Urteil des SozG Karlsruhe vom 15.02.2016

berufliche weiterbildung, arbeitsentgelt, qualifikation, berufliche ausbildung

SG Karlsruhe Urteil vom 15.2.2016, S 5 AL 2222/15
Arbeitslosengeldanspruch - Minderung der Leistungsfähigkeit - fiktive
Bemessung - Zuordnung zur Qualifikationsgruppe - Nichtberücksichtigung der
gesundheitlichen Einschränkungen - berufliche Qualifikation - berufliche
Weiterbildung zum Industriefachwirt - Vergleichbarkeit mit einem
Fachschulabschluss
Leitsätze
Liegt ein sog. Nahtlosigkeitsfall nach § 145 SGB III vor, ist bei der Festsetzung eines
fiktiven Arbeitsentgelts nach § 152 Abs. 2 SGB III auch dann auf die bisherige
qualifizierte Beschäftigung des Versicherten abzustellen, wenn er sie wegen seiner
Erkrankung nicht mehr ausüben kann.
Eine Beschäftigung als Industriefachwirt gehört zur Qualifikationsgruppe 2 im Sinne
des § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheids vom
8.12.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
4.3.2015 verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld auf der
Grundlage eines Arbeitsentgelts in Höhe von einem
Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße zu bewilligen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche
Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist, in welcher Höhe dem Kläger Arbeitslosengeld zusteht.
2 Der Kläger hat von August 1974 bis Juni 1976 eine Ausbildung zum
Industriekaufmann absolviert. Im Anschluss daran war er durchgehend beim
selben Arbeitgeber beschäftigt, nämlich der Fa. S. (bzw. deren
Vorgängerunternehmen); das Arbeitsverhältnis besteht weiterhin. Der Kläger
arbeitete zunächst als Stromabrechner für allgemeine Tarifkunden.
Berufsbegleitend absolvierte er in Abendkursen eine Weiterbildung zum
Industriefachwirt; die Prüfung bestand er im November 1980. Auch danach
betreute er als Stromabrechner allgemeine Tarifkunden, ab 1984 zusätzlich
Sondertarifkunden. Von 1992 bis 1997 war der Kläger als Gruppenführer in der
Personalverwaltung tätig, von 1998 bis 2005 als Gruppenführer in der
Buchhaltung. Ab 2006 tätigte er als Sachbearbeiter Abrechnungen nach dem
neuen Energiewirtschaftsgesetz.
3 Seit dem 24.10.2012 ist der Kläger arbeitsunfähig. Im Anschluss an die
Entgeltfortzahlung der Arbeitgeberin bewilligte ihm die Krankenkasse ab dem
5.12.2012 Krankengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 22.9.2014. Vom
23.9. – 22.10.2014 hatte der Kläger nach Angaben der Fa. S. „bezahlten Urlaub“;
in dieser Zeit befand er sich zur stationären psychiatrischen Behandlung im
Klinikum B.
4 Am 23.10.2014 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos.
5 Die Beklagte veranlasste daraufhin ein Gutachten ihres ärztlichen Dienstes. Am
12.11.2014 gelangte dieser zu dem Ergebnis, die Belastbarkeit des Klägers sei
aus gesundheitlichen Gründen vermindert: Er könne voraussichtlich länger als
sechs Monate – aber nicht auf Dauer – nur noch weniger als drei Stunden pro Tag
arbeiten.
6 In der Annahme eines sog. Nahtlosigkeitsfalls nach § 145 SGB III bewilligte die
Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 8.12.2014 Arbeitslosengeld für die Zeit
vom 23.10.2014 – 21.10.2016 in Höhe von täglich 29,48 EUR. Bei der Festsetzung
des Arbeitslosengeldes legte die Beklagte u.a. ein tägliches Bemessungsentgelt in
Höhe von 73,73 EUR zugrunde. Hierzu führte die Beklagte in einem ergänzenden
Schreiben vom gleichen Tag aus, der Kläger habe in den letzten zwei Jahren
weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt gehabt. Angesichts dessen sei
gemäß § 152 Abs. 1 SGB III als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt
zugrunde zu legen. Das fiktive Arbeitsentgelt richte sich nach der Beschäftigung,
für die der Kläger in erster Linie geeignet ist. Dies sei eine Tätigkeit als
Industriekaufmann. Hierbei handele es sich um einen Ausbildungsberuf. Gemäß §
152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III erfolge daher eine Zuordnung zur
Qualifikationsgruppe 3.
