Urteil des SozG Karlsruhe vom 26.09.2016

versorgung, krankenkasse, berufliche tätigkeit, verordnung

SG Karlsruhe Urteil vom 26.9.2016, S 5 R 771/16
Krankenversicherung - Hörgeräteversorgung - zuständiger Rehabilitationsträger -
Weiterleitung des Rehabilitationsantrags nach Bewilligung eines Festbetrags -
Kostenerstattungsverfahren - preiswerteres Hilfsmittel
Leitsätze
Sofern ein Versicherter bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit Hörgeräten beantragt und die Kasse
daraufhin nur einen Festbetrag bewilligt, wegen der weitergehenden Kosten des Hilfsmittels den Antrag
hingegen an einen anderen Reha-Träger weiterleitet, so widerspricht diese bloß teilweise Weiterleitung der
gesetzlichen Konzeption des § 14 SGB IX. Zuständiger Rehabilitationsträger bleibt daher die erstangegangene
Krankenkasse, auch für die Kosten, die über den Festbetrag hinausgehen.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.8.2016 wird
aufgehoben. Die Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger 3.051,99 EUR zu erstatten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte und die Beigeladene haben als Gesamtschuldner dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu
erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist die Erstattung von Kosten für CROS-Hörgeräte.
2 Der Kläger arbeitet seit dem Jahre 2003 als Fachreferent für Ergonomie. Infolge eines Akustikus-Neurinoms,
das im September 2014 operativ entfernt wurde, ist der Kläger auf dem linken Ohr taub.
3 Am 10.2.2015 verordnete ihm sein behandelnder HNO-Arzt H. CROS-Hörgeräte.
4 Mit dieser Verordnung wandte sich der Kläger am 25.2.2015 an die Fa. L. Hörakustik (im Folgenden: Fa. L.).
Dort testete er zwei verschiedene Hörgeräte, jeweils in Kombination mit einem CROS-Gerät.
5 Am 27.2.2015 reichte die Fa. L. bei der Beigeladenen einen Kostenvoranschlag für die Versorgung des
Klägers mit einem Hörgerät und einem CROS-Gerät ein. Die voraussichtlichen Kosten bezifferte sie mit
3.833,55 EUR.
6 Mit Bescheid vom 6.3.2015 bewilligte die Beigeladene dem Kläger für die beantragte Versorgung Festbeträge
für das Hörgerät in Höhe von 700 EUR, das CROS-Gerät in Höhe von 140 EUR und zwei Ohrpassstücke in
Höhe von jeweils 33,50 EUR (abzüglich einer Zuzahlung in Höhe von 20 EUR).
7 Im Übrigen, also hinsichtlich der weitergehenden Kosten, leitete die Beigeladene den Antrag mit Schreiben
vom 6.3.2015 unter Hinweis auf § 14 SGB IX an die Beklagte weiter. Darin führte sie aus, mit der
Bewilligung der Festbeträge sei sie ihrer Pflicht zum Behinderungsausgleich nach dem Recht der
gesetzlichen Krankenversicherung nachgekommen. Es gebe indes Anhaltspunkte dafür, dass die berufliche
Tätigkeit des Klägers besondere Anforderungen an sein Hörvermögen stellt. Sie bitte die Beklagte daher um
weitere Prüfung.
8 Mit Schreiben vom 27.3.2015 schickte die Beklagte die Antragsunterlagen zurück an die Beigeladene. Zur
Begründung gab sie an, die Beigeladene habe nicht hinreichend geprüft, ob tatsächlich eine spezifisch
berufsbedingte Bedarfslage besteht.
9 Am 17.8.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten, die Kosten für die Hilfsmittel als Leistung zur
Teilhabe am Arbeitsleben zu übernehmen. Er machte geltend, sein Beruf erfordere viel Kommunikation, z.B.
bei Besprechungen, Beratungen in Unternehmen und Seminartätigkeit. All dies sei durch die Taubheit auf
dem linken Ohr deutlich erschwert: Wenn ihn jemand von der linken Seite anspreche, habe er
Schwierigkeiten, ihn zu verstehen. Probleme bereiteten auch Besprechungen in Gruppen. Mit nur einem
hörenden Ohr falle es ihm schwer, festzustellen, aus welcher Richtung ein Geräusch oder eine Stimme
kommt. Das sei insbesondere bei der Besichtigung von Arbeitsplätzen in den Betrieben misslich. CROS-
Hörgeräte würden diese Defizite im Berufsleben gut ausgleichen. Ohne solche Geräte könne er hingegen
seine Erwerbstätigkeit kaum in gewohnter Weise fortführen.
