Urteil des SozG Koblenz vom 10.01.2007

SozG Koblenz: arbeitslosenversicherung, soziale sicherheit, verfassungskonforme auslegung, arbeitsmarkt, gesetzliche frist, arbeitslosigkeit, altes recht, sozialversicherungsrechtlicher status

Sozialrecht
SG
Koblenz
10.01.2007
S 9 AL 302/06
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Bundesverfassungsgericht wird gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes folgende Frage zur
Entscheidung vorgelegt:
Verstößt § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III, eingefügt durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706, 1717), in Kraft getreten mit Wirkung vom
1.6.2006 (Art. 16 Abs. 3 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BGBl I
1706, 1720), gegen Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz
des Vertrauensschutzes?
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag gem. § 28a des
Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB III) begründet hat.
Der am ………...1946 geborene Kläger war vom 1.5.1999 bis zum 30.9.1999 bei der …….. und danach
vom 1.10.1999 bis zum 31.12.2001 bei der …….. versicherungspflichtig - auch in der
Arbeitslosenversicherung - beschäftigt. Am 20.11.2002 meldete er sich arbeitslos und beantragte die
Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). Mit Bescheid vom 22.4.2002 wurde ihm Alg ab 1.1.2002 bewilligt
und bis einschließlich 28.2.2002 gezahlt.
Seit dem 1.3.2002 ist der Kläger als Selbstständiger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 15
Stunden tätig; er betreibt ein Betreuungsbüro.
Am 30.6.2006 stellte der Kläger einen schriftlichen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung in der
Arbeitslosenversicherung. Das von ihm an diesem Tage unterzeichnete Antragsformular ging am gleichen
Tage bei der Agentur für Arbeit ein. Der Kläger legte ergänzend eine Kopie seines Personalausweises,
eine Rentenauskunft vom 31.1.2006, einen Gewerbesteuerbescheid vom 13.3.2006 und eine von ihm
selbst unterzeichnete Bestätigung, dass er seit dem 1.3.2002 als Selbstständiger tätig sei, vor.
Mit Bescheid vom 15.8.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seinem Antrag auf freiwillige
Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung könne nicht entsprochen werden. Zur Begründung
führte sie aus, nach § 434j Abs. 2 Satz 2 Drittes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
(richtig: SGB III) könnten Personen, die ihre selbstständige Tätigkeit vor dem 1.1.2004 aufgenommen
hätten, die freiwillige Weiterversicherung bis zum 31.5.2006 beantragen. Da der Antrag des Klägers
jedoch erst am 30.6.2006 bei der Agentur für Arbeit Koblenz gestellt worden sei, sei die Antragstellung
verspätet erfolgt. Die Entscheidung beruhe auf § 28a SGB III i. V. m. § 434j Abs. 2 Drittes Gesetz für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (richtig: SGB III).
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 21.8.2006, bei der Agentur für Arbeit Koblenz
eingegangen am 22.8.2006, mit der Begründung Widerspruch, nach § 434j Abs. 2 Drittes Gesetz für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (richtig: SGB III) könne ein Antrag auf freiwillige
Weiterversicherung bis zum 31.12.2006 gestellt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.8.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Zur Begründung führte sie aus, der Kläger berufe sich zu Unrecht auf eine inzwischen geänderte
gesetzliche Grundlage. Mit dem SGB II Fortentwicklungsgesetz sei § 434j SGB III neu gefasst worden. Die
bis 31.12.2006 geltende Aussetzung der einmonatigen Antragsfrist nach Aufnahme der Tätigkeit oder
Beschäftigung, welche zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigte (§ 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III), gelte
danach mit Wirkung zum 1.6.2006 nur noch in den Fällen, in denen die Aufnahme einer selbstständigen
Tätigkeit nach dem 31.12.2003 erfolgt sei. § 434j Abs. 2 SGB III Drittes Gesetz für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (richtig: SGB III) bestimme, dass § 28a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe
gelte, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2
bis zum 31.12.2006 gestellt werden könne. Stelle eine Person, deren Tätigkeit oder Beschäftigung gemäß
§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB III zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigte, den Antrag
nach dem 31.5.2006, gelte Satz 1 mit der Einschränkung, dass die Tätigkeit oder Beschäftigung nach dem
31.12.2003 aufgenommen worden sein müsse. Anträge auf freiwillige Weiterversicherung, die ab dem
1.6.2006 für eine selbstständige Tätigkeit gestellt würden bzw. gestellt worden seien, welche vor dem
1.1.2004 aufgenommen worden sei, seien daher abzulehnen. Die Personen, die ihre selbstständige
Tätigkeit vor dem 1.1.2004 aufgenommen hätten, hätten daher die freiwillige Weiterversicherung nur bis
zum 31.05.2006 beantragen können. Vorliegend habe der Kläger seine selbstständige Tätigkeit am
1.3.2002 aufgenommen. Seinen Antrag auf freiwillige Weiterversicherung habe er jedoch erst am
30.6.2006 gestellt. Die Antragstellung sei daher verspätet erfolgt.
Mit der am 7.9.2006 beim Sozialgericht Koblenz eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren
weiter.
