Urteil des SozG Koblenz vom 16.08.2006

SozG Koblenz: absolute frist, unbestimmter rechtsbegriff, einfamilienhaus, heizung, unterkunftskosten, wohnfläche, sparkasse, eigentümer, quelle, niedersachsen

Sozialrecht
SG
Koblenz
16.08.2006
S 2 AS 12/06
Kosten der Unterkunft bei selbstgenutztem Einfamilienhaus
Tenor:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 17.11.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 02.05.2006 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2005 wird abgeändert und die Beklagte verpflichtet, dem
Kläger Kosten der Unterkunft unter Berücksichtigung der monatlich anfallenden Zinsbelastungen sowie
der tatsächlich anfallenden Heizkosten zu bewilligen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen nach dem SGB II,
insbesondere darüber, in welcher Höhe die Beklagte Kosten der Unterkunft zu übernehmen hat.
Der 1977 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, verheiratet und hat 3 minderjährige Kinder.
Bis 03.06.2004 bezog er Arbeitslosengeld, danach Arbeitslosenhilfe und Wohngeld. Er ist Eigentümer
eines 135 m² großen Einfamilienhauses, das mit Krediten der Landestreuhandstelle Rheinland-Pfalz und
der Sparkasse N finanziert wurde. Für den Kredit der Landestreuhandstelle fallen monatliche Zinsen in
Höhe von ca. 15,00 € an, für die Kredite der Sparkasse N Zinsen in Höhe von 247,12 € bzw. 371,11 €
monatlich. Mit Bescheid vom 29.11.2004 gewährte die Beklagte dem Kläger und den mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen in Höhe von 1.307,90 € monatlich. Diese setzten
sich zusammen aus der Regelleistung in Höhe von je 311,00 € für den Kläger und seine Ehefrau,
Sozialgeld in Höhe von jeweils 207,00 € für die 3 Kinder des Klägers und den Kosten der Unterkunft in
Höhe von 363,90 €. Außerdem wurde dem Kläger ein Zuschlag nach § 24 SGB II in Höhe von 163,00 €
bewilligt. Mit Änderungsbescheid vom 16.02.2005 wurden die monatlichen Leistungen auf 1.695,80 €
festgesetzt, wobei die Kosten der Unterkunft nunmehr mit 751,80 € berücksichtigt wurden. Allerdings
enthielt der Änderungsbescheid einen Hinweis auf die Unangemessenheit der Kosten der Unterkunft. Als
angemessene Kosten gab die Beklagte den Betrag von 380,00 € an.
Mit Bescheid vom 17.11.2005 setzte sie die monatlichen Leistungen für Dezember 2005 bis Mai 2006 auf
1.446,44 € fest. Zur Begründung führte sie aus, die tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Klägers und
seiner Familie seien unangemessen hoch. Ihre Übernahme sei nur für 6 Monate möglich gewesen. Diese
Frist sei am 30.11.2005 abgelaufen, so dass ab 01.12.2005 Kosten der Unterkunft nur noch in Höhe von
380,00 € monatlich in Ansatz gebracht werden könnten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Er verwies darauf, dass er nicht Mieter einer
Wohnung sei, sondern Eigentümer eines Einfamilienhauses und dass eine Untervermietung eines oder
mehrerer Zimmer wegen der Raumaufteilung nicht möglich sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.12.2005 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet
zurückgewiesen.
Mit Änderungsbescheid vom 02.05.2006 setzte die Beklagte die Kosten der Unterkunft für den Zeitraum
von Januar bis Mai 2006 auf 592,46 € fest. Dieser Bescheid wurde Gegenstand des anhängigen
Rechtsstreits.
Mit der am 09.01.2006 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, er habe insgesamt Zinsen in Höhe von
574,67 € und Tilgungsleistungen in Höhe von 109,18 € monatlich zu erbringen. Hinzu kämen Heiz- und
Nebenkosten. Die Heizkosten habe die Beklagte auf 86,92 € festgesetzt. Dies entspreche einem Betrag
von 82 % der tatsächlich anfallenden Heizkosten. Als sonstige Kosten der Unterkunft habe sie die
Mietkosten für einen 5-Personenhaushalt eingesetzt, nämlich einen Betrag in Höhe von 380,00 €, dies sei
rechtswidrig. Das vom Kläger und seiner Familie bewohnte Einfamilienhaus zähle zum Schonvermögen
gemäß § 12 SGB II. Es sei auch mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus gefördert worden. Es sei ihm
nicht zuzumuten, das Wohnhaus zu veräußern, weil er hierbei einen erheblichen Verlust erleiden werde.
Im Übrigen dürfe bei der Berechnung der Heizkosten bei Eigenheimen nicht auf die Heizkosten von
Mietwohnungen abgestellt werden, vielmehr müssten die tatsächlichen Heizkosten übernommen werden,
sofern - wie im Falle des Klägers - das Einfamilienhaus eine angemessene Größe habe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 02.05.2006 insoweit aufzuheben, als ihm die Kosten der Unterbringung
nicht in tatsächlicher Höhe gewährt wurden und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten der Unterkunft
in Höhe von 574,67 € und Kosten der Heizung in Höhe von 106,60 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Verwaltungsentscheidung und der dort gegebenen Begründung fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die ihrem
wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 17.11.2005
und 02.05.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2005 sind insoweit rechtswidrig, als
der Kläger einen Anspruch auf darauf hat, dass die Beklagte ihm Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Zinslasten und Heizkosten
zahlt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 Satz 1 28 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die
das 15. Lebensjahr vollendet, das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und
hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben sowie
die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden nicht erwerbsfähigen Angehörigen. Diese
Voraussetzungen liegen in der Person des Klägers und seiner Familie unstreitig vor, weswegen die
Beklagte ihnen mit den angefochtenen Bescheiden auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II gewährt hat. Streitig ist zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Höhe des
Leistungsanspruchs allein, ob tatsächliche Zinslast und Heizkosten als Kosten der Unterkunft und
Heizung zu übernehmen sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten haben der Kläger und seine Familie im streitgegenständlichen
Zeitraum einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlich angefallenen Zinszahlungen und Heizkosten.
In welcher Höhe Leistungen für die Unterkunft zu erbringen sind ergibt sich aus § 22 SGB II. Nach
Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die tatsächlichen Aufwendungen für die
Unterkunft ergeben sich bei einem im Eigentum des Betroffenen stehenden Hauses aus den mit dem
Wohnungseigentum unmittelbar verbundenen Belastungen, insbesondere den zur Finanzierung des
Hauses tatsächlich gezahlten Darlehenszinsen (Lang in Eicher/Spellbrink SGB II, § 22 RdNr. 26; Kalhorn
in Hauck/Noftz Kommentar zum SGB II § 22 RdNr. 14).
Der Begriff "Angemessenheit" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der gerichtlichen
Kontrolle unterliegt (vgl. Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.04.2005, L 8 AS 55/05 ER).
Die tatsächlich gezahlten Zinsen sind für den streitgegenständlichen Zeitraum als angemessen
anzusehen. Der Kläger und seine Familie wohnen in einem Einfamilienhaus, das gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4
SGB II geschütztes Vermögen ist. Sowohl die Wohnfläche als auch die Grundstückgröße bewegen sich im
Rahmen der Vorschriften des sozialen Wohnungsbaus, die bei der Auslegung des § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II
zu berücksichtigen sind. Geschützt wird durch die genannte Vorschrift nicht die Immobilie als
Vermögensgegenstand, sondern allein als räumlicher Lebensmittelpunkt (Lang in Eicher/Spellbrink a. a.
O. § 12 RdNr. 69). Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches zwischen den
Vermögensanrechnungsvorschriften und den Bestimmungen über die Berechnung der Angemessenheit
von Unterkunftskosten ist im vorliegenden Fall von den tatsächlichen Verhältnissen auszugehen. Dies
bedeutet für den Bereich der Heizkosten, dass grundsätzlich die tatsächlich vorhandene Wohnfläche und
nicht eine fiktiv zustehende Wohnungsgröße zu berücksichtigen ist. Für die sonstigen Kosten der
Unterkunft bedeutet dies, dass grundsätzlich von den tatsächlich anfallenden Hauslasten, zu denen
insbesondere auch die Darlehenszinsen gehören, und nicht von Tabellenwerten aus dem
Mietwohnungsbereich auszugehen ist. Etwas anders kann nur in Ausnahmefällen gelten, z. B. bei einer
sehr hohen Zinslast in Kombination mit mehrjährigem Bezug einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung. Ein
solcher Ausnahmefall ist vorliegend aber offensichtlich nicht gegeben, so dass die tatsächlich anfallenden
Unterkunftskosten als angemessen anzusehen sind.
Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen
Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf solange zu berücksichtigen wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht
möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise
die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Diese Frist ist jedoch zum einen keine absolute Frist. Dies ergibt sich aus der Formulierung "in der Regel",
die Raum für Ausnahmen von der Regel lässt. Sie stellt zudem nach Auffassung des Gerichts ersichtlich
auf die Situation im Mietwohnungsbereich ab. Es handelt es sich hierbei nämlich um den Zeitraum, der
üblicherweise für das Anmieten einer Wohnung benötigt wird. Die Situation des Eigentümers eines
Einfamilienhauses oder einer Eigentumswohnung stellt sich jedoch vollständig anders dar. Weder lässt
sich ein derartiges Objekt innerhalb von 6 Monaten üblicherweise verlustfrei veräußern noch wäre es mit
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren, eine auf langjähriger Lebensplanung beruhende
Investition bereits nach 6 Monaten des Bezuges einer bedürftigkeitsabhängigen Leistung wegen
Arbeitslosigkeit zu veräußern.
Aus alledem folgt, dass der Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.