Urteil des SozG Karlsruhe vom 30.08.2016

form, belastung, berufliche tätigkeit, maschine

SG Karlsruhe Urteil vom 30.8.2016, S 4 U 988/16
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2101 - arbeitstechnische
Voraussetzungen - tägliche Belastungsdauer - Epicondylitis - Maschinenbediener in der
Glasproduktion
Leitsätze
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen einer BK Nr. 2101 liegen bei einem Maschinenbediener nicht vor, der
nur eine einschlägige Belastung von 6 Minuten je Arbeitsstunde vorweisen kann und im Übrigen
abwechslungsreiche Tätigkeiten oder Aufsichtstätigkeiten ausübt.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2101 der Anlage 1
zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) im Streit (Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des
Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten
gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können).
2 Der am … geborene Kläger arbeitete von 1980 bis 1986 als Schweißer und seit 1986 in der Glasproduktion
(1986 - 2012 in … und ab 2013 bei …). Die dort ausgeübten Beschäftigungen waren hinsichtlich ihrer
Anforderungen und der körperlichen Belastungen des Klägers im Wesentlichen ähnlich.
3 Der Bevollmächtigte des Klägers teilte mit Schreiben vom 06.07.2015 mit, dass bei dem Kläger eine
Epicondylitis humeri radialis [sogenannter „Tennisellenbogen“, schmerzhafter Reizzustand der
Sehnenansätze von Muskeln des Unterarms] links festgestellt worden sei. Es werde davon ausgegangen,
dass es sich um eine BK handele, die durch die ständigen monotonen Bewegungen des Klägers unter
schwierigsten Verhältnissen an seinem Arbeitsplatz hervorgerufen worden sei. Vorgelegt wurde ein
Röntgenbefund des Chirurgen Dr. M. vom 28.10.2014 mit der genannten Diagnose. Dr. M. berichtete von
einer seit einem halben Jahr bestehenden Beschwerdesymptomatik und Therapieresistenz.
4 Mit Schreiben vom 22.07.2015 wies der Klägerbevollmächtigte darauf hin, dass der ärztliche Bericht des Dr.
M. einen Fehler enthalte, da es sich um den rechten Arm handele.
5 Der Hausarzt Dr. H. (Arzt für Allgemeinmedizin) berichtete am 24.07.2015 ebenfalls von einer Epicondylitis,
welche den rechten Ellenbogen betreffe. Er gehe von einer einschlägigen beruflichen Belastung und auch
von einem Alterungsprozess des Klägers als Ursache aus. Dr. H. legte einen Bericht der Neurologin und
Psychiaterin Dr. W. vom 20.07.2015 mit den Diagnosen Schmerzen im rechten Oberarm, nicht neurologisch,
sowie gelegentliches Carpaltunnel-Syndrom vor.
6 In seiner Selbstauskunft vom 21.07.2015 gab der Kläger u. a. an, dass die Erkrankung sich erstmals ca. 1992
oder 1993 bemerkbar gemacht habe.
7 Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei der … bei.
8 Das Mutterunternehmen der … (Tätigkeitszeitraum von 1986 bis 2012), die … GmbH & Co.KG, teilte mit
Stellungnahme vom 15.10.2015 mit, dass der Kläger als Maschinenführer und Linienleiter in der Produktion
beschäftigt gewesen sei. Die Art der gesundheitsgefährdenden Einwirkungen wurde mit Paletten
zwischenlagern und vorbereiten, Einlegen von Zwischenlagern im Packer, Abnahme von Gläsern vom
Kühlofenband, Wechsel von Formen und Mechanismen und händischem Schmieren der Formen beschrieben.
Ein Zeitanteil pro Schicht dieser Tätigkeiten lasse sich „so nicht bestimmen“. Als technische
Schutzmaßnahmen/persönliche Schutzausrüstung hätten Handschuhe und Tragehilfen zur Verfügung
gestanden.
9 Die Präventionsbedienstete F. nahm am 02.11.2015 zur Arbeitsplatzexposition insgesamt Stellung, nachdem
sie am 26.10.2015 in Gegenwart der Personalabteilung den zweiten Arbeitsplatz des Klägers
(Tätigkeitszeitraum ab 2103) bei der … besichtigt hatte. In dem Bericht wurde angegeben, dass der Kläger
am Heißende der Hohlglasproduktion an einer IS-Maschine [„Individual Section Machine“; in der
Hohlglasproduktion weit verbreitete Maschine, die hauptsächlich zur Produktion von Getränkeflaschen
verwendet wird] beschäftigt sei, wo flüssiges Glas in einer Vorform getropft, angeblasen, in eine weitere
Form überführt und dort fertig geblasen werde. Der überwiegende Anteil der Tätigkeit sei die Beobachtung
der Maschine auf korrekten Ablauf. Daneben falle noch in geringem Umfang das Abschmieren der Formen an;
damit die Glasmasse nicht an der Form anhafte, müsse die Form in regelmäßigen Abständen mit Öl
geschmiert werden. Diese Tätigkeit werde etwa alle 20 Minuten durchgeführt, wozu eine Bürste in das Öl
getaucht und die Form mit Auf- und Abbewegungen und einer Drehung der Bürste mit Öl versorgt werde.
