Urteil des SozG Kassel vom 03.11.2009

SozG Kassel: eltern, gerichtsakte, heizung, nettoeinkommen, leistungsanspruch, haushalt, unterkunftskosten, freibetrag, vermögensbildung, verordnung

Sozialgericht Kassel
Urteil vom 03.11.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Kassel S 6 AS 733/07
Der Bescheid der Beklagten vom 13.06.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2007 und der
Bescheid vom 07.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2008 und des Änderungsbescheids vom
21.01.2008 werden abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von
322,43 EUR und für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.01.2008 in Höhe von 337,55 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Frage, in welchem Umfang der Kläger hilfsbedürftig ist und hierbei
konkret darüber, ob der Kläger mit seinen Eltern in einer Haushaltsgemeinschaft lebt und in welchem Umfang, beim
Bestehen einer Haushaltsgemeinschaft, Einkommen der Eltern auf die Leistungen nach dem SGB II anzurechnen ist.
Der 1980 geborene Kläger ist ledig und wohnt mit seinen Eltern, den Zeugen U. und R. A., in einem Einfamilienhaus in
B-Stadt. Er hat einen Bruder, der jedoch nicht mehr im Haus seiner Eltern wohnt. Der Kläger ist schwerbehindert. Dem
Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit nach Aktenlage vom 07.11.2007 ist zu entnehmen,
dass der Kläger unter einer intellektuellen Leistungsminderung, einem Zustand nach Herzoperation im Jahr 2001 bei
jetzt ausreichender körperlicher Belastbarkeit, einem Zustand nach schwerer kindlicher Epilepsie und unter schwerer
Migräne leidet (Bl. 108 Verwaltungsakte). Der Kläger besuchte eine Art Förderschule und erlernte an dieser Schule
das Holzfachwerk. Vom 24.05.2004 bis 12.06.2006 arbeitete der Kläger bei der Firma A.B. in B. als Helfer und erhielt
dort ein monatliches Nettogehalt in Höhe von 1.121,62 EUR (Bl. 126 Gerichtsakte zu S 6 AS 733/07). Vom
13.06.2006 bis 12.06.2007 erhielt er Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich 658,20 EUR (Bl. 133 Gerichtsakte zu S 6
AS 733/07).
Am 21.05.2007 stellte der Kläger einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II.
Mit Schriftsatz vom 21.05.2007 bat die Beklagte den Kläger um die Übersendung der Einkommensbescheinigungen
der Eltern und des Bruders und um Belege für die finanziellen Aufwendungen der Eltern für das Haus und für die Kfz-
Versicherung sowie um die Glaubhaftmachung der Fahrtkosten der Eltern zur Arbeit (Bl. 16 Verwaltungsakte).
Der Kläger überreichte sodann entsprechende Belege der Eltern. Auf Bl. 18 ff. Verwaltungsakte wird verwiesen. Sein
Bruder wohne nicht mehr zu Hause.
Mit Bescheid vom 13.06.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2007
Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 116,97 EUR. Die Beklagte ging hierbei von einer Regelleistung in Höhe von
347,00 EUR aus, auf welche sie einen Betrag in Höhe von 230,03 EUR als Einkommen anrechnete. Kosten für
Unterkunft und Heizung sind in dem Bescheid nicht ausgewiesen (Bl. 5 ff. Gerichtsakte zu S 6 AS 733/07).
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 26.06.2007 Widerspruch ein und begründete den Widerspruch damit,
dass er seinen Lebensunterhalt selbst bestreite, da seine Eltern berufstätig seien. Er verpflege sich selbst. Lediglich
zum Kochen und Erwärmen der von ihm selbst gekauften Lebensmittel benutze er die Küche seiner Eltern. Für die mit
dem Benutzen der Küche verbundenen Energiekosten zahle er an seine Eltern einen monatlichen Betrag von 20 EUR.
Sein Leistungsanspruch sei daher unabhängig vom Einkommen seiner Eltern zu beurteilen (Bl. 8 Gerichtsakte zu S 6
AS 733/07).