10 Mit Schreiben vom 29.9.2015 wandte sich der Kläger zudem an die Beigeladene und beantragt dort die
Übernahme der vollen Kosten für eine Versorgung mit CROS-Hörgeräten. Er machte geltend, durch seine
Hörbehinderung werde er im Alltag erheblich beeinträchtigt: Er habe Schwierigkeiten, Gesprächen in
akustisch problematischem Umfeld zu folgen, etwa in Gruppen, in großen Räumen oder bei
Hintergrundgeräuschen (z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln). Außerdem könne er verschiedene Tonlagen
nicht klar unterscheiden (z.B. Frauen- und Männerstimmen), ebenso wenig die Richtung, aus der ein Ton
kommt; dies sei insbesondere im Straßenverkehr problematisch. Mit der beantragten Versorgung gehe es
ihm um den bestmöglichen Ausgleich an das Hörvermögen von Menschen ohne Hörbehinderung. Dies sei nur
mit hochwertigen CROS-Hörgeräten möglich.
11 Mit Bescheid vom 2.10.2015 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme als Leistung zur Teilhabe am
Arbeitsleben ab. Zur Begründung gab sie an, der Beruf des Klägers stelle keine spezifischen Anforderungen
an das Hörvermögen. Gespräche in Gruppen sowie bei störenden Umgebungsgeräuschen kämen bei nahezu
jeder Erwerbstätigkeit vor. Eine besondere berufsbedingte Bedarfslage besehe beim Kläger daher nicht.
12 Mit Schreiben vom 14.10.2015 antwortete die Beigeladene auf das Schreiben des Klägers vom 29.9.2015
und teilte ihm mit, nicht sie, sondern die Beklagte sei für die Prüfung und Entscheidung zuständig; denn sie
habe den Antrag an die Beklagte weitergeleitet. Als zweitangegangener Träger dürfe die Beklagte den
Antrag nicht zurückreichen.
13 Gegen den Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 legte der Kläger am 28.10.2015 Widerspruch ein.
14 Parallel zum Widerspruchsverfahren testete der Kläger weitere CROS-Hörgerät, nun allerdings nicht mehr
bei der Fa. L., sondern bei der Fa. B. Hörgeräteakustik (im Folgenden: Fa. B.).
15 Zur Begründung seines Widerspruchs machte der Kläger geltend, an ca. 100 Arbeitstagen pro Jahr suche er
Betriebe der Holz- und Metallindustrie auf, um die Unternehmen im Hinblick auf eine ergonomische
Gestaltung der Arbeitsplätze zu beraten. In den Betriebsstätten seien oft akustische Warnsignale zu
beachten (z.B. von zurücksetzenden Fahrzeugen, Transportkränen und startenden Maschinen), ebenso
Warnrufe von Mitarbeitern. Diese Warnungen müsse er im Rahmen seiner Betriebsbesuche hören und
räumlich zuordnen können, selbst bei Störgeräuschen. Angesichts dessen beständen entgegen der
Auffassung der Beklagten im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit sehr wohl besondere Anforderungen an
sein Hörvermögen. Im Übrigen sei die Beklage als zweitangegangener Träger zur umfassenden Prüfung
seines Antrags verpflichtet, also nicht nur nach den Regelungen des SGB VI, sondern auch denjenigen des
SGB V.
16 Mit Widerspruchsbescheid vom 1.8.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte
sie u.a. aus, gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 Nr. 4 SGB IX gehörten zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
auch Hilfsmittel – allerdings nur, wenn sie ausschließlich zur Ausübung eines bestimmten Berufs erforderlich
sind. Andernfalls sei die Versorgung Aufgabe der Krankenkasse. Die vom Kläger geschilderten
Arbeitsbedingungen begründeten Anforderungen an das Hörvermögen, wie sie auch im Alltag und in nahezu
jeder anderen Berufstätigkeit aufträten. Eine Förderung seitens des Rentenversicherungsträgers scheide
daher aus. Ob die Versorgung durch die zuständige Krankenkasse – also die Beigeladene – ausreiche, könne
sie nicht beurteilen.
17 Mit der am 3.3.2016 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.
18 Nach Klageerhebung, am 27.6.2016, kaufte der Kläger bei der Fa. B. CROS-Hörgeräte des Typs Phonak
Audeo V 90 und Phonak CROS II nebst Zubehör zu einem Gesamtpreis von 4.079 EUR. Hiervon übernahm
die Beigeladene 1.027,01 EUR. Den Rest von 3.051,99 EUR stellte die Fa. B. dem Kläger in Rechnung.
19 Der Kläger hat seine Klage nicht begründet.
20 Er beantragt,
21 den Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.2.2016
aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die Beigeladene zu verurteilen, ihm 3.051,99 EUR zu erstatten.
22 Die Beklagte beantragt,
23 die Klage abzuweisen.
24 Sie hat nicht weiter zur Sache vorgetragen.
25 Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie trägt vor, der Kläger habe wohl von vornherein abgelehnt,
zuzahlungsfreie Geräte zu testen. Es sei praktisch ausgeschlossen, das Hörgeräteakustiker dem Versicherten
keine geeigneten zuzahlungsfreien Geräte anbieten. Denn dadurch würden sie gegen vertragliche Vorgaben
verstoßen.
26 Das Gericht hat den Kläger im Rahmen eines Erörterungstermins am 13.6.2016 ergänzend angehört.
Außerdem hat es Unterlagen von der Fa. B. beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und
Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
27
1)
Die kombinierte Anfechtungs- (dazu a) und Leistungsklage (dazu b) ist zulässig und überwiegend
begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung von 3.051,99 EUR für selbst beschaffte Hörgeräte
– allerdings nicht gegenüber der Beklagten, sondern gegenüber der Beigeladenen. Angesichts dessen war
die Leistungsklage abzuweisen, soweit der Kläger eine Verurteilung der Beklagten beantragt hat.
28
a)
Die Anfechtungsklage hat in vollem Umfang Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.8.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten. Denn die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid über den Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten
in der Sache entschieden, obwohl sie hierfür nicht zuständig war.
29 Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach
Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung
zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag
unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu (§ 14 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB
IX). Wird der Antrag hingegen nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf
unverzüglich fest (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX) – und zwar anhand aller Rechtsgrundlagen, die in der konkreten
Bedarfssituation für irgendeinen Rehabilitationsträger in Betracht kommen. Die umfassende Zuständigkeit
des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX hat zur Folge, dass alle anderen
Träger ihre Zuständigkeit verlieren. Ein anderer Rehabilitationsträger darf also nicht mehr in der Sache über
den Reha-Antrag entscheiden. Tut er es dennoch, ist sein Bescheid mangels Zuständigkeit rechtswidrig und
aufzuheben (BSGE 113, 40 Rdnr. 26).
30 Maßgeblich ist somit, bei welchem Rehabilitationsträger der Versicherte zuerst einen Antrag gestellt hat.
Antrag ist jede an den Rehabilitationsträger gerichtete Willenserklärung, aus der sich das Begehren einer
bestimmten Leistung durch den Versicherten ergibt. Der Antrag ist formlos möglich, auch durch
konkludentes Handeln (BSG, Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 32 – nach Juris). Bei der Auslegung
des Antrags gilt der Grundsatz der Meistbegünstigung: Im Zweifel will der Versicherte die für ihn günstigste
Leistung beantragen (BSG, a.a.O., Rdnr. 30 und 32 – nach Juris). Beantragt er neue Hörgeräte, geht es ihm
typischerweise um eine umfassende und bestmögliche Versorgung. Keinesfalls ist ein solcher Antrag in zwei
separate Anträge aufzuspalten – also einen Antrag auf Bewilligung des Festbetrags einerseits und einen
zweiten Antrag auf Bewilligung einer darüber hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren Versorgung
andererseits (BSGE 113, 40 Rdnr. 21). Die Krankenkassen haben die Versorgung mit Hörgeräten
weitgehend an die Hörgeräteakustiker übertragen (vgl. BSGE 113, 40 Rdnr. 20; Urteil vom 30.10.2014, B 5
R 8/14 R, Rdnr. 39 – nach Juris). Angesichts dessen liegt ein Antrag des Versicherten gegenüber seiner
Krankenkasse regelmäßig schon in dem Moment vor, in dem er die vertragsärztliche Verordnung neuer
Hörgeräte an den Hörgeräteakustiker übergibt, spätestens aber dann, wenn der Akustiker der Krankenkasse
die Versorgung anzeigt (BSGE 113, 40 Rdnr. 20). Dies gilt insbesondere, wenn der HNO-Arzt seine
Verordnung zu Lasten der Krankenkasse ausgestellt hat und es dem Versicherten nach dem
Kostenvoranschlag des Hörgeräteakustikers erkennbar auch um den Festbetrag geht (BSG, Urteil vom
30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 43 – nach Juris).