Er trägt vor, derzeit bearbeite er als Berufsbetreuer ungefähr 30 bis 40 Betreuungen parallel, seine
wöchentliche Arbeitszeit betrage derzeit etwa 50 Stunden. Auch zu Beginn seiner selbstständigen
Tätigkeit im Jahre 2002 habe er schon mehr als 15 Stunden wöchentlich gearbeitet, damals habe sich
sehr schnell eine entsprechende Zahl von Betreuungsfällen bei ihm aufgebaut. Er übe nur seine
selbstständige Tätigkeit als Berufsbetreuer aus, sei also nicht anderweitig versicherungspflichtig
beschäftigt. Nachdem am 31.1.2006 im Fernsehen über die Möglichkeit der freiwilligen
Weiterversicherung Selbstständiger in der Arbeitslosenversicherung berichtet worden sei, habe ihn ein
Freund, der die Sendung gesehen habe, darauf angesprochen und ihm per E-Mail entsprechende
Unterlagen zugeschickt. Darin sei eine Frist bis zum 31.12.2006 genannt gewesen. Er habe daraufhin die
Unterlagen zunächst zur Seite gelegt, da er gedacht habe, er habe ja bis zum 31.12.2006 Zeit. Kurz vor
seiner Antragstellung habe ihn der Freund angerufen und gefragt, ob er den Antrag schon gestellt habe;
er habe ihm geraten, dies bald zu tun, weil "etwas im Busch sei". Er habe daraufhin den Antrag umgehend
gestellt. Zu diesem Zeitpunkt habe er von der Gesetzesänderung noch nichts gewusst. Er habe sich
eingehend Gedanken gemacht, ob er den Antrag stellen solle. Zwar sei derzeit seine Auftragslage gut, es
könne aber dazu kommen, dass die Konkurrenz unter den Berufsbetreuern in Zukunft größer werde.
Seiner Kenntnis nach empfehle auch die Beklagte Arbeitslosen derzeit vielfach, diesen Beruf zu ergreifen.
Deshalb habe er sich für den Fall, dass hierdurch seine Auftragslage schlechter werde, gegen das Risiko
der Arbeitslosigkeit absichern wollen.
Der Kläger trägt weiter vor, die Rechtsgrundlage des (Widerspruchs-)Bescheides vom 24.8.2006 sei
rechtswidrig, weil dieser auf der am 1.6.2006 vom Bundestag beschlossenen verfassungswidrigen
Neufassung des § 434j des Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (richtig: SGB III)
beruhe. Durch die beschlossene Rückwirkung der vor den Betroffenen und der Öffentlichkeit bis zur
Beschlussfassung verheimlichten Gesetzesänderung sei der für ihn als Bürger durch das Grundgesetz
gewährte Vertrauensschutz unzumutbar beeinträchtigt. Zusätzlich sei gegen den Gleichheitsgrundsatz
verstoßen worden, da Selbstständige, die vor dem 1.1.2004 ihre Selbstständigkeit begründet hätten,
plötzlich rückwirkend gegenüber den späteren Gründern willkürlich benachteiligt worden seien. Er
verweise dazu auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 15.3.2005 (richtig:
2000), 1 BvL 16/96).
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15.8.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.8.2006
aufzuheben und festzustellen, dass durch seinen Antrag vom 30.6.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis
gemäß § 28a des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs begründet worden ist,
hilfsweise,
dem Bundesverfassungsgericht gem. Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes die Frage zur Entscheidung
vorzulegen, ob § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III, angefügt durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung
der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706, 1717), in Kraft getreten mit Wirkung
vom 1.6.2006 (Art. 16 Abs. 3 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
BGBl I 1706, 1720), gegen Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen
Grundsatz des Vertrauensschutzes und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes) verstößt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger sei der Ansicht, die von der Beklagten zu Grunde gelegte Rechtsnorm des § 434j
Abs. 2 SGB III in der durch das SGB II Fortentwicklungsgesetz geänderten Fassung sei verfassungswidrig.
Der Beklagten stehe es nicht an, aus einem derartigen Grund ein rechtsgültiges Gesetz nicht
anzuwenden. Aufgrund dessen erachte die Beklagte die angefochtene Entscheidung als rechtmäßig.
II.
Das Verfahren ist gemäß Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen. Die Kammer sieht sich an
einer Entscheidung des Rechtsstreits gehindert.
Die Kammer – die diese Entscheidung in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen
Richtern als Beisitzern zu treffen hatte (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG; vgl. Beschluss der
3. Kammer des 1. Senats des BVerfG vom 15.4.2005, 1 BvL 6/03, 1 BvL 8/04, m.w.N.) - ist davon
überzeugt, dass die Regelung des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III, angefügt durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes
zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1007, 1017,
ausgegeben zu Bonn am 25.7.2006), in Kraft getreten mit Wirkung vom 1.6.2006, verfassungswidrig ist,
nämlich Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes
verletzt.
Im Folgenden wird zunächst die Ausgangslage geschildert, die der Fall des Klägers anspricht (A.); hieran
schließt sich die rechtliche Würdigung (B.) an.
A. Ausgangslage
Durch § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III, eingefügt durch Art. 1 Nr. 20 des Dritten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz III") vom 23.12.2003 (BGBl I 2848, 2853 f.), wurde unter anderem
Selbstständigen unter gewissen Voraussetzungen zum 1. Februar 2006 (vgl. Art. 124 Abs. 4 des Dritten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) erstmals die Möglichkeit gegeben, sich freiwillig
in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern. Die Regelung bestimmt, dass ein
Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag Personen begründen können, die eine selbstständige Tätigkeit
mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Voraussetzung ist
gemäß § 28a Abs. 1 Satz 2 SGB III, dass der Antragsteller innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme
der Tätigkeit mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des
Ersten Abschnitts (des SGB III) gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat
(Nr. 1), der Antragsteller unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit, die zur freiwilligen Weiterversicherung
berechtigt, in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts
gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat (Nr. 2), und dass
Versicherungspflicht (§§ 26, 27 SGB III) anderweitig nicht besteht (Nr. 3). Das
Versicherungspflichtverhältnis beginnt gemäß § 28a Abs. 2 Satz 1 SGB III mit dem Tag des Eingangs des
Antrags bei der Agentur für Arbeit, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem erstmals die nach Abs. 1 Satz 1
SGB III geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Antrag muss gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III -
SGB III geforderten Voraussetzungen erfüllt sind. Der Antrag muss gemäß § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III -
grundsätzlich - innerhalb von einem Monat nach der Aufnahme der Tätigkeit, die zur freiwilligen
Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden. Von der letztgenannten Regelung macht § 434j Abs. 2
Satz 1 SGB III indessen eine Ausnahme, regelt nämlich, dass § 28a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe gilt,
dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des § 28a Abs. 2 Satz
2 SGB III bis zum 31. Dezember 2006 gestellt werden kann.
In der Gesetzesbegründung zu § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III ist hierzu folgendes ausgeführt: Alle Personen,
die zum 1. Februar 2006 die Voraussetzungen der freiwilligen Weiterversicherung "dem Grunde nach"
erfüllen - also vor Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit versicherungspflichtig beschäftigt waren -
sollen die freiwillige Weiterversicherung bis zum Ende des Jahres 2006 beantragen können (BT-Drucks
15/1515, Seite 111). Diese Übergangsregelung wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
übereinstimmend so verstanden, dass das Erfordernis der Einhaltung der Antragsfrist von einem Monat
nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit der Sache nach bis Ende 2006 aufgehoben ist (vgl. Wenner,
Soziale Sicherheit 2006, 200, 201, m.w.N.). In Übereinstimmung mit dieser Rechtsauffassung hat die
Beklagte die Auffassung vertreten, auch Personen, die schon seit Jahrzehnten selbstständig sind, könnten
sich noch auf Antrag freiwillig versichern (vgl. Wenner, a.a.O.; ders., in: Soziale Sicherheit 2006, 9, 12).
Durch Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom
20.7.2006 wurde der Regelung des § 434j Abs. 2 SGB III der Satz 2 angefügt. Dieser regelt folgendes:
Stellt eine Person, deren Tätigkeit gemäß § 28a Satz 1 Nr. 2 SGB III zur freiwilligen Weiterversicherung
berechtigt, den Antrag nach dem 31. Mai 2006, gilt Satz 1 (des § 434j Abs. 2 SGB III) mit der
Einschränkung, dass die Tätigkeit nach dem 31. Dezember 2003 aufgenommen worden sein muss. In
Kraft getreten ist diese Regelung gem. Art. 16 Abs. 3 des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende mit Wirkung vom 1.6.2006. Im Gesetzesentwurf der
Regierungsfraktionen vom 9.5.2006 (BT-Drucks 16/1410) war diese Regelung noch nicht enthalten, und
sie war auch nicht Gegenstand der Anhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales am
29.5.2006 (vgl. Wenner, a.a.O., 200, 201). Die Regelung wurde vielmehr erst auf Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 31.5.2006 in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht,
und zwar als Art. 2 Nr. 7 (BT-Drucks 16/1696). Dort ist zur Begründung der Einführung dieser Regelung
ausgeführt, hierdurch solle für die antragsberechtigten Personenkreise der selbstständig Tätigen und der
Auslandsbeschäftigten der enge Zusammenhang zur bisherigen Zugehörigkeit zur
Versichertengemeinschaft stärker betont werden; die Möglichkeit, die freiwillige Weiterversicherung bis
zum 31.12.2006 zu beantragen, solle demnach nur noch solchen Personen zugute kommen, die zum
Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
(1.1.2004) oder danach die Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung
berechtige, aufgenommen hätten. Zur Begründung des Inkrafttretens der Regelung mit Wirkung vom
1.6.2006 ist in der Gesetzesbegründung (zu Art. 16 Abs. 3) ausgeführt, das vorzeitige Inkrafttreten sei
erforderlich, um bei der Behandlung von Anträgen auf freiwillige Weiterversicherung für solche Personen
Rechtssicherheit zu schaffen, die ihren Antrag zwischen dem Tag der dritten Lesung dieses Gesetzes und
dem In-Kraft-Treten der übrigen Vorschriften (Anmerkung der Kammer: mit dem ersten Tag des auf die
Verkündung folgenden Kalendermonats, d. h. mit dem 1.8.2006, Art. 16 Abs. 1 des Gesetzes zur
Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006) stellen.
Der Sinn der Neuregelung ist - ungeachtet der technisch schwer verständlichen Formulierung - klar: Wer
vor In-Kraft-Treten von "Hartz III" am 1.1.2004 schon selbstständig (oder außerhalb des EWR) tätig war,
sollte ab sofort die freiwillige Weiterversicherung nicht mehr beantragen können (vgl. Wenner, a.a.O.). Den
schon länger Selbstständigen und den Auslandsbeschäftigten wurde damit nahezu ohne jede
Reaktionsmöglichkeit eine Versicherungsmöglichkeit genommen, die ihnen erst seit dem 1.2.2006 offen
stand und von der sie nach § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III bis zum 31.12.2006 sollten Gebrauch machen
können. Da die Absicht zur Änderung des § 434j Abs. 2 SGB III erst am 31.5.2006 nachmittags bekannt
geworden war - die maßgebliche Drucksache 16/1696 stand der Öffentlichkeit erst am 31.5.2006 im
Internet, in gedruckter Form an diesem Tage noch überhaupt nicht zur Verfügung (vgl. Wenner, a.a.O.) -,
hätte der Antrag auf freiwillige Weiterversicherung von denjenigen Personen, die vor dem 1.1.2004 ihre
selbstständige Tätigkeit aufgenommen haben, spätestens bis zum 31.5.2006 um 24:00 Uhr gestellt
werden müssen. Angesichts dessen ist die Einfügung des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III in diesem
Gesetzgebungsverfahren in der rechtswissenschaftlichen Literatur als "ungewöhnliches Eilverfahren" (vgl.
Wenner, a.a.O., 200) beziehungsweise als "erstaunlicher Federstrich" (Becker, in: Eicher/Schlegel, SGB III,
§ 434j RdNr. 21a) und die Gesetzesbegründung zum vorzeitigen In-Kraft-Treten als "entweder unfreiwillig
komisch oder bewusst verschleiernd" bezeichnet worden (vgl. Wenner, a.a.O., 200, 205; Becker, a.a.O.).