7 Hiergegen legte der Kläger – vertreten durch seine Rechtsanwältin – am 5.1.2015
Widerspruch ein. Sie machte geltend, der Kläger sei seit vielen Jahren bei
derselben Arbeitgeberin beschäftigt. Angesichts dessen dürfe die Beklagte das
Arbeitslosengeld nicht nach einem fiktiven Arbeitsentgelt bemessen. Zugrunde zu
legen sei vielmehr sein tatsächliches Arbeitsentgelt.
8 Mit Widerspruchsbescheid vom 4.3.2015 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Zur Begründung führte sie aus, gemäß § 152 Abs. 1 S. 1 SGB III sei als
Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, wenn innerhalb
des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum
von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt
werden kann. Der Bemessungsrahmen ende mit dem letzten Tag des letzten
Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Im
vorliegenden Fall erstrecke sich der erweiterte Bemessungsrahmen daher vom
23.9.2012 – 22.9.2014. Innerhalb dieses Rahmens lägen keine 150 Tage mit
Anspruch auf Arbeitsentgelt vor. Geboten sei daher eine fiktive Bemessung. Für
die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts sei gemäß § 152 Abs. 2 S. 1 SGB III
der Arbeitslose der Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen
Qualifikation entspricht, die für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die
Agentur für Arbeit die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie
zu erstrecken hat. Dies sei hier eine Beschäftigung als Industriekaufmann. Denn
der Kläger habe diesen Beruf erlernt und habe bis zu seiner Erkrankung als
Industriekaufmann gearbeitet. Die Beschäftigung erfordere eine abgeschlossene
Ausbildung in einem Ausbildungsberuf, gehöre also zur Qualifikationsgruppe 3. Für
Arbeitslose der Qualifikationsgruppe 3 sei gemäß § 152 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 SGB III
ein tägliches Arbeitsentgelt in Höhe von 1/450 der Bezugsgröße zugrunde zu
legen, mithin in Höhe von 73,73 EUR.
9 Seit dem 13.3.2015 ist für den Kläger eine Betreuerin bestellt. Ihr Aufgabenkreis
umfasst die Gesundheitsfürsorge, die Vertretung gegenüber Behörden,
Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern sowie
Wohnungsangelegenheiten.
10 Am 15.7.2015 hat die Rechtsanwältin des Klägers gegen den
Widerspruchsbescheid vom 4.3.2015 Klage erhoben. Der Widerspruchsbescheid
sei ihr erst am 14.7.2015 zugegangen, so die Rechtsanwältin. In der Sache trägt
sie nun vor, es sei im Ansatz nicht zu beanstanden, dass die Beklagte eine fiktive
Bemessung gemäß § 152 SGB III vorgenommen hat. Allerdings sei nicht das
Arbeitsentgelt nach der Qualifikationsgruppe 3 maßgebend, sondern nach der
Qualifikationsgruppe 2: Der Kläger habe „in der Zeit ab 20.11.1980 bis 1982“ eine
Fachwirtausbildung absolviert. Diese Weiterbildung entspreche „mindestens der
Meisterausbildung in den handwerklichen Berufen“. Der Kläger wolle grundsätzlich
weiter in seinem bisherigen Tätigkeitsfeld arbeiten. Allerdings sei er dazu zur Zeit
wegen seiner Arbeitsunfähigkeit möglicherweise nicht in der Lage.
11 Der Kläger beantragt,
12 die Beklagte unter Änderung des Bescheids vom 8.12.2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 4.3.2015 zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld auf
der Grundlage eines fiktiven Arbeitsentgelts nach der Qualifikationsgruppe 2 zu
bewilligen.
13 Die Beklagte hat weder einen Antrag gestellt noch ergänzend zur Sache
vorgetragen.
14 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1)
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf höheres
Arbeitslosengeld. Bei dessen Berechnung ist als Bemessungsentgelt ein fiktives
Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (dazu a), und zwar in Höhe von einem
Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße (dazu b).
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a)
Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende
beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum
erzielt hat (§ 151 Abs. 1 S. 1 SGB III). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim
Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten
Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungs-pflichtigen Beschäftigungen im
Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem
letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des
Anspruchs (§ 150 Abs. 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen wird auf zwei Jahre
erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf
Arbeitsentgelt enthält (§ 150 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB III). Kann auch innerhalb des
auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens ein Bemessungszeitraum von
mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden,
ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 152
Abs. 1 S. 1 SGB III).
17 Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall als Bemessungsentgelt ein fiktives
Arbeitsentgelt zu berücksichtigen:
18 Bis zum 22.10.2014 war der Kläger bei der Fa. S. gegen Arbeitsentgelt beschäftigt;
bis zu diesem Zeitpunkt bestand somit Versicherungspflicht nach § 25 Abs. 1 S. 1
SGB III. Angesichts dessen erstreckt sich der einjährige Bemessungsrahmen vom
23.10.2013 – 22.10.2014, der zweijährige Rahmen vom 23.10.2012 – 22.10.2014.
