Urteil des SozG Karlsruhe vom 02.12.2015

anspruch auf bewilligung, kaufmännischer angestellter, wartezeit, altersrente

SG Karlsruhe Urteil vom 2.12.2015, S 7 R 1644/15
Altersrente für besonders langjährig Versicherte - Geschäftsaufgabe - Wartezeit -
Kausalzusammenhang
Leitsätze
Ein Arbeitslosengeldbezug ist nur dann im Sinne von § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB
VI durch eine Insolvenz oder Geschäftsaufgabe bedingt, wenn zwischen dem
Arbeitslosengeldbezug und der Insolvenz bzw. der Geschäftsaufgabe ein
unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger Anspruch auf eine
Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 01.03.2016 hat.
2 Der am 00.00.1952 geborene Kläger war bis zum 31.08.2013 als kaufmännischer
Angestellter bei der F-GmbH tätig, deren Alleingesellschafterin seine Ehefrau war.
Mit Schreiben vom 01.08.2013 kündigte sie ihm zum 31.08.2013 wegen
Geschäftsaufgabe. In der Zeit vom 14.10.2013 bis zum 14.12.2013 war er befristet
als kaufmännischer Angestellter bei der Fa. S. beschäftigt.
3 Ab dem 22.09.2014 bewilligte ihm die Agentur für Arbeit Arbeitslosengeld für 517
Tage.
4 Am 06.12.2014 beantragte er bei der Beklagten die Bewilligung einer vorzeitigen
Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach § 236b Abs. 1
Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Nachdem die Beklagte ihm mit
Schreiben vom 11.12.2014 mitgeteilt hatte, eine Geschäftsaufgabe sei in Bezug
auf die F-GmbH nicht erfolgt, vielmehr habe lediglich ein Inhaberwechsel auf die
Fa. S stattgefunden, lehnte sie den Rentenantrag im Bescheid vom 16.02.2015 mit
der Begründung ab, das letzte Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Fa. S. habe
wegen Auslauf der Befristung geendet. Deshalb könne sie die darauf folgende Zeit
des Arbeitslosengeldbezuges nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren anrechnen.
Denn nach § 51 Abs. 3a HS 2 SGB VI sei dies nur möglich, wenn der
Arbeitslosengeldbezug durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe
des Arbeitgebers bedingt sei.
5 Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs führte der Kläger im
Wesentlichen aus, er habe seinen langjährigen Arbeitsplatz aufgrund von einer
Geschäftsaufgabe verloren. Bei der Fa. S. habe er lediglich ein befristetes
Beschäftigungsverhältnis gehabt, das den langjährigen Arbeitsplatz nicht habe
ersetzen können. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.04.2015 wies die Beklagte
den Widerspruch zurück.
6 Deswegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur
Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen.
Ergänzend führt er aus, die befristete Anstellung bei der Fa. S. stünde einer
Berücksichtigung der Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen auf die
Wartezeit von 45 Jahren nicht entgegen. Denn angesichts des mit der Vorschrift
des § 51 Abs. 3a Satz 1 Ziff. 3 SGB VI verfolgten gesetzgeberischen Ziels, eine
Anrechnung von Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen nur in Fällen
unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu ermöglichen, sei eine Anwendung der Vorschrift im
vorliegenden Fall möglich. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass er einen
Anspruch auf Bewilligung einer vorzeitigen Altersrente für besonders langjährig
Versicherte gehabt hätte, hätte er kein neues Beschäftigungsverhältnis
angenommen und wäre durchgängig arbeitslos gewesen.
7 Er beantragt,
8
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16.02.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.04.2015 zu verurteilen, ihm ab dem 01.03.2016
Altersrente für besonders langjährig Versicherte zu gewähren.
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Sie ist der Ansicht, die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden.
12 Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akte der Beklagten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist in
der Sache unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2015 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.04.2015 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Er hat keinen
Anspruch auf Bewilligung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab
dem 01.03.2016.
14 Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens ist § 236b Abs. 1 SGB VI. Danach
haben Versicherte, die vor dem 01.01.1964 geboren sind frühestens Anspruch auf
Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie das 63. Lebensjahr
vollendet (Nr. 1) und die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben (Nr. 2).
15 Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Kläger im Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung für die Wartezeit von 45 Jahren (= 540 Monate) nur 524
berücksichtigungsfähige Monate hat und deshalb für den Zeitpunkt des
beantragten Rentenbeginns am 01.03.2016 die ihm fehlenden weiteren 16
Wartezeitmonate nicht mehr erreichen kann. Insbesondere wird die Zeit des
Arbeitslosengeldbezuges ab dem 22.09.2014 nicht gem. § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr.
3a SGB VI auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet, weil sie in den letzten
zwei Jahren vor Rentenbeginn liegt und weder durch eine Insolvenz des
Arbeitgebers noch durch eine Geschäftsaufgabe bedingt ist. Ursache des
Arbeitslosengeldbezuges ist vielmehr das Befristungsende der Beschäftigung bei
der Fa. S. gewesen. Daher kann dahinstehen, ob das Beschäftigungsverhältnis
bei der F-GmbH tatsächlich aufgrund von einer Geschäftsaufgabe geendet hat.
