Urteil des SozG Koblenz vom 05.08.2009

SozG Koblenz: stationäre behandlung, paranoide schizophrenie, minderung, krankenkasse, abrechnung, krankenversicherung, entlassung, gesundheit, aufwand, aufenthalt

Sozialrecht
SG
Koblenz
05.08.2009
S 6 KR 495/08
Aufwandspauschale
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie die Verfahrenskosten.
3. Der Streitwert wird auf 100,00 € festgesetzt.
4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Entrichtung einer Aufwandspauschale.
In dem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus wurde die bei der Beklagten krankenversicherte G H in
der Zeit vom 20.12.2007 bis 15.02.2008 stationär behandelt.
Mit Schreiben vom 04.01.2008 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der
Krankenversicherung (MDK) K abzuklären, ob die stationäre Aufnahme der Versicherten medizinisch
notwendig gewesen sei. In diesem Schreiben wies die Beklagte darauf hin, dass es sich um die dritte
stationäre Aufnahme innerhalb von 12 Monaten handeln würde.
Aufgrund einer Klinikbegehung am 28.01.2008 stellte der Arzt im MDK Stratmann fest, bei der
Versicherten liege eine paranoide Schizophrenie vor und wegen der noch vorhandenen Defizite sei die
weitere stationäre Behandlung bis zum 15.02.2008 nervenärztlich indiziert.
Nach der Entlassung der Versicherten aus der stationären Behandlung und der Vorlage der Rechnung,
die offensichtlich seitens der Beklagten ohne Beanstandung ausgeglichen wurde, forderte das
Krankenhaus mit Rechnung vom 17.10.2008 die Aufwandspauschale bei erfolgloser MDK-Prüfung in
Höhe von 100,00 € bei der Beklagten ein.
Nachdem seitens der Beklagten der entsprechende Ausgleich verweigert worden war, erhob die Klägerin
am 03.11.2008 die Leistungsklage.
Die Klägerin macht geltend, die MDK-Prüfung habe zu keiner Minderung des Abrechnungsbetrages
geführt und insofern seien die Voraussetzungen des § 275 Abs. 1c Satz 3 Fünftes Buch des
Sozialgesetzbuchs (SGB V) erfüllt. Ziel der Einführung der Aufwandspauschale sei es gewesen, einer
übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken. Wenn es eine Folge der eingeführten
Aufwandspauschale ist, dass einige der MDK-Prüfungen wieder zeitnah und zum Teil noch während des
Aufenthalts des Versicherten durchgeführt werden, so sei dies sicherlich begrüßenswert. Auf der anderen
Seite könne diese Entwicklung aber nicht dazu führen, dass bei einer Einleitung des
Überprüfungsverfahrens noch während des Aufenthalts grundsätzlich keine Aufwandspauschale anfalle.
Dies würde gerade dazu führen, dass die Krankenkassen in sehr vielen Fällen noch während des
Aufenthalts eines Versicherten Überprüfungen einleiten könnten, obwohl sie hierzu einen konkreten
Überprüfungsanlass nicht haben, um eine Aufwandspauschale grundsätzlich zu umgehen. Dies würde
aber gerade dem Ziel des Gesetzgebers nicht dienen. Im Übrigen seien ihrerseits Zwischenrechnungen
am 03.01.2008, 17.01.2008, 30.01.2008 und 14.02.2008 per Datenträgeraustausch an die Beklagte
versandt worden. Hinsichtlich dieser Zwischenrechnungen habe die MDK-Prüfung zu keiner Minderung
des Rechnungsbetrages geführt.
Im Übrigen legt die Klägerin eine Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft sowie ein
Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit vor.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 03.11.2008 zu zahlen,
hilfsweise die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, sie habe durch den Auftrag an den MDK lediglich die Notwendigkeit und die Dauer der
Krankenhausbehandlung überprüfen lassen. Eine Abrechnungsprüfung, mit dem Ziel der Minderung des
Abrechnungsbetrages sei folglich nicht durchgeführt worden. Würde man einer Abrechnungsmöglichkeit
der Aufwandspauschale bei einer MDK-Einschaltung vor dem Vorliegen einer Schlussrechnung
zustimmen, würde dies indessen eine zielorientierte, zügige und frühzeitige MDK-Einschaltung gerade
verhindern. Dies stehe im Widerspruch zu der gesetzgeberischen Intention. Die streitgegenständliche
Aufwandspauschale soll lediglich dazu dienen, die Prüfquote zu senken und die Kassen zu veranlassen,
bedachter mit dem Instrumentarium MDK umzugehen. Wäre die Auffassung der Klägerin zutreffend,
müssten die Krankenkassen zur MDK-Beauftragung immer den Rechnungseingang abwarten, um die
Zahlung der Aufwandspauschale abwenden zu können, da nur dann eine nachweisbare monetäre
Minderung des Abrechnungsbetrages gegeben wäre. Die Krankenkassen würden dann jedoch davon
Abstand nehmen, MDK-Begehungen im laufenden Krankenhausfall durchzuführen, da sie auf jeden Fall
die Aufwandspauschale zahlen müssten. Es sei absurd, von den Krankenkassen bei einer solchen
Fallgestaltung eine Aufwandspauschale zu verlangen, da die Einschaltung des MDK im laufenden
Behandlungsfall gerade im Sinne des Krankenhauses dazu beiträgt, eine Fehlabrechnung zu verhindern.