B. Rechtliche Würdigung
Die Kammer beabsichtigt, den Bescheid der Beklagten vom 15.8.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.8.2006 aufzuheben und festzustellen, dass durch den Antrag des
Klägers vom 30.6.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis gemäß § 28a SGB III begründet worden ist.
Von der Beantwortung der Vorlagefrage hängt die beabsichtigte Entscheidung der Kammer ab
(nachfolgend zu 1). § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III beseitigt in verfassungswidriger Weise für Personen, die
die Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag gem. § 28a
SGB III erfüllen und Ihre selbstständige Tätigkeit vor dem 1.1.2004 aufgenommen haben, die ihnen
zunächst durch § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III bis zum 31.12.2006 eingeräumte Möglichkeit, ein
Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag zu begründen (nachfolgend zu 2). Die Bestimmung des § 434j
Abs. 2 Satz 2 SGB III kann auch nicht verfassungskonform ausgelegt werden (nachfolgend zu 3). An einer
eigenen Entscheidung ist die Kammer somit nach Art. 100 Abs. 1 GG gehindert.
1. Entscheidungserheblichkeit
Von der Entscheidung über die Vorlagefrage hängt das Ergebnis des vorliegenden Rechtsstreits ab. Denn
wäre die Vorschrift des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III wirksam, dann hätte der Kläger durch seinen Antrag
vom 30.6.2006 kein Versicherungspflichtverhältnis nach § 28a SGB III begründet. Ist die Vorschrift
dagegen verfassungswidrig und daher nichtig, dann ist durch seinen Antrag ein
Versicherungspflichtverhältnis begründet worden.
Der Kläger begehrt im Wege einer zulässigen verbundenen Anfechtungs- und Feststellungsklage, die
gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1, 56 SGG statthaft ist, die angefochtenen Bescheide der Beklagten
aufzuheben und festzustellen, dass durch seinen Antrag vom 30.6.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis
begründet worden ist. Die auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide gerichtete Klage ist gemäß § 54
Abs. 1 SGG statthaft. Die Feststellung des Bestehens eines Versicherungspflichtverhältnisses stellt ein
Begehren im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG dar (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, §
55 RdNr 4); damit ist auch der Feststellungsantrag des Klägers statthaft. Gemäß § 56 SGG kann der
Kläger auch beide Begehren in einer Klage zusammen verfolgen; eine nach dieser Vorschrift zulässige
objektive Klagehäufung liegt etwa dann vor, wenn der Kläger - wie hier - einen Antrag auf Aufhebung
eines Verwaltungsaktes und auf Feststellung, dass Versicherungspflicht besteht, stellt (vgl. Keller, a.a.O., §
56 RdNr. 3). Der Kläger hat die Klage auch form- und fristgerecht im Sinne der §§ 87, 90 SGG erhoben,
und das vor Klageerhebung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG erforderliche Vorverfahren ist durchgeführt
worden. Die Klage ist damit zulässig.
Wäre § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III verfassungswidrig und damit nichtig, wäre die Klage auch begründet.
Denn der Kläger hätte dann durch seinen Antrag vom 30.6.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis auf
Antrag begründet. Er übt eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden
wöchentlich im Sinne des § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III aus. Er hat auch im Sinne des § 28a Abs. 1
Satz 2 Nr. 1 SGB III innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit mindestens 12 Monate in
einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts des SGB III gestanden
oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen. Er war nämlich vom 1.10.1999 bis zum
31.12.2001 versicherungspflichtig auch in der Arbeitslosenversicherung bei ……….. beschäftigt und hat
für die Zeit vom 1.1. bis 28.2.2002 Alg und damit eine Entgeltersatzleistung nach den SGB III bezogen. Er
hat ferner auch im Sinne des § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III unmittelbar vor Aufnahme seiner
selbstständigen Tätigkeit eine Entgeltersatzleistung nach den SGB III bezogen, denn er bezog bis zum
28.2.2002 Alg und hat seine selbstständige Tätigkeit am 1.3.2002 und damit im unmittelbaren Anschluss
an den Bezug der Entgeltersatzleistung aufgenommen, wobei diese Tätigkeit auch seinerzeit schon mehr
als 15 Stunden wöchentlich umfasste. Schließlich besteht im Falle des Klägers auch keine anderweitige
Versicherungspflicht nach §§ 26, 27 SGB III im Sinne des § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III. Zwar erfüllt der
Kläger die Voraussetzung des § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III nicht. Danach muss der Antrag spätestens
innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen
Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden. Dies hat der Kläger nicht getan, denn er hat den Antrag
erst am 30.6.2006 gestellt, seine selbstständige Tätigkeit indessen bereits am 1.3.2002 aufgenommen.
Dies steht in seinem Falle der Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag indessen
nicht entgegen, denn dem Kläger kommt die Übergangsvorschrift des § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III zugute.
Danach gilt § 28a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung
ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 (des § 28a SGB III) bis zum 31.12.2006 gestellt werden
kann. Dies hat der Kläger mit seinem Antrag vom 30.6.2006 und damit fristgerecht getan. Ohne
Anwendung der durch den vorliegenden Beschluss zur verfassungsrechtlichen Überprüfung durch das
BVerfG gestellten Regelung hätte der Kläger damit durch seinen Antrag vom 30.6.2006 ein
Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag im Sinne des § 28a SGB III begründet. Die dies verneinenden
angefochtenen Bescheide der Beklagten wären deshalb, wäre § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III
verfassungswidrig und damit nicht anzuwenden, aufzuheben und es wäre festzustellen, dass der Kläger
durch seinen Antrag vom 30.6.2006 ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründet hat.
Wäre § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III demgegenüber verfassungsgemäß, dann wäre die Klage abzuweisen.