19 Selbst im erweiterten Bemessungsrahmen liegt kein Bemessungszeitraum von
mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt vor: Im zweijährigen
Rahmen hat der Kläger Arbeitsentgelt für die Zeit vom 23.10. – 4.12.2012 und vom
23.9. – 22.10.2014 erhalten; dazwischen bezog er Krankengeld. Von den Zeiten
mit Arbeitsentgelt bleiben indes die neun Tage vom 23. – 31.10.2012 außer
Betracht; denn Entgeltabrechnungszeiträume, die in den Bemessungsrahmen nur
hineinragen und von ihm nicht voll umfasst sind (hier: Oktober 2012), finden keine
Berücksichtigung als Bemessungszeitraum (BSG, Urteil vom 1.6.2006, B 7a AL
86/05 R, Rdnr. 21 – nach Juris). Selbst wenn man unterstellt, die Zeit vom 23.9. –
22.10.2014 sei beim Ausscheiden des Klägers aus dem Beschäftigungsverhältnis
bereits abgerechnet gewesen, enthält der Bemessungszeitraum maximal 64 Tage
mit Anspruch auf Arbeitsentgelt (1.11. – 4.12.2012 = 34 Tage; 23.9. – 22.10.2014 =
30 Tage). Die erforderliche Zahl von 150 Tagen wird keinesfalls erreicht. Vor
diesem Hintergrund ist ein fiktives Arbeitsentgelt zu bestimmen.
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b)
Für die Festsetzung des fiktiven Arbeitsentgelts ist der Arbeitslose der
Qualifikationsgruppe zuzuordnen, die der beruflichen Qualifikation entspricht, die
für die Beschäftigung erforderlich ist, auf die die Agentur für Arbeit die
Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat.
Dabei ist zugrunde zu legen für Beschäftigungen, die (1.) eine Hochschul- oder
Fachschulausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 1), ein Arbeitsentgelt in Höhe
von 1/300 der Bezugsgröße, (2.) einen Fachschulabschluss, den Nachweis über
eine abgeschlossene Qualifikation als Meister oder einen Abschluss in einer
vergleichbaren Einrichtung erfordern (Qualifikationsgruppe 2), ein Arbeitsentgelt in
Höhe von 1/360 der Bezugsgröße, (3.) eine abgeschlossene Ausbildung in einem
Ausbildungsberuf erfordern (Qualifikationsgruppe 3), ein Arbeitsentgelt in Höhe von
1/450 der Bezugsgröße, (4.) keine Ausbildung erfordern (Qualifikationsgruppe 4),
ein Arbeitsentgelt in Höhe von 1/600 der Bezugsgröße (§ 152 Abs. 2 SGB III).
21 Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie
auf eine Beschäftigung als Industriefachwirt zu erstrecken (dazu aa); diese
Beschäftigung ist der Qualifikationsgruppe 2 zuzuordnen (dazu bb). Ausgehend
hiervon ist bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes als Bemessungsentgelt ein
fiktives Arbeitsentgelt in Höhe von 1/360 der Bezugsgröße zugrunde zu legen.
22
aa)
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nicht auf eine Tätigkeit als
Industriekaufmann abzustellen, sondern auf eine Tätigkeit als Industriefachwirt.
23 In welche Beschäftigung ein Arbeitsloser in erster Linie zu vermitteln ist, hängt von
seiner beruflichen Qualifikation ab. Maßgeblich hierfür sind die Berufsausbildung
(einschließlich erfolgreich absolvierter Weiterbildungsmaßnahmen) sowie die
bisher ausgeübten Tätigkeiten. Zu berücksichtigen sind darüber hinaus die
Kriterien des § 35 Abs. 2 S. 2 SGB III, also Neigung, Eignung und
Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen. Die Agentur für Arbeit muss sich um eine
bestmögliche berufliche Eingliederung bemühen (Coseriu/Jakob in: NK-SGB III, 5.
Aufl., § 152 Rdnr. 18 f.; Lüdtke in: LPK-SGB III, 2. Aufl., § 152 Rdnr. 6).
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(1)
Der Kläger hat nicht nur eine berufliche Ausbildung zum Industriekaufmann
absolviert, sondern darüber hinaus berufsbegleitend auch eine Weiterbildung zum
Industriefachwirt. In der Folgezeit verrichtete er durchgehend berufliche
Tätigkeiten, die seiner Aus- und Weiterbildung entsprachen. Angesichts dessen
ergibt sich die berufliche Qualifikation des Klägers aus dem höchsten formal
erreichten Ausbildungsstand, also der Weiterbildung zum Industriefachwirt.
