Urteil des SozG Koblenz vom 30.05.2007

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Sozialrecht
SG
Koblenz
30.05.2007
S 2 AS 595/06
Hausbesuch als Inaugenscheinnahme im Rahmen der Amtsermittlung
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, einen Aktenvermerk vom 20.02.2006 über
zwei am 02.02. und 09.02.2006 durchgeführte Hausbesuche zu sperren.
Der Kläger bezieht seit 14.01.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er gab in seinen
Leistungsanträgen jeweils an, dass er im Hause seiner Eltern eine eigene Wohnung angemietet habe.
Diese sei 35 Quadratmeter groß und umfasse ein Zimmer, eine Küche und ein Bad. Die Höhe der
anfallenden Miete ohne Garage, Stellplatz und Nebenkosten gab der Kläger mit 250,00 € an, die
Nebenkosten mit 50,00 €.
Mit Bescheid vom 23.05.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum vom 14.01. bis 30.04.2005. Als Kosten der
Unterkunft berücksichtigte sie 1/5 der beim Vater des Klägers, der mit seiner Frau ebenfalls Leistungen
der Grundsicherung bezieht, tatsächlich anfallenden Unterkunftskosten (Anteil Schuldzinsen in Höhe von
50,75 €, Nebenkostenanteil in Höhe von 30,08 € und Heizkostenanteil in Höhe von 25,94 € jeweils
monatlich). Zur Begründung führte sie aus, dass sie davon ausgehe, dass zwischen dem Kläger und
seinen Eltern eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliege.
Mit Bewilligungsbescheid vom 29.09.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger nachfolgend Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.08.2005 bis 31.01.2006, wobei sie die Kosten der
Unterkunft auf derselben Basis wie im ersten Bewilligungsbescheid ermittelte. Gegen beide Bescheide
erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass die Kosten der Unterkunft mit insgesamt 106,72
€ monatlich zu niedrig festgesetzt seien und verlangte die Berücksichtigung der im Mietvertrag
vereinbarten Unterkunftskosten in voller Höhe.
Am 02. und 09.02.2006 erschienen Mitarbeiter der Beklagten jeweils zu einem unangemeldeten
Hausbesuch im Hause …. in L. Beim ersten Versuch konnte lediglich die Mutter des Klägers angetroffen
werden, die über die Türsprechanlage mitteilte, dass sie nicht öffnen könne, weil sie kein Deutsch
verstehe und ihr Ehemann mit starker Grippe im Bett liege. 30 Minuten später wurde nach einem erneuten
Klingeln die Tür geöffnet und der Vater des Klägers war zu einem Gespräch bereit. Er bat die Mitarbeiter
der Beklagten in seine Wohnung und teilte mit, dass der Kläger und eine seiner Schwestern in der Stadt
auf Arbeitsuche seien. Jeder von ihnen habe eine eigene Wohnung, allerdings verfüge er nicht über die
Wohnungsschlüssel. Am 09.02.2006 sprachen Mitarbeiter der Beklagten erneut im Anwesen ….. in L. vor.
Sie trafen den älteren Bruder des Klägers an, der ihnen öffnete und ihnen die Unterkünfte seiner
Geschwister zeigte. Die Wohnung des Klägers, die der Bruder des Klägers mangels Schlüssel nicht öffnen
konnte, war durch ein Fenster einsehbar. Die Mitarbeiter der Beklagten stellten fest, dass es sich um eine
Waschküche bzw. um einen Abstellraum handelte. Der Bruder des Klägers erläuterte, dass die Wohnung
noch nicht ganz fertig gestellt sei.