Eine IS-Maschine weise ca. 10 oder 12 Vorformen sowie die gleiche Anzahl Formen auf. Das Abschmieren
einer Form dauere ca. 3 bis 5 Sekunden, so dass die Drehbewegung, die als Einwirkung im Sinne der BK
2101 angesehen werden könne, maximal dreimal für 2 Minuten insgesamt pro Stunde ausgeführt werde.
Dies sei nicht als einseitige, langdauernde mechanische Beanspruchung zu bewerten. Die Tätigkeit sei auch
auf „dem von dem Kläger zur Verfügung gestellten Video“ zu beobachten. Gelegentlich würden Proben aus
der Produktion gezogen und optisch auf Einschlüsse oder andere Fehler überprüft, wozu einige Glaskörper
mit einer Zange aus dem Produktionsprozess entnommen, zum Abkühlen abgestellt und später unter Licht
betrachtet würden. Wenn von einer Glasform auf eine andere umgestellt werde, müssten die Formen
ausgetauscht werden, was bei der Produktionsumstellung durch einen „Formenwechseltrupp“ durchgeführt
werde. Etwa zwei- bis dreimal pro Tag sei das Wechseln von Einzelformen erforderlich, das vom
Maschinenbediener durchgeführt werde. Bei der Tätigkeit des Klägers sei keine Einwirkung im Sinne der BK
2101 zu erkennen, da keine einseitigen lang dauernden mechanischen Beanspruchungen zu erkennen seien.
Die Tätigkeiten seien von kurzer Dauer und würde durch reine Beobachtung an der Maschine länger
unterbrochen als sie selbst andauerten.
10 Zu der vom 18.01.1986 bis zum 31.12.2012 bei der … ausgeübten Tätigkeit seien vom Arbeitgeber
verschiedene Tätigkeiten für den Kläger angegeben worden. Auch hier sei nicht davon auszugehen, dass
Einwirkungen im Sinne der BK 2101 bestanden hätten. Es handele sich um auf verschiedene Arten
beanspruchende Tätigkeiten, die somit nicht einseitig und lang andauernd gewesen seien, von ungewohnten
Arbeiten bei fehlender oder gestörter Anpassung des Körpers könne beim erstmaligen Auftreten der
Beschwerden nach ca. 18jähriger Tätigkeit nicht ausgegangen werden.
11 Der Allgemeinmediziner Dr. M. teilte am 07.12.2015 mit, dass eine einseitige Belastung des rechten und
linken Armes ohne Ausgleich vorliege, die nach seiner Auffassung nach durch die berufliche Tätigkeit
verursacht sei.
12 Mit Bescheid vom 09.12.2015 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr. 2101 ab. Die Beklagte
stütze sich hierzu auf die Stellungnahme ihres Präventionsdienstes. Die ausgeübten Tätigkeiten seien von
kurzer Dauer und würden durch reine Beobachtung an der Maschine länger unterbrochen, als sie selbst
andauerten. Von ungewohnten Arbeiten bei fehlender oder gestörter Anpassung des Körpers könne beim
jetzigen erstmaligen Auftreten der Beschwerden nach langjähriger Tätigkeit seit 1986 nicht ausgegangen
werden.
13 Der staatliche Gewerbearzt gab die ihm zugeleiteten Akten der Beklagten am 07.12.2015 mit der
Bemerkung zurück, dass eine gewerbeärztliche Bearbeitung nicht stattgefunden habe.
14 Der am 15.12.2015 eingelegte Widerspruch wurde damit begründet, dass die vom TAD beschriebenen
Arbeitsvorgänge nicht richtig dargestellt worden seien. Es wirkten ganz andere Kräfte auf die Armgelenke.
Es habe eine extreme Beanspruchung der Gliedmaßen unter widrigsten Umständen vorgelegen, bei der die
extreme Hitze das Ihrige dazu getan habe. Vorgelegt wurden mit dem Widerspruch eine
Tätigkeitsbeschreibung des Klägers selbst sowie Stellungnahmen der beiden früheren Vorgesetzten des
Klägers D. und U. bei ….
