des Basistarifs für hilfebedürftige private Kranken- und
Pflegeversicherte zu lösen. Diese Lösung ist dem Gesetzgeber vorbehalten und kann
nicht durch die Sozialgerichte erfolgen (inhaltlich ebenso SG Berlin Urteil vom
27.11.2009 Az: S 37 AS 31127/09). Sollte der Gesetzgeber nicht von sich aus handeln,
wird im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens möglicherweise eine Vorlage vor das
Bundesverfassungsgericht erforderlich sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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