Urteil des SozG Koblenz vom 02.11.2010

SozG Koblenz: selbstbehalt, stadt, verwaltungsakt, unterhaltspflicht, jugendamt, leistungsfähigkeit, minderjähriger, anfechtungsklage, auszahlung, gefährdung

Sozialrecht
SG
Koblenz
02.11.2010
S 16 AS 1246/09
Leistungsabzweigung bei Nichtvorliegen eines Unterhaltstitels
Liegt ein Unterhaltstitel nicht vor, so hat der Grundsicherungsträger den Anspruch vor der Abzweigung
von Leistung zu überprüfen.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 21.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.08.2010
und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2009 wird aufgehoben und die Beklagte wird dazu
verpflichtet, an den Kläger zu Unrecht abgezweigte Beträge in Höhe von 109,00 Euro monatlich ab dem
01.09.2009 bzw. in Höhe von 80,00 Euro ab dem 01.03.2010 auszuzahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten vorgenommenen Abzweigung
von Leistungen des Klägers zugunsten des Jugendamts der Stadtverwaltung A streitig.
Der am 1971 geborene Kläger beantragte im Februar 2008 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach Maßgabe des SGB II bei der Beklagten als dem für die Regelleistung zuständigen
Träger. Mit Bescheid vom 18.03.2008 wurden diese vorläufig in Höhe von 202,50 € für den Monat Februar
und 243,00 € für den Monat März bewilligt. Weiterhin wurden im April 2008 Leistungen in Höhe von 56,25
€ bewilligt.
Mit Bescheid vom 21.02.2008 bewilligte sodann die zuständige Agentur für Arbeit M dem Kläger
rückwirkend ab dem 31.01.2008 Leistungen nach Maßgabe des SGB III; sie stellte dabei allerdings fest,
dass der Kläger in der Zeit vom 01.02.2008 bis 22.04.2008 keinen Anspruch habe, da er verschiedene
Sperrzeittatbestände erfülle. Die Leistungen ab dem 23.04.2008 wurden auf 30,56 € kalendertäglich
festgesetzt.
Der Kläger teilte der Beklagte sodann am 01.04.2008 mit, dass er von seiner Ehefrau getrennt lebe; diese
verfüge über ein monatliches Erwerbseinkommen in Höhe von 1.000,00 €, so dass hier keine
Unterhaltsansprüche bestünden. Daneben sei er Vater der am 09.09.2001 geborenen Tochter M, hier
bestehe ein vom Gericht festgesetzter Unterhaltsanspruch gegen ihn. Der Unterhalt sei mündlich gefordert
worden und werde laufend bezahlt. Der Kläger legte bei der Beklagten weiterhin eine Mitteilung des
Jugendamts der Stadtverwaltung A vor, wonach an die Tochter ab dem 01.02.2008 ein
Unterhaltsvorschuss in Höhe von 168,00 € monatlich gezahlt werde. Das Jugendamt informierte den
Kläger weiterhin darüber, dass der Unterhaltsanspruch seiner Tochter in der vom Jugendamt geleisteten
Höhe an dieses kraft Gesetzes übergegangen sei. Weiterhin legte der Kläger eine Vereinbarung zwischen
ihm und seiner Ehefrau vor, die vom 02.01.2007 datierte und nach der die Ehefrau des Klägers auf den
Ehegattenunterhalt verzichtet, solange sich ihre wirtschaftliche Lage nicht nachteilig ändere. Der Kläger
wiederum verpflichtete sich in der betreffenden Vereinbarung, seiner Tochter M monatlich den gesetzlich
geschuldeten Unterhalt zu zahlen.
Sodann stellte der Kläger am 16.03.2009 erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem
SGB II im Anschluss an die Erschöpfung des Anspruchs auf Alg I.
Mit Schreiben vom 16.03.2009 schrieb der Kläger an die Beklagte:
"Sollte die Möglichkeit bestehen, eine monatliche Rate im Rahmen von Alg II zum Unterhalt für meine
Tochter zu leisten, bitte ich Sie, diese direkt an die Stadt A oder an die Mutter meiner Tochter zu leisten."