15 Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch
als unbegründet zurück. Aus den vorgelegten Tätigkeitsbeschreibungen ergäben sich keine neuen
Erkenntnisse zur Feststellung einer gefährdenden Tätigkeit im Sinne der geltend gemachten BK. Der TAD
habe die Tätigkeiten des Klägers bewertet und insbesondere keine einseitig lang andauernde mechanische
Beanspruchung festgestellt. Weiterhin könne auch von ungewohnten Arbeiten bei fehlender gestörter
Anpassung des Körpers beim jetzigen erstmaligen Auftreten der Beschwerden nach der langjährigen
Tätigkeit nicht ausgegangen werden. Der Einwand der extremen Hitze habe zudem keine Bedeutung für die
Feststellung der geltend gemachten BK.
16 Der Bevollmächtigte des Klägers hat am 23.03.2016 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Die
Beklagte habe den detaillierten Vortrag des Klägers zu seinen beruflichen Belastungen nicht ausreichend
berücksichtigt, wozu auf die vorgelegten Arbeitsplatzbeschreibungen Bezug genommen und die
Vernehmung der Zeugen D. und M. beantragt worden ist.
17 Der Kläger beantragt,
18 den Bescheid der Beklagten vom 09.12.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2016
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, eine Berufskrankheit nach der Nr. 2101 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen.
19 Die Beklagte beantragt,
20 die Klage abzuweisen.
21 Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und wiederholt im Wesentlichen ihr
bisheriges Vorbringen.
22 Die Kammer hat das vom TAD erwähnte Arbeitsplatzvideo des Klägers bei der Beklagten angefordert,
woraufhin ein USB-Stick mit 11 Videos vorgelegt worden ist.
23 In der mündlichen Verhandlung sind die vorgelegten Videos - soweit einschlägig - gemeinsam mit den
Beteiligten in Augenschein genommen worden. Zudem wurden als Zeugen die früheren Vorgesetzten des
Klägers D. und U. vernommen, ebenso die TAD-Bedienstete F.
24 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen
Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig(vgl. BSG, Urteil vom 18. Juni
2013 – B 2 U 6/12 R –, SozR 4-2700 § 9 Nr 22, Rn. 13), aber nicht begründet.
26 Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1
Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung
durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9
Abs. 1 Satz 1 SGB VII).
27 In Nr. 2101 der Anlage 1 zur BKV sind Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes
sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein
können, als BK anerkannt.
28 Diese Erkrankungen können, insbesondere auch in Form der bei dem Kläger festgestellten Epicondylitis,
durch einseitige, langdauernde mechanische Beanspruchung und ungewohnte Arbeiten aller Art bei
fehlender oder gestörter Anpassung entstehen. Überwiegend sind die oberen Extremitäten, insbesondere die
Unterarme, betroffen (vgl. das Merkblatt zur BK Nr. 43 [jetzt 2101] der Anl. 1 zur 7. BKVO, Bek. des BMA v.
18.2.1963, BArbBl. Fachteil Arbeitsschutz 1963, 24, unter Berücksichtigung der Änderungen vom
1.12.2007, Bek. d. BMAS v. 1.12.2007 - IVa 4-45222 – 2101/3).
29 Voraussetzung für die Anerkennung dieser BK ist einerseits das Vorliegen der sogenannten
arbeitstechnischen Voraussetzungen (berufliche Belastung / Exposition) sowie einer einschlägigen
Erkrankung aufgrund dieser Belastung. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die durch sie bedingten
schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß sowie die entsprechende Erkrankung mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Sowohl hinsichtlich der
haftungsbegründenden als auch hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität genügt demgegenüber die
hinreichende Wahrscheinlichkeit. Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter
Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht
zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden
Umstände deutlich überwiegen. Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann
wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang
nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz
der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten
Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom
28.03.2003 - B 2 U 33/03 R -). Die geltend gemachte BK erfordert zudem das Vorliegen eines
Unterlassungszwangs, welcher nach der Tätigkeitsaufgabe durch den Kläger vorliegt.
30 Eine ausreichende einschlägige Belastung des Klägers an seinen beiden Arbeitsplätzen in der Glasproduktion
liegt jedoch nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme nicht vor, weswegen die Beklagte die
Anerkennung der geltend gemachten BK zu Recht abgelehnt hat.
