Urteil des SozG Koblenz vom 20.04.2006

SozG Koblenz: eltern, unterhalt, leistungsfähigkeit, unterkunftskosten, mietvertrag, berufsausbildung, eigentum, verfügung, heizung, haushalt

Sozialrecht
SG
Koblenz
20.04.2006
S 13 AS 109/05
Arbeitslosengeld II; Unterkunftskosten bei Bewohnen einer im Eigentum der Eltern stehenden Wohnung
Tenor:
1. Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 08.12.2004 und vom 26.01.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 31.05.2005 verurteilt, den Klägerinnen für die Zeit vom 01.01.2005 bis
31.05.2005 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II unter
Berücksichtigung einer Kaltmiete von 200,-- € monatlich zu zahlen.
2. Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klage ist auf die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] in der Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 gerichtet.
Die am 1981 geborene Klägerin zu 1) wohnt gemeinsam mit ihrer am 2003 geborenen Tochter, die
Klägerin zu 2) in einer im Eigentum ihrer Eltern stehenden 65 qm großen Mietwohnung.
Vor dem 01.01.2005 stellte die Klägerin zu 1) bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und die Klägerin zu 2). In dem
Antragsformular ist angegeben, sie habe wegen der Unterhaltsverpflichtung ihrer Eltern keine
Mietzahlung zu erbringen; für Heizkosten zahle sie 50 € und für Nebenkosten 60 € monatlich. An
Einkommen verfüge sie über Unterhaltsvorschuss in Höhe von 122 €, Unterhalt von 70 € sowie
Kindergeld in Höhe von 154 €.
Mit nur an die Klägerin zu 1) adressiertem Bescheid vom 08.12.2004 bewilligte die Beklagte den
Klägerinnen Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.01.2005 in Höhe von
420,30 €. Mit weiterem nur an die Klägerin zu 1) adressiertem Bescheid vom 26.01.2005 bewilligte die
Beklagte den Klägerinnen Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 01.02.2005 bis 31.05.2005 in
Höhe von 420,30 €. Dabei setzte sie jeweils als Bedarf Regelleistungen von 345 € und 207 €, einen
Mehrbedarf wegen Alleinerziehung von 124 €, Unterkunftskosten von 60 € und Heizkosten von 50 €
abzüglich eines Warmwasseranteils von 19,70 € an. Diesem Bedarf stellte sie ein Einkommen von 346 €
aus Unterhaltsvorschuss, Unterhalt und Kindergeld gegenüber.
Gegen beide Bescheide legte die Klägerin zu 1) fristgerecht Widerspruch ein. Zur Begründung trug sie
vor, sie wohne im Haus ihrer Eltern. Für die Wohnung bestehe ein Mietvertrag ab dem 01.08.2002; sie
zahle auch tatsächlich die Miete von 200 € für die im Elternhaus angemietete Wohnung. Ihre Eltern seien
im Rahmen ihrer Hausfinanzierung auf die Mietzahlungen angewiesen. In der Vergangenheit sei ihr Hilfe
zum Lebensunterhalt und danach Wohngeld gewährt worden.
Mit nur an die Klägerin zu 1) adressiertem Widerspruchsbescheid vom 31.05.2005 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. Zur Begründung war angegeben, die Mietkosten seien nicht bedarfserhöhend
berücksichtigen, da der Unterkunftsbedarf durch tatsächliche Unterhaltsleistungen der Eltern bzw.
