Urteil des SozG Koblenz vom 14.11.2006

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Sozialrecht
SG
Koblenz
14.11.2006
S 2 AS 271/05
Der Existenzgründungszuschuss ist nach § 421 SGB III als zweckbestimmtes Einkommen anzusehen.
Tenor:
1. Der Änderungsbescheid vom 20.04.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2005 in
Gestalt des Änderungsbescheides vom 27.09.2005 wird abgeändert und die Beklagte verpflichtet, der
Klägerin und den mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen Leistungen nach dem SGB II
ohne Anrechnung des Existenzgründungszuschusses ihres damaligen Ehemannes zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die ihr entstanden außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Leistungen der Grundsicherung, die der Klägerin und den mit
ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.08.2005
zustanden.
Die 1976 geborene Klägerin war zum damaligen Zeitpunkt verheiratet. Ihr Ehemann bezog ab 01.01.2005
einen Existenzgründungszuschuss gemäß § 421 SGB III von der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von
600,00 € monatlich. Das Ehepaar hat fünf minderjährige Kinder.
Mit Bescheid vom 05.01.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin und den mit ihr in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen, nämlich ihrem Ehemann und ihren Kindern Leistungen nach
dem SGB II in Höhe von 837,00 € monatlich. Hierin enthalten waren die Regelleistungen für das Ehepaar
in Höhe von je 311,00 € monatlich sowie das Sozialgeld für die Kinder in Höhe von je 207,00 € monatlich.
Als Einkommen wurde das Kindergeld von der Beklagten in Ansatz gebracht.
Mit Änderungsbescheid vom 20.04.2005 setzte die Beklagte die Leistungen der Grundsicherung für die
Monate März bis August 2005 auf 237,00 € monatlich fest. Als weiteres Einkommen brachte sie den dem
damaligen Ehemann der Klägerin gewährten Existenzgründungszuschuss in Abzug. Mit
Teilaufhebungsbescheid vom 30.06.2005 hob sie ihre Bewilligungsbescheide vom 05.01.2005 und
08.02.2005 teilweise wieder auf und rechnete den Existenzgründungszuschuss bereinigt um den
Mindestbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung und die Versicherungspauschale an. Gegen den
Änderungsbescheid vom 20.04,2005 legte die Klägerin Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid
vom 19.09.2005 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
Mit der am 17.10.2005 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor, dass
es sich beim Existenzgründungszuschuss um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne von § 11 Abs. 3
S. 1 Nr. 1a SGB II handele und beruft sich auf einen Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-
Bremen vom 23.06.2005, Az: L 8 AS 97/05 ER.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2005 in
Gestalt des Änderungsbescheides vom 27.09.2005 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr für
den Zeitraum vom 01.03. bis 31.08.2005 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung des an ihren
damaligen Ehemann gezahlten Existenzgründungszuschusses zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Existenzgründungszuschuss falle nicht unter den Katalog der
anrechnungsfreien Einkommen. Er werde nicht für einen bestimmten Zweck gewährt und diene damit der
Sicherstellung des Lebensunterhalts. Allenfalls könne ein Betrag in Höhe von 108,00 € vom
Existenzgründungszuschuss abgesetzt werden. Dieser Betrag setze sich zusammen aus dem
Mindestbetrag, der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet werden müsse und sich auf monatlich
78,00 € belaufe sowie dem Versicherungspauschbetrag in Höhe von 30,00 € gemäß § 3 Abs. 1
Arbeitslosengeld-II-Verordnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die
vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 20.04.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19.09.2005 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 27.09.2005 sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten. Sie hat einen Anspruch auf Gewährung von höheren Leistungen nach dem
SGB II für die Zeit vom 01.03. bis 31.08.2005.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Abs. 2 Satz 1 28 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die
das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und
hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben so wie
die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden nicht erwerbsfähigen Angehörigen. Diese
Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerin und der mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen unstreitig vor, weswegen die Beklagte ihr mit den angefochtenen Bescheidungen
auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gewährt hat. Streitig ist zwischen
den Beteiligten allein, ob die Beklagte die Höhe der Leistungsansprüche zutreffend festgesetzt hat. Dies
ist nicht der Fall. Die Beklagte hat als Bedarf der Klägerin und ihres Ehemannes zu Recht eine
Regelleistung von je 311,00 € (§ 20 Abs. 2 SGB II) sowie Sozialgeld in Höhe von jeweils 207,00 € für die
fünf Kinder der Klägerin angesetzt. Diesem Bedarf steht jedoch nur Einkommen aus Kindergeld
gegenüber. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem
Existenzgründungszuschuss, der an den damaligen Ehemann der Klägerin von der Bundesagentur für
Arbeit geleistet wurde, nicht um berücksichtigungsfähiges Einkommen in Geld im Sinne des § 11 Abs. 1
Satz 1 SGB II. Zwar fällt der Existenzgründungszuschuss unter keine der in § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II
wörtlich aufgeführten Ausnahmen. Es handelt sich jedoch beim Existenzgründungszuschuss nach § 421
Abs. 1 SGB III um eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II. Er dient einem
anderen Zweck als Leistungen nach dem SGB II und darf deshalb bei der Bedarfsberechnung zu Lasten
der Klägerin nicht berücksichtigt werden. Die Leistungen nach § 421 SGB III ist nicht darauf ausgerichtet,
den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern (LSG Niedersachsen - Bremen, Beschluss vom
23.06.2005, Az: L 8 AS 97/05 ER; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.08.2006,
Az: L 8 AS 947/06 ER), sondern dient dem Aufbau einer selbständigen Existenz im Sinne einer
hauptberuflichen Tätigkeit (so auch: Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.01.2006, Az: L 3
B 233/05 AS - ER) und der Bekämpfung der Schwarzarbeit (Spellbrink/Eicher, Kassler Handbuch des
Arbeitsförderungsrechts, 2003 §9 Förderung der Aufnahme einer Tätigkeit, Rdnr. 122). Ebenso wie das
Überbrückungsgeld gemäß §57 SGB III ermöglicht § 421 SGB III die Förderung der Aufnahme einer
selbständigen Tätigkeit. Im Gegensatz zu § dem in § 57 Abs.1 SGB III darüber hinaus unmittelbar
geregelten Zweck der der "Sicherung des Lebensunterhalts" und der "sozialen Absicherung in der Zeit
nach der Existenzgründung" ist der Existenzgründungszuschuss als solcher allerdings nicht dahin
ausgerichtet, den Lebensunterhalt des Existenzgründers zu sichern. Abgesehen von dem insoweit
unterschiedlichen Wortlaut beider Vorschriften deutet schon die unterschiedliche Leistungshöhe
Existenzgründungszuschuss höchstens 600,-€ mtl; Überbrückungsgeld angelehnt an den tatsächlichen
Alg-Bezug) darauf hin, dass die Regelungen keine Zweckidentität aufweisen. Dass auch der Gesetzgeber
letztlich nicht von der Eignung des Existenzgründungszuschusses zur Sicherung des Lebensunterhalts
ausgeht, ergibt sich daraus, dass der von der BA erbrachte Zuschuss auch als Kompensation für
Sozialversicherungsbeiträge gedacht ist, die von den Inhabern einer "Ich-AG" geleistet werden.
(Eicher/Spellbrink, a.a.O. Rdnr. 123). Für den Aufbau einer solchen sind in der Regel erheblich größere
finanzielle Mittel erforderlich als das bloße Existenzminimum. Der Existenzgründungszuschuss dient
daher der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung. Der Existenzgründer kann damit die
anfallenden Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Die Rentenversicherungspflicht für Bezieher von
Existenzgründungszuschüssen ergibt sich aus § 2 Satz 1 Nr. 10 SGB VI. Ferner sollen die Bezieher
weiterhin in die Lage versetzt werden, ggf. für ihre private Krankenversicherung zu sorgen und eine
zusätzliche private Altersvorsorge aufzubauen. Außerdem sollen die Belastungen durch den Betrieb
(Anschaffungen und Erhalt der Betriebsmittel) durch den Existenzgründungszuschuss aufgefangen
werden. Er dient daher nicht der Sicherung des Lebensunterhaltes, wie das von den Antragstellern
bezogene Arbeitslosengeld II, sondern anderen Zwecken, nämlich der sozialen Sicherung des
Existenzgründers und dem Erhalt des neu begründeten Betriebes.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das Sozialgesetzbuch II ebenfalls Leistungen zur Existenzgründung
vorhält und zwar in § 29 SGB II. Danach kann bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit ein
Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich
ist. Das Einstiegsgeld wird gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB II als Zuschuss zum Arbeitslosengeld II
erbracht. Aus § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt sich, dass Leistungen nach dem SGB II (also auch das
Einstiegsgeld gemäß § 29 SGB II) nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Erhielte ein Antragsteller
also Einstiegsgeld nach § 29 SGB II würde es bei der Leistungsberechnung nicht als
berücksichtigungsfähiges Einkommen in Abzug gebracht werden. Sähe man hingegen die entsprechende
Leistung nach § 421 SGB III als berücksichtigungsfähiges Einkommen an, obwohl es denselben Zweck
verfolgt, käme man zu einer unterschiedlichen Wertung, die gemessen am Zweck der Leistung nicht
gerechtfertigt wäre.
Aus alledem folgt, dass der Klage stattzugeben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.