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein höherer
Anspruch bestehe nicht, weil zu vermuten sei, dass der Bedarf des Klägers in Höhe von monatlich 347,00 EUR durch
Leistungen der Beklagten in Höhe von 116,97 EUR und durch Leistungen der Eltern in Höhe von 230,03 EUR gedeckt
sei. Die Eltern des Klägers würden ausweislich der Lohnabrechnungen monatlich 4350,24 EUR brutto und netto unter
Berücksichtigung der Freibeträge 2276,99 EUR verdienen. Davon seien als Kosten der Unterkunft Schuldzinsen in
Höhe von 314,24 EUR abzuziehen. Der Abtrag von 99,76 EUR auf das Haus, also die über die Zinsen hinausgehende
monatliche Tilgung des Darlehens zur Finanzierung des Hauses, könne nicht berücksichtigt werden, da er letztlich
einer Vermögensbildung gleichkomme. Weiterhin seien abzuziehen Gebäudeversicherungskosten in Höhe von 14,29
EUR, Heizkosten in Höhe von 63,75 EUR, Gemeindeabgaben in Höhe von 44,65 EUR, so dass man insgesamt zu
Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 436,93 EUR gelange. Nach § 1 Abs. 2 ALG II Verordnung könne
erwartet werden, dass die Eltern die Hälfte des Anteils ihres Einkommens zur Verfügung stellen, das verbleibe, wenn
von ihrem bereinigten Einkommen die doppelte Regelleistung eines Alleinstehenden sowie die Kosten der Unterkunft
(436,93 EUR) abgezogen werden. Es verbleibe ein Betrag von 460,06 EUR. Nach § 9 Abs. 5 SGB II könne vermutet
werden, dass hiervon die Hälfte, nämlich 230,03 EUR, dem Kläger als Einkommen zufließen würden. Anhaltspunkte
für eine Widerlegung der Vermutung lägen nicht vor (Bl. 9 Gerichtsakte).
Am 17.08.2007 hat der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte gegen den Bescheid vom 13.06.2007 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2007 Klage beim hiesigen Sozialgericht Kassel (Aktenzeichen S 6 AS 733/07)
erhoben mit dem Ziel, für den streitgegenständlichen Zeitraum über die bewilligte Regelleistung hinaus weitere 230,03
EUR und zusätzliche 100 EUR Unterkunftskosten für Wohnnebenkosten zu erhalten.
Am 08.10.2007 hat die Beklagte um 15:45 Uhr beim Kläger einen Hausbesuch durchgeführt. Auf den Vermerk der
Beklagten vom 09.10.2007 über den Hausbesuch (Bl. 20 Gerichtsakte zu S 6 AS 733/07) wird verwiesen.
Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Kläger Lichtbilder seiner Räumlichkeiten übersandt, um darzulegen, dass
keine Haushaltsgemeinschaft bestehe. Auf Bl. 31-36 Gerichtsakte wird verwiesen.
Mit Bescheid vom 07.11.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.05.2008
Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 252,14 EUR. Die Beklagte ging hierbei von einem Gesamtbedarf in Höhe
von 347,00 EUR aus, auf welchen sie ein monatlichen Einkommen in Höhe von 94,86 EUR anrechnete (Bl.
Gerichtsakte zu S 6 AS 95/08).
Am 04.01.2008 überreichte der Vater des Klägers einen Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom
20.12.2007. Danach erhielt der Vater des Klägers in der Zeit vom 19.12.2007 bis 17.12.2008 ein tägliches
Arbeitslosengeld in Höhe von 37,37 EUR (Bl. 130 Verwaltungsakte).
Den Widerspruch des Klägers vom 27.11.2007 wies die Beklagte mit einem nicht den Namen des Klägers
enthaltenden Widerspruchsbescheid vom 14.01.2008 zurück (Bl. 10 Gerichtsakte).
Auf den Hinweis der Prozessbevollmächtigten des Klägers hob die Beklagte den Widerspruchsbescheid vom
14.01.2008 mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2008 auf und wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Die
Beklagte begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass Einkommen der Eltern nach § 9 Abs. 5 SGB II
auf die Leistungen des Klägers in Höhe von 94,86 EUR monatlich anzurechnen sei. Hierbei berücksichtigte die
Beklagte ein Bruttoeinkommen der Eltern in Höhe von monatlich 3839,88 EUR, aus dem sie ein bereinigtes
Nettoeinkommen in Höhe von 2014,64 EUR errechnete. Von diesem Einkommen zog sie abermals Kosten der
Unterkunft und Heizung in Höhe von 436,93 EUR ab und gelangte unter Anwendung von § 1 Abs. 2 ALG II-Verordnung
zu einem zu vermutenden Einkommen in Höhe der 94,86 EUR (Bl. 11 Gerichtsakte zu S 6 AS 95/08).
