Urteil des SozG Koblenz vom 22.02.2006

SozG Koblenz: verordnung, haushalt, familie, eingliederung, unterhalt, steuerrecht, existenzminimum, nettoeinkommen, zivilrecht, volljährigkeit

Sozialrecht
SG
Koblenz
22.02.2006
S 2 AS 84/05
Zur Anrechnung von Kindergeld für volljährige Kinder
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten höhere Leistungen nach dem Zweiten
Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) beanspruchen kann.
Der 1954 geborene Kläger ist verheiratet und hat 2 volljährige Töchter. Bis 13.10.2003 bezog er von der
Bundesagentur für Arbeit Arbeitslosengeld (Alg) und bis 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi). Er ist
Eigentümer eines Hauses in M, F-E-Straße 20, das eine Wohnfläche von 128 m² und 5 Zimmer sowie
Küche und Bad aufweist. Auf seinen Antrag vom 21.12.2004 hin bewilligte die Beklagte dem Kläger mit
Bescheid vom 14.01.2005 für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.03.2005 Leistungen nach dem SGB II in
Höhe von 602,92 € monatlich. Als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft führte die Beklagte den Kläger und
seine Ehefrau auf. Sie brachte für beide die Regelleistung in Höhe von 311,00 € in Ansatz sowie ein
Viertel der tatsächlichen Kosten der Unterkunft (jeweils 64,45 € monatlich). Außerdem bewilligte sie dem
Kläger den Zuschlag gemäß § 24 SGB II in Höhe von 160,00 € monatlich. Als Einkommen des Klägers
und seiner Ehefrau berücksichtigte die Beklagte die Kindergeldzahlungen für die in Ausbildung
befindlichen Töchter des Klägers.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, die Beklagte habe die Kosten
der Unterkunft zu niedrig angesetzt. Außerdem sei es nicht gerechtfertigt, das Kindergeld (KG) für die
Tochter N als Einkommen des Klägers anzurechnen, da diese Leistung an die Tochter weitergeleitet
werde.
Mit Änderungsbescheid vom 26.04.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger und seiner mit ihm in
Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau für den Zeitraum vom 01.01. bis 31.03.2005 Leistungen nach dem
SGB II in Höhe von 652,93 €. Zur Begründung führte sie aus, sie habe das Einkommen des Klägers und
seiner Ehefrau um 50,01 € monatlich bereinigt, in dem sie die Kosten für die Kraftfahrzeughaftpflicht und
eine Versicherungspauschale berücksichtigt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.2005 wies sie den Widerspruch des Klägers im Übrigen als
unbegründet zurück.
Mit der am 27.05.2005 eingegangenen Klage macht der Kläger geltend, das Kindergeld dürfe nicht als
sein Einkommen berücksichtigt werden, da es Einkommen der Kinder sei, für die es gezahlt werde. Im
Übrigen hält er die Regelungen des SGB II zumindest teilweise für verfassungswidrig, weil die Höhe des
neuen Alg II gegen die Grundsätze der Menschenwürde und Sozialstaatlichkeit verstoße.
Mit Änderungsbescheid vom 26.07.2005 setzte die Beklagte die Leistungen für den Kläger und seine mit
ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau für die Monate Januar und Februar 2005 auf 781,87 € und
für den Monat März 2005 auf 807,96 € fest. Sie begründete dies damit, dass die Kosten der Unterkunft nur
noch auf den Kläger und seine Ehefrau aufzuteilen seien, da seine Töchter sich nur noch gelegentlich zu
Hause aufhielten und ansonsten über eigene Wohnungen verfügten.
Mit weiterem Änderungsbescheid vom 26.04.2005 berücksichtigte die Beklagte die Erhöhung der
Nebenkosten ab März 2005 und setzte die zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft entsprechend
hoch.
Der Kläger hält an seiner Auffassung, dass das Kindergeld nicht als sein Einkommen, sondern als das
Einkommen der Kinder, für die es gezahlt werde, anzusehen sei fest und beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14.01.2005 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.04.2005 und
26.07.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.05.2005 abzuändern und die Beklagte zu
verpflichten, ihm höhere Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass eine Abzweigung des Kindergeldes nach § 74 Einkommenssteuergesetz (EStG)
nicht erfolgt sei. Erst durch die ab 01.10.2005 in Kraft getretene Erständerung der Alg II-Verordnung werde
an 01.10.2005 die Möglichkeit eröffnet, von der Anrechnung des Kindergeldes abzusehen, wenn dieses
an das volljährige Kind weitergeleitet werde und das volljährige Kind nicht im Haushalt des
Hilfebedürftigen lebe. § 6 der Alg II-Verordnung stelle allerdings ausdrücklich fest, dass diese Regelung
nicht für die Zeit vor dem 01.10.2005 gelte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten
gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt sowie die Leistungsakten der Beklagten, die ihrem
wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beartung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und auch sonst
zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 14.01.2005 in
Gestalt der Änderungsbescheide vom 26.04.2005 und 26.07.2005 sowie in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.05.2005 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen
Rechten.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II
unter anderem die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers
.
wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln,
vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB II sind bei Personen, die in
einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu
berücksichtigen. Der Kläger und seine Ehefrau bilden gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II eine
Bedarfsgemeinschaft. Sie sind hilfebedürftig, weil sie ihren Lebensunterhalt, ihre Eingliederung in Arbeit
und den Lebensunterhalt der jeweils mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht
ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen,
sichern können. Bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Klägers ist für den streitigen
Bewilligungszeitraum auch das Kindergeld in Höhe von 308,00 € für die volljährigen mit dem Kläger und
seiner Ehefrau nicht mehr in Haushaltsgemeinschaft lebenden Töchter heranzuziehen. Das Kindergeld
als solches ist nämlich nicht Einkommen der Töchter des Klägers. Vielmehr steht der Anspruch dem
Kläger zu, da er gegenüber der Kindergeld-Kasse als Kindergeld-berechtigter gilt.