Denn diese Regelung beseitigt, wie dargelegt, seit dem 1.6.2006 für Personen, die vor dem 1.1.2004
schon selbstständig tätig waren, die Möglichkeit, ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a
SGB III zu begründen. Da der Kläger seinen diesbezüglichen Antrag erst am 30.6.2006 gestellt hat, hätte
die Beklagte ihm mit den angefochtenen Bescheiden zutreffend mitgeteilt, dass seinem Antrag auf
freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung nicht entsprochen werden könne (richtiger:
dass er durch seinen Antrag vom 30.6.2006 kein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag im Sinne des §
28a SGB III begründet hat).
2. Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III
Die Kammer ist davon überzeugt, dass § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III verfassungswidrig ist, nämlich Art. 2
Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt.
Der durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt geschaffene, am 1.2.2006 in
Kraft getretene § 28a SGB III hat in Verbindung mit der Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB
III allen Selbstständigen, die die Voraussetzungen des § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 Nrn. 1 bis 3 SGB
III erfüllen, das Angebot gemacht, in der Zeit vom 1.2. bis 31.12.2006 zu entscheiden, ob sie von der
Möglichkeit einer freiwilligen Arbeitslosenversicherung Gebrauch machen wollen. Damit ist diesem
Personenkreis eine Rechtsposition eingeräumt worden, die nur unter Beachtung von
Vertrauensschutzerwägungen wieder beseitigt werden kann. Grundsätzlich müssen sich Betroffene einer
solchen Übergangsregelung nämlich darauf verlassen können, dass sie innerhalb der gesetzten Frist frei
disponieren können. Durch die übergangsrechtliche Öffnung eines Zeitfensters zur Neugestaltung der
Absicherung aller Selbstständigen mit Vorversicherungszeiten für den Fall der Arbeitslosigkeit hat der
Gesetzgeber mehr getan, als nur für diejenigen, die sich nach Inkrafttreten der Regelung des § 28a SGB III
selbstständig gemacht haben, eine Gestaltungsmöglichkeit anzubieten. Er hat mit der Regelung über die
Antragsfrist in § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III deutlich gemacht, dass er grundsätzlich einen engen zeitlichen
Zusammenhang zwischen der Beendigung der Pflichtversicherung und der Begründung der freiwilligen
Weiterversicherung für geboten hält. Er wäre nicht gehindert gewesen, die freiwillige Weiterversicherung
von vornherein nur solchen Personen anzubieten, die erst nach dem 1.1.2004 eine selbstständige
Tätigkeit aufgenommen haben. Dies hat der Gesetzgeber indessen nicht getan. Wenn er aber, wie er dies
mit der Regelung des § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III - zunächst - getan hat, den Kreis der Begünstigten der
Regelung des § 28a SGB III weiter zieht, dann ist er auch daran gebunden, jedenfalls in dem Sinne, dass
er sein Angebot nicht beliebig zurücknehmen kann (vgl. Wenner, a.a.O., 200, 203).
Das BVerfG hat sich in zwei Entscheidungen mit der Frage der Verfassungswidrigkeit einer Aufhebung
einer gesetzlichen Übergangsfrist vor deren Ablauf befasst.
Im Beschluss vom 15.3.2000 (1 BvL 16/96 u.a., BVerfGE 102, 68 ff) hat es unter Offenlassung der - sich
grundsätzlich auch im vorliegenden Rechtsstreit stellenden – Frage (vgl. dazu Wenner, a.a.O., 200, 201 ff),
ob ein Eingriff dieser Art den verfassungsrechtlichen Anforderungen einer echten Rückwirkung genügen
muss, ausgeführt, dass, wenn der Gesetzgeber das Vertrauen in den Fortbestand einer befristeten
Übergangsvorschrift, die er aus Vertrauensschutzgründen erlassen hat, enttäuscht, indem er sie vor
Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Frist zu Lasten der Berechtigten beseitigt, dies jedenfalls unter dem
Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes nur unter besonderen Anforderungen möglich
sei. In einem solchen Fall gehe es nicht allgemein um den Schutz des Vertrauens des Bürgers in den
Fortbestand des geltenden Rechts. Hier vertraue der Bürger vielmehr auf die Kontinuität einer Regelung,
auf Grund derer altes Recht noch für eine bestimmte Zeit in Bezug auf einen eingegrenzten Personenkreis
nach Prüfung der Vereinbarkeit der Fortgeltung mit dem öffentlichen Interesse aufrechterhalten werde. Mit
dieser Regelung habe der Gesetzgeber einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen. Um eine
solche Regelung vorzeitig aufzuheben, genüge es nicht, dass sich die für den Erlass der
Übergangsregelung ursprünglich maßgeblichen Umstände geändert hätten. Es müssten darüber hinaus -
vorausgesetzt, das Interesse der Betroffenen auf einen Fortbestand der Regelung sei schutzwürdig und
habe hinreichendes Gewicht - schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter zu erwarten sein, falls
die geltende Übergangsregelung bestehen bleibe. Andernfalls verstoße die Aufhebung einer gesetzlichen
Übergangsvorschrift vor deren Ablauf gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem rechtsstaatlichen
Grundsatz des Vertrauensschutzes.