Mit Änderungsbescheid vom 21.01.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2008 bis
31.01.2008 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 337,51 EUR und für die Zeit vom 01.02.2008 bis 31.05.2008 in
Höhe von 347,00 EUR (Bl. 79 Gerichtsakte zu S 6 AS 733/07).
Am 24.01.2008 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen den Bescheid vom 07.11.2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 18.01.2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 21.01.2008 Klage beim
hiesigen Sozialgericht Kassel erhoben. Der Rechtsstreit ist ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 6 AS 95/08
geführt worden.
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 29.10.2009 Belege über die
Einkommensverhältnisse der Eltern des Klägers für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum übersandt. Auf Bl.
86 ff. Gerichtsakte zum Verfahren S 6 AS 733/07 wird verwiesen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 03.11.2009 hat das Gericht die Verfahren S 6 AS 733/07 und S 6 AS
95/08 verbunden. Es führt das Verfahren mit dem Aktenzeichen S 6 AS 733/07.
Das Gericht hat die Eltern des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommen und auch den
Kläger zu seinen Wohnverhältnissen befragt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.11.2009 wird
verwiesen (Bl. 141 ff. Gerichtsakte zu S 6 AS 733/07).
Der Kläger behauptet, dass die Beklagte ihn und seine Mutter beim Hausbesuch nicht in der gemeinsamen Wohnung
angetroffen habe. Als die Mitarbeiterin der Beklagten am 08.10.2007 erschienen sei, sei seine Mutter gerade von der
Arbeit gekommen. Sie habe den Kläger aus seinen Räumlichkeiten in der ersten Etage herbeigerufen. Vom
Hausbesuch hätten sie nichts gewusst. Er habe den Eindruck, dass die Mitarbeiterin der Beklagten beim Hausbesuch
eine vorgefasste Einstellung gehabt habe. Der Kläger behauptet, einen von seinen Eltern getrennten Haushalt zu
führen. Er halte sich vollständig in den eigenen Räumlichkeiten auf und bereite auch dort seine Mahlzeiten zu. Nur
wenn er sich einmal eine Pizza machen wolle, nutze er die Küche seiner Mutter. Der Kläger behauptet des Weiteren,
dass er seinen Eltern bis zum Auslaufen des Arbeitslosengeldes vereinbarungsgemäß 100,00 EUR für die
Nebenkosten gezahlt habe. Ein schriftlicher Darlehensvertrag über das Geld, welches er seinen Eltern schulde,
bestehe nicht. Zwischen ihm und seinen Eltern bestehe aber dahingehende Übereinkunft, dass er die gewährte
Unterstützung zurückzahle, wenn er dazu wieder in der Lage sei (Bl. 127 Gerichtsakte).
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 13.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
08.08.2007 und den Bescheid vom 07.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.01.2008 in der Fassung
des Änderungsbescheids vom 21.01.2008 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Leistungen nach dem SGB II
in der Zeit vom 01.07.2007 bis 31.05.2008 unter Anrechnung der bereits bewilligten Leistungen in Höhe von monatlich
447,00 EUR zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass insbesondere die durchgeführte Beweisaufnahme im Rahmen der mündlichen
Verhandlung gezeigt habe, dass zwischen dem Kläger und seinen Eltern eine Haushaltsgemeinschaft bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die
Gerichtsakten zu den Verfahren S 6 AS 733/07 und S 6 AS 95/08 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klagen haben teilweise Erfolg. Sie sind zulässig und teilweise begründet.
Der Kläger hat für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.01.2008 einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II.
Für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 beläuft sich sein Anspruch auf 322,43 EUR und für die Zeit vom
01.12.2007 bis 31.01.2008 auf 337,55 EUR. Soweit der Antragsteller über diese Ansprüche und für die Zeit vom
01.02.2008 bis 31.05.2008 im Wege der Klagen über die bewilligten Leistungen hinausgehende Leistungen nach dem
SGB II begehrt, sind die Klagen unbegründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, soweit er hilfsbedürftig ist. Hilfsbedürftig ist nach § 9
Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften, vor allem nicht
1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern
kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialeistungen erhält.
Gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und
Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Nach § 9 Abs. 2 S. 2 SGB II sind bei unverheirateten Kindern, die mit
ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres
Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, auch das Einkommen und
Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen im Bedarfsgemeinschaft lebenden Partners zu berücksichtigen.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II die dem Haushalt angehörenden unverheirateten
Kinder der in den § 7 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 3 SGB II genannten Personen, wenn sie das fünfundzwanzigste Lebensjahr
noch nicht vollendet haben.