Zwar dient das Kindergeld im vorliegenden Fall nach dem Vorbringen des Klägers dazu, die in der Person
des Kindes entstehenden Kosten der allgemeinen Lebensführung zumindest teilweise zu decken, also zur
Entlastung von den Kosten des Lebensunterhaltes beizutragen. Steuerrechtlich steht jedoch nach § 62
EStG der Anspruch auf Kindergeld für Kinder im Sinne des § 63 EStG anders als nach § 1 Abs. 2
Bundeskindergeldgesetz (BKGG) für den dort bezeichneten Sonderfall nicht dem Kind für sich selbst zu,
sondern einem mit dem Kind, für das Kindergeld gewährt wird, nicht identischen Anspruchsberechtigten.
Auch aus dem Zweck des Kindergeldes folgt keine von der Auszahlung unabhängige Zuordnung als
Einkommen des Kindes. Nach der steuerrechtlichen Regelung des KG in §§ 31, 62 ff EStG fällt wegen
eines Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger Steuer an oder ist das Kindergeld eine Leistung zur
Förderung der Familie und schießt in dieser Höhe Einkommen zu. Daraus kann aber nicht geschlossen
werden, die Zweckbindung des Kindergeldes bestehe nach § 31 EStG darin, das Existenzminimum des
Kindes abzudecken. Vielmehr ist ein Zweck des Kindergeldes die steuerliche Freistellung eines
Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes zu bewirken (§ 31 EStG). Mit diesem
Zweck wird Kindergeld nicht dem Kind selbst als Einkommen zur Sicherung seines Existenzminimums
gewährt, sondern es bleibt der Teil des elterlichen Einkommens steuerfrei, den diese zur
Existenzsicherung ihres Kindes benötigen. Eine Steuerfreistellung kann zu einem höheren
Nettoeinkommen des Anspruchsberechtigten nicht dagegen zu Einkommen des Kindes selbst führen, für
das Kindergeld gewährt wird. Zum anderen dient das Kindergeld, soweit es für den Zweck der
steuerlichen Freistellung nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie und nicht allein oder vorrangig
der Förderung des Kindes, für das Kindergeld gewährt wird. Auch das Zivilrecht ordnet Kindergeld nicht
abweichend vom Steuerrecht dem Kind als Einkommen zu. § 1612b BGB regelt allein die Anrechnung von
Kindergeld in Bezug auf den Unterhalt für das Kind.
Diese dargestellte Rechtslage ist auch für Anrechnung des Kindergeldes nach dem SGB II im Rahmen
des § 11 Abs. 1 SGB II für den streitigen Bewilligungszeitraum maßgebend. Durch die genannte Regelung
hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass das Kindergeld als Einkommen im Sinne des § 11 Abs.
1 SGB II grundsätzlich zu berücksichtigen ist und nur durch § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II eine Bestimmung
dahin getroffen, dass das Einkommen nicht dem Kindergeldberechtigten, sondern dem minderjährigen
Kind zuzurechnen ist. Nach Erreichen der Volljährigkeit ist daher das dem Kindergeldberechtigten
ausgezahlte Kindergeld als sein Einkommen in die Bedarfsberechnung einzustellen (Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen Bremen, Beschluss vom 13.06.2005, Az: L 8 AS 118/05 mwN).
Kindergeldberechtigt im vorliegenden Fall ist der Kläger und zwar im Bezug auf beide volljährigen
Töchter. Er ist auch nach § 62 Abs. 1 EStG anspruchsberechtigt für das Kindergeld. Falls die volljährigen
Töchter das Kindergeld zur Bestreitung ihrer Ausbildungskosten benötigen, besteht für sie die Möglichkeit,
nach § 74 EStG vorzugehen. Da Eltern ihren Kindern auch die Kosten einer angemessenen Ausbildung
schulden, ist der Kläger seinen volljährigen Töchtern gegenüber grundsätzlich unterhaltsverpflichtet. Da
er mangels ausreichender Leistungsfähigkeit nicht zahlungspflichtig sein dürfte, wären die
Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 Satz 3 EStG für die Zeit vom 01.01. bis 31.10.2005 zu bejahen
gewesen.
Mithin ist die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung des für die Töchter des Klägers gezahlten
KG auf den Bedarf des Klägers und seiner Ehefrau nicht zu beanstanden.
Etwas anderes gilt erst seit dem 01.10.2005. Durch die ab diesem Zeitpunkt in Kraft getretene erste
Änderung der Alg II-Verordnung ist durch § 1 Abs. 1 Nr. 8 Alg II-Verordnung ab 01.10.2005 die Möglichkeit
eröffnet, von der Anrechnung abzusehen, wenn das Kindergeld nachweislich an das volljährige Kind
weitergeleitet wurde und das Kind nicht im Haushalt des Hilfebedürftigen lebt. Gemäß § 6 der Alg II-
Verordnung greift diese Regelung jedoch erst ab dem 01.10.2005, also nicht für den hier streitigen
Zeitraum.
Aus alledem folgt, dass die Klage abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.