Im Beschluss vom 3.2.2004 (1 BvR 2491/97, SozR 4-2600 § 237a Nr. 1) hat das BVerfG hinsichtlich einer
nachteiligen Abänderung einer Übergangsregelung ausgeführt, dass dann, wenn der Gesetzgeber
Übergangsregelungen, die er aus Vertrauensschutzgründen erlassen habe, vor Ablauf der für den
Übergang vorgesehenen Zeit zu Lasten der Berechtigten beseitigte, seine Regelung im Hinblick auf den
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz besonders strengen Anforderungen genügen müsse. Denn mit
Übergangsregelungen verwirkliche der Gesetzgeber sein Konzept, in welchem Zeitraum und in welchen
Stufen er ein Ziel erreichen wolle. Dadurch setze er einen besonderen Vertrauenstatbestand. Der Bürger
dürfe davon ausgehen, dass der Gesetzgeber sein Konzept für den Übergangszeitraum durchdacht habe
und insbesondere künftige Entwicklungen, soweit sie vorhersehbar seien, berücksichtigt habe. Auf diese
Übergangsregelungen stelle sich der Bürger ein. Deshalb dürfe der Gesetzgeber sein Konzept nur
ändern, wenn sich die für die Ausgestaltung der Übergangsregelung ursprünglich maßgebenden
Umstände nachträglich geändert hätten und wenn darüber hinaus - vorausgesetzt, das Interesse der
Betroffenen auf einen Fortbestand der Regelung sei schutzwürdig und habe hinreichendes Gewicht -
schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter zu erwarten seien, falls die geltende
Übergangsregelung bestehen bleibe, wobei das BVerfG diese Grundsätze selbst dann zur Anwendung
gebracht hat, wenn - abweichend vom vorliegenden Fall - die Übergangsregelungen noch nicht einmal
zur Anwendung gekommen waren; in diesen Fällen wiege allerdings der gesetzgeberische Eingriff
weniger schwer, den Betroffenen verbleibe ein größerer Zeitraum, sich - erneut - auf die neue Rechtslage
einzustellen und etwa getroffene Dispositionen anzupassen. Weiter seien geringere Anforderungen an
die Änderung von Übergangsrecht zu stellen, wenn dieses langfristig angelegt sei, denn je länger der
Zeitraum sein, umso wahrscheinlicher sei es, dass sich die für das Übergangskonzept maßgeblichen
Umstände änderten und den Gesetzgeber vor eine neue Situation stellten. Die mit langfristigen
Regelungen, auch mit solchen des Übergangsrechts, verbundene Unsicherheit sei regelmäßig dem
Bürger auch bewusst.
Diese Grundsätze sind nach Auffassung der Kammer nicht nur - wie in den den Entscheidungen des
BVerfG zu Grunde liegenden Sachverhalten - auf Übergangsregelungen, die aus
Vertrauensschutzgründen erlassen wurden, anzuwenden. Sie müssen nach Auffassung der Kammer auch
dann Anwendung finden, wenn - wie hier - eine Gestaltungsmöglichkeit erstmals eingeräumt wird, nämlich
vorliegend bereits längerfristig Selbstständigen - ebenso wie Personen, die erst kurze Zeit selbstständig
sind - erstmals die Möglichkeit gegeben wird, sich in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu
versichern. Schafft der Gesetzgeber, wie vorliegend mit der Regelung des § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III, die
Möglichkeit für einen bestimmten Personenkreis, von dieser Option innerhalb eines bestimmten
Zeitfensters Gebrauch zu machen, dann wird das Vertrauen des Bürgers auf die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung, wenn diese Option vorzeitig und nahezu ohne jede Reaktionsmöglichkeit wieder
abgeschafft wird, in gleichem Maße enttäuscht wie das Vertrauen auf den Fortbestand einer aus
Vertrauensschutzgründen erlassenen Übergangsvorschrift. Es besteht deshalb nach Auffassung der
Kammer dem Grunde nach kein Anlass, zwischen einer nachteiligen Abänderung einer
Übergangsregelung, die aus Vertrauensschutzgründen erlassen wurde, und einer nachteiligen
Abänderung einer anderweitigen Übergangsregelung zu differenzieren.
Bei Anwendung dieser Grundsätze des BVerfG auf die Verkürzung der Übergangsregelung des § 434j
Abs. 2 Satz 1 SGB III durch Satz 2 dieser Vorschrift steht zur vollen Überzeugung der Kammer fest, dass
die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, unter denen der Gesetzgeber berechtigt ist, selbst gesetzte
Übergangsfristen so zu verkürzen, dass den Betroffenen keine Möglichkeit mehr bleibt, eine gesetzliche
Frist, auf die sie vertrauen durften, zu wahren.
Das Interesse der langjährig Selbstständigen, von der ihnen mit § 28a i. V. m. § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III
eingeräumten Möglichkeit, sich binnen eines Zeitfensters (1.2. bis 31.12.2006) in der gesetzlichen
Arbeitslosenversicherung zu versichern, Gebrauch zu machen, ist schutzwürdig und hat hinreichendes
Gewicht. Sie werden durch die Verkürzung der Frist vom 31.12.2006 auf den 31.5.2006 durch § 434j Abs.
2 Satz 2 SGB III, ebenso wie dies vor der Einführung des § 28a SGB III der Fall war, wieder auf die bloße
Möglichkeit, sich privat zu versichern, verwiesen. Zwar besteht seit einigen Jahren die Möglichkeit, einen
privaten Versicherer mit der Vorsorge bei Arbeitslosigkeit zu betrauen (vgl. Fuchs, in: Gagel, SGB III, § 28a
Rdnr. 16). Derartige private Arbeitslosenversicherungen gelten aber von ihrer Kostenseite her als schwer
kalkulierbar und werden daher häufig lediglich als Restschuldversicherungen angeboten; im Übrigen wird
im Falle unverschuldeter Arbeitslosigkeit häufig eine private Geldleistung in einer Größenordnung von
etwa 200 bis 300 € erbracht, wobei die Leistungsdauer zwischen 12 und 36 Monaten beträgt (vgl. Fuchs,
a.a.O., Rdnr. 19). Sinn dieser privaten Arbeitslosenversicherung ist es indessen eigentlich, dem
Arbeitslosen im Falle von Arbeitslosigkeit eine Geldleistung zusätzlich zur staatlichen Absicherung
(Anspruch auf Alg) zur Verfügung zu stellen (vgl. Fuchs, a.a.O., Rdnr. 16). Eine private
Arbeitslosenversicherung stellt also keine der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gleichwertige
Absicherung für den Fall des Eintritts des Risikos "Arbeitslosigkeit" dar, zumal deren Leistungen auf das
Alg II anzurechnen wären (vgl. Fuchs, a.a.O., Rdnr. 19), das dem Selbstständigen - Bedürftigkeit
vorausgesetzt - mit der Beendigung einer selbstständigen Tätigkeit im Falle eines damit verbundenen
Eintritts von Arbeitslosigkeit zustünde. Den von § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III betroffenen Selbstständigen
steht damit keine gleichwertige Alternative zur Absicherung des Risikos "Arbeitslosigkeit" im Wege der
Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag gemäß § 28a SGB III zur Verfügung. Noch
gewichtiger ist das Interesse des Klägers am Fortbestand der Übergangsvorschrift des § 434j Abs. 2 Satz
1 SGB III ohne die durch § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III vorgenommene Einschränkung im vorliegenden Fall.
