Urteil des SozG Karlsruhe vom 07.12.2015

diabetes mellitus, berufliche tätigkeit, berufskrankheit, anerkennung

SG Karlsruhe Entscheidung vom 7.12.2015, S 4 U 2/15
BK Nr. 2113 (Carpaltunnelsyndrom), enger zeitlicher Zusammenhang
Leitsätze
Ein enger zeitlicher Zusammenhang im Sinne der BK Nr. 2113 (Carpaltunnel-
Syndrom) liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn zwischen dem letzten Arbeitstag und
dem erstmaligen Auftreten der Erkrankung mehr als drei Jahre liegen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Carpaltunnelsyndroms (CTS)
als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2113 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (BKV) („Druckschädigung des Nervus medianus im
Carpaltunnel [Carpaltunnelsyndrom] durch repetitive manuelle Tätigkeiten mit
Beugung und Streckung der Handgelenke durch erhöhten Kraftaufwand der
Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen“) bzw. einer diesem Krankheitsbild
entsprechenden Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII im Streit.
2 Die am ... 1956 geborene Klägerin war vom 22.10.1979 bis zum 31.12.2009 bei
der Firma ... in ... als Arbeiterin beschäftigt. Zuvor hatte sie von 1971 bis 1972 eine
Tätigkeit als Helferin im Spüldienst verrichtet, bis 1974 eine Ausbildung zur
Krankenpflegerin absolviert und anschließend bis 1978 als Krankenpflegehelferin
gearbeitet. In den Jahren 1978 bis 1979 hatte die Klägerin Mutterschaftsurlaub.
3 Während ihrer Beschäftigung bei der Firma ... war die Klägerin zunächst als
Putzfrau und dann vom 22.10.1979 bis zum 31.12.1993 als Arbeiterin in der
Presse und in der Spritzerei tätig. Vom 01.01.1994 bis zum 23.10.2008 arbeitete
sie dann als Arbeiterin/Packerin im Bereich der Bandabnahme. Der 23.10.2008
war der letzte Arbeitstag der Klägerin bei der Firma ..., danach war sie bis zum
31.12.2009 arbeitsunfähig erkrankt. Vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2010 war die
Klägerin arbeitslos. Seit dem 01.01.2011 bezieht die Klägerin Rente.
4 Am 13.08.2013 erhielt die Beklagte erstmalig Kenntnis von dem Verdacht des
Vorliegens eines CTS als BK. Prof. Dr. H. teilte den Verdacht des Vorliegens einer
BK Nr. 2106 („Druckschädigung der Nerven“) aufgrund eines beidseitigen CTS der
Klägerin mit. Die Beschwerden seien erstmalig vor ca. zwei Jahren aufgetreten.
Gemäß den vorgelegten Operationsberichten des Handchirurgen Prof. Dr. H.
wurde das CTS am 21.08.2012 (links) und am 04.06.2013 (rechts) mittels offener
Carpaldachspaltung operiert, wobei sich jeweils intraoperative keine
Besonderheiten hätten feststellen lassen. In seiner ergänzenden Auskunft vom
05.09.2013 teilte Prof. Dr. H. mit, dass die Klägerin ihn aufgrund der Erkrankung
erstmalig am 10.08.2012 aufgesucht habe, wobei sie als Beschwerden das
Einschlafen beider Hände links mehr als rechts seit vier Monaten angegeben
habe.
5 Die Klägerin gab gegenüber der Beklagten an, bereits seit 2008 immer
wiederkehrende Schmerzen und Bewegungseinschränkungen an beiden Händen
verspürt zu haben. Sie führe diese Probleme auf ihre mehr als 30jährige Tätigkeit
im Vier-Schichtbetrieb als Bandarbeiterin zurück, sowie auch auf die hierbei
verwendeten Arbeitsstoffe und Lösungsmittel. Erstmalig sei sie wegen dieser
Erkrankung im Jahr 2010 durch Dr. B. und Dr. H. behandelt worden.
6 Aus den vorgelegten Arztberichten des Dr. B. ging hervor, dass dieser am
18.07.2012 ein CTS beidseits diagnostizierte. Eine frühere Behandlung eines CTS
als im Jahr 2012 ist ärztlich nicht dokumentiert.