Mit Bescheid vom 04.05.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger sodann Leistungen in Höhe von 511,00
€ monatlich; dabei wurde neben der Regelleistung in Höhe von 351,00 € ein befristeter Zuschlag nach §
24 SGB II in Höhe von 160,00 € berücksichtigt. Die Beklagte wies den Kläger weiter darauf hin, dass ab
dem 01.06.2009 ein Betrag von 101,00 € an die Stadtverwaltung A zwecks Zahlung von Unterhalt für
dieTochter M N überwiesen werde. Mit Änderungsbescheid vom 06.06.2009 wurde die Regelleistung ab
dem 01.07.2009 auf 359,00 € angehoben.
Da in diesem Bescheid keine Angaben über die Abzweigung der Leistungen gemacht wurden, bat der
Kläger die Beklagte um eine entsprechende Bescheinigung. Diese übersandte ihm am 10.07.2009 ein
Schreiben, in dem es hieß:
"Es wird bestätigt, dass von dem befristeten Zuschlag gemäß § 24 SGB II ab 01.07.2009 auch weiterhin
eine Abzweigung in Höhe von 10,00 € monatlich an das Jugendamt der Stadtverwaltung A zwecks
Unterhalt für das Kind M weitergeleitet wird."
Mit Schreiben vom 10.08.2009 widerrief der Kläger die Erklärung, der Unterhalt könne direkt an die Stadt
A gezahlt werden und forderte die Beklagte dazu auf, ihm die vollen Leistungen auszuzahlen.
Am 22.08.2009 ging der Beklagten ein "Antrag auf Auszahlung der anteiligen Sozialleistungen" der
Stadtverwaltung A zu, der vom 24.01.2007 datierte. Hier wurde mitgeteilt, dass das Jugendamt der Stadt A
an die Tochter des Klägers monatlich einen Betrag von 158,00 € zahle; dem Kind stünde gegen den
Kläger ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 240,00 € zu. Der Anspruch des Kindes sei wegen der
Unterhaltsvorschussleistung in der genannten Höhe auf die Stadt A übergegangen. Aus diesem Grund
werde beantragt, einen Teil der ausgezahlten Sozialleistung abzuzweigen, wobei darauf verwiesen
wurde, dass der monatliche Selbstbehalt aktuell bei 770,00 € liege. Ein vollstreckbarer Unterhaltstitel liege
nicht vor.
Mit Schreiben vom 21.08.2009 teilte die Beklagte der Stadt A mit, dass nunmehr monatlich 109,00 € der
Leistungen des Klägers einbehalten und an die Stadt A im Wege der Abzweigung gezahlt werden
würden. Dies wurde mit Schreiben vom gleichen Tag auch dem Kläger mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 17.09.2009 legte der Kläger durch seinen Bevollmächtigten gegen den Bescheid der
Beklagten vom 10.07.2009 und das Schreiben vom 21.08.2009 Widerspruch ein. Die tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 48 SGB I, auf dessen Grundlage allein die Abzweigung vorliegend erfolgen
könne, lägen nicht vor. Denn eine gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Klägers bestünde nur, wenn
auch andere Verwandte nicht dazu in der Lage seien, Unterhalt zu leisten und der Unterhaltsverpflichtete
nicht außer Stande sei, den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu
leisten. Letzteres sei beim Kläger aber gerade nicht der Fall. Denn Maßstab der Festlegung dessen, was
als angemessener Selbstbehalt zu werten sei, sei die Düsseldorfer Tabelle. Diese gehe von einem Betrag
in Höhe von 770,00 € aus, der dem Kläger vorliegend aber nicht zur Verfügung stünde. Dieser komme
vielmehr in der Summe all seiner Leistungen nur auf einen Betrag von 768,00 €.
Mit Bescheid vom 25.09.2009 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Der Widerspruch sei bereits unzulässig, da die Schreiben an den Kläger keine Verwaltungsakte, sondern
bloße Mitteilungen darstellen würden.