25
(2)
Auf eine Beschäftigung als Industriefachwirt ist abzustellen, obwohl der Kläger
die Tätigkeit zur Zeit der Arbeitslosmeldung aus gesundheitlichen Gründen wohl
nicht mehr ausüben konnte.
26 Zwar hat die Agentur für Arbeit gemäß § 35 Abs. 2 S. 2 SGB III bei der
Arbeitsvermittlung u.a. die Leistungsfähigkeit des Arbeitslosen zu berücksichtigen,
also auch etwaige gesundheitliche Einschränkungen (Lüdtke, a.a.O.). Es wäre
sinnlos, erstreckte sie ihre Vermittlungsbemühungen in erster Linie auf eine
Beschäftigung, die den Arbeitslosen mittlerweile gesundheitlich überfordert.
Angesichts dessen können gesundheitliche Einschränkungen grundsätzlich auch
für die Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe nach § 152 Abs. 2 SGB III von
Bedeutung sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.1.2014, L 3 AL
705/13, Rdnr. 26 – nach Juris).
27 Anders verhält es sich indes, wenn – wie hier – Arbeitslosengeld auf der
Grundlage des § 145 SGB III geleistet wird. Die Agentur für Arbeit geht dann davon
aus, dass der Arbeitslose wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung seiner
Leistungsfähigkeit außerstande ist, eine versicherungspflichtige, mindestens 15
Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen
des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Dennoch erhält der
Arbeitslose gemäß § 145 SGB III Arbeitslosengeld (solange der zuständige
Rentenversicherungsträger noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit festgestellt
hat). Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes wird fingiert, das
Leistungsvermögen des Arbeitslosen sei zeitlich nicht vermindert; seine
tatsächlichen gesundheitlichen Einschränkungen bleiben insoweit unberücksichtigt
(vgl. § 151 Abs. 5 S. 2 und 3 SGB III). Gleiches muss für die hier streitige
Zuordnung zu einer Qualifikationsgruppe gelten. Denn der von § 151 Abs. 5 S. 2
und 3 SGB III bezweckte Schutz des gesundheitlich eingeschränkten Arbeitslosen
bliebe lückenhaft, richtete sich die Einstufung nicht nach der bisherigen (hohen)
beruflichen Qualifikation, sondern nach einer (anspruchsloseren) Beschäftigung,
die ihm bei seiner Erkrankungen noch möglich ist.
28
bb)
Für eine Beschäftigung als Industriefachwirt ist eine berufliche Qualifikation
erforderlich, die sich mit einem Fachschulabschluss vergleichen lässt.
29 Kennzeichnend für eine berufliche Qualifikation nach der Qualifikationsgruppe 2 ist
eine abgeschlossene Berufsausbildung, auf die eine zusätzliche Aus- oder
Weiterbildung aufbaut (Coseriu/Jakob, a.a.O., Rdnr. 24). Ob eine berufliche
Weiterbildung einem Fachschulabschluss vergleichbar ist, richtet sich
insbesondere nach ihrem zeitlichen Umfang. Im Recht der gesetzlichen
Rentenversicherung wird der Besuch einer Fachschule als Anrechnungszeit nach
§ 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI anerkannt, wenn er mindestens 600
Unterrichtsstunden umfasst (Gürtner in: KassKomm, SGB VI, § 58 Rdnr. 42; Fichte
in: Hauck/Noftz, SGB VI, § 58 Rdnr. 104 und 106). Auf diesen Maßstab lässt sich
zurückgreifen, wenn zu entscheiden ist, ob die berufliche Qualifikation, die durch
eine Weiterbildung vermittelt wird, für eine Einstufung in die Qualifikationsgruppe 2
ausreicht (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.11.2011, L 13 AL 661/10, Rdnr.
21 – nach Juris).
30 Um als Industriefachwirt arbeiten zu können, benötigt man in der Regel eine
abgeschlossene berufliche Weiterbildung zum Industriefachwirt. Die Zulassung zur
Weiterbildungsprüfung wiederum setzt einen Abschluss in einem anerkannten
dreijährigen kaufmännischen oder verwaltenden Ausbildungsberuf sowie
mindestens ein Jahr Berufspraxis voraus. Je nach Anbieter unterscheidet sich die
Länge der Weiterbildung: In Vollzeit dauert sie 3 – 6 Monate, in Teilzeit 1 – 2 Jahre
und im Fernunterricht 1,5 – 2,5 Jahre. Insgesamt umfasst sie 650 Stunden (vgl. zu
all dem: BerufeNet der Agentur für Arbeit, Stichwort: „Fachwirt/-in Industrie“). Vor
diesem Hintergrund ist eine berufliche Weiterbildung zum Industriefachwirt einem
Fachschulabschluss nach der Qualifikationsgruppe 2 vergleichbar.
31
2)
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.