Großeltern der Klägerinnen gedeckt werde. Dies gelte selbst dann, wenn diese nach ihrem Einkommen
und Vermögen nicht unterhaltspflichtig seien. Denn die einvernehmliche Aufnahme in das Haus, die im
Abschluss des vorgelegten Mietvertrags liege, decke insoweit den Unterkunftsbedarf als Teil der
bürgerlich-rechtlichen Unterkunftsverpflichtung. Die gewählte rechtliche Konstruktion eines Mietvertrags
ändere hieran nichts, da selbst dann, wenn aufgrund des rechtlich wirksamen Mietvertrags eine Pflicht zur
Mietzinszahlung bestehen sollte, die hieraus resultierenden Mietzinseinnahmen jedenfalls geeignet
seien, die Leistungsfähigkeit der Eltern im Sinne des § 1603 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] zu
steigern, was die Klägerin dann den Mietzinsforderungen entgegenhalten könne. Dabei liege wegen des
tatsächlichen Bewohnens der elterlichen Wohnung in der Geltendmachung der Unterhaltsansprüche auch
eine "bereite Möglichkeit" den Unterkunftsbedarf zu decken.
Am 22.06.2005 hat die Klägerin zu 1) die vorliegende Klage erhoben, der die Klägerin zu 2) am
28.11.2005 beigetreten ist. Die Klägerinnen tragen unter Wiederholung und Vertiefung ihres
vorgerichtlichen Vorbringens vor, seit Abschluss des Mietvertrags zum 01.08.2003 seien die
Mietzahlungen geleistet worden; zum Nachweis dessen haben die Klägerinnen den Mietvertrag vom
27.07.2003 sowie Kontoauszüge der Klägerin zu 1) in Kopie vorgelegt. Das von ihnen zur Hälfte
bewohnte, zur anderen Hälfte an einen fremden Mieter vermietete Haus sei von ihren Eltern bzw.
Großeltern vor 15 Jahren als Altersruhesitz erworben worden; die Mieteinnahmen seien in die
Finanzierung des Hauses eingebunden. Die Eltern bzw. Großeltern seien nicht unterhaltspflichtig, da sie
noch drei weitere, im Elternhaus lebende Kinder finanziell unterstützen müssten.
Die Klägerinnen beantragen,
die Bescheide vom 08.12.2004 und vom 26.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
31.05.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.05.2005
höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung einer
Kaltmiete von 200 € monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Rechtmäßigkeit ihrer Bescheide fest und trägt vor, von den Eltern bzw. Großeltern der
Klägerinnen werde Unterhalt in Form der grundmietefreien Bereitstellung der Wohnung gewährt. Aus
diesem Grund seien die Regelungen über den Übergang von Ansprüchen nach § 33 SGB II nicht
einschlägig. Zudem sei die Unterhaltsfähigkeit der Eltern bzw. Großeltern der Klägerinnen derzeit völlig
ungeklärt. Im Übrigen erscheine es als unbillig, wenn mit steuerfinanzierten Sozialleistungen an die im
elterlichen Haus lebenden Klägerinnen das Vermögen der Eltern bzw. Großeltern der Klägerinnen
vermehrt werde, indem diese hiermit ihre Schuldverpflichtungen reduzierten.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze
der Beteiligten sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Bescheide vom 08.12.2004 und vom 26.01.2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.05.2005 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerinnen
in ihren Rechten, denn die Klägerinnen haben einen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihnen für die Zeit
vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
vom 01.01.2005 bis 31.05.2005 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von 200 € zahlt.
Gemäß §§ 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1; 28 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die
das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und
hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, sowie
die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden, nicht erwerbsfähigen Angehörigen. Diese
Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerinnen unstreitig vor, weswegen die Beklagte den
Klägerinnen mit den angefochtenen Bescheiden auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II gewährt hat; insoweit bedarf es also keiner weiteren Ausführungen. Streitig ist zwischen
den Beteiligten hinsichtlich der Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerinnen allein, ob die von diesen
mietvertraglich geschuldete Kaltmiete von 200 € monatlich als Bedarf anzusetzen ist. Dies ist indes der
Fall. Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Klägerinnen im streitgegenständlichen Zeitraum
einen Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Kaltmiete in Höhe von 200 € monatlich.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der
tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend ist die von den
Klägerinnen mietvertraglich geschuldete Kaltmiete von 200 € unstreitig angemessen. Die Klägerinnen
haben auch durch Vorlage des Mietvertrags und von Kontoauszügen zweifelsfrei nachgewiesen, dass sie
Mietzahlungen in dieser Höhe seit mehreren Jahren tatsächlich geleistet haben. Es bestehen also keine
Zweifel daran, dass die geltend gemachten Aufwendungen für die Unterkunft tatsächlich anfallen (dies im
Unterschied zu dem dem Beschluss des VG Koblenz vom 19.01.2000 - 5 K 2388/99.KO - zugrunde
liegenden Sachverhalt).