Der Kläger stellte sodann einen Weiterbewilligungsantrag, dem mit Bescheid vom 09.10.2009
dahingehend entsprochen wurde, dass dem Kläger nunmehr Leistungen in Höhe von 519,00 € monatlich
bis einschließlich Februar 2010 und 471,00 € im Monat März 2010 bewilligt wurden; nach wie vor wurde
aber eine Unterhaltsabzweigung in Höhe von 109,00 € berücksichtigt.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 19.10.2009 Widerspruch ein, den die Beklagte mit
Bescheid vom 18.11.2009 als unbegründet zurückwies. Nach § 48 SGB I habe eine Abzweigung dann zu
erfolgen, wenn dem Unterhaltspflichtigen dennoch ein Betrag verbleibe, der seine Existenz sicherstellen
könne. Man müsse allerdings berücksichtigen, dass in dem in der Düsseldorfer Tabelle ausgewiesenen
Betrag ein Anteil für Unterkunftskosten enthalten sei; bringe man diesen in Abzug, so betrage der nötige
Eigenbedarf 410,00 €; da dem Kläger Leistungen in Höhe von 519,00 € ausbezahlt würden, sei damit ein
Betrag in Höhe von 109,00 € abzuzweigen.
Mit seinen am 29.10.2009 bzw. 18.12.2009 erhobenen Klagen verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Dabei bezieht er sich im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Der Kläger verfüge
insgesamt lediglich über Leistungen in Höhe von 768,00 €; der Selbstbehalt nach der Düsseldorfer
Tabelle belaufe sich auf 770,00 €, schon deshalb sei eine Abzweigung ausgeschlossen. Die Düsseldorfer
Tabelle müsse insbesondere deshalb Anwendung finden, weil kein Unterhaltstitel vorliege. Den
Unterlagen der Beklagten sei aber nicht zu entnehmen, dass ein Antrag eines unterhaltsberechtigten
Angehörigen zur Abzweigung vorliege, sich dieser Angehörige auf einen Unterhaltstitel stütze und die
Beklagte in hinreichendem Umfang Ermessen ausgeübt habe.
Daneben sei dem Kläger vom Jugendamt A mitgeteilt worden, dass der Betrag von 109,00 € nicht an
dieses weitergeleitet worden sei. Daneben habe die Beklagte den ursprünglichen Bescheid vom
04.05.2009 durch den Änderungsbescheid vom 06.06.2009 modifiziert. Hier sei es zu einer Anhebung der
Regelleistung gekommen, über die angebliche Abzweigung finde sich allerdings nichts mehr. Deshalb sei
diese durch den Änderungsbescheid letztlich ab dem 01.07.2009 aufgehoben worden. Daneben handele
es sich bei dem Schreiben vom 10.07.2009 sehr wohl um einen Verwaltungsakt. Die Beklagte habe mit
Bescheid vom 04.05.2009 die Leistungen des Klägers festgesetzt und dabei mitgeteilt, dass eine
Abzweigung in Höhe von 101,00 € erfolge. Zwar sei zweifelhaft, ob diese Mitteilung als Verwaltungsakt
gewertet werden könne, davon gehe die Beklagte aber offensichtlich aus. Denn es müsse weiter davon
ausgegangen werden, dass mit dem Änderungsbescheid vom 06.06.2009 die Abzweigung aufgehoben
werde, da sie hier nicht mehr genannt sei. Sodann sei diese mit weiterem Änderungsbescheid vom
10.07.2009 erneut wieder festgestellt worden. Selbst dann aber, wenn man davon ausgehen sollte, dass
der Anfechtungsteil des Klageantrags zu 1) mangels Verwaltungsaktsqualität unzulässig sein sollte, sei
der Verpflichtungsantrag zu 1) begründet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.09.2009
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn zu Unrecht abgezweigte Beträge in Höhe von 109,00
€ monatlich ab dem 01.07.2009 auszuzahlen.
Den Bescheid der Beklagten vom 21.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.08.2010
und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
an ihn zu Unrecht abgezweigte Beträge in Höhe von 109,00 € bzw. 80,00 € monatlich ab dem 01.09.2009
auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Rechtmäßigkeit ihres Vorbringens fest und verweist insoweit auf ihr Vorbringen im Rahmen
des Vorverfahrens. Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, dass mit dem
Änderungsbescheid vom 06.06.2009 die Entscheidung über die Abzweigung aufgehoben worden wäre.
Hier sei vielmehr nur die Erhöhung der Regelleistung berücksichtigt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten, der zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht wurde.