Der Kläger war vorliegend zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs bereits 26 Jahre alt, so dass eine
Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 SGB II nicht angenommen werden kann.
1. Die Kammer ist auf der Grund der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in
dem streitgegenständlichen Zeitraum einen Gesamtbedarf in Höhe der Regelleistung hatte, die sich in dem damaligen
Zeitraum auf 347,00 EUR belief.
Einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II besteht hingegen nicht.
Gem. § 22 Abs. 1 S.1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
erbracht, soweit diese angemessen sind. Hieraus folgt, dass der SGB II-Träger nur solche Kosten für Unterkunft und
Heizung zu übernehmen hat, die dem Hilfsbedürftigen auch tatsächlich entstehen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat
in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass der Leistungsberechtigte im Leistungszeitraum einer
wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sein muss (BSG, Urteil v. 03.03.2009, B 4
AS 37/08 R; BSG, Urteil v. 07.05.2009, B 14 AS 31/07 R). Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die
Unterkunft ist es nämlich, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern.
Die Kammer ist auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Eltern
dem Kläger die Kosten für Unterkunft und Heizung dauerhaft gestundet haben. Der Kläger hat nämlich auf Befragung
des Gerichts mitgeteilt, seinen Eltern seit seinem Arbeitslosengeld II-Bezug kein Geld mehr geben zu können und
vielmehr von seinen Eltern monatlich wirtschaftlich unterstützt zu werden. Wie hoch ein eventueller
Rückzahlungsanspruch der Eltern sei, wisse er nicht. In Übereinstimmung hiermit haben auch die Eltern des Klägers
im Rahmen der Beweisaufnahme mitgeteilt, nicht zu wissen, wie viel Geld der Kläger ihnen insgesamt schulde. Da
sich der Kläger in einer Notlage befinde, bestehe keine Vereinbarung, wann er das Geld zurückzahlen solle.
Da nicht absehbar ist, wann die gegenwärtige Notlage des Klägers enden wird, musste die Kammer davon ausgehen,
dass eine dauerhafte Stundung der Mietzinsforderung besteht, weshalb dem Kläger nach der Rechtsprechung des
BSG, der sich die Kammer anschließt, im streitgegenständlichen Zeitraum keine Kosten für Unterkunft und Heizung
gegen die Beklagte zustehen.
2. Auf der Grundlage dieses monatlichen Gesamtbedarfs in Höhe von 347,00 EUR hat die Kammer unter Anwendung
der Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II den Leistungsanspruch des Klägers berechnet.
Leben Hilfsbedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten zusammen, so wird nach § 9
Abs. 5 SGB II vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen
erwartet werden kann.
§ 9 Abs. 5 SGB II enthält die widerlegbare Vermutung, dass der Hilfsbedürftige von seinen Verwandten oder
Verschwägerten unterstützt wird (Löns in: Ders. / Herold-Tews, SGB II, 2. A. 2009, § 9 Rn. 31). Bevor die
Vermutungsregelung eingreift, muss zunächst eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne des § 9 Abs. 5 SGB II zu
bejahen sein (BSG, Urteil v. 27.01.2009, B 14 AS 6/08 R). Das BSG führt in seiner Entscheidung vom 27.01.2009 (B
14 AS 6/08 R, Rn. 15) zutreffend aus, dass das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft von Amts wegen
festzustellen ist:
"Für die Unterhaltsvermutung in § 9 Abs. 5 SGB II reicht es ( ) nicht aus, wenn Verwandte oder Verschwägerte in
einem Haushalt lediglich zusammenwohnen. Vielmehr muss über die bloße Wohnungsgemeinschaft hinaus der
Haushalt im Sinne einer Wirtschaftsgemeinschaft gemeinsam geführt werden."
Dies ist der Fall, wenn die Verwandten mit dem Hilfsbedürftigen "aus einem Topf" wirtschaften (BSG, Urteil v.
27.01.2009, B 14 AS 6/08 R, Rn. 15; BSG, Urteil v. 19.02.2009, B 4 AS 68/07 R; Hengelhaupt in: Hauck & Noftz
(Hrsg.), SGB II, 10. Erg.-Lfg II/07, § 9 Rn. 158; Mecke in: Eicher & Spellbrink (Hrsg.), SGB II, 2. A. 2008, § 9 Rn. 52).
