Urteil des SozG Koblenz vom 24.09.2008

SozG Koblenz: stationäre behandlung, echte rückwirkung, krankenkasse, abrechnung, anwendungsbereich, minderung, quelle, zustand, untergang, ersetzung

Sozialrecht
SG
Koblenz
24.09.2008
S 6 KR 328/07
Aufwandspauschale nur für stationäre Behandlungen ab dem 01.04.2007
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie die Verfahrenskosten.
3. Der Streitwert wird auf 100,00 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Entrichtung einer Aufwandspauschale.
Die Klägerin ist Trägerin des St. Josef-Krankenhauses Z.
In diesem Krankenhaus wurde die bei der Beklagten krankenversicherte L B in der Zeit vom 22.03.2007
bis 24.03.2007 stationär behandelt. Nach Erhalt der Rechnung vom 27.03.2007 veranlasste die Beklagte
am 02.04.2007 eine Überprüfung der Dauer der stationären Behandlung durch den MDK. Im Rahmen
einer Begehung im Krankenhaus stellte der MDK bei der Überprüfung fest, dass die Verweildauer
medizinisch nachvollziehbar ist. Nach Ausgleich der Rechnung über die stationäre Behandlung forderte
die Klägerin mit Rechnung vom 28.08.2007 gegenüber der Beklagten einen Betrag von 100,00 €.
Nachdem die Beklagte die Zahlung dieses Betrages abgelehnt hatte, erhob die Klägerin am 13.09.2007
Leistungsklage.
Die Klägerin macht geltend, mit dem GKV-WSG vom 26.03.2007 sei § 275 SGB V um den Abs. 1c ergänzt
worden. Danach sei nach Überlassung der Rechnung eine Überprüfung durch den MDK innerhalb von 6
Wochen durchzuführen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führe, habe
die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten. In
Kenntnis dieser Rechtsgrundlage sei die Beklagte zum Ausgleich dieses Betrages verpflichtet. Der
Gesetzeswortlaut sei eindeutig, da Anknüpfungspunkt zur Erhebung der Pauschale nicht der Beginn der
Krankenhausbehandlung sei, vielmehr komme es auf den Eingang des Rechnungsdatensatzes an. Der
gesetzgeberische Auftrag der zeitnahen Durchführung der Prüfung nach § 275 Abs. 1c SGB V solle auch
auf die Altfälle Anwendung finden. Ziel des Gesetzes sei gewesen, die Flut von Einzelfallprüfungen
einzudämmen. Dies könne nur dann erreicht werden, wenn es nicht zu einem Prüfungsstau hinsichtlich
nicht erledigter Altfälle komme. Da der Prüfauftrag seitens der Beklagten nach dem 01.04.2007 erfolgte,
sei seitens der Beklagten die Aufwandspauschale zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, § 275 Abs. 1c SGB V sei durch das GKV-WSG am 01.04.2007 in Kraft getreten.
Nachdem sowohl die stationäre Behandlung als auch der Eingang des Rechnungsdatensatzes vor dem
01.04.2007 liegen, sei § 275 Abs. 1c SGB V nicht anwendbar. Im Übrigen verweist sie auf den Beschluss
des Sächsischen LSG vom 25.04.2008 - L 1 D 198/08 KR - ER -.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Prozessakte sowie den der Verwaltungsakte. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist erfolglos.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleich der geltend gemachten Aufwandspauschale.
Gemäß § 275 Abs. 1c SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (Bundesgesetzblatt vom 30.03.2007,
378ff) ist bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 eine Prüfung nach Abs. 1 Nr. 1 zeitnah
durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens 6 Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der
Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die
Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem
Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten.
§ 275 Abs. 1c SGB V ist gemäß Artikel 46 Abs. 1 GKV-WSG am 01.04.2007 in Kraft getreten. Entgegen der
Auffassung der Klägerin erstreckt sich der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nur auf Behandlungsfälle
ab dem 01.04.2007.
Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 275 Abs. 1c SGB V (Bundestagsdrucksache 16/3100, Seite
171) sollten "als Beitrag zu dem angestrebten Bürokratieabbau Anreize gesetzt werden, um
Einzelprüfungen zukünftig zielorientierter und zügiger einzusetzen". Da die Einführung dieser
Bestimmung im Vorfeld heftig umstritten war und sie schließlich erst im Bundesgesetzblatt vom 30.03.2007
veröffentlicht wurde, konnten sich die Krankenkassen auf diese Regelung erst ab dem 01.04.2007
einstellen (vgl. Beschluss des Sächsischen Landessozialgerichts vom 25.04.2008 ‑ L 1 B 198/08 KR ‑
ER). Mithin ist es allein sachgerecht, § 275 Abs. 1c SGB V nur auf Behandlungsfälle anzuwenden, die ab
dem 01.04.2007 begonnen haben.
Der von der Klägerin vertretene gegenteilige Standpunkt vermag dagegen nicht zu überzeugen. Würde
man dieser Auffassung folgen, wäre von den Krankenkassen zu fordern gewesen, alle noch offenen
Prüfungen nach § 275 SGB V innerhalb von 6 Wochen ab dem 01.04.2007 einzuleiten und durch den
MDK anzeigen zu lassen. Andernfalls wären die Krankenhäuser ab dem 13.05.2007 berechtigt, die
Durchführung dieser Prüfungen zu verweigern (vgl. Beschluss des Sächsischen LSG, a. a. O.). In
Übereinstimmung mit dieser Entscheidung geht auch das Gericht davon aus, dass bei gegenteiligem
Standpunkt mit dem Untergang der Ansprüche wegen Nichtbeachtens der 6-wöchigen Ausschlussfrist
zunächst eine echte Rückwirkung eintreten würde, die nur um den Preis der Auslegung der Vorschrift des
§ 275 Abs. 1c SGB V praeter legem, nämlich der Ersetzung des Eingangs der Rechnung durch das
Inkrafttreten des § 275 Abs. 1c SGB V, wieder eingefangen werden könnte. Mithin würde eine
Übergangsregelung geschaffen, die der Gesetzgeber gerade nicht getroffen hat. Auch in
Übereinstimmung mit den Ausführungen im Beschluss des Sächsischen LSG ist davon auszugehen, dass
eine derartige Auslegung praeter legem nur dann hinnehmbar wäre, wenn sie dazu diente, einen primär
vom Gesetzgeber unbeabsichtigt ermöglichten verfassungswidrigen Zustand zu vermeiden.
Da im Übrigen aus Gründen der Rechtsklarheit und der Praktikabilität grundsätzlich nur die bei der
Aufnahme eines Versicherten geltende Rechtslage zur Anwendung kommen kann (vgl. BSG, Urteil vom
24.01.2008 ‑ B 3 KR 17/07 R ‑), kann diese gesetzliche Bestimmung erst für Behandlungsfälle gelten, die
ab dem 01.04.2007 begonnen haben. Der Hinweis der Klägerin, dass die Prüfung nach Satz 1 spätestens
6 Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten sei, so dass es für den
Anwendungsbereich dieser Bestimmung allein auf den Eingang der Abrechnung ankommen könne, kann
nicht zu einer anderen Auffassung führen. Abgesehen davon, dass § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V insofern
lediglich regelt, dass die Krankenkasse 6 Wochen nach Eingang der Abrechnung die Prüfung einzuleiten
habe, würde bei einem alleinigen Abstellen auf den Zeitpunkt der Abrechnung nach dem 01.04.2007
unter Umständen eine Missbrauchsmöglichkeit eines Krankenhauses eröffnet. Wäre nämlich die
stationäre Behandlung eines Versicherten bereits vor dem 01.04.2007 beendet worden, dies bereits
gegebenenfalls einige Wochen vorher, so hätten Krankenhäuser bei Vorlage der Rechnung nach dem
01.04.2007 bei einer beanstandungsfreien Prüfung durch die Krankenkasse bzw. den MDK Anspruch auf
diese Aufwandspauschale.
Vorliegend ist der Rechnungsdatensatz unstrittig vor dem 01.04.2007 bei der Beklagten eingegangen.
Auch wenn die Beklagte erst am 02.04.2007 den Prüfauftrag an den MDK erteilt hat, kann in Ansehung
der bereits getätigten Ausführungen hinsichtlich des Anwendungsbereiches des § 275 Abs. 1c SGB V
vorliegend eine Erstattung der Aufwandspauschale seitens der Beklagten nicht in Betracht kommen.
Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung wird Berufung zugelassen.