Entscheidungsgründe:
Soweit sich die Klage gegen Bescheid der Beklagten vom 10.07.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 25.09.2009 richtet, ist diese bereits unzulässig und konnte daher insoweit
auch keinen Erfolg haben. Denn entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung handelt es sich bei
dem Schreiben der Beklagten vom 10.07.2009 nicht um einen Verwaltungsakt, so dass hiergegen eine
Anfechtungsklage nicht statthaft ist. Daneben ist auch eine reine Verpflichtungsklage hier nicht denkbar;
denn einer solchen steht ein bestandskräftiger Bewilligungsbescheid der Beklagten für die in Frage
stehende Zeit entgegen. Soweit sich die Klage jedoch gegen den Bescheid der Beklagten vom
21.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.08.2010 und in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 18.11.2009 richtet, ist diese zulässig und vollumfänglich begründet. Der
Bescheid verletzt den Kläger in seinen Rechten; denn mangels Unterhaltsanspruchs seiner Tochter
gegen ihn durfte eine Abzweigung von Sozialleistungen auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 SGB I
vorliegend nicht erfolgen.
I. Mit dem Klagenantrag zu 1) wendet sich der Kläger mit Hilfe der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG)
gegen das Schreiben der Beklagten vom 10.07.2009, mit dem diese dem Kläger auf seinen
ausdrücklichen Wunsch hin schriftlich bestätigt hat, dass von den an ihn gezahlten Leistungen monatlich
ein Betrag in Höhe von 101,00 € zur Zahlung des Unterhalts an seine Tochter M abgezweigt wird. Eine
solche Klage ist unzulässig; denn eine zulässige Anfechtungsklage nach § 54 SGG setzt voraus, dass sich
die Klage gegen einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X richtet. Nach dieser Vorschrift wiederum
ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine
Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf
unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Unter Zugrundlegung dieser Definition ist das vom
Kläger angegriffene Schreiben vom 10.07.2009 kein Verwaltungsakt.
1. Das folgt bereits daraus, dass der Kläger sich selbst an die Beklagte gewandt und hier um eine
Bestätigung der bereits verfügten Abzweigung gebeten hat. Dem Schreiben vom 10.07.2009 fehlt im
Hinblick auf diesen Umstand bereits jeglicher eigener Regelungscharakter, denn die Abzweigung selbst
wurde von der Beklagten bereits mit Leistungsbescheid vom 04.05.2009 verfügt. Das fragliche Schreiben
entfaltet damit keinerlei Regelungswirkung sondern bestätigt vielmehr eine bereits bestehende Regelung.
Etwas anderes folgt vorliegend auch nicht aus der Tatsache, dass die Beklagte den Leistungsbescheid
vom 04.05.2009 mit Bescheid vom 06.06.2009 abgeändert und dabei die Abzweigung nicht erneut
erwähnt hat. Zunächst ist an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass sich aus dem Änderungsbescheid vom
06.06.2009 klar ergibt, dass sich dieser ausschließlich auf die Höhe der dem Kläger zu gewährenden
Regelleistung bezieht und die weiteren Regelungen des Ausgangsbescheids – wie etwa die Höhe des
befristeten Zuschlags und eben die Tatsache der Leistungsabzweigung – unberührt lässt. Entgegen der
vom Klägerbevollmächtigten vertretenen Auffassung hat die Beklagte die Abzweigung also nicht mit
Bescheid vom 06.06.2009 aufgehoben und mit Schreiben vom 10.07.2009 erneut verfügt. Dies war nicht
Intention des Änderungsbescheids der Beklagten; daneben kann dem Änderungsbescheid eine solche
Bedeutung auch nicht durch Auslegung beigemessen werden. Eine solche hat sich stets am objektiven
Empfängerhorizont auszurichten und führt vorliegend eindeutig dazu, dass lediglich die Höhe der
Regelleistung den Änderungen unterlag. Eine Aufhebung der Abzweigung ergibt sich aus dem
Änderungsbescheid für den Empfänger nicht. Auch der Kläger hat den Bescheid so nicht verstanden.
Denn dann hätte er sich nicht nach Erlass dieses Bescheids mit einer Bitte um schriftliche Bestätigung der
Abzweigung an die Beklagte gewandt.