31 Ursächlich für eine BK Nr. 2101 können sein (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und
Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, S. 1165 f.; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29. Oktober 2013 –
L 3 U 28/10 –, Rn. 25, juris)
32 1. kurzzyklische, repetitive, feinmotorische Handtätigkeiten mit sehr hoher Bewegungsfrequenz (wie z.B.
beim Maschinenschreiben und Klavierspielen, mindestens 3 gleichförmige Bewegungsabläufe pro Sekunde),
33 2. hochfrequente, gleichförmige, feinmotorische Tätigkeiten bei unphysiologischer, achsenungünstiger
Auslenkung des Handgelenks (wie z.B. beim Stricken, ggf. auch die Verwendung von Tastatur und Maus als
Eingabegeräte am Computer),
34 3. die Überbeanspruchung bei ungewohnten Tätigkeiten aller Art bei fehlender oder gestörter Anpassung
bzw. bei repetitiver Verrichtung mit statischen und dynamischen Anteilen, bei denen eine einseitige, von
der Ruhestellung der Hand stark abweichende Haltung erforderlich ist, mit hoher Auslenkung des
Handgelenks bei gleichzeitig hoher Kraftaufwendung (z.B. Drehen, Montieren, Bügeln, Obst pflücken),
35 4. eine forcierte Dorsalextension der Hand (etwa Rückschlag beim Tennis, Hämmern), und
36 5. monoton wiederholte oder plötzlich einsetzende Aus- und Einwärtsdrehungen der Hand und des
Vorderarms (etwa beim Betätigen eines Schraubendrehers).
37 Langjährige Schwerarbeit, auch eintönige „Fließarbeit“ kommt hierfür nicht in Betracht, da hier eine rasche
Gewöhnung (Trainingseffekt) anzunehmen ist. Die tägliche Einwirkungsdauer sollte mindestens drei
Stunden, die Gesamtbelastungszeit in der Regel fünf Jahre betragen (Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O.
S. 1166).
38 Da der Kläger die Tätigkeiten an der IS-Maschine durchgängig von 1986 bis 2015 ausgeübt hat, geht die
Kammer von einem Trainingseffekt der oben genannten Art aus, weswegen bereits insofern die
Anerkennung der geltend gemachten BK fraglich ist.
39 Entscheidend ist indes, dass bei genauer Betrachtung die Tätigkeit des Klägers sich unter keine der oben
genannten Fallgruppen fassen lässt, da nur ein kleiner Ausschnitt der vom Kläger verlangten Handgriffe als
belastend im Sinne der geltend gemachten BK angesehen werden kann, welcher eine arbeitstägliche
zeitliche Belastungsdauer von mindestens drei Stunden nicht erreicht. Nach dem Gesamtergebnis der
Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass als belastend im Sinne der BK Nr. 2101 nur
das Abschmieren der Formen hierfür grundsätzlich in Betracht kommt, da hierbei zur Verteilung des
Schmiermittels eine das Handgelenk in besonderer Weise belastende Drehbewegung erforderlich war, um
das Schmiermittel gleichmäßig in der Form zu verteilen. Einschlägig ist insoweit die oben genannte
Fallgruppe Nr. 5, evtl. auch - abhängig vom Kraftaufwand - die Fallgruppe Nr. 3.
40 Die Drehbewegung betrifft hierbei, wie aus den in Augenschein genommenen Videos hervorgeht, jedoch nur
einen Teil der in diesem Arbeitsschritt vorgenommenen Handgriffe. Hierauf hat die sachverständige Zeugin F.
in der mündlichen Verhandlung überzeugend hingewiesen. Denn das Einführen und Herausziehen der
Bürste erfolgt ohne Drehbewegung, ebenso erfolgt, was auch für die weiteren hierbei zu beobachtenden
Arbeitsschritte wie das Abklopfen der Form und die Körper/Arm-Drehung zur nächsten Form betrifft. Diese
weiteren Handgriffe und Bewegungen, die oben und seitlich der jeweiligen Form vorgenommen wurden, sind
einerseits unterschiedlich und abwechslungsreich, andererseits bieten sie der Hand die Möglichkeit, sich von
der Belastung durch die Drehbewegung zu erholen.