Durch eine Begehung zu einem Zeitpunkt, in dem der Versicherte sich noch im Krankenhaus befindet, gibt
der MDK seine medizinische Einschätzung frühzeitig zu erkennen und dies ermöglicht dem Krankenhaus,
eine ebenso frühzeitige Reaktion zu zeigen. Dies erspare eine langwierige und kostenintensive
Auseinandersetzung mit der Krankenkasse. Der Vorteil, den das Krankenhaus aus dieser
Vorgehensweise ziehe, sei weitaus größer als der Aufwand, der mit ihm entstehe. Mit der Regelung des §
275 Abs. 1c SGB V sei unter anderem beabsichtigt worden, die "Flut von Überprüfungsverfahren"
einzudämmen. Dies sei aber indessen nicht das primäre Ziel des Gesetzgebers gewesen. Primäres Ziel
sei vielmehr die Liquiditätssicherung der Krankenhäuser gewesen. Dass diesen Zielsetzungen indessen
nicht bedingungslos gefolgt werden solle, verdeutliche insbesondere die von der Klägerin vorgelegte
Vorabfassung der Gesetzesbegründung zum Krankenhausfinanzierungsreformgesetz. Die Prüfungsflut
soll nämlich nur in Bezug auf Fälle eingedämmt werden, in denen keine konkreten Verdachtsmomente für
eine Einzelfallprüfung vorliegen. In den Fällen, in denen entsprechende Verdachtsmomente vorliegen,
würden diese Ziele indessen zurücktreten und es zeige sich, dass alleine der Wortlaut der Vorschrift keine
hinreichende Aussagekraft habe. Diese konkreten Verdachtsmomente seien durch die psychiatrische
Diagnosestellung mit der nunmehr dritten stationären Aufnahme innerhalb von 12 Monaten begründet
gewesen. Aufgrund dieser hinreichenden Verdachtsmomente seien die stationäre Aufnahme sowie deren
Dauer zunächst unplausibel gewesen. Erst durch die Einschaltung des MDK sei festzustellen gewesen,
dass die Notwendigkeit der stationären Behandlung gegeben war.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Prozessakte sowie den der Verwaltungsakte. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist erfolglos.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ausgleich der geltend gemachten Aufwandspauschale.
Gemäß § 275 Abs. 1c SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (Bundesgesetzblatt vom 30.03.2007,
378ff.) ist bei einer Krankenhausbehandlung nach § 39 eine Prüfung nach Abs. 1 Nr. 1 zeitnah
durchzuführen. Die Prüfung nach Satz 1 ist spätestens 6 Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der
Krankenkasse einzuleiten und durch den Medizinischen Dienst dem Krankenhaus anzuzeigen. Falls die
Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem
Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten.
Unstrittig ist, dass nach der Entlassung der Versicherung und der Vorlage der entsprechenden
Rechnungen seitens des Krankenhauses diese beanstandungsfrei seitens der Beklagten ausgeglichen
wurden.
Vordergründig könnte man nun in Übereinstimmung mit der Auffassung der Klägerin den Standpunkt
vertreten, dass mangels einer Minderung des Abrechnungsbetrages die Voraussetzungen zur Entrichtung
der Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € gemäß § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V gegeben sind.
Entgegen der Entscheidung des SG Kassel vom 18.02.2009 ‑ S 12 KR 126/08 ‑, veröffentlicht in Juris, geht
das Gericht aber davon aus, dass bei der vorliegenden Fallgestaltung gleichwohl die Entrichtung der
Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € nicht in Betracht kommt. Ausweislich des Wortlauts des § 275
Abs. 1c SGB V kommt diese Prüfung mit der etwaigen Folge der Entrichtung der Aufwandspauschale erst
dann in Betracht, wenn die Abrechnung vorliegt. Sodann ist sie spätestens 6 Wochen nach Eingang der
Abrechnung seitens der Krankenkasse einzuleiten und durch den MDK dem Krankenhaus anzuzeigen
(§ 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V). Satz 3 der genannten Bestimmung regelt dann, dass die Krankenkasse
dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 € zu entrichten hat, falls die Prüfung,
gemeint ist die nach Satz 2, nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt.
Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 275 Abs. 1c SGB V (Bundestagsdrucksache 16/3100, Seite
171ff) sollte durch die Einführung dieser Bestimmung die Prüfungsflut nur in Bezug auf solche Fälle
eingedämmt werden, in denen ‑ quasi standardmäßig ‑ ohne konkrete Verdachtsmomente
Einzelfallprüfungen eingeleitet wurden. Diese Bestimmung wurde mit dem Ziel des Bürokratieabbaus für
die Zukunft eingeführt, wobei ein Anreiz geschaffen werden sollte, um Einzelfallprüfungen zukünftig
zielorientierter und zügiger einzusetzen. Krankenhäuser sollten also gerade nicht mit der Prüfung eines
jeden einzelnen Behandlungsfalles konfrontiert werden, vielmehr sollten sie nach Einschaltung des MDK
nur noch in Einzelfällen mit solchen Prüfungen belastet werden.
Aufgrund der Tatsache, dass bei der Versicherten der dritte stationäre Aufenthalt innerhalb von 12
Monaten offensichtlich mit derselben psychiatrischen Diagnosestellung durchgeführt wurde, lagen gerade
im Sinne des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V hinreichende Gesichtspunkte für die von der Beklagten
veranlasste Prüfung der stationären Aufnahme der Versicherten sowie deren Dauer vor. Mithin lagen bei
der vorliegenden Fallgestaltung gerade keine solchen Gesichtspunkte vor, die ausweislich der
Gesetzesbegründung zur Einführung des § 275 Abs. 1c SGB V geführt haben.
Dass entgegen des Wortlauts des § 275 Abs. 1c SGB V bzw. in dessen analoger Anwendung bei der
vorliegenden Fallgestaltung gleichwohl die Gewährung einer Aufwandspauschale in Betracht kommen
könnte, wird durch einen weiteren Hinweis in der Gesetzesbegründung widerlegt. Danach "bleibt das
Recht der Krankenkassen zur Einleitung erforderlicher Prüfungen durch die Einführung einer
Aufwandspauschale für die Prüfungen nicht minderbarer Rechnungen unbenommen". Gerade dieser
Hinweis in der Gesetzesbegründung belegt, dass es auch nach Auffassung des Gesetzgebers nach wie
vor Prüfungsgestaltungen geben soll, für die die Aufwandspauschale gerade nicht in Betracht kommt.
Da es im Übrigen gerade das primäre Ziel des Gesetzgebers war, ungerechtfertigte Außenstände und
Liquiditätsprobleme der Krankenhäuser zu vermeiden, vorliegend eine solche Fallgestaltung aber gerade
nicht gegeben ist, scheidet ein Anspruch auf die Aufwandspauschale aus.
Letztlich ist es in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten vorliegend auch nicht sachgerecht,
der Beklagten die Aufwandspauschale in Rechnung zu stellen. Gerade durch die Begehung zu einem
Zeitpunkt, in dem die Versicherte sich noch im Krankenhaus befand, gab der MDK seine medizinische
Einschätzung frühzeitig zu erkennen und dies ermöglichte dem Krankenhaus, sich ebenso frühzeitig
hierauf einzustellen und den weiteren Behandlungsablauf danach auszurichten. Gerade dies erspart
vorwiegend dem Krankenhaus eine langwierige und kostenintensive Auseinandersetzung mit der
Krankenkasse. Der Vorteil, den das Krankenhaus aus dieser Vorgehensweise zieht, ist weitaus größer als
der Aufwand, der mit ihm entsteht.
Die zusätzlich von der Klägerin vorgelegten Schreiben der Deutschen Krankenhausgesellschaft sowie
des Bundesministeriums für Gesundheit wertet das Gericht - ebenso wie die Beklagte - als subjektive
Interpretationsschreiben, die sich mit dem aufgezeigten gesetzgeberischen Willen nicht in Einklang
bringen lassen.
Da es für ein auf die Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung
ausgerichtetes MDK-Überprüfungsverfahren, das zu einem Zeitpunkt, zu dem die Versicherte sich noch in
stationärer Krankenhausbehandlung befunden hat und vor der Übermittlung der Schlussrechnung
abgeschlossen war, keine Rechtsgrundlage für die Gewährung einer Aufwandspauschale gegeben ist, ist
die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.