Urteil des SozG Karlsruhe vom 28.08.2015

wichtiger grund, besondere härte, eintritt des versicherungsfalls, darstellung des sachverhaltes

SG Karlsruhe Urteil vom 28.8.2015, S 7 AL 1978/14
Ruhen des Arbeitslosengeldes - Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe - Abschluss
eines Altersteilzeitvertrages im Blockmodell - wichtiger Grund - beabsichtigter
nahtloser Übergang in die Altersrente - geänderte Rentenpläne wegen
nachträglicher Änderung der Rechtslage
Leitsätze
Ein wichtiger Grund i.S.v. § 159 Abs. 1 Satz 2 SGB III liegt nicht vor, wenn der
Versicherte, der einen Altersteilzeitvertrag abgeschlossen hat und ursprünglich
geplant hat, direkt nach Durchlaufen der Altersteilzeit eine Rente mit Abschlägen zu
beziehen, sich aufgrund einer nunmehr wegen einer Gesetzesänderung existierenden
besseren Rentenoption dafür entscheidet, zunächst Arbeitslosengeld zu beziehen
und erst später eine abschlagsfreie Rente zu beantragen.
Für die Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, muss auch das spätere Verhalten des
Versicherten Berücksichtigung finden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum
vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014 (84 Tage x 20,58 EUR = 1728,72 EUR), für
den die Beklagte den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt hat.
2 Die 1951 geborene Klägerin arbeitete seit 1990 als Verwaltungsangestellte bei
dem K. V. (im Folgenden: Arbeitgeber). Am 18.12.2002 schloss sie mit ihrem
Arbeitgeber einen Altersteilzeitvertrag ab, der das bis dahin unbefristete
Arbeitsverhältnis in ein bis zum 31.03.2014 befristetes Arbeitsverhältnis
umwandelte. Nach § 2 des Vertrages vereinbarten sie die Ableistung der
Arbeitszeit im Blockmodell mit einer Arbeitsphase vom 01.10.2006 bis 30.06.2010
und einer Freistellungsphase vom 01.07.2010 bis zum 31.03.2014.
3 Nach persönlicher Arbeitslosmeldung beantragte die Klägerin bei der Beklagten
zum 01.04.2014 Arbeitslosengeld. Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom
08.04.2014 den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 01.04.2014
bis zum 23.06.2014 fest, da die Klägerin ihr Arbeitsverhältnis durch Abschluss des
Altersteilzeitvertrages gelöst habe und ihre Arbeitslosigkeit habe vorhersehen
müssen.
4 Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs führte die Klägerin im
Wesentlichen aus, aufgrund des zum 01.07.2014 in Kraft getretenen Gesetzes
über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung könne sie
nunmehr abschlagsfrei ab dem 63. Lebensjahr, welches sie im September 2014
vollende, nach 45 Arbeitsjahren eine Altersrente für besonders langjährig
Versicherte beziehen. Dies habe sie im Zeitpunkt des Abschlusses des
Altersteilzeitvertrages nicht vorhersehen können.
5 Mit Bewilligungsbescheid vom 08.05.2015 bewilligte ihr die Beklagte
Arbeitslosengeld in Höhe von kalendertäglich 20,58 EUR für die Zeit vom
24.06.2014 bis zum 23.12.2015.
6 Den Widerspruch gegen den Sperrzeitbescheid wies sie mit
Widerspruchsbescheid vom 09.05.2014 zurück. Durch Abschluss des
Altersteilzeitvertrages habe sie die Arbeitslosigkeit zumindest grob fahrlässig
herbeigeführt. Ein wichtiger Grund für das versicherungswidrige Verhalten liege
nicht vor, wenn sich die Arbeitslose nach Beendigung der Beschäftigung in
Altersteilzeit arbeitslos melde, anstatt planmäßig Altersrente - gegebenenfalls auch
mit Abschlägen - zu beziehen.
7 Deswegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur
Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen.
Ergänzend führt sie aus, bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages sei sie bereit
gewesen, Rentenabschläge in Höhe von 9 % in Kauf zu nehmen. Dies habe sich
aber durch die gesetzliche Neuregelung der Altersrente für besonders langjährig
Versicherte geändert, wonach sie mit Vollendung des 63. Lebensjahres eine
abschlagsfreie Rente in Anspruch nehmen könne. Im Hinblick auf das Urteil des
Sozialgerichts München vom 05.11.2013 (Az. S 5 AL 983/12) könne in einem
solchen Sachverhalt ein wichtiger Grund zu sehen sein. In der mündlichen
Verhandlung vom 28.08.2015 hat sie angegeben, nachdem sie sich für eine
Rentenbeantragung erst zu Oktober 2014 entschieden hatte, habe sie sich nicht
um eine Vermeidung der Arbeitslosigkeit bemüht.
8 Die Klägerin beantragt,
9
den Bescheid vom 08.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld in
gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014 zu gewähren.
10 Die Beklagte beantragt,
11 die Klage abzuweisen.
12 Sie ist der Ansicht, die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden.
Etwas anderes ergäbe sich insbesondere nicht aus der von der Klägerin zitierten
Entscheidung des Sozialgerichts München. Eine Gesetzesänderung zu ihren
Lasten seit Abschluss des Altersteilzeitvertrages sei nicht eingetreten. Vielmehr
habe sie mit Rentenabschlägen in Höhe von 9 % gerechnet, was zum 01.04.2014
auch der zu diesem Zeitpunkt weiterhin geltenden Rechtslage entsprochen habe.
13 Wegen der weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Akte der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
14 Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist
nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.04.2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.05.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 23.06.2014,
weil die Beklagte für diesen Zeitraum zu Recht eine Sperrzeit festgestellt hat.
15 Rechtsgrundlage für die Feststellung des Sperrzeiteintritts ist § 159 Abs. 1 Satz 1,
2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III). Danach ruht der
Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitnehmer
versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben.
Versicherungswidriges Verhalten liegt unter anderem vor, wenn der Arbeitslose
das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig
die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Die für die
Beurteilung eines wichtigen Grundes maßgebenden Tatsachen hat der
Arbeitnehmer darzulegen und nachzuweisen, wenn diese in seiner Sphäre oder in
seinem Verantwortungsbereich liegen (§ 159 Abs. 1 Satz 3 SGB III).
16 Indem die Klägerin mit ihrem Arbeitgeber im Rahmen des Altersteilzeitvertrages ihr
ursprünglich unbefristetes Arbeitsverhältnis in ein bis zum 31.03.2014 befristetes
Arbeitsverhältnis umgewandelt hat, hat sie ihr Beschäftigungsverhältnis gelöst
(siehe hierzu: BSG, Urteil vom 21.07.2009, Az. B 7 AL 6/08 R- juris, Rn. 11) und ist
dadurch nach Ende der Freistellungsphase beschäftigungslos geworden. Da sie
kein konkretes Anschlussarbeitsverhältnis in Aussicht gehabt hat, hat sie die
Beschäftigungslosigkeit vorsätzlich herbeigeführt (so auch LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 25.02.2014, Az. L 13 AL 283/12 - juris, Rn. 25).
17 Auf einen wichtigen Grund für ihr versicherungswidriges Verhalten i.S.v. § 159 Abs.
1 Satz 1 SGB III kann sich die Klägerin nicht berufen. Zwar kann der Abschluss
eines Altersteilzeitvertrages einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellen
(BSG, Urteil vom 21.07.2009, Az. B 7 AL 6/08 R - juris, Rn. 14). Dies gilt aber nur
dann, wenn sich der Versicherte entsprechend der Gesetzesintention des
Altersteilzeitgesetzes verhält. Gesetzgeberisches Ziel ist die Entlastung der
Arbeitslosenversicherung durch Herstellung eines nahtlosen Übergangs zwischen
Altersteilzeitbeschäftigung und Rentenbeginn ohne Zwischenschritt über die
Arbeitslosigkeit. Der Leistungsbezug bei der Beklagten sollte also gerade
vermieden werden (BR-Drs. 208/96, S. 22).
18 Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht ausreichend, dass sie im Dezember
2002 beabsichtigt hat, nach Durchlaufen der Altersteilzeit im April 2014 unter
Inkaufnahme eines Abschlages in Höhe von 9 % in Rente zu gehen. Das
Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrages
erfordert nämlich nicht nur die im Zeitpunkt des Abschlusses des
Altersteilzeitvertrages bestehende Absicht, nach Durchlaufen der Altersteilzeit
Rente zu beantragen. Vielmehr muss für die Bestimmung der Frage, ob ein
wichtiger Grund in diesem Sinne vorliegt, auch das folgende Verhalten des
Versicherten Berücksichtigung finden. Dies hat das BSG bereits mit Urteil vom
20.04.1977 (Az. 7 Rar 112/75 - juris, Rn. 16) entschieden. Danach kann, wenn der
wichtige Grund nachträglich entfällt, von der Verhängung einer Sperrzeit unter
Abwägung der Interessen des Versicherten mit denen der
Versichertengemeinschaft nur dann abgesehen werden, wenn der Versicherte alle
zumutbaren Anstrengungen unternimmt, den Eintritt des Versicherungsfalls zu
vermeiden. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes allein und ausschließlich im
Zeitpunkt des versicherungswidrigen Verhaltens ist nach dieser Rechtsprechung
gerade nicht ausreichend (so aber SG Karlsruhe, Urteil vom 06.07.2015, Az. S 5
AL 3838/14).
19 Dem entspricht es, wenn das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom
25.02.2014, Az. L 13 AL 283/12 entschieden hat, dass der Abschluss eines
Altersteilzeitvertrages nur dann einen wichtigen Grund darstellt, wenn der
Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses subjektiv geplant hatte, nach
Ende der Altersteilzeit nahtlos in den Rentenbezug zu wechseln, dies objektiv
möglich erschien und im Weiteren dann auch tatsächlich angestrebt wurde. Auch
das LSG Baden-Württemberg verlangt demnach für die Bejahung eines wichtigen
Grundes mehr als dessen singuläres Vorliegen im Zeitpunkt des
versicherungswidrigen Verhaltens.
20 Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass ein Versicherter, der von
seinem ursprünglichen Plan, eine vorzeitige abschlagsbehaftete Rente zu
beziehen, aufgrund späterer finanziell attraktiverer Rentengestaltungen Abstand
genommen hat, den zunächst vorliegenden wichtigen Grund selbständig
sanktionslos beseitigen könnte.
21 Aus diesen Erwägungen hält die Kammer es für sachgerecht, den Entschluss der
Klägerin, nunmehr zunächst Arbeitslosengeld zu beziehen und entgegen ihrer
ursprünglichen Absicht nach Vollendung des 63. Lebensjahres im September
2014 die neue gesetzliche Regelung der abschlagsfreien Altersrente für
besonders langjährig Versicherte in Anspruch zu nehmen, im Rahmen der Prüfung
des wichtigen Grundes zu berücksichtigen.