41 Die von den Zeugen D. und U. genannten weiteren Tätigkeiten
42 - Herausnahme von Stichproben (1 Mal je Stunde)
- Gewichtskontrolle (alle 15 Minuten)
- Formenwechsel (1Mal je Schicht)
- Systemwechsel (2-3 Mal je Woche)
43 erfüllen nicht die Kriterien der oben genannten Fallgruppen von einschlägigen Belastungen. Es handelt sich
hierbei ausweislich der Zeugenaussagen und der Beweisvideos nicht um kurzzyklische, repetitive,
feinmotorische Handtätigkeiten mit sehr hoher Bewegungsfrequenz oder hochfrequente, gleichförmige,
feinmotorische Tätigkeiten bei unphysiologischer, achsenungünstiger Auslenkung des Handgelenks. Auch
liegt keine Überbeanspruchung bei ungewohnten Tätigkeiten aller Art bei fehlender oder gestörter
Anpassung bzw. bei repetitiver Verrichtung mit statischen und dynamischen Anteilen vor, weil weder eine
von der Ruhestellung der Hand stark abweichende Haltung erforderlich ist noch - nach Tätigkeitsausübung
seit 1986 - insoweit von einer fehlenden Anpassung ausgegangen werden kann. Schließlich liegen insoweit
auch keine forcierten Dorsalextensionen der Hand oder monoton wiederholte oder plötzlich einsetzende
Aus- und Einwärtsdrehungen der Hand und des Vorderarms vor.
44 Den Zeitanteil des teilweise BK-relevanten Arbeitsschritts „Schmieren der Glasformen“ - bezogen alleine auf
die für die BK einschlägige Drehbewegung - hat die sachverständige Zeugin F. in überzeugender Weise mit
ca. 6 Minuten je Arbeitsschicht angegeben, nämlich mit drei Arbeitseinsätzen je 2 Minuten. Damit lag jedoch
je Arbeitstag nur eine Belastung von insgesamt rund 48 Minuten vor. Eine einschlägige Belastung von 3
Stunden wurde hierdurch - auch bei Berücksichtigung eines erheblichen Sicherheitszuschlags bzw. einer
worst-case-Betrachtung - bei weitem nicht erreicht. Zudem war in den belastungsfreien Zeiten auch eine
Erholung der beanspruchten Körperregionen möglich.
45 Sofern die Zeugen D. und U. für das Schmieren der Formen 10 Minuten pro Arbeitseinsatz und somit 30
Minuten je Stunde angegeben haben, steht dies nicht in einem Widerspruch zu den voranstehenden
Ausführungen. Zunächst ist hierzu festzustellen, dass die Zeugen ebenso wie die Zeugin F. einen insgesamt
glaubwürdigen Eindruck auf das Gericht gemacht haben. Allenfalls ist durch das offenbar gute Verhältnis,
welches die beiden Zeugen D. und U. zu dem Kläger haben, der Eindruck entstanden, dass die Zeugen D.
und U. die zeitliche Arbeitsbelastung in noch vertretbarer Weise großzügig im Sinne des klägerischen
Antrags geschätzt haben. Die Kammer geht - auch aufgrund der Zeitdauer der in den vorgelegten Videos zu
sehenden Arbeitsschritte - davon aus, dass das Abschmieren der Formen allerhöchstens 5 - 10 Minuten
insgesamt und durchschnittlich für einen langjährig erfahrenen Maschinenbediener wie den Kläger
tendenziell eher 5 als 10 Minuten insgesamt gedauert hat. Hierzu hat der Zeuge U. auf Nachfrage auch in
der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass abhängig von der Geschicklichkeit 5 - 10 Minuten
ausreichend waren.
46 Ein Widerspruch zu den von der Zeugin F. angegebenen 2 Minuten Belastung je Abschmiervorgang und
somit 6 Minuten Belastung je Arbeitsstunde liegt deswegen nicht vor, weil auch die Zeugen D. und U.
bestätigt haben, dass der nach ihrer Aussage 10 Minuten bzw. 5-10 Minuten andauernde Arbeitseinsatz
beim Schmieren der Formen nicht nur aus Drehbewegungen mit Belastungen für das Handgelenk bestand.
Dies ergibt sich auch zwingend aus der Natur der Sache, weil nach erfolgtem Schmieren einer Form die
Bürste zunächst zu der nächsten Form bewegt werden musste.
47 Insoweit weist die Kammer auch darauf hin, dass sowohl der Zeuge U. als auch der Zeuge D. die Tätigkeit
des Klägers als insgesamt abwechslungsreich bezeichnet haben; als eintönig bzw. monoton wurde von ihnen
nur das zeitlich beschränkte Schmieren bzw. Abschmieren der Formen bezeichnet. Das Gesamtbild einer
insgesamt abwechslungsreichen Tätigkeit ergibt sich insgesamt auch aus den 11 in Augenschein
genommenen Videos vom Arbeitsplatz des Klägers, welche durchaus auch Aufsichtstätigkeiten,
Schreibtätigkeiten und einen gewissen Leerlauf bei der Tätigkeit (Beobachtung der arbeitenden Maschine)
von zeitlich bedeutendem Umfang beinhalten.
48 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.