2. Eine Zulässigkeit des Klageantrags zu 1) ist weiterhin auch dann nicht gegeben, wenn man das
Begehren des Klägers als reines Verpflichtungsbegehren ansieht und den Antrag demzufolge
dahingehend auslegt, dass ohne die Anfechtung eines bestimmten Bescheids die Auszahlung höherer
Leistungen begehrt werde. Denn einem solchen Begehren steht die Tatsache entgegen, dass der
Leistungsbescheid der Beklagten vom 04.05.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom
06.06.2009, mit dem die Beklagte die Abzweigung der Leistungen verfügt hatte, bestandskräftig ist. Eine
höhere Leistungsbewilligung scheidet damit aktuell aus. Einer entsprechenden Klage würde zudem das
Rechtsschutzbedürfnis fehlen, da der Kläger sein Rechtsschutzziel einfacher und schneller, nämlich durch
einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gerichtet gegen den genannten Bescheid erreichen könnte.
II. Demgegenüber ist der Klageantrag zu 2) zulässig und in vollem Umfang begründet. Der angegriffene
Bescheid der Beklagten vom 21.08.2009 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 16.08.2010 und in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.11.2009, mit dem diese die Abzweigung von Leistungen in
Höhe von 109,00 € monatlich ab dem 01.09.2009 bzw. in Höhe von 80,00 € monatlich ab dem
01.03.20100 zugunsten der Stadtverwaltung A verfügt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger aus
diesem Grund in seinen Rechten. Denn die Voraussetzungen einer Leistungsabzweigung nach § 48 SGB
I lagen bzw. liegen nicht vor.
1. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des
Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des
Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht
nicht nachkommt. Nach Satz 3 kann die Auszahlung auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem
Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind vorliegend
allerdings nicht erfüllt. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung besteht eine solche
Unterhaltsverpflichtung des Klägers nämlich nicht.
a) Dabei ist zunächst jedoch festzuhalten, dass es sich bei dem dem Kläger gewährten Arbeitslosengeld II
nach § 19 SGB II um eine laufende Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne von § 48
SGB I handelt (vgl. BT-Drucks 15/1516 S 56; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr. 3 Rn. 17). Auch der Zuschlag
nach § 24 SGB II, der akzessorisch zum Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist
(vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2007, BSG SozR 4-4200 § 24 Nr. 1), ist eine Leistung, die im Sinne des § 48
SGB I der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt ist (vgl. Knickrehm, in: Eicher/Spellbrink,
SGB II, § 24 Rn. 4).
b) Allerdings ist vorliegend die zweite Voraussetzung des § 48 SGB I nicht erfüllt, denn eine
Unterhaltsverpflichtung des Klägers, der dieser nicht nachgekommen ist, besteht nicht.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat der Grundsicherungsträger vor der
Durchführung einer Abzweigung grundsätzlich das Bestehen oder Nichtbestehen der behaupteten
Unterhaltsverpflichtung als Grundlage der Abzweigung eigenständig zu überprüfen, es sei denn, es liegt
ein Unterhaltstitel vor. Ein solcher Unterhaltstitel existiert vorliegend nicht; die Beklagte hat die
Abzweigung allein auf das Schreiben des Jugendamts der Stadt A hin vorgenommen, in diem dieses eine
Abzweigung beantragt hat, weil sie Unterhaltsvorschüsse nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an die
Tochter des Klägers geleistet hat. In diesem Schreiben hat die Stadtverwaltung A ausdrücklich mitgeteilt,
dass
kein
Unterhaltsanspruchs der Tochter des Klägers gegen ihren Vater nach den zivilrechtlichen Vorschriften
prüfen müssen. Das hat sie jedoch nicht getan. Bereits aus diesem Grund ist der angegriffene Bescheid
rechtswidrig; dies gilt insbesondere deshalb, weil die Abzweigung im Ermessen des zuständigen
Leistungsträgers steht. Dieser kann daher selbst dann, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen
gegeben sind, von der an sich möglichen Abzweigung absehen, etwa weil ihm eine solche Maßnahme
angesichts der näheren Umstände nicht angezeigt erscheint oder weil der für die Ermittlung der
tatbestandlichen Voraussetzungen erforderliche Aufwand in keinem Verhältnis zur Höhe der
möglicherweise zu erbringenden Unterhaltsleistungen und zur möglichen Abzweigungsdauer steht.