Ihm war nämlich nicht nur die Möglichkeit eingeräumt worden, sich in der gesetzlichen
Arbeitslosenversicherung zu versichern, sondern er hatte von dieser Möglichkeit durch seinen Antrag vom
30.6.2006 bereits Gebrauch gemacht und damit - zunächst - ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag
begründet. Denn zu diesem Zeitpunkt galt § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III, der diese vom Kläger
wahrgenommene Möglichkeit wieder beseitigt hat, noch nicht, weil diese Regelung erst mit der
Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt (25.7.2006) wirksam geworden ist (Art. 82 GG; vgl.
Wenner, a.a.O., 200, 201). Dem Kläger des vorliegenden Rechtsstreits ist damit nicht lediglich die
Möglichkeit genommen worden, sich in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung zu versichern, sondern
ihm wurde sein durch seinen Antrag vom 30.6.2006 wirksam begründeter Status als Pflichtversicherter in
der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und damit ein nach Auffassung der Kammer schutzwürdiger
sozialversicherungsrechtlicher Status von erheblichem Gewicht nachträglich wieder entzogen.
Der Gesetzgeber hat nicht ansatzweise dargestellt, welche wichtigen Gemeinschaftsgüter es als
unabweisbar erscheinen lassen, die auf den 31.12.2006 festgelegte Frist für die Begründung eines
Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nach § 28a SGB III auf den 31.5.2006 vorzuziehen. In der
Gesetzesbegründung heißt es lediglich, "der enge Zusammenhang zur bisherigen Zugehörigkeit zur
Versichertengemeinschaft solle stärker betont werden". Der Gesetzgeber macht nicht einmal geltend, dass
die Erwartungen über die Größe des Personenkreises der schon seit langen Jahren selbstständig Tätigen,
die von der Möglichkeit des § 28a i. V. m. § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III Gebrauch machen wollten,
übertroffen worden seien, wobei im Übrigen selbst dieser Umstand, wenn er denn nachvollziehbar
dargelegt werden könnte, unter Zugrundelegung der in den beiden Beschlüssen des BVerfG genannten
Kriterien nicht zur Rechtfertigung der Verkürzung der Übergangsregelung ausreichen würde (ebenso
Wenner, a.a.O., 200, 204 f.). Denn der Bürger darf, wie dargelegt, darauf vertrauen, dass der Gesetzgeber
sein Konzept für den Übergangszeitraum durchdacht hat. Dies gilt vorliegend umso mehr, als es sich zum
einen nicht um langfristig angelegtes Übergangsrecht handelt und zum anderen mit der freiwilligen
Weiterversicherung für Existenzgründer und Auslandsbeschäftigte zunächst ohnehin Erfahrungen im
Hinblick auf die Inanspruchnahme und die damit verbundenen Risiken für die Arbeitslosenversicherung
gesammelt werden sollten und aus diesem Grunde das Versicherungspflichtverhältnis für diese
Personengruppen gemäß § 28a Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 SGB III mit Ablauf des 31.12.2010 endet (vgl. dazu
auch BT-Drucks 15/1515 S. 78). Diese Regelung belegt, dass sich der Gesetzgeber etwaiger Risiken für
die Arbeitslosenversicherung durch die Möglichkeit Selbstständiger, sich in der gesetzlichen
Arbeitslosenversicherung zu versichern, bewusst war, und schließt gleichzeitig weitgehend schwere
Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter - hier: Bestand und Beitragsstabilität der gesetzlichen
Arbeitslosenversicherung - aus. Sie bestärkt gleichzeitig das Vertrauen des Bürgers in den Bestand der
Regelung einschließlich der Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III dahin, dass diese
Regelungen jedenfalls bis zu den in diesen Vorschriften genannten Zeitpunkten Bestand haben, denn sie
zeigt, dass der Gesetzgeber sein Konzept eingehend durchdacht hat und etwaigen Risiken bereits mit den
von ihm geschaffenen Regelungen begegnet ist. Eine mit langfristigen Übergangsregelungen
verbundene Unsicherheit, der sich der Bürger bewusst sein musste und die zur Folge gehabt hätte, das
geringere Anforderungen an die Änderung der Übergangsvorschrift zu stellen wären, bestand nach
alledem vorliegend nicht.
Soweit der Gesetzgeber als Begründung für das rückwirkende In-Kraft-Treten des § 434j Abs. 2 Satz 2
SGB III in der Gesetzesbegründung ausgeführt hat, dieses sei erforderlich, um bei der Behandlung von
Anträgen auf freiwillige Weiterversicherung für solche Personen Rechtssicherheit zu schaffen, die ihren
Antrag zwischen dem Tag der dritten Lesung dieses Gesetzes und dem In-Kraft-Treten der übrigen
Vorschriften stellen, vermag diese Begründung ebenfalls die vorzeitige Beseitigung der
Übergangsregelung des § 434j Abs. 2 Satz 1 SGB III für bereits vor dem 1.1.2004 Selbstständige nicht zu
rechtfertigen. Die Gesetzesbegründung ist an dieser Stelle, wie Wenner (a.a.O., 200, 205) nach
Auffassung der Kammer zutreffend ausgeführt hat, entweder unfreiwillig komisch oder bewusst
verschleiernd formuliert. Denn in Wirklichkeit ging es, wie dargelegt, darum, denjenigen Selbstständigen,
die ihre Tätigkeit vor dem 1.1.2004 aufgenommen haben, nahezu ohne jede Reaktionsmöglichkeit auf die
geänderte Konzeption des Gesetzgebers die Möglichkeit zu nehmen, von dem Angebot der Begründung
einer Pflichtversicherung auf Antrag Gebrauch zu machen. Dies hat mit Rechtssicherheit nichts zu tun, es
geht vielmehr um eine "Sofortbremsung" der seit dem 1.2.2006 eingeräumten Gestaltungsmöglichkeit (vgl.