16 Nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI werden auf die Wartezeit von 45 Jahren
Kalendermonate angerechnet mit Zeiten des Bezuges von Entgeltersatzleistungen
der Arbeitsförderung soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind;
dabei werden Zeiten nach Buchstabe a [d.h. Zeiten des Bezuges von
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung] in den letzten zwei Jahren vor
Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn der Bezug von
Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder
vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt.
17 Da der Arbeitslosengeldbezug des Klägers vorliegend nicht durch eine
Geschäftsaufgabe, sondern durch das Befristungsende bedingt ist, findet die
Rückausnahme des § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI keine Anwendung.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Anwendungsbereich der Vorschrift
nicht zu seinen Gunsten dahingehend erweitert werden, dass in allen Fällen des
unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes und daran anschließenden
Arbeitslosengeldbezuges in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn diese Zeit
auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet wird. Eine solche Auslegung
widerspräche sowohl Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung als auch der
gesetzlichen Systematik einer Ausnahmevorschrift.
18 Hintergrund von § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI ist, dass die Altersrente für
besonders langjährig Versicherte im Hinblick auf die grundsätzliche
Berücksichtigungsfähigkeit von Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges auch
Versicherten mit kurzen Unterbrechungen in der Erwerbsbiografie offen stehen
sollte. Hiermit wollte der Gesetzgeber insbesondere der Arbeitsmarktsituation in
den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung Rechnung tragen (BT-Drs.
18/909, S. 20). Gleichzeitig wollte er allerdings vermeiden, dass die neu
eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte Anreize für
Frühverrentungen setzt. Denn die Erfahrungen mit den Frühverrentungsmodellen
der 1990iger Jahre hatten gezeigt, dass es regelmäßig zu einem dem
Rentenbeginn vorgelagerten Arbeitslosengeldbezug gekommen war. Die Rente für
besonders langjährig Versicherte mit 63 Lebensjahren nach § 236b Abs. 1 SGB VI
sollte aber nicht durch einen vorherigen Arbeitslosengeldbezug faktisch zu einer
Rente mit 61 Jahren werden (BT-Drs. 18/1489, S. 26; Schmidt, in: juris-PR-SozR
18/2014 Anm. 1). Vor diesem Hintergrund ist die in § 51 Abs. 3a Nr. 3a HS 2 SGB
VI enthaltene Ausnahme zu sehen, wonach ungeachtet der grundsätzlichen
Berücksichtigungsfähigkeit von Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges, in den
letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn ein Arbeitslosengeldbezug nicht auf die
Wartezeit von 45 Jahren angerechnet wird (BT-Drs. 18/1489, S. 26; Gürtner, in:
KassKomm, 86. EL Juni 2015, § 51 Rn. 13). Lediglich zur Vermeidung von
Härtefällen werden Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges in den letzten zwei Jahren
vor Rentenbeginn dennoch berücksichtigt, wenn sie durch Insolvenz oder
vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt sind (BT-Drs. 18/1489, S.
26). Angesichts dieser eindeutigen gesetzgeberischen Intention erfordert das
Tatbestandsmerkmal des „bedingt seins“ einen unmittelbaren Zusammenhang
zwischen Arbeitslosengeldbezug und Geschäftsaufgabe bzw. Insolvenz. Die
Zulassung einer lediglich mittelbaren Ursächlichkeit würde den Tatbestand der
Rückausnahme über die bloße Berücksichtigung von Härtefällen hinaus erheblich
erweitern und findet keinen Anhaltspunkt im Gesetzeswortlaut (für eine enge
Auslegung des Kausalitätserfordernis spricht sich auch das SG Stade, Urteil vom
14.09.2015, Az. S 9 R 5/15 - juris, aus). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber
gerade nicht eine Rückausnahme für sämtliche Fälle unverschuldeter
Arbeitslosigkeit normiert hat.
19 Dabei verkennt die Kammer nicht, dass eine solche enge Gesetzesauslegung im
Fall des Klägers zu dem für ihn unglücklichen Ergebnis führt, dass die
zurückgelegten Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges allein deshalb keine
Berücksichtigung finden, weil er nach der unterstellten Geschäftsaufgabe noch
einmal zwei Monate in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hat und der
Arbeitslosengeldbezug unmittelbar erst durch den Verlust dieses befristeten
Beschäftigungsverhältnisses bedingt gewesen ist. Hierin liegt zwar unverkennbar
eine gewisse Härte der gesetzlichen Regelung, zu einer erweiternden Auslegung
oder gar analogen Anwendung der in § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 3a SGB VI
genannten Fälle zwingt dies jedoch nicht. Denn hierfür ist im Hinblick auf den
klaren Wortlaut, den Sinn und Zweck und den Ausnahmecharakter der Vorschrift
kein Raum
20 Nach alledem erfüllt der Kläger die Wartezeit von 45 Jahren nicht und die Klage
war abzuweisen.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.