Die Anforderungen an das gemeinsame Wirtschaften gehen über die gemeinsame Nutzung der Räumlichkeiten
hinaus. Es muss neben einem gemeinsamen Wohnen auf Grund der Umstände des Einzelfalls davon auszugehen
sein, dass ein Teil des Bedarfs des Hilfsbedürftigen durch das gemeinsame Wirtschaften mit den Verwandten gedeckt
ist (Mecke in: Eicher & Spellbrink (Hrsg.), SGB II, § 9 Rn. 52 f.).
Die Kammer ist vorliegend davon überzeugt, dass der Kläger mit seinen Eltern eine Haushaltsgemeinschaft im Sinne
dieser Grundsätze bildet. Der Kläger nutzt mit den Eltern nämlich nachweislich Räume des Hauses, wie
beispielsweise die Küche der Eltern, gemeinsam, auch wenn er sich überwiegend in seinen persönlichen
Räumlichkeiten aufhält. Weiterhin ist davon auszugehen, dass der Kläger und seine Eltern "aus einem Topf"
wirtschaften, da die Eltern dem Kläger faktisch die Unterkunfts- und Heizungskosten erlassen und ihn, wie im
Rahmen der Beweisaufnahme deutlich wurde, in vielfältiger Hinsicht (auch) wirtschaftlich unterstützen.
Da die Eltern des Klägers eingeräumt haben, ihren Sohn finanziell zu unterstützen, ist die Vermutungsregelung des §
9 Abs. 5 SGB II vorliegend auch nicht widerlegt worden.
Die Vermutung der Erbringung von Unterstützungsleistungen ist gerechtfertigt, wenn und soweit die Unterstützung
nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Verwandten erwartet werden kann. Ob und in welchem
Umfang Einkommen zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus § 1 Abs. 2 ALG II-VO. Die vermuteten Leistungen gelten
beim Hilfsbedürftigen als Einkommen in Sinne des § 11 SGB II und mindern dessen Leistungsanspruch (Mecke in:
Eicher & Spellbrink (Hrsg.), SGB II, 2. A. 2008, § 9 Rn. 51).
Nach § 1 Abs. 2 ALG II-VO sind bei der § 9 Abs.5 SGB II zugrunde liegenden Vermutung, dass Verwandte oder
Verschwägerte an mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebende Hilfsbedürftige Leistungen erbringen, die um die
Absetzbeträge nach § 11 Abs. 2 SGB II bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen,
soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs. 2 S.1 SGB II maßgebenden
Regelleistung zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehend 50
Prozent der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten.
Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Kammer in Übereinstimmung mit der Beklagten vom jeweiligen
Bruttoeinkommen der Eltern ausgehend jeweils die Freibeträge des § 11 Abs. 2 S.2 SGB II und des § 30 SGB II vom
Nettoeinkommen abgezogen und die allgemeine Werbungskostenpauschale, die Fahrkosten und die Werbungskosten
des Vaters des Klägers berücksichtigt. Anders als die Beklagte hat die Kammer allerdings von diesem
Nettoeinkommen nicht noch zusätzlich den Pauschbetrag des § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG II-Verordnung in Abzug gebracht,
da dieser Betrag bereits in dem Freibetrag von 100 EUR nach § 11 Abs. 2 S.2 SGB II enthalten ist.
Auf der Grundlage der überreichten Einkommensbescheinigungen der Eltern des Klägers hat die Kammer für den
streitgegenständlichen Zeitraum im Verfahren S 6 AS 733/07 (01.07.2007 bis 30.11.2007) ein durchschnittliches
gemeinsames Nettoeinkommen von 1983,83 EUR und für den streitgegenständlichen Zeitraum im Verfahren S 6 AS
95/08 (01.12.2008 bis 31.05.2008) ein durchschnittliches gemeinsames Nettoeinkommen in Höhe von 1953,90 EUR
errechnet. Die Kammer ist hierbei in den einzelnen Monaten jeweils von folgendem gemeinsamen Nettoeinkommen
ausgegangen:
Es folgt eine Tabelle, die leider aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann:
Juli 2007 2139,72 EUR August 2007 1938,78 EUR September 2007 1847,30 EUR Oktober 2007 2019,71 EUR
November 2007 1973,68 EUR Dezember 2007 2045,67 EUR Januar 2008 1582,50 EUR Februar 2008 1538,19 EUR
März 2008 2103,97 EUR April 2008 2202,98 EUR Mai 2008 2250,06 EUR
