Urteil des SozG Koblenz vom 07.07.2010

SozG Koblenz: zumutbare arbeit, anspruch auf rechtliches gehör, sanktion, wichtiger grund, aufschiebende wirkung, computer, firma, behörde, erlass, leistungsbezug

Sozialrecht
SG
Koblenz
07.07.2010
S 16 AS 212/10
Keine Addition der einzelnen Sanktionsbeträge bei mehreren zeitgleichen Verstößen gegen die
Eingliederungsvereinbarung
1. Liegen mehrere zeitgleiche Verstöße gegen eine Eingliederungsvereinbarung vor, so kann dies nicht
zu mehreren gleichzeitigen Sanktionen führen, deren Sanktionshöhe sich addiert.
2. Die sog. wiederholte Pflichtverletzung ist der einzige vom Gesetz vorgesehene Fall der Erhöhung des
Sanktionsbetrages. Diese Vorschrift darf nicht dadurch umgangen werden, dass die Behörde zeitgleich
mehrere einzelne Sanktionsbescheide erlässt, deren Summe den Hilfebedürftigen so stellt, als läge eine
wiederholte Pflichtverletzung vor.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 08.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2010
(Geschäftszeichen: 981A - 53102BG0010356 - W 32/10) wird aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit zweier Sanktionsbescheide der Beklagten streitig.
Der am 13.04.1970 geborene Kläger bezieht von der Beklagten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach Maßgabe des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Beteiligten schlossen
am 21.10.2009 eine Eingliederungsvereinbarung. Hierin verpflichtete sich der Kläger, während der
Gültigkeitsdauer der Eingliederungsvereinbarung am 20.04.2010 mindestens sechs
Bewerbungsbemühungen pro Monat nachzuweisen und sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tag nach
Erhalt auf ein Stellenangebot zu bewerben. Dem Kläger wurden mit Abschluss der
Eingliederungsvereinbarung zwei Vermittlungsvorschläge ausgehändigt; zunächst wurde er aufgefordert,
sich auf eine Stelle als Elektroniker bei der Kreishandwerkerschaft B zu bewerben. Der zweite
Vermittlungsvorschlag war auf eine Anstellung als Elektroniker bei der Firma V Personaldienstleistungs
GmbH gerichtet.
In der Zeit vom 08.08.2009 bis 07.12.2009 erhielt der Kläger Übergangsgeld durch die Deutsche
Rentenversicherung Rheinland-Pfalz in Höhe von 38,85 € kalendertäglich. Mit Bescheid vom 26.10.2009
bewilligte die Beklagte dem Kläger in der Zeit vom 08.11.2009 bis 30.11.2009 Leistungen in Höhe von
109,23 €; in der Zeit vom 01.12.2009 bis 31.05.2010 wurden Leistungen in Höhe von 359,-- € monatlich
bewilligt.
Mit Schreiben vom 06.11.2009 bzw. 19.11.2009 hörte die Beklagte den Kläger zu zwei angeblichen
Verstößen gegen die Eingliederungsvereinbarung an; der Kläger habe sich auf die ihm am 21.10.2009
ausgehändigten Vermittlungsvorschläge nicht wie vereinbart beworben. Der Kläger teilte daraufhin mit, an
Grippe erkrankt zu sein; eine ärztliche Bescheinigung könne er allerdings nicht vorlegen. Daneben sei
sein Computer defekt gewesen, so dass das Erstellen von Bewerbungsunterlagen nicht möglich gewesen
sei.
Mit Bescheiden vom 08.12.2009 senkte die Beklagte die dem Kläger in der Zeit vom 01.01.2010 bis
31.03.2010 zu gewährende Regelleistung zweimal in Höhe von jeweils 30 % (107,70 €) monatlich ab.
Gegen diese Entscheidungen legte der Kläger am 06.01.2010 Widerspruch ein; er sei dringend auf eine
Sicherung seines Existenzminimums angewiesen.
Am 08.01.2010 stellte der Kläger beim Sozialgericht Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs gegen die Sanktionsbescheide. Dabei trug er vor, aktuell lediglich über Mittel in Höhe
von 143,60 € monatlich zu verfügen, was dazu führe, dass er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten
könne. Allein die Stromkosten, die Zuzahlung zu Medikamenten sowie die Telefonkosten und die Kfz-
Versicherung würden diesen Betrag bereits übersteigen. Er habe sich auf den ausgehändigten
Vermittlungsvorschlag nur deshalb nicht beworben, weil sein Computer defekt gewesen sei und er
deshalb keinen Zugriff auf seine Bewerbungsunterlagen gehabt habe. Daneben beziehe sich die
Absenkung auf einen Zeitraum, in dem er keinerlei Leistungen von der Beklagten erhalten habe.
Mit Bescheiden vom 14.01.2010 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück.
Der Kläger habe sich geweigert, sich um eine ihm zumutbare Beschäftigung zu bewerben. Dazu habe er
sich jedoch in der Eingliederungsvereinbarung unter Belehrung über die Rechtsfolgen eines Verstoßes
verpflichtet. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe der Kläger nicht nachweisen können. So sei
die angebliche Erkrankung nicht nachgewiesen; hierfür sei die Vorlage einer Krankmeldung erforderlich.
Daneben habe der Kläger auch nicht nachweisen können, dass der Computer defekt gewesen sei; dies
habe er der Beklagten auch erst im Rahmen der Anhörung mitgeteilt.
Am 09.02.2010 erhob der Kläger Klage.
Mit Beschluss vom 10.02.2010 ordnete das Sozialgericht Koblenz die aufschiebende Wirkung der Klage
an, soweit sich diese gegen den Sanktionsbescheid die Bewerbung bei der Firma V
Personaldienstleistungs-GmbH richtet.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Bescheide der Beklagten vom 08.12.2009 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 14.01.2010
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen fest. Eine Bewerbungsverpflichtung
des Klägers habe vorliegend bestanden, auch wenn er zu der fraglichen Zeit nicht im Leistungsbezug
gestanden habe. Denn dem Kläger sei durchaus bewusst gewesen, dass er hilfebedürftig werden würde.
Aus diesem Grund sei er bereits im Vorfeld dazu verpflichtet, alles zu tun, um diesen Zustand
abzuwenden. Da vorliegend keine wiederholte Pflichtverletzung gegeben sei, sei es durchaus auch
zulässig, eine zweimalige Sanktion in Höhe von jeweils 30 % im gleichen Zeitraum zu verhängen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten, der zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht wurde.
Entscheidungsgründe:
1. Das Gericht durfte vorliegend gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG] trotz des
Ausbleibens des Klägers verhandeln und auch entscheiden. Dies steht mit dem Anspruch auf rechtliches
Gehör (vgl. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG ] und § 62 SGG) in Einklang, wonach den an einem
gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, sich zu der relevanten Entscheidung vor
Erlass der Entscheidung zu äußern, um so auf diese Einfluss nehmen zu können. Denn das Gericht hat
einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und den Kläger durch ordnungsgemäße Ladung
dazu in die Lage versetzt, seinen Standpunkt in der mündlichen Verhandlung darzutun. Dabei wurde er
auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Auch die Tatsache, dass das Gericht ursprünglich das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet
hatte, macht eine Vertagung nicht zwingend erforderlich. Denn diese Anordnung stand gemäß § 111 Abs.
1 SGG im Ermessen des Gerichts und dient allein der Sachaufklärung oder der Erörterung der Sach- und
Rechtslage mit den Beteiligten, etwa um eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits
herbeizuführen (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl 2005, VII Rn.
146, 133 ff; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 111 Rn. 2b). Sie hat dagegen nicht die Funktion, das
rechtliche Gehör der Beteiligten sicherzustellen. Daher kann aus der Anordnung des persönlichen
Erscheinens nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass ohne das Erscheinen der Beteiligten keine
Sachentscheidung des Gerichts ergehen könnte oder dürfte (Bundessozialgericht, Beschluss vom
31.01.2008 - B 2 U 311/07 B). Vorliegend konnte die Entscheidung auch ohne das persönliche
Erscheinen ergehen, da die Sachlage hinreichend geklärt gewesen ist.
2. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene Klage ist in dem aus dem Tenor
ersichtlichen Umfang begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.12.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 14.01.2010, mit dem die Nichtbewerbung des Klägers bei der Firma V
Personaldienstleistungs-GmbH sanktioniert wird, erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in
seinen Rechten. Er war daher aufzuheben. Demgegenüber ist der weitere vorliegend angegriffene
Sanktionsbescheid rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Rechtsgrundlage der von der Beklagten erlassenen Sanktion die Nichtbewerbung bei der
Kreishandwerkerschaft B betreffend ist dabei
§ 31 Abs. 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach
§ 24 SGB II in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 SGB II
maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn 1. der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung
über die Rechtsfolgen weigert, a) eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, b) in
der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem
Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, c) eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit,
eine mit einem Beschäftigungszuschuss nach § 16a geförderte Arbeit, ein zumutbares Angebot nach §
15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme aufzunehmen oder
fortzuführen oder d) zumutbare Arbeit nach § 16a Abs. 3 Satz 2 auszuführen, 2. der erwerbsfähige
Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in
Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Dies gilt gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II
nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.
Zwischen den Beteiligten wurde am 21.10.2009 eine wirksame Eingliederungsvereinbarung getroffen, in
der festgelegt wurde, dass sich der Kläger auf Vermittlungsvorschläge der Beklagteninnerhalb von drei
Werktagen zu bewerben hat. Die Eingliederungsvereinbarung ist mit einer zutreffenden
Rechtsfolgenbelehrung versehen und insgesamt nicht zu beanstanden. Sie ist auch ab dem Zeitpunkt
ihres Abschlusses wirksam. Der Vortrag des Klägers, dass er zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt noch
gar keine Leistungen der Beklagten, sondern des zuständigen Rentenversicherungsträgers erhalten
habe, greift insoweit nicht. Denn nach dem in § 2 SGB II niedergelegten Grundsatz des Forderns ist der
Hilfebedürftige zu jeder Zeit dazu verpflichtet, seine Hilfebedürftigkeit zu beenden bzw.
diese gar nicht
erst eintreten zu lassen.
bevorstehenden) Leistungsbezugs zur Vornahme von Bewerbungen auffordern, um so eine
Hilfebedürftigkeit ggf. vollständig zu vermeiden.
Auch die dem Kläger konkret ausgehändigten Vermittlungsvorschläge unterliegen keinerlei rechtlichen
Bedenken. Der Kläger hat sich auf diese entgegen der in der Eingliederungsvereinbarung getroffenen
Regelung nicht innerhalb von drei Werktagen beworben; dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
Fraglich ist allein, ob der Kläger sein Verhalten durch einen wichtigen Grund rechtfertigen kann; einen
solchen hat er im Rahmen des Eilverfahrens allerdings nicht hinreichend glaubhaft machen können. Als
wichtiger Grund im Sinne des
§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind alle Umstände des Einzelfalls anzusehen, die unter Berücksichtigung der
berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der
Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen, wobei persönliche, insbesondere familiäre
oder gesundheitliche Gründe im Vordergrund stehen (Berlit, in: LPK-SGB II, § 31 SGB II Rn. 61 m.w.N.).
Gesetzessystematisch formuliert § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II ein negatives Tatbestandsmerkmal – Fehlen
eines wichtigen Grundes für ein der jeweiligen Tatbestandsalternative unterfallendes Verhalten – ohne
jedoch die Darlegungs- und Beweislast diesbezüglich vollständig umzukehren (Rixen, in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 SGB II Rn. 34, 39; ebenso Berlit, in: LPK-SGB II,
§ 31 SGB II Rn. 63).
Einen solchen wichtigen Grund hat der Kläger vorliegend nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Er hat
zwar vorgetragen, dass er sich aufgrund einer Erkrankung nicht bei den angegebenen Stellen beworben
habe; die bloße Behauptung reicht für die nötige Glaubhaftmachung und damit letztlich die Annahme
eines wichtigen Grundes nicht aus. Der Kläger hat nach eigenen Angaben etwa 14 Tage an einer Grippe
gelitten. Ungeachtet der Frage, ob diese Erkrankung in der Tat so schwerwiegend gewesen ist, dass sie
die Versendung einer schriftlichen Bewerbung unmöglich gemacht hat, fehlt es vorliegend an einem
Nachweis der Erkrankung. Nach § 56 Ab. 1 SGB II ist der Hilfebedürftige im Rahmen des Leistungsbezugs
dazu verpflichtet, bei einer Erkrankung spätestens am dritten Tag eine ärztliche
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Agentur für Arbeit vorzulegen. Eine solche würde letztlich auch
hinreichenden Nachweis über die vom Kläger geltend gemachte schwerwiegende Erkrankung erbringen
können. Dieser Pflicht ist der Kläger allerdings nicht nachgekommen. Darüber hinaus hat er die Beklagte
auch nicht auf sonstige Weise zeitnah, d.h. vor Ablauf der für die Bewerbung auf den
Vermittlungsvorschlag vorgesehenen Frist, über seine Erkrankung informiert.
Auch wenn der Kläger weiter vorträgt, er habe sich aufgrund technischer Probleme seines Computers auf
die ihm ausgehändigten Vermittlungsvorschläge nicht beworben, so stellt dies keinen wichtigen Grund
dar, der die Nichtbewerbung rechtfertigen könnte. Zum Einen stellt sich auch hier das Problem der
Glaubhaftmachung. Selbst wenn man aber unterstellen würde, dass der Computer des Klägers tatsächlich
defekt gewesen ist, würde dies keinen wichtigen Grund im Sinne des § 31 SGB II darstellen. Der
Hilfebedürftige hat nach der Konzeption des SGB II zunächst alles ihm Mögliche zu tun, um seine
Hilfebedürftigkeit und damit letztlich den Leistungsbezug zu beenden. Bewerbungen müssen dabei nicht
zwingend zu Hause ausgedruckt werden. Ungeachtet der Tatsache, dass es durchaus die Möglichkeit
gibt, diese bei Freunden oder in einem öffentlichen Copy-Shop auszudrucken, gibt es bei der
Bundesagentur für Arbeit ebenfalls die Möglichkeit, Bewerbungsunterlagen zu erstellen und diese auch
auszudrucken. Hätte sich der Kläger mit seinem Computerproblem an die Beklagte gewandt, hätte diese
sicherlich auf diese Möglichkeit verwiesen. Damit ist der Hinweis auf den defekten Computer bereits per
se nicht dazu geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 31 SGB II zu begründen.
b) Allerdings erweist sich die zweite von der Beklagten vorgenommene Sanktionierung, bei der die dem
Kläger in der Zeit vom 01.01.2010 bis 31.03.2010 zu gewährenden Leistungen aufgrund eines erneuten
Verstoßes gegen die Eingliederungsvereinbarung um weitere 30 % abgesenkt wird, nach der hier
durchzuführenden summarischen Prüfung als rechtswidrig. Denn wie die Beklagte zu Recht ausgeführt
hat, liegen die Voraussetzungen einer sog. wiederholten Pflichtverletzung nicht vor; eine solche hat die
Beklagte folgerichtig auch nicht verhängt. Die von der Beklagten stattdessen vorgenommene zweimalige
Verhängung einer einfachen Pflichtverletzung steht dagegen mit den gesetzlichen Vorgaben des § 31
Abs. 2 SGB II nicht in Einklang. Eine solche Vorgehensweise ist gerade im Hinblick auf die Existenz der
Rechtsfigur der wiederholten Pflichtverletzung ausgeschlossen.
(1) Der Wiederholungsfall einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 3 SGB II begründet einen
selbstständigen Absenkungstatbestand. Daher ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob sämtliche
Elemente des Sanktionsereignisses erneut zu bejahen sind (Valgolio, in Hauck/Noftz, Kommentar zum
SGB II, § 31 Rn. 111). Dies dürfte hier an sich auch bei der Nichtbewerbung auf den zweiten
Vermittlungsvorschlag der Fall sein. Um allerdings von einer wiederholten Pflichtverletzung nach § 31
Abs. 3 SGB II sprechen zu können, ist weiterhin erforderlich, dass ein (erstes) Sanktionsereignis nach Abs.