Den damit nachgewiesenen Unterkunftskostenbedarf der Klägerinnen können diese entgegen der
Auffassung der Beklagten auch nicht auf andere Weise decken.
So kann zunächst die einvernehmliche Aufnahme der Klägerinnen in die Wohnung ihrer Eltern bzw.
Großeltern entgegen der Auffassung der Beklagten nicht als Gewährung von Naturalunterhalt angesehen
werden, da die Unterkunft nicht kostenfrei, sondern nur gegen Zahlung von Miete zur Verfügung gestellt
werden sollte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten können die Klägerinnen auch nicht darauf verwiesen werden, die
mietvertragliche Mietzinsforderung ihrer Eltern bzw. Großeltern gegen eigene Unterhaltsansprüche
aufzurechnen. Es ist bereits völlig ungeklärt, ob die Klägerinnen überhaupt zivilrechtliche
Unterhaltsansprüche gegen ihre Eltern bzw. Großeltern haben. Insoweit ist nämlich zu sehen, dass diese
noch drei weitere im elterlichen Haushalt lebende Kinder haben, so dass durchaus Zweifel an ihrer
unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit bestehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich
eine Leistungsfähigkeit auch nicht ohne weiteres aus der Einkommenssteigerung infolge der
Mietzinseinnahmen (so aber OVG Lüneburg, Beschluss vom 28.01.1998 - 12 M 5666/97 -). Insoweit ist
nämlich zu sehen, dass beim Bestehen eines unterhaltsrechtlichen Mangelfalls das zusätzlich erzielte
Einkommen der Eltern nach dem Unterhaltsrecht auf alle - wohl teilweise gegenüber der über eine
abgeschlossene Berufsausbildung verfügende Klägerin zu 1) privilegierten - unterhaltsberechtigten
Kinder zu verteilen wäre und daher keinesfalls den Klägerinnen allein zugute käme. Selbst wenn aber
eine unterhaltsrechtliche Prüfung das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs der Klägerinnen in Höhe des
Kaltmiete ergeben würde, könnte den Klägerinnen eine Aufrechnung dieses Unterhaltsanspruchs gegen
die Mietzinsforderung nicht aufgegeben werden. Insoweit ist nämlich zu sehen, dass nach der Regelung
des § 33 Abs. 2 SGB II Unterhaltsansprüche von Verwandten - einschließlich der Unterhaltsansprüche von
Enkelkindern und von volljährigen Kindern mit abgeschlossener Berufsausbildung - nur überleitungsfähig
sind, wenn sie vom Leistungsberechtigten geltend gemacht werden. Hiermit hat der Gesetzgeber deutlich
gemacht, dass die Grundsicherungsleistungen gegenüber Unterhaltsansprüchen von
Unterhaltsberechtigten nur dann nachrangig sind, wenn diese vom Leistungsempfänger freiwillig geltend
gemacht werden. Mit dieser gesetzlichen Wertung stände es aber in Widerspruch, wenn der
mietzinspflichtig in einer Unterkunft des unterhaltsverpflichteten Verwandten lebende Leistungsempfänger
über den Umweg der Gewährung herabgesetzter Leistungen ohne Unterkunftskosten faktisch dazu
gezwungen würde, gegen seinen Willen seinen Unterhaltsanspruch in Höhe des Mietzinses geltend zu
machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.