Wenner, a.a.O.; vgl. auch Becker, a.a.O.). Derartige Regelungen sind zwar nicht per se verfassungswidrig,
sie können aber nicht mit dem Gedanken der Rechtssicherheit, sondern allenfalls damit begründet
werden, dass ohne eine solche Maßnahme massive Beeinträchtigungen für den Bestand oder die
finanzielle Stabilität der Arbeitslosenversicherung drohen. Hierzu findet sich weder in der
Gesetzesbegründung ein Anhalt, noch sind anderweitig Anhaltspunkte für solche Beeinträchtigungen
ersichtlich. Zum Zeitpunkt der dritten Lesung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für
Arbeitsuchende bestand die Möglichkeit Selbstständiger, die Versicherungspflicht auf Antrag zu
begründen, erst vier Monate, damit war die Anwartschaftszeit für den Erwerb eines Anspruchs auf Alg von
einem Jahr (§ 123 SGB III) noch in keinem einzigen Fall erfüllt und mithin überhaupt nicht absehbar, wie
viele Selbstständige, die von der Möglichkeit der Begründung der Pflichtversicherung auf Antrag
Gebrauch gemacht haben und ihre selbstständige Tätigkeit bereits vor dem 1.1.2004 aufgenommen
haben, ihre selbstständige Tätigkeit aufgeben und Alg beanspruchen würden.
Nachdem mithin auch Selbstständigen, die ihre Tätigkeit vor dem 1.1.2004 aufgenommen haben, für die
Zeit vom 1.2. bis 31.12.2006 die Möglichkeit eingeräumt wurde, eine Pflichtversicherung auf Antrag gem. §
28a SGB III zu begründen, hätte der Gesetzgeber dieses für sie geöffnete Zeitfenster vorzeitig nur wieder
schließen dürfen, wenn andernfalls schwere Nachteile für wichtige Gemeinschaftsgüter, etwa für den
Bestand oder die Beitragsstabilität der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, gedroht hätten; hierfür
spricht indessen nichts. Die rückwirkende Beseitigung der Möglichkeit dieses Personenkreises, bis zum
31.12.2006 durch einen entsprechenden Antrag eine Pflichtversicherung auf Antrag zu begründen, ist
deshalb nach Auffassung der Kammer nicht verfassungskonform.
Da die Regelung des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III nach Überzeugung der Kammer bereits aus diesem
Grunde verfassungswidrig ist, bedarf keiner weiteren Prüfung, ob diese Regelung auch deshalb
grundgesetzwidrig ist, weil sie vorliegend echte Rückwirkung entfaltet. Die Beantwortung dieser Frage
kann die Kammer daher (ebenso, wie das BVerfG dies im Beschluss vom 15.3.2000, a.a.O., bezogen auf
den dort entschiedenen Fall getan hat) ebenso offenlassen wie die Beantwortung der Frage, ob die
Regelung ferner – wie der Kläger meint – auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG)
verstößt, weil sie Selbstständige, die sich vor dem 1.1.2004 selbstständig gemacht haben, willkürlich
gegenüber Selbstständigen, die ihre selbstständige Tätigkeit erst nach dem 31.12.2003 aufgenommen
haben, benachteiligt (vgl. hierzu auch Wenner, a.a.O).
3. Verfassungskonforme Auslegung
Das Ergebnis der Verfassungswidrigkeit des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III kann nicht durch eine
verfassungskonforme Auslegung vermieden werden.
Diese Vorschrift ist keiner Auslegung dahingehend zugänglich, dass statt der Worte "mit Wirkung vom 1.
Juni 2006" in der Regelung zum Inkrafttreten des Art. 2 Nr. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende in Art. 16 Abs. 3 dieses Gesetzes zu lesen ist: "mit Wirkung ab In-Kraft-
Treten dieses Gesetzes". Diese Auslegung scheitert bereits am eindeutigen Wortlaut der Bestimmungen
und der Systematik der Inkrafttretensvorschriften des Art. 16 des Gesetzes, die in Abs. 1 ein
grundsätzliches Inkrafttreten am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats, in Abs. 2
hinsichtlich des Artikels 5 eine rückwirkendes Inkrafttreten am 1.1.2005 und - neben der sodann in Abs. 3
geregelten, vorliegend einschlägigen Regelung - in Abs. 4 ein (aus damaliger Sicht) Inkrafttreten
einzelner Vorschriften in der Zukunft (1.1.2007) vorsehen. Zudem widerspräche eine solche Auslegung,
also dahingehend, Personen wie den Kläger des vorliegenden Rechtsstreits, die ihren Antrag nach der
dritten Lesung des Gesetzes, aber vor dem In-Kraft-Treten der übrigen Vorschriften des Gesetzes gestellt
haben, von der Anwendung des § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III auszunehmen, dem in der
Gesetzesbegründung zu Art. 16 Abs. 3 des Gesetzes eindeutig zum Ausdruck kommenden Willen des
Gesetzgebers; vom Gesetzgeber war eindeutig das Gegenteil, nämlich die Anwendung der Vorschrift
auch für diesen Personenkreis, gewollt.
Nach alledem war das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und dem BVerfG die Frage zu
Entscheidung vorzulegen, ob § 434j Abs. 2 Satz 2 SGB III gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt.