Urteil des SozG Karlsruhe vom 20.07.2015

berufliche weiterbildung, anschluss, anspruchsdauer, arbeitslosigkeit

SG Karlsruhe Urteil vom 20.7.2015, S 5 AL 488/15
Arbeitslosengeldanspruch bei beruflicher Weiterbildung - Anspruchsdauer -
Zeitraum der Förderung - letzter Tag mit Unterrichtsveranstaltungen - keine
Förderungsfähigkeit bis Prüfung
Leitsätze
Hat ein Versicherter Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung bezogen, steht ihm
im Anschluss an die geförderte Weiterbildung mindestens für einen weiteren Monat
Arbeitslosengeld zu. Dieser weitere Monat beginnt, wenn der Zeitraum der Förderung
nach § 81 SGB III endet - unabhängig davon, ob nach dem geförderten Zeitraum noch
eine Prüfung ansteht.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist die Dauer eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld.
2 Vom 1.4. – 29.8.2014 stand der Kläger in einem Beschäftigungsverhältnis.
3 Nachdem er sich arbeitslos gemeldet hatte, bewilligte ihm die Beklagte mit (nicht
streitigem) Bescheid vom 19.9.2014 Arbeitslosengeld in Höhe von täglich 47,02
EUR ab dem 30.8.2014 für eine restliche Anspruchsdauer von 167 Tagen.
4 Vom 13.10. – 7.11.2014 nahm der Kläger an einer Maßnahme zur beruflichen
Weiterbildung teil.
5 Aufgrund dessen erließ die Beklagte am 6.11.2014 zwei (nicht streitige)
Änderungsbescheide: Mit dem ersten Bescheid setzte sie die Dauer des
Anspruchs auf Arbeitslosengeld ab dem 13.10.2014 auf 123 Tage fest, mit dem
zweiten Bescheid ab dem 8.11.2014 auf 111 Tage.
6 Mit Bescheid vom 11.12.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für
die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme vom 8.12.2014 – 16.9.2015
(Lehrgangskosten; Fahrkosten; Kinderbetreuungskosten).
7 Am selben Tag erließ sie darüber hinaus drei Änderungsbescheide: Mit dem
ersten Bescheid setzte sie die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ab dem
1.12.2014 auf 88 Tage fest, mit dem zweiten Bescheid ab dem 8.12.2014 auf 81
Tage und mit dem dritten Bescheid ab dem 17.9.2015 auf 30 Tage (bis zum
16.10.2015).
8 Gegen letzteren Bescheid legte der Kläger am 7.1.2015 Widerspruch ein. Er
machte geltend, offenbar gehe die Beklagte davon aus, die
Weiterbildungsmaßnahme ende mit dem 16.9.2015. Diese Annahme sei falsch:
Die Weiterbildung ende nicht schon mit Abschluss des Lehrgangs, sondern erst
mit den anschließenden Prüfungen. Die Prüfungen nehme die IHK in der Zeit vom
24.9. – 14.10.2015 ab. Ausgehend hiervon stehe ihm entsprechend länger
Arbeitslosengeld zu.
9 Mit Widerspruchsbescheid vom 13.1.2015 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 144 Abs. 1 SGB III werde
Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung nur für die Dauer einer nach § 81
SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung gezahlt. Gemäß § 81 Abs. 1 S. 2
SGB III gelte als Weiterbildung die Zeit vom ersten bis zum letzten Tag der
Maßnahme mit Unterrichtsveranstaltungen. Auf die Prüfung komme es hingegen
nicht an. Im vorliegenden Fall endeten die Unterrichtsveranstaltungen des Klägers
mit dem 16.9.2015; dies ergebe sich aus dem Maßnahmebogen und dem
Maßnahmevertrag. Die Zeit danach werde daher von § 144 SGB III nicht mehr
erfasst.
10 Mit der am 13.2.2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Er
trägt vor, die drei Änderungsbescheide vom 11.12.2014 seien in der
Zusammenschau so zu verstehen, dass ihm die Beklagte bis zum 16.9.2015
Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung bewilligt hat und für die Zeit vom
17.9. – 16.10.2015 wieder „normales“ Arbeitslosengeld. Hiermit sei er nicht
einverstanden: Zwar ende sein Weiterbildungslehrgang mit dem 16.9.2015. Die
anschließenden Prüfungen fänden aber erst später an bundeseinheitlichen
Terminen statt, voraussichtlich am 24.9., 25.9., 28.9., 2.10. und 14.10.2015; die
Termine könne er nicht beeinflussen. Ihm gehe es darum, bis zum
voraussichtlichen Abschluss der Prüfungen am 14.10.2015 Arbeitslosengeld bei
beruflicher Weiterbildung zu erhalten. Dies hätte gegenüber dem „normalen“
Arbeitslosengeld den Vorteil, dass er nicht den Vermittlungsbemühungen der
Agentur für Arbeit zur Verfügung stehen müsse. Die Prüfungen erforderten eine
konzentrierte Vorbereitung. Hiermit würden die Pflichten nach § 136 Abs. 5 SGB III
kollidieren. Sein Begehren werde durch die Entstehungsgeschichte der § 81 und §
144 SGB III gestützt: Für die Dauer einer beruflichen Bildungsmaßnahme habe die
Bundesanstalt für Arbeit früher sog. Unterhaltsgeld gezahlt. Ab dem 1.1.1976 habe
§ 34 Abs. 3 AFG geregelt, dass die Zeit zwischen dem Ende des Unterrichts und
dem Ende der Prüfung Bestandteil der beruflichen Bildungsmaßnahme ist, wenn
die Prüfung innerhalb von drei Wochen nach dem Ende des Unterrichts
abgeschlossen wird. Hierzu habe der Gesetzgeber ausgeführt, erfolge die Prüfung
alsbald nach dem Ende des Lehrgangs, werde die Zwischenzeit im Allgemeinem
zur Prüfungsvorbereitung genutzt; es sei dem Teilnehmer nicht zuzumuten, in
dieser Zeit eine Beschäftigung aufzunehmen. Die Regelung des § 34 Abs. 3 AFG
sei sodann als § 155 Nr. 4 SGB III (a.F.) in das SGB III übernommen worden. Zum
1.1.2005 habe der Gesetzgeber die bisherigen Leistungen Arbeitslosengeld und
Unterhaltsgeld zusammengefasst und u.a. das Arbeitslosengeld bei beruflicher
Weiterbildung nach § 124a SGB III (a.F.) geschaffen. Die Gesetzesänderung habe
dazu gedient, den Verwaltungsaufwand der Bundesagentur für Arbeit zu
verringern; hingegen habe es nach der Vorstellung des Gesetzgebers für die
Versicherten keine leistungsrechtlichen Nachteile geben sollen. Gleiches gelte für
die Neufassung des SGB III zum 1.4.2012, aufgrund derer sich die Regelung des §
124a SGB III (a.F.) nun in § 144 SGB III finde. Vor diesem Hintergrund stehe ihm
Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung bis zum 14.10.2015 und im
Anschluss daran für weitere 30 Tage „normales“ Arbeitslosengeld zu.
11 Der Kläger beantragt,
12 die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 11.12.2014 sowie Aufhebung
des Widerspruchsbescheides vom 13.1.2015 zu verurteilen, ihm bis zum
Abschluss seiner Prüfungen (voraussichtlich am 14.10.2015) Arbeitslosengeld bei
beruflicher Weiterbildung und im Anschluss daran für weitere 30 Kalendertage
Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit zu zahlen.
13 Die Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Sie verweist zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid.
16 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17
1)
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat über den 16.10.2015
hinaus keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Denn mit diesem Tag ist sein
Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgeschöpft.
18 Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld mindert sich um jeweils einen Tag
für jeweils zwei Tage, für die ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher
Weiterbildung erfüllt worden ist (§ 148 Abs. 1 Nr. 7 SGB III). In einem solchen Fall
unterbleibt indes eine Minderung, soweit sich dadurch eine Anspruchsdauer von
weniger als einem Monat ergibt (§ 148 Abs. 2 S. 3 SGB III). Aus der
Zusammenschau dieser beiden Regelungen folgt zweierlei: Zum einen kann der
Versicherte Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung stets für die gesamte
Dauer einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung
beanspruchen – also auch dann, wenn nach der Berechnungsregel des § 148
Abs. 1 Nr. 7 SGB III sein Anspruch „eigentlich“ bereits während der Weiterbildung
erschöpft wäre (Söhngen, SGb 2005, 561, 565; Jakob in: Mutschler/ Schmidt-De
Caluwe/Coseriu, SGB III, 5. Aufl., § 148 Rdnr. 38). Zum anderen steht dem
Versicherten im Anschluss an die geförderte Weiterbildung für einen weiteren
Monat Arbeitslosengeld zu (Jakob, a.a.O., Rdnr. 35). Dieser weitere Monat beginnt,
wenn der Zeitraum der Förderung nach § 81 SGB III endet – unabhängig davon,
ob nach dem geförderten Zeitraum noch eine Prüfung ansteht: Die Regelungen
des § 148 Abs. 1 Nr. 7 und Abs. 2 S. 3 SGB III setzen einen Anspruch auf
Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung voraus. Ein solcher Anspruch
besteht allerdings nur für eine nach § 81 SGB III geförderte berufliche
Weiterbildung (vgl. § 144 Abs. 1 S. 1 SGB III). Endet die Förderung, entfällt daher
auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung. Sofern zu
diesem Zeitpunkt nach § 148 Abs. 1 Nr. 7 SGB III das Ende der Anspruchsdauer
erreicht wäre, kann der Versicherte ab dann nur noch für einen weiteren Monat
Arbeitslosengeld beanspruchen.
19 Im vorliegenden Fall hat die Beklagte dem Kläger Leistungen für eine berufliche
Weiterbildung ab dem 8.12.2014 bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger
noch einen restlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld für 81 Tage. Ausgehend von
der Berechnungsregel des § 148 Abs. 1 Nr. 7 SGB III wäre dieser Anspruch bereits
mit dem 19.5.2015 erschöpft gewesen. Wie erwähnt, steht dem Kläger aber für die
gesamte Dauer der geförderten Weiterbildungsmaßnahme Arbeitslosengeld bei
beruflicher Weiterbildung zu. Die Förderung endet hier mit dem 16.9.2015. Dies
ergibt sich aus dem Bescheid vom 11.12.2014, mit dem die Beklagte Leistungen
zur beruflichen Weiterbildung bewilligt hat. Der Bescheid ist bestandskräftig, also in
der Sache für die Beteiligten – und für das Gericht – bindend (vgl. § 77 SGG).
Ausgehend von einem Ende des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei beruflicher
Weiterbildung mit dem 16.9.2015 steht dem Kläger danach noch für einen weiteren
Monat Arbeitslosengeld zu, mithin bis zum 16.10.2015. Angesichts dessen ist das
von der Beklagten festgesetzte Leistungsende nicht zu beanstanden.
20 Wie ausgeführt, ergibt sich die Förderdauer und daher mittelbar auch das Ende
des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung bereits aus dem
Bescheid vom 11.12.2014. Nur ergänzend (und zur Vermeidung eines
Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X) weist die Kammer darauf hin, dass der
festgesetzte Zeitraum der Förderung mit der Rechtslage in Einklang steht: Die
Beklagte durfte Leistungen zur beruflichen Weiterbildung nur bis zum Ende der
Unterrichtsveranstaltungen (am 16.9.2015) bewilligen; eine Bewilligung bis zum
Abschluss der nachfolgenden Prüfungen (voraussichtlich am 14.10.2015) war
ausgeschlossen. Denn als Weiterbildung gilt die Zeit bis zum letzten Tag der
Maßnahme mit Unterrichtsveranstaltungen (§ 81 Abs. 1 S. 2 SGB III);
demgegenüber ist die Zeit zwischen dem Unterrichtsende und einer etwaigen
späteren Prüfung nicht förderungsfähig (Reichel in: jurisPK-SGB III, § 81 Rdnr. 77;
Söhngen, a.a.O., Seite 563). Dadurch unterscheidet sich die aktuelle Rechtslage
von der Rechtslage, die bis zum 31.12.2004 galt: Gemäß § 155 Nr. 4 SGB III (a.F.)
konnte früher Unterhaltsgeld ggf. auch für die Zeit zwischen dem Ende des
Unterrichts und dem Ende der Prüfung gezahlt werden. Diese Möglichkeit besteht
nun nicht mehr (Schmidt in: Eicher/Schlegel, SGB III, § 77 Rdnr. 67; Hengelhaupt
in: Hauck/Noftz, SGB III, § 81 Rdnr. 151). Durch die Überführung des vormaligen
Unterhaltsgeldes in das Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung zum
1.1.2005 sind also doch leistungsrechtliche Nachteile für die Versicherten
eingetreten (Söhngen, a.a.O., Seite 565) – entgegen der Beteuerung des
Gesetzgebers (BT-DrS 15/1515 Seite 82).
21
2)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.