Unter dem 13.03.2006 verlangte der Kläger von der Beklagten die Löschung des über die Hausbesuche
gefertigten Aktenvermerks vom 20.02.2006 gemäß § 84 Abs. 2 SGB X. Er legte dar, der Vermerk sei für die
Entscheidungen der Beklagten nicht verwertbar und die Kenntnis vom Inhalt des Vermerks benötige sie
für eine rechtmäßige Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgaben nicht. Wesentliche Inhalte
des Vermerks seien unzutreffend und unsachlich verfasst. Es handele sich um rechtswidrig durchgeführte
Ermittlungen. Die bei den Hausbesuchen gewonnenen Erkenntnisse unterlägen einem gesetzlichen
Verwertungsverbot. Das Erheben von Sozialdaten sei nur zulässig, wenn ihre Kenntnis zur Erfüllung einer
Aufgabe der Behörde erforderlich sei. § 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X bestimme grundsätzlich, das
Sozialdaten vorrangig beim Betroffenen zu erheben seien. Der Versuch der Erhebung der Sozialdaten
habe den Kläger im Zusammenhang mit der Feststellung seiner Leistungsansprüche und der Bearbeitung
seines Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt der Beklagten betroffen. Die Bediensteten der
Beklagten hätten ohne den Kläger selbst in Kenntnis zu setzen, bei Dritten Informationen über den Kläger
und dessen Wohnverhältnisse einzuholen versucht. Auch sein Verfahrensbevollmächtigter sei entgegen
§ 13 SGB X nicht spätestens zeitgleich über die Erhebungen der Beklagten informiert worden. Vor der
Durchführung eines Hausbesuches habe der Träger der Grundsicherungsleistungen etwaige Zweifel an
Angaben eines Antragstellers in jedem Fall dem Betroffenen selbst darzulegen und auch in Abhängigkeit
von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen, ob ein Hausbesuch ein taugliches und
erforderliches Mittel zur Feststellung des Bedarfs des Antragstellers sei. All dies sei im vorliegenden Fall
nicht gegeben gewesen. Die Datenerhebungen vom 02. und 09.02.2006 seien somit rechtswidrig.
Mit Schreiben vom 20.09.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Voraussetzungen für eine
Löschung des Vermerks nach § 84 Abs. 2 SGB II
SGB X
der Kläger Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2006 als unbegründet zurückgewiesen
wurde.
Mit der am 27.10.2006 eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er wiederholt sein
Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und hat angekündigt beantragen zu wollen,
die Beklagte zu verpflichten, den Aktenvermerk vom 20.02.2006 über einen Hausbesuch vom 02. und
09.02.2006 unter Aufhebung der mit Bescheid vom 20.09.2006 bekannt gegebenen
Verwaltungsentscheidung in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2005 zu sperren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an ihrer Verwaltungsentscheidung und der dort gegebenen Begründung fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze, den Übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die in
Auszügen vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz), hat
aber in der Sache keinen Erfolg, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Sperrung des Aktenvermerks vom 20.02.2006 zu. Gemäß § 84 Abs. 3
SGB X kann die Sperrung anstelle der Löschung von Sozialdaten verlangt werden, wenn einer Löschung
gesetzliche, satzungsmäßige oder vertragliche Aufbewahrungsfristen entgegenstehen, Grund zu der
Annahme besteht, dass durch eine Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt
würden oder eine Löschung wegen der besonderen Art der Speicherung nicht oder nicht mit
angemessenem Aufwand möglich ist. Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
Gemäß § 84 Abs. 2 SGB II sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Nach § 67c
Abs. 1 SGB X ist die Speicherung von Sozialdaten zulässig, wenn es zur Erfüllung der in der Zuständigkeit
der verantwortlichen Stelle liegenden gesetzlichen Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erforderlich ist.
Sozialdaten sind nach § 67 Abs. 1 SGB X Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse
einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener), die von einem Verwaltungsträger
im Sinne des § 35 SGB I (hier vom Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende) im
Hinblick auf seine Aufgaben nach dem Sozialgesetzbuch erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.
Speichern ist nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 SGB X das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren von
Sozialdaten auf einem Datenträger zum Zwecke der weiteren Verarbeitung. Als Löschen bezeichnet § 67
Abs. 6 Nr. 5 SGB X das Unkenntlichmachen gespeicherte Sozialdaten.
Es bestehen bereits Zweifel daran, ob der Aktenvermerk der Bediensteten der Beklagten überhaupt einen
Sozialdatum in diesem Sinne darstellt. Die Mitarbeiter haben darin zusammenfassend zu zwei
Hausbesuchen im Anwesen ….in L. Stellung genommen. Dabei haben sie den Inhalt von mit dem Vater
des Klägers und seinem älteren Bruder geführten Gesprächen wiedergegeben und die ihnen bei den
jeweiligen Besuchen gezeigten Wohnverhältnisse beschrieben. Diese Stellungnahme als solche ist
deshalb keine Einzelangabe über die persönlichen und sachlichen Verhältnisse des Klägers, sondern
eine Zusammenfassung von Gesprächsinhalten sowie eine Schilderung örtlicher Gegebenheiten mit einer
eigenen Schlussfolgerung der Mitarbeiter der Beklagten. Eine Entfernung der Stellungnahme aus den
Akten könnte deshalb nur dann erfolgen, wenn diese so viele Sozialdaten des Klägers enthielte, dass sie
selbst zu einem Sozialdatum würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Stellungnahme enthält zwar den
Namen und die Anschrift des Klägers sowie Hinweise zu seinen Wohnverhältnissen. Im Übrigen befasst
sie sich jedoch allgemein mit den Wohnverhältnissen der Familie G., den Renovierungskosten u. ä.
Insofern ist die Stellungnahme nicht als Sozialdatum im Sinne des § 67 Abs. 1 SGB X zu bezeichnen,
sondern allenfalls als Dokument, das Sozialdaten enthält.
Darüber hinaus dienten die Erstellung des Aktenvermerks und damit auch die in seiner Vorbereitung
erfolgten Hausbesuche nicht der Erhebung von Sozialdaten. Diese hatte der Kläger - soweit für die
Sachbearbeitung erforderlich - bereits bei Antragstellung durch Ausfüllen der Zusatzblätter mitgeteilt.
Besuche und Aktenvermerk dienten vielmehr der Überprüfung der Richtigkeit der vom Kläger gemachten
Angaben zu seinen persönlichen, auch zu seinen Wohnverhältnissen. Das Dokument stellt auch deshalb
kein Sozialdatum dar
Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass die in diesem Dokument enthaltenen Sozialdaten
gelöscht, d. h. dass die Stellungnahme anonymisiert ist. Zwar erfüllen die Einzelangaben zu seiner Person
und zu seinen Wohnverhältnissen die Voraussetzungen des Begriffs "Sozialdaten". Jedoch hat er keinen
Anspruch auf deren Löschung. Ein solcher ergibt sich nach § 84 SGB X nur, wenn die Speicherung
unzulässig ist. Zwar erfüllt die Niederlegung von Sozialdaten in einem schriftlichen Dokument den
Tatbestand der Speicherung von Sozialdaten nach § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 SGB X. Jedoch ist deren
Speicherung nicht unzulässig. In dem Dokument sind Name, Adresse und einige Einzelangaben zu den
Wohnverhältnissen des Klägers enthalten. Diese Angaben betreffen die Person des Klägers und sind
bereits an anderen Stellen der Verwaltungsakte enthalten.
Die Speicherung der Daten ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Kläger ihr widersprochen hat.
Allein das führt nämlich nicht zur Unzulässigkeit ihrer Speicherung. Die Daten sind auch nicht deshalb zu
löschen, weil sie nicht mehr zur rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben der Beklagten erforderlich sind. Da
der Kläger in der Sache höhere Kosten der Unterkunft begehrt, sind weitere Ermittlungen, auch die im
Verlaufe des Verwaltungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse über seine tatsächlichen
Wohnverhältnisse, zur Sachverhaltsklärung erforderlich.
Soweit der Kläger nach seinem Vorbringen zumindest hilfsweise die Feststellung erstrebt, dass der
Aktenvermerk vom 20.02.2006 nicht verwertbar ist und nicht als Grundlage für künftige Bescheide der
Beklagten dienen kann, hat auch dieses Begehren keinen Erfolg. Gemäß § 20 SGB X hat die Behörde den
Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Sie bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen. Nach § 21
SGB X bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des
Sachverhaltes für erforderlich hält. Sie kann insbesondere gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 den
Augenschein einnehmen. Zwar sehen weder das SGB II noch das Sozialgesetzbuch X, das nach § 40
Abs. 1 Satz 1 SGB II anwendbar ist, Hausbesuche des Leistungsträgers direkt vor. Jedoch ist nach der
ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, der sich die Kammer anschließt, ein Hausbesuch
zulässig, wenn er erforderlich ist und keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre darstellt.
Der Hausbesuch der Außendienstmitarbeiter der Beklagten war im vorliegenden Fall erforderlich.In
Anbetracht der Tatsache, dass neben dem Kläger noch andere Mitglieder der Familie G., z. B. seine Eltern
I. G. und S. G. sowie seine Schwestern A. G. sowie G. G. in dem Anwesen ……… auch während des hier
streitigen Zeitraumes lebten, durfte die Beklagte berechtigte Zweifel an den Angaben des Klägers haben,
er bewohne im Hause seiner Eltern, das nach deren Angaben eine Gesamtwohnfläche von 119
Quadratmetern umfasst und über eine Küche verfügt, eine Wohnung in einer Größe von 35 Quadratmetern
mit Küche und Bad. Aus diesem Grund stellte die Inaugenscheinnahme ein taugliches Mittel zur
Feststellung des geltend gemachten Bedarfes dar. Es handelte sich hierbei nicht um einen präventiven
verdachtsunabhängigen Hausbesuch.
Dass die Beklagte von vorneherein Zweifel an den Angaben des Klägers hatte, ergibt sich aus den von ihr
erteilten Bewilligungsbescheiden, in denen sie jeweils ausdrücklich dargelegt hat, dass als Kosten der
Unterkunft anteilig 1/5 der vom Vater des Klägers tatsächlich zu entrichtenden Unterkunftskosten
berücksichtigt würden. Trotz des vorgelegten Mietvertrages, mit dem sich der Kläger seinen Eltern
gegenüber zu einer monatlichen Zahlung in Höhe von 300,00 € verpflichtet habe, gehe sie weiterhin
davon aus, dass eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliege und berücksichtige die Kosten der
Unterkunft daher nur zu 1/5. Dies reicht zur Darlegung der Zweifel an den Angaben des Klägers aus.
Entgegen der Auffassung des Klägers war die Beklagte auch nicht gem. § 13 SGB X verpflichtet, seinen
Verfahrensbevollmächtigten vorab von der beabsichtigten Inaugenscheinnahme in Kenntnis zu setzen.
Die Vorschrift regelt zwar, dass die Behörde sich grundsätzlich mündlich oder schriftlich an den
Bevollmächtigten und nicht an den Betreffenden selbst wenden muss. Dies gilt jedoch nicht für den Fall,
dass der Betreffende zur Mitwirkung verpflichtet ist. Seinen Bevollmächtigten hat sie in diesem Fall danach
zu verständigen (Krasney in Kassler Kommentar, § 13 SGB X Rdnr. 9 mwN) Die Inaugenscheinnahme
seiner Wohnung durch die Beklagte zu ermöglichen, unterfällt der Mitwirkungspflicht des Klägers im
Rahmen des § 20 SGBX iVm §§60 ff SGB I. Der Bevollmächtigte des Klägers musste davon nicht vorab
unterrichtet werden, denn § 13 Absatz 3 SGBX dient nicht einem eigenen Recht des Bevollmächtigten auf
Verständigung (Krasney aaO).
Aus alledem folgt, dass die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.