31 Gemessen hieran hat der Kläger einen Antrag auf Versorgung mit CROS-Hörgeräten zuerst bei der
Beigeladenen gestellt: Am 10.2.2015 verordnete ihm der HNO-Arzt H. Hörgeräte – und zwar zu Lasten der
Beigeladenen. Diese Verordnung übergab der Kläger sodann am 25.2.2015 an die Fa. L.. Kurz darauf, am
27.2.2015, schickte die Fa. L. einen Kostenvoranschlag für die Versorgung des Klägers mit CROS-Hörgeräten
des Typs Phonak Audeo Q 90 und Phonak CROS an die Beigeladene; der Voranschlag war mit der
Bemerkung versehen, der Kläger benötige beruflich ein sehr hochwertiges Gerät. Die voraussichtlichen
Kosten bezifferte die Fa. L. mit 3.833,55 EUR. Aus der Bezeichnung des (zuzahlungspflichtigen) Hörgeräte-
Typs im Kostenvoranschlag und dem angegebenen Preis konnte die Beigeladene erkennen, dass es dem
Kläger um die Versorgung mit Hörgeräten geht, deren Kosten den Festbetrag übersteigen. Angesichts dessen
hat der Kläger spätestens am 27.2.2015 bei der Beigeladenen einen umfassenden Antrag auf Leistungen zur
Teilhabe gestellt.
32 An die Beklagte hat sich der Kläger hingegen erstmals mit einem Schreiben vom 21.4.2015 gewandt (Seite
20 der Verwaltungsakte), also zu einem deutlich späteren Zeitpunkt. Einen förmlichen Antrag hat er dort
sogar erst am 17.8.2015 gestellt.
33 Den Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe hat die erstangegangene Beigeladene nicht innerhalb
von zwei Wochen wirksam an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet. Wie ausgeführt, darf ein
Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten nicht aufgespalten werden in einen Antrag auf Bewilligung des
Festbetrags einerseits und einen zweiten Antrag auf Bewilligung einer darüber hinausgehenden, technisch
anspruchsvolleren Versorgung andererseits (vgl. BSGE 113, 40 Rdnr. 21). Dies gilt auch für eine etwaige
Weiterleitung: Der erstangegangene Rehabilitationsträger darf den Antrag nur ganz weiterleiten – oder
eben gar nicht. Demgegenüber hat die Beigeladene dem Kläger mit Bescheid vom 6.3.2015 für die
beantragte Versorgung Festbeträge bewilligt und im Übrigen, also hinsichtlich der weitergehenden Kosten,
den Antrag mit Schreiben vom gleichen Tag unter Hinweis auf § 14 SGB IX an die Beklagte weitergeleitet.
Eine solche bloß teilweise Weiterleitung widerspricht der gesetzlichen Konzeption. Sie ist daher nicht
geeignet, die Zuständigkeit von der erstangegangenen Beigeladenen auf die Beklagte zu verlagern.
34 Seit Ablauf der Zweiwochenfrist ist daher ausschließlich die Beigeladene zuständig. Vor diesem Hintergrund
durfte die Beklagte über den Antrag der Klägerin auf Versorgung mit Hörgeräten nicht mehr in der Sache
entschieden. Sie hat es dennoch getan. Der Bescheid der Beklagten vom 2.10.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 1.8.2016 war daher aufzuheben.
35
b)
Der Kläger hat gegenüber der Beigeladenen einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für CROS-
Hörgeräte des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II nebst Zubehör in Höhe von insgesamt 3.051,99
EUR.
36 Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die
selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu
erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 S. 1 SGB V).
37 So verhält es sich hier:
38
a)
Zu Unrecht hat die Beklagte mit Bescheid vom 6.3.2015 abgelehnt, den Kläger mit Hörgeräten zu
versorgen, deren Kosten über den Festbetrag hinausgehen. Denn der Kläger hatte einen Anspruch auf
derartige Hörgeräte.
39 Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine
Behinderung auszugleichen, soweit sie nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V). Hörgeräte dienen
dem
unmittelbaren Behinderungsausgleich. Im Einzelfall erforderlich sind daher solche Geräte, die nach dem
aktuellen Stand des medizinischen und technischen Fortschritts das Funktionsdefizit möglichst weitgehend
ausgleichen, also zu einer bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen gesunder Menschen führen
(BSGE 105, 170 Rdnr. 15 und 19; BSG, Urteil vom 30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 47 – nach Juris; so auch
§ 19 Abs. 1 a) der Hilfsmittel-Richtlinie).
40 Infolge eines Akustikus-Neurinoms ist der Kläger auf dem linken Ohr taub. Unstreitig benötigte er daher
CROS-Hörgeräte. Die Kammer vermag indes nicht zu beantworten, ob der bestmögliche Ausgleich des
Hördefizits auch mit zuzahlungsfreien Geräten möglich gewesen wäre: In der Test-Phase bei der Fa. L. und
der Fa. B. hat der Kläger ausschließlich Hörgeräte ausprobiert, deren Kosten über den Festbetrag
hinausgehen (Phonak Audeo V 30, V 50, V 70 und V 90 sowie Siemens Pior Pure 5 PX, jeweils in
Verbindung mit einem CROS-Gerät). Für die Kammer nachvollziehbar hat der Kläger im Erörterungstermin
ausgeführt, es gebe für CROS-Geräte nur wenige Anbieter. Die Fa. B. habe ihm auf seine Nachfrage nach
Festbetragsgeräten mitgeteilt, sie erhalte derartige Geräte nicht auf Kommission, sondern müsse sie vom
Hersteller kaufen; angesichts dessen habe sie keine Festbetragsgeräte zum Testen vorrätig. Mangels Tests
mit derartigen Geräten fehlen dem Gericht daher Daten, ob und ggf. inwieweit sie das Hördefizit des Klägers
ausgeglichen hätten. Spätestens am 27.6.2016 war die Anpassung abgeschlossen; seither ist der Kläger
endgültig mit CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II versorgt. Angesichts
dessen ließ sich ein Test mit Festbetragsgeräten im gerichtlichen Verfahren nicht mehr nachholen.
41 Die fehlende Möglichkeit, den Sachverhalt aufzuklären, geht hier zu Lasten der Beigeladenen:
42 Zwar erfüllt die Krankenkasse grundsätzlich ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag, wenn für eine
Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist (§ 12 Abs. 2 SGB V); dies ist für Hörgeräte geschehen. Die Regelung
entbindet die Krankenkasse aber nicht von ihrer Pflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB V, den Versicherten mit der
Sachleistung zu versorgen. Selbst wenn – abstrakt – die Möglichkeit einer ausreichenden
Hilfsmittelversorgung zum Festbetrag bestehen sollte, muss demnach die Krankenkasse dem Versicherten
den konkreten Weg zu der Leistung aufzeigen (BSGE 105, 170 Rdnr. 35). Dieser Verantwortung kann sie
sich nicht dadurch entledigen, dass sie im Wege des „Outsourcing“ die Versorgung mit Hörgeräten faktisch
weitgehend in die Hände der Hörgeräteakustiker legt (vgl. dazu BSGE 113, 40 Rdnr. 20; Urteil vom
30.10.2014, B 5 R 8/14 R, Rdnr. 39 – nach Juris). Bietet der Hörgeräteakustiker dem Versicherten kein
Festbetragsgerät an, muss sich die Krankenkasse dieses Versäumnis zurechnen lassen – und zwar selbst
dann, wenn der Hörgeräteakustiker damit gegen eine Verpflichtung aus einem Vertrag nach § 127 SGB V
verstößt (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2013, L 4 KR 85/12, Rdnr. 33 – nach Juris; SG
Oldenburg, Urteil vom 21.3.2012, S 61 KR 6/12 ER, Rdnr. 31 und 33 – nach Juris).
43 Im vorliegenden Fall hatte die Fa. B. dem Kläger mitgeteilt, sie könne ihm keine aufzahlungsfreien Geräte
zum Testen anbieten. Als Laie hatte der Kläger keinen Anlass, an dieser Auskunft zu zweifeln. Vielmehr
wäre es Sache der Beklagten gewesen, dem Kläger konkrete Versorgungsalternativen aufzuzeigen: Sie
hätte ihm (ggf. nach Beratung durch den MDK) mitteilen müssen, mit welchen aufzahlungsfreien
Festbetragsgeräten sich sein Hördefizit bestmöglich an das Hörvermögen gesunder Menschen angleichen
lässt. Dies hat sie indes nicht getan. Vielmehr hat sie sich darauf beschränkt, mit Bescheid vom 6.3.2015
Festbeträge zu bewilligen und ihn im Übrigen (u.a. mit Schreiben vom 14.10.2015) an die Beklagte
verwiesen.
44
b)
Die Kosten sind dem Kläger „dadurch“ entstanden, dass die Beigeladene die Leistung zu Unrecht
abgelehnt hat.
45 Zwischen der Ablehnung der Leistung und der Kostenbelastung des Versicherten muss ein ursächlicher
Zusammenhang bestehen. Daran fehlt es, wenn sich der Versicherte schon auf eine bestimmte Leistung
festgelegt hat, bevor die Krankenkasse hierüber – ablehnend – entscheidet (BSGE 113, 40 Rdnr. 43).
Relevant ist indes nur eine solche Festlegung des Versicherten, die mit einer rechtlichen Verpflichtung
einhergeht (z.B. der Abschluss eines Kaufvertrags). Bindet sich hingegen der Versicherte noch nicht
endgültig, sondern trifft er nur eine vorläufige Auswahlentscheidung, stellt dies den erforderlichen
Kausalzusammenhang nicht in Frage. So verhält es sich oftmals bei der Versorgung mit Hörgeräten. Denn
dem Leistungsantrag geht in der Regel eine Hörgeräte-Anpassung voraus, die zu einer vorläufigen Präferenz
führt (BSG, a.a.O., Rdnr. 44).
46 Im vorliegenden Fall bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, der Kläger habe sich bereits vor dem Bescheid
der Beklagten vom 6.3.2015 gegenüber einem Hörgeräteakustiker verpflichtet, ganz bestimmte Geräte zu
kaufen. Vielmehr hat er sich die CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II erst am
27.6.2016 gekauft.
47
c)
Die Höhe der Erstattungsforderung ist nicht zu beanstanden.
48 Zwar ist die Krankenkasse gemäß § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V nur zur Kostenerstattung verpflichtet, „soweit die
Leistung notwendig war“. Hat sie indes – wie hier – die Versorgung mit einem Hilfsmittel zu Unrecht
abgelehnt, ist ihr im Erstattungsverfahren in der Regel der Einwand abgeschnitten, der Versicherte hätte
sich ein preiswerteres Hilfsmittel anschaffen können, das in gleicher Weise geeignet gewesen wäre (BSGE
101, 207 Rdnr. 26).
49 Nach den Angaben des Klägers im Erörterungstermin ließ sich sein Hördefizit am besten durch die von ihm
letztlich ausgewählten CROS-Hörgeräten des Typs Phonak Audeo V 90 und Phonak CROS II ausgleichen.
Waren die vier anderen getesteten Geräte also nicht in gleicher Weise zum Behinderungsausgleich
geeignet, kann dahingestellt bleiben, ob eines von ihnen preiswerter gewesen wäre.
50 Die CROS-Hörgeräte kosteten insgesamt 4.079 EUR. Hiervon hat die Beigeladene bisher 1.027,01 EUR
übernommen. Dem Kläger stehen daher noch die von ihm beantragten 3.051,99 EUR zu.
51
2)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 i.V.m. § 194 S. 2 SGG. Zwar war die Leistungsklage teilweise
abzuweisen – nämlich insoweit, als der Kläger eine Verurteilung der Beklagten (statt der Beigeladenen)
beantragt hat. Im Ergebnis hat der Kläger aber die begehrte Leistung erhalten. Angesichts dessen sind ihm
die außergerichtlichen Kosten nicht nur teilweise, sondern voll zu erstatten.