Entscheidet sich der Leistungsträger für eine Abzweigung, bestimmt er, welcher Betrag ausgezahlt
werden soll; auch in dieser Beziehung hat er, allerdings begrenzt durch das Unterhaltsrecht, einen
Ermessensspielraum (vgl. BSG, Urteil vom 26.06.1986 - 7 RAr 44/84). Dabei hat der Leistungsträger in
seiner Ermessensentscheidung auch zu prüfen und zu berücksichtigen, ob der Unterhaltsschuldner
leistungsfähig im unterhaltsrechtlichen Sinne ist, wobei sich die Leistungsfähigkeit beim Vorliegen eines
vollstreckbaren Unterhaltstitels grundsätzlich nach § 850d ZPO beurteilt.
Eine zutreffende Ermessensausübung war im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht möglich, weil sich
die Beklagte über das Bestehen der Unterhaltsverpflichtung und deren Voraussetzungen keinerlei
Gedanken gemacht hat. Sie ist – unzutreffend – davon ausgegangen, dass ein Unterhaltsanspruch der
Tochter M eindeutig gegeben ist und hat so unzutreffende Erwägungen in ihre Überlegungen eingestellt.
bb) Das Gericht weist vorsorglich darauf hin, dass die von § 48 SGB I vorausgesetzte
Unterhaltsverpflichtung vorliegend auch nicht gegeben war bzw. ist. Die Frage, ob der Kläger seiner
Tochter M Unterhalt schuldet, richtete sich nach den zivilrechtlichen Vorschriften.
Maßgeblich sind dabei die §§ 1601 ff. BGB. Eine Verpflichtung zur Zahlung des Verwandtenunterhalts
entfällt jedoch nach § 1603 Abs. 1 BGB immer dann, wenn und soweit der potentiell Unterhaltspflichtige –
vorliegend der Kläger – bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, den
Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts zu gewähren. Dabei trifft die Eltern
minderjähriger oder privilegierter volljähriger Kinder allerdings eine gesteigerte Unterhaltspflicht, da sie
nach § 1603 Abs. 2 BGB verpflichtet sind, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt
gleichmäßig zu verwenden. Die Bemessung des dem Unterhaltspflichtigen zu belassenden Selbstbehalts
ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an sich zwar Aufgabe des Tatrichters. Diesem
ist es aber nicht verwehrt, sich an Erfahrungs- und Richtwerte anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall
besondere Umstände eine Abweichung gebieten (vgl. etwa BGHZ 166, 351, 356). Der Tatrichter muss
aber die gesetzlichen Wertungen und die Bedeutung des jeweiligen Unterhaltsanspruchs
berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts muss dem Unterhaltspflichtigen
jedenfalls der Betrag verbleiben, der seinen eigenen Lebensbedarf nach sozialhilferechtlichen
Grundsätzen sicherstellt. Eine Unterhaltspflicht besteht also nicht, soweit der Unterhaltsschuldner infolge
einer Unterhaltsleistung selbst sozialhilfebedürftig würde. Die finanzielle Leistungsfähigkeit endet
spätestens dort, wo der Unterhaltspflichtige nicht mehr in der Lage ist, seine eigene Existenz zu sichern
(BGHZ 166, 351, 356). Ob und in welchem Umfang der dem Unterhaltsschuldner zu belassende
Selbstbehalt über den jeweils regional maßgeblichen sozialhilferechtlichen Mindestbedarf hinausgehen
kann, haben die Gerichte unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben zu bestimmen, die sich
insbesondere aus der Bedeutung und Ausgestaltung des jeweiligen Unterhaltsanspruchs und seiner
Rangfolge im Verhältnis zu anderen Unterhaltsansprüchen ergeben. Bei dem Unterhaltsanspruch
minderjähriger Kinder ist somit die gesteigerte Unterhaltspflicht (§ 1603 Abs. 2 BGB) zu berücksichtigen.