22 In Abwägung der Interessen der Klägerin mit denen der Versichertengemeinschaft
führt das nachträgliche Abstandnehmen von der ursprünglich geplanten
Rentenbeantragung zu April 2014 durch Inanspruchnahme der zeitlich erst später
möglichen finanziell attraktivsten Rentenoption dazu, dass sich die Klägerin
insgesamt nicht auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes zu ihren Gunsten
berufen kann. Denn ein Versicherter, der sich nach Durchlaufen der Altersteilzeit
trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Altersrente
dazu entschieden hat, sich erneut dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, trägt
gerade nicht zu der durch das Altersteilzeitgesetz angestrebten
Arbeitsmarktentlastung bei. Vielmehr führt er bewusst den Versicherungsfall der
Arbeitslosigkeit herbei und verwirklicht gerade das Verhalten, das nach dem
gesetzgeberischen Willen mit einer Sperrzeit belegt werden soll (LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 25.02.2014, Az. L 13 AL 283/12, juris - Rn. 28). Hieran
ändert der Umstand nichts, dass der Entschluss der Klägerin finanziell
nachvollziehbar ist. Es ist ihr Risiko, dass durch nachträgliche
Gesetzesänderungen bessere Rentenoptionen entstehen. Dieses Risiko hat sie
mit Abschluss des Altersteilzeitvertrages im Jahr 2002 und der damit
einhergehenden verbindlichen Planung ihres restlichen Berufslebens auf sich
genommen.
23 Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung der Kammer auch nicht aus dem von
der Klägerin zitierten Urteil des SG München vom 05.11.2013, Az. S 35 AL 983/12
- juris. Insbesondere hat das SG München die Aussage, auf die sich die Klägerin
bezieht - ein wichtiger Grund könne bejaht werden, wenn zwischen dem Abschluss
des Altersteilzeitvertrages und dem Renteneintritt hinsichtlich des mit dem
vorzeitigen Renteneintritt verbundenen Abschlags Änderungen eintreten - im
Rahmen eines obiter dictums getätigt. Die Entscheidung enthält weder eine
Klarstellung, welche Änderungen des Rentenabschlages geeignet sein sollen,
einen wichtigen Grund darzustellen. Noch setzt sich das Gericht mit der Frage
auseinander, inwieweit der Versicherte im Rahmen seiner Obliegenheiten
verpflichtet ist, trotz finanziell lohnenswerter Rentenalternativen Arbeitslosigkeit zu
vermeiden.
24 Nach alledem kann sich die Klägerin nicht auf das Vorliegen eines wichtigen
Grundes berufen.
25 Bedenken gegen den Beginn und die Dauer der Sperrzeit bestehen nicht.
Insbesondere stellt die Dauer von 12 Wochen keine besondere Härte im Sinne von
§ 159 Abs. 3 Nr. 2b SGB III dar. Nach dieser Vorschrift verkürzt sich die Sperrzeit
auf sechs Wochen, wenn eine zwölfwöchige Sperrzeit für die arbeitslose Person
nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere
Härte bedeuten würde. Eine besondere Härte liegt vor, wenn nach den
Gesamtumständen des Einzelfalls die Regeldauer im Hinblick auf die für den
Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen als objektiv unverhältnismäßig
anzusehen ist (BSG, Urteil vom 04.09.2001, Az. B 7 AL 4/01 R - juris, Rn. 21).
Besteht ein Rentenanspruch und wird dennoch Arbeitslosengeld beantragt, so
handelt es sich um den Normalfall einer Sperrzeit bei Herbeiführung der
Beschäftigungslosigkeit durch Abschluss eines Altersteilzeitvertrages. Entscheidet
sich ein Versicherter, nach Durchlaufen der Altersteilzeit dafür, nicht eine (mit
Abschlägen verbundene) Altersrente in Anspruch zu nehmen, sondern sich erneut
dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, so wird damit bewusst der
Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit herbeigeführt (LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 25.02.2014, Az L 13 AL 283/12, - juris, Rn. 32). Im Übrigen hat sich die
Klägerin nach eigenen Angaben, nachdem sie sich entschieden hatte, entgegen
der ursprünglichen Planung nicht zu April 2014, sondern erst zu Oktober 2014 in
Rente zu gehen, nicht mehr um eine Vermeidung der Arbeitslosigkeit bemüht.
Insofern kann dahinstehen, ob das nachträgliche Bemühen, die Arbeitslosigkeit zu
verhindern, die Annahme eines Härtefalls rechtfertigen könnte.
26 Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.
27 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.