1 mit der Absenkung in der ersten Stufe um 30 % nicht nur eingetreten ist, dieses muss auch per Bescheid
festgestellt und dieser dem Hilfebedürftigen ordnungsgemäß bekannt gegeben worden sein
(Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.11.2008 - L 7 B 252/08 AS; Valgolio in
Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II,
§ 31 Rn. 99). Diese Anforderungen tragen der edukatorischen Intention der stufenweise
Sanktionseskalation, erst ein trotz bereits erfolgter Sanktion erneut eingetretenes Fehlverhalten verschärft
zu sanktionieren, Rechnung (siehe dazu SG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2008 - S 43 AS 397/07 ER;
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.09.2007 - L 20 B 169/07 AS ER)
Eine solche Feststellung des ersten Verstoßes gegen die Eingliederungsvereinbarung ist vorliegend
jedoch nicht erfolgt; die Beklagte hat das Fehlverhalten des Klägers vielmehr erstmalig mit Bescheid vom
08.12.2009 sanktioniert und an diesem Tag auch den zweiten hier in Frage stehenden Sanktionsbescheid
erlassen. Damit kann dem Kläger der Vorwurf der wiederholten Pflichtverletzung, also die nachhaltige
Weigerung, den Pflichten nach dem SGB II nachzukommen, obwohl er diesbezüglich bereits einmal
sanktioniert worden ist, nicht gemacht werden. Ein Rückgriff auf § 31 Abs. 3 SGB II scheidet damit aus.
(2) In einem solchen Fall, in dem ein und dieselbe Pflichtverletzung zeitgleich mehrfach begangen wird
und nach den gemachten Ausführungen aufgrund dieser zeitlichen Komponente nicht von einer
wiederholten Pflichtverletzung ausgegangen werden kann, scheidet denknotwendig auch die zeitgleiche
Verhängung mehrerer einfacher Sanktionen aus. Denn § 31 Abs. 3 SGB II muss für diese Fälle als lex
specialis angesehen werden; diese Regelung schließt nach Sinn und Zweck des Gesetzes einen
(mehrfachen) Rückgriff auf die Vorschrift des § 31 Abs. 1 SGB II denknotwendig aus.
Insoweit überzeugt die Ansicht des Sozialgerichts Mannheim (Urteil vom 18.11.2008 - S 11 AS 4027/07)
und des Sozialgerichts Reutlingen nicht; diese haben die Ansicht vertreten, dass § 31 Abs. 3 Satz 1 SGB II
gegenüber § 31 Abs. 2 SGB II zwar lex specialis sei, sich dieses Verhältnis aber nur auf den eigenen
Anwendungsbereich beziehe. Sofern die Voraussetzungen für eine verschärfte Sanktion nach § 31 Abs. 3
Satz 1 SGB II nicht gegeben seien, könne diese Norm die Anwendbarkeit des § 31 Abs. 2 SGB II folglich
nicht sperren. Dies folge auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift, die den pflichtenversäumenden
Hilfebedürftigen nicht schützen, sondern eine härtere Sanktion ermöglichen solle. Dem vermag sich die
Kammer jedoch nicht anzuschließen. Geht man davon aus, dass § 31 Abs. 3 SGB II lex specialis zu § 31
Abs. 2 SGB II ist, dann bedeutet dies, dass eine wiederholte Pflichtverletzung verbunden mit einer
erhöhten Absenkung der Regelleistung nur dann möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 31 Abs. 3
SGB II, insbesondere die vorherige Feststellung der Sanktion per Bescheid durch die Behörde, erfolgt ist.
Nur in diesem Fall hat der Hilfeempfänger einen erneuten Verstoß trotz Kenntnis der vorangegangen
Sanktion begangenen und nur dann ist eine erhöhte Sanktion auf der zweiten Stufe nach der Konzeption
des Gesetzes gerechtfertigt. Das Gesetz stellt also zur Annahme einer wiederholten Pflichtverletzung mit
anderen Worten erhöhte Anforderungen an den Leistungsträger; dieser darf eine Sanktionierung auf der
zweiten Stufe nur dann vornehmen, wenn er zuvor auf der ersten Stufe sanktioniert hat. Würde man mit
dem Sozialgericht Reutlingen in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die erste Sanktion nicht durch
Sanktionsbescheid geahndet wurde, den gleichzeitigen Erlass mehrerer Sanktionsbescheide auf der
ersten Stufe zulassen, so hätte dies zur Folge, dass der Hilfeempfänger, wie vorliegend der Kläger,
gegebenenfalls härter bestraft werden würde als in den Fällen der wiederholten Pflichtverletzung nach §
31 Abs. 3 SGB II. Der Leistungsträger hätte es damit letztlich selbst in der Hand, in Umgehung des § 31
Abs. 3 SGB II eine beliebig hohe Sanktion auszusprechen, indem er einzelne Verfehlungen des
Hilfeempfängers "kollektiv", aber in einzelnen Sanktionsbescheiden ahnden würde. Dies allerdings
widerspricht dem Sinn des § 31 Abs. 3 SGB II.
In § 31 SGB II wurde das Mittel der stufenweisen Leistungskürzung als Reaktion auf ein unwirtschaftliches
Verhalten des Hilfeempfängers aufgenommen. Dabei galt es für den Gesetzgeber insbesondere, den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot zu beachten; nach diesen
verfassungsrechtlichen Vorgaben müssen das gewählte Mittel und der gewollte Zweck in einem
vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 10, 89, 117; BVerfGE 35, 382, 401). Das bedeutet,
dass der Eingriff zur Erreichung des vom Gesetzgeber erstrebten Zieles geeignet, aber auch erforderlich
sein muss, das Ziel also nicht auf andere, den Einzelnen weniger belastende Weise ebenso gut erreicht
werden kann und dass schließlich das Maß der den Einzelnen treffenden Belastung noch in einem
vernünftigen Verhältnis zu den ihm und der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht (BVerfGE 30,
292, 316 f; BVerfGE 38, 281, 302; BVerfGE 69, 1, 35; Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland, Art 20 Rn. 776; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz ua, Komm zum Grundgesetz,
Art 20, Rn. 51, 71 ff). Ähnlich wie die Sperrzeitregelung in § 119 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III)
beruhen die in § 31 SGB II niedergelegten Sanktionierungsmöglichkeiten letztlich auf dem
Grundgedanken, dass sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muss, deren Eintritt
der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Beendigung er nicht bzw. nur unzureichend mitwirkt
(Berlit, in: LPK-SGB II, § 31 Rn. 3). Die Regelung des § 31 SGB II wird den unter dem Blickwinkel der
Verhältnismäßigkeit zu stellenden Anforderungen an sich gerecht; dies zeigt sich insbesondere in der
Regelung über die wiederholte Pflichtverletzung, die einen schwerwiegenden und nachhaltigen Verstoß
des Leistungsempfänger gegen die ihn treffenden Pflichten verlangt, obwohl dieser bereits eine
Sanktionierung erfahren hat. Würde man nun die Möglichkeit bejahen, wegen einem letztlich gleich
gelagerten Verhalten mehrere einzelne Sanktionen miteinander zu addieren, so wäre der
Verhältnismäßigkeitgrundsatz nicht mehr gewahrt. Eine entsprechende Auslegung des § 31 SGB II stünde
mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot nicht (mehr) in Einklang.
Dagegen, mehrere Sanktionen gleichzeitig verhängen zu dürfen, spricht weiterhin auch die von der
Beklagten selbst angegebene Rechtsfolgenbelehrung im Anhang an die Eingliederungsvereinbarung, die
zwischen den Beteiligten geschlossen wurde. Denn auch hier wird die Möglichkeit aufgezeigt, dass die
Leistungen bei einem Verstoß gegen eine Grundpflicht um 30 %, beim Vorliegen einer sog. wiederholten
Pflichtverletzung demgegenüber um 60 % abgesenkt werden. Für den Hilfebedürftigen ergibt sich aus
dieser Belehrung damit, dass ihm eine Absenkung von 60 % nur dann droht, wenn er zum wiederholten
Male gegen seine Pflichten verstößt, wobei die wiederholte Pflichtverletzung wie dargelegt ein zeitliches
Aufeinanderfolgen voraussetzt. Geht man nun aber mit der Beklagten davon aus, dass mehrere einzelne
Sanktionsbescheide gleichzeitig verhängt werden können und zu einer Addition des Sanktionsbetrages
führen, so müsste der Hilfeempfänger, um sein Verhalten entsprechend anpassen zu können, auch in der
Rechtsfolgenbelehrung diesbezüglich belehrt werden. Dies ist jedoch nicht der Fall, so dass sich die
vorliegende Sanktionshöhe für den Kläger als unerwartet darstellen muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da sie Rechtssache von grundlegender
Bedeutung ist und die hier maßgebliche Rechtsfrage in der 2Rechtsprechung ersichtlich uneinheitlich
beantwortet wird.