Hinzu kommt für die Zeit ab dem 1. Januar 2008 der durch das Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts
(vom 21. Dezember 2007, BGBl 2007 I S. 3189) geschaffene Vorrang dieses Unterhalts gegenüber allen
übrigen Unterhaltsansprüchen (§ 1609 BGB). Dies gebietet es, den notwendigen Selbstbehalt gegenüber
den Unterhaltsansprüchen minderjähriger oder privilegierter volljähriger Kinder mit Beträgen zu
bemessen, die dem sozialhilferechtlichen Bedarf entsprechen oder allenfalls geringfügig darüber
hinausgehen.
cc) Die Leitlinien der Oberlandesgerichte (FamRZ 2007, 1373 ff. jeweils unter Ziffer 21.2) gehen weiterhin
davon aus, dass zusätzlich zwischen dem notwendigen Selbstbehalt eines erwerbstätigen
Unterhaltsschuldners und demjenigen eines nicht erwerbstätigen Unterhaltsschuldners zu differenzieren
ist. Ein solcher differenzierter Selbstbehalt trägt auch dem gebotenen Erwerbsanreiz für den
Unterhaltsschuldner Rechnung, wie es beim Ehegattenunterhalt schon bei der Bemessung des
Unterhaltsbedarfs durch Berücksichtigung eines Erwerbstätigenbonus der Fall ist (vgl. Klinkhammer
FamRZ 2007, 85, 92).
Nach der für die Frage der Leistungsfähigkeit des Klägers im vorliegenden Fall maßgeblichen
Düsseldorfer Tabelle lag sein Selbstbehalt bei monatlich 770,00 €; diesen erreicht der Kläger durch die im
gewährten Leistungen nach Maßgabe des SGB II nicht mit der Folge, dass er mangels Leistungsfähigkeit
seiner Tochter nicht zum Unterhalt verpflichtet ist. Die Voraussetzungen des § 48 SGB I liegen damit –
unabhängig von der Frage der zutreffenden Ermessensausübung – nicht vor.
c) Ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die von der Beklagten vorgenommenen Berechnungen
zur Aufteilung des Selbstbehalts nach der Düsseldorfer Tabelle vorliegend zu keinem abweichenden
Ergebnis führen. Läge ein Unterhaltstitel vor, so wäre die Düsseldorfer Tabelle für die Frage der Höhe der
zulässigen Abzweigung nicht (mehr) maßgeblich; beim Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels
beurteilt sich die Frage der Leistungsfähigkeit vielmehr grundsätzlich nach § 850d ZPO. Da eine materiell-
rechtliche Prüfung des Unterhaltsanspruchs in diesem Fall nicht stattfindet, sind Maßstab nicht die für das
Erkenntnisverfahren, sondern die für das Vollstreckungsverfahren maßgeblichen Vorschriften. Ansonsten
würden in systemwidriger Weise Elemente des Erkenntnis- und des Vollstreckungsverfahrens miteinander
vermengt (BSG, Urteil vom 17.03.2009 - B 14 AS 34/07 R). Liegt wie im vorliegenden Fall dagegen kein
Unterhaltstitel vor, so bedarf es letztlich einer zweifachen Prüfung: In einem ersten Schritt ist zunächst
festzustellen, ob überhaupt ein Unterhaltsanspruch nach Maßgabe der §§ 1601 ff. BGB gegeben ist;
hierfür wird in der Regel auf die Düsseldorfer Tabelle zurückzugreifen sein. In einem zweiten Schritt ist bei
Bejahung einer Unterhaltspflicht dann festzulegen, in welcher Höhe Leistungen abgezweigt werden
können.
Nach alledem war dem Klageantrag zu 2) vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; die Unterliegensquote des Klägers war so gering, dass
eine vollständige Kostentragung durch die Beklagte angemessen erscheint.
Das Urteil ist mit dem Rechtsmittel der Berufung angreifbar; denn der Kläger wendet sich gegen die
Abzweigung von Leistungen seit dem 01.09.2009; bisher wurde ein Betrag von 654,00 € in der Zeit von
September 2009 bis einschließlich Februar 2010 (Abzweigungsbetrag: 109,00 € monatlich) sowie in Höhe
von 720,00 € in der Zeit von März bis November 2010 (Abzweigungsbetrag von 80,00 € monatlich)
abgezweigt, so dass die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG überschritten ist.