Von diesem Nettoeinkommen hat die Kammer weiterhin die Unterkunftskosten in Abzug gebracht, hierbei jedoch – im
Unterschied zur Beklagten – auch die monatlichen Tilgungszahlungen auf das Haus, den sog. Abtrag, in Höhe von
99,76 EUR berücksichtigt. Die Kammer ist nämlich überzeugt, dass auch diese Tilgungsleistungen im Rahmen der
Beurteilung der Vermutungsregelung des § 9 Abs. 5 SGB II berücksichtigt werden müssen. § 1 Abs. 2 S.1 ALG II-VO
ist nämlich keine dahingehende Einschränkung zu entnehmen, dass bei den abzugsfähigen Aufwendungen für
Unterkunft und Heizung der Verwandten Tilgungszahlungen unberücksichtigt bleiben sollen. Die Kammer hält die
Heranziehung des Grundsatzes, dass SGB II-Leistungen nicht der Vermögensbildung dienen sollen, im Rahmen der
Anwendung von § 9 Abs. 5 SGB II in Verbindung mit § 1 Abs. 2 S.1 ALG II-VO für verfehlt, da die Tilgungsleistungen
von Nichtleistungsempfängern nicht bei den Leistungsempfängern zu einer rechtspolisch unerwünschten
Vermögensbildung auf Kosten des Steuerzahlers führen. Diese Auslegung des § 1 Abs. 2 S.1 ALG II-VO wird nicht
zuletzt durch den Wortlaut und den Sinn und Zweck des § 9 Abs. 5 SGB II unterstützt. Es kann von den Verwandten
eines Hilfsbedürftigen nach der Überzeugung der Kammer nämlich rechtlich nicht "erwartet" werden, dass diese ihre
Kredite nicht bedienen, um an Stelle des SGB II-Trägers den Hilfsbedürftigen zu unterstützen. Eine solch
weitgehende Solidarpflicht lässt sich nicht im Wege der Auslegung der Vermutungsregelung den Verwandten von
Hilfsbedürftigen auferlegen und hätte die sozialpolitisch kontraindizierte Wirkung, dass Leistungsberechtigte und ihre
Verwandten ihre Haushaltsgemeinschaften aufgeben würden. Eine solche Konsequenz hat der SGB II-Gesetzgeber
ersichtlich nicht gewollt. Das SGB II würde damit einer sozialen Isolierung der Hilfsbedürftigen Vorschub leisten.
Die Kammer hat daher neben den von der Beklagten bereits anerkannten Unterkunftskosten in Höhe von 436,93 EUR
zusätzlich die monatliche Tilgung in Höhe von 99,76 EUR, und damit einen Gesamtbetrag in Höhe von monatlich
536,69 EUR, als Unterkunftskosten in den streitgegenständlichen Zeiträumen von dem zuvor errechneten
Nettoeinkommen abgezogen und ist auf dieser Grundlage für den Zeitraum vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 zu einem
monatlichen Durchschnittswert von 1447,14 EUR und für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.05.2008 zu einem
monatlichen Durchschnittsbetrag in Höhe von 1416,91 EUR gelangt.
Von diesen Beträgen hat die Kammer entsprechend den Vorgaben des § 1 Abs. 2 ALG II-VO für beide Eltern die
doppelte Regelleistung eines Alleinstehenden in Höhe von insgesamt 1388,00 EUR abgezogen (2 X 347,00 EUR X 2
Personen) und den Restbetrag durch zwei dividiert. Auf dieser Grundlage ist die Kammer für die Zeit vom 01.07.2007
bis 30.11.2007 zu einem überschießenden Einkommen der Eltern in Höhe von 54,57 EUR und für die Zeit vom
01.12.2007 bis 31.05.2008 zu einem monatlichen Betrag in Höhe von 39,45 EUR gelangt.
Da der 26-jährige Kläger mit seinen Eltern keine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II bildet,
sind diese Beträge zusätzlich um den Pauschbetrag des § 6 Abs. 1 Nr. 1 ALG-II VO für volljährige Hilfsbedürftige zu
bereinigen, so dass von über § 9 Abs. 5 SGB II zu vermutenden Leistungen für die Zeit vom 01.11.2007 bis
30.11.2007 in Höhe von monatlich 24,57 EUR und für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.05.2008 in Höhe von 9,45 EUR
auszugehen ist.
Hieraus hat die Kammer einen Leistungsanspruch für die Zeit vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 in Höhe von 322,43
EUR und für die Zeit vom 01.12.2007 bis 31.05.2008 in Höhe von 337,55 EUR errechnet, wobei der Kläger von der
Beklagten seit dem 01.02.2008 ohnehin die volle Regelleistung in Höhe von 347,00 EUR erhielt.
Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.