7 Die Beklagte forderte bei der Krankenkasse der Klägerin ein
Vorerkrankungsverzeichnis über alle Erkrankungen im Bereich der Hände und
Handgelenke an. Aus dem am 19.09.2013 vorgelegten Verzeichnis der X-
Krankenkasse für den Zeitraum 17.09.2007 bis 16.10.2012 ergibt sich keine
Erwähnung eines CTS.
8 Der Hausarzt Dr. H. teilte am 23.09.2013 mit, dass die Klägerin über Schmerzen in
der linken und rechten Hand klage, wobei die Diagnostik durch Dr. B. durchgeführt
worden sei. Zur Frage nach den Erkenntnissen zur Entstehung der Beschwerden
wurde auf die jahrelange Arbeit der Klägerin bei der Firma ... verwiesen.
9 Der Auskunft des Hausarztes war ein Bericht des Chirurgen und Handchirurgen
Dr. W. vom 25.07.2012 beigefügt, wonach die Klägerin sich am 24.07.2012 wegen
der Diagnose beidseitiges CTS vorgestellt habe und über seit mindestens drei
Monaten bestehende Gefühlsstörungen beider Hände, linke Seite schlechter
berichtet habe.
10 Nach Durchführung einer Besichtigung des früheren Arbeitsplatzes der Klägerin
verfasste der Präventionsdienst der Beklagten am 02.10.2013 einen Bericht,
wonach im Beschäftigungszeitraum 01.01.1994 bis 23.10.2008 CTS-relevante
Belastungen vorhanden gewesen seien, welche nach der wissenschaftlichen
Begründung zu einem CTS führen könnten.
11 Im Auftrag der Beklagten fertigte der Radiologe Dr. R. daraufhin
Röntgenaufnahmen an. Hierzu teilte er am 22.10.2013 mit, dass er vom Vorliegen
von Heberden-Arthrosen ausgehe. Die Pathologika der proximalen und
Metaphalangealgelenke sowie der Metacarpophalangealgelenke seien vom
Verteilungsmuster her mit der Frühform einer adulten rheumatoiden Arthritis zu
vereinbaren.
12 Die Beratungsärztin Dr. H. vertrat am 04.11.2013 die Auffassung, dass eine
berufliche Belastung vorliege, welche zur Entwicklung eines CTS führen könne.
Das CTS sei auch nervenärztlich gesichert durch Dr. B. Allerdings liege in
Würdigung des Gesamtverlaufes der zeitliche Zusammenhang nicht vor. Die
Erkrankung habe sich erst 2012 und damit zu einem Zeitpunkt manifestiert, zu dem
Zeitpunkt die Klägerin bereits vier Jahre lang nicht mehr als Packerin/Arbeiterin im
Bereich der Bandabnahme gearbeitet habe. Der Kausalzusammenhang sei jedoch
nur dann plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in engem zeitlichen
Zusammenhang mit der Exposition stehe (mit Hinweis auf
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage
2010, Seite 561). Die zeitliche Entwicklung spreche gegen den beruflichen
Zusammenhang.
13 Anschließend vertrat auch die staatliche Gewerbeärztin E. am 27.11.2013 die
Auffassung, dass weder eine BK Nr. 2106 noch eine Wie-BK nach § 9 Abs. 2 SGB
VII im Sinne eines CTS zur Anerkennung vorzuschlagen seien, da es an einem
engen zeitlichen Zusammenhang fehle.
14 Mit Bescheid vom 13.12.2013 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung des
CTS als Berufskrankheit oder als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII mit
der Argumentation der Beratungsärztin und der staatlichen Gewerbeärztin ab.
15 Der deswegen am 13.01.2014 eingelegte Widerspruch wurde nicht weiter
begründet.
16 Mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück, wozu sie sich erneut auf das Fehlen eines engen zeitlichen
Zusammenhangs zwischen der letzten beruflichen Exposition und der Entstehung
des CTS stützte. Ein Zustellungsnachweis oder Absendevermerk bezüglich des
Widerspruchsbescheides ist in den Akten nicht vorhanden.
17 Die Bevollmächtigten der Klägerin haben am 30.12.2014 Klage beim Sozialgericht
Karlsruhe (SG) erhoben. Die Klage wird insbesondere damit begründet, dass das
CTS auch bei Fehlen einer früheren Erwähnung in den ärztlichen Befunden
unerkannt schon zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen habe. Eingeräumt wurde
mit der Klage, dass die Erkrankung CTS explizit bei der Klägerin erst im Jahr 2012
ärztlich dokumentiert sei. Die entsprechenden Beschwerden bestünden indes
bereits seit dem Jahr 2006 und seien richtigerweise von Anfang an der Erkrankung
CTS zuzuordnen gewesen. Die Klägerin habe bereits im Jahr 2006 erhebliche
Beschwerden im Bereich der HWS mit Ausstrahlung in den Arm und in die Hände
verspürt, welche auf die monotonen Tätigkeiten als Bandarbeiterin/Packerin
zurückzuführen gewesen seien. Ab diesem Zeitpunkt hätten auch diesbezügliche
Behandlungen stattgefunden.
18 Die Klägerin beantragt,
19 den Bescheid der Beklagten vom 13.12.2013 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 26.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, ihre Erkrankung an einem CTS beider Hände als Berufskrankheit bzw.
als Wie-Berufskrankheit gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen.
20 Die Beklagte beantragt,
21 die Klage abzuweisen.
22 Die Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
23 Im Klageverfahren sind die behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige
Zeugen angehört worden. Der Neurologe und Psychiater Dr. W. hat als
Praxisnachfolger von Dr. B. mitgeteilt, dass die Klägerin bei Dr. B. seit dem
20.03.2009 ambulant behandelt worden sei. Ein Carpaltunnelsyndrom (beidseits)
sei durch Dr. B. erstmals am 18.07.2012 diagnostiziert worden.
Gesundheitsstörungen, welche auf einer BK beruhten, seien ihm bei Durchsicht
der Krankenakte der Klägerin und in eigener Kenntnis der Klägerin nicht bekannt.
24 Der Hausarzt Dr. H. hat am 23.06.2015 mitgeteilt, dass die Klägerin seit vielen
Jahren in seiner ambulanten hausärztlichen Behandlung sei, und zwar regelmäßig
in Abständen von mindestens ein- bis zweimal vierteljährlich. Falls es sich bei dem
CTS der Klägerin beidseits um eine BK handele, sei diese infolge der Operationen
ausgeheilt. Der Beweis des CTS sei erst durch die NRG-Messung im Jahre 2012
durch den Facharzt für Neurologie Dr. B. erbracht worden. Trotzdem sei auch
anhand des chronischen Beschwerdebildes und immer wieder geklagten
Beschwerden mit Einschlafen der Hände, Schmerzen in beiden Armen bis in die
Hände ziehend auch ein CTS schon in früheren Jahren möglich und denkbar.
Trotz multipler fachärztlicher Behandlungen sei der Beweis jedoch erst im Jahre
2012 erbracht worden.
25 In der Anlage zu den Ausführungen des Dr. H. fanden sich ein Bericht über den
stationären Aufenthalt der Klägerin vom 18.11.2008 bis zum 20.01.2009 in der Y-
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. In dem Bericht werden
als Diagnosen eine Binge eating disorder, eine mittelgradige depressive Episode
bei umfassender Überforderungssituation auf dem Boden einer Persönlichkeit mit
ängstlich-vermeidenden Zügen, eine arterielle Hypertonie, eine Migräne, ein
insulinabhängiger Diabetes mellitus Typ I und eine Adipositas Grad I mitgeteilt. In
der Anamnese werden von der Klägerin ausgeprägte Ein- und
Durchschlafstörungen sowie Unausgeglichenheit und Unwohlsein beklagt,
außerdem Diabetes, Migräne und HWS-Beschwerden, jedoch keine Beschwerden
an den Händen oder Armen.
26 Am 12.11.2015 ist im SG ein Erörterungstermin durchgeführt worden, an dessen
Ende den Beteiligten die Absicht einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach
§ 105 SGG mitgeteilt worden ist.
27 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten
wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
28 Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
29 Das Gericht hat nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und
ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Gerichtsbescheid entschieden, da
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art
aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten hatten im Rahmen der
Anhörung in dem Erörterungstermin vom 12.11.2015 Gelegenheit, zu dieser
beabsichtigen Verfahrensweise Stellung zu nehmen.
30 Versicherungsfälle der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitsunfälle und
Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]).
Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten
bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3
oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die
Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtverordnung
bezeichnet ist, oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen,
wie eine BK als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der
Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die
Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind (§ 9 Abs.
2 SGB VII).
31 Voraussetzung für die Anerkennung einer BK ist das Vorliegen der sogenannten
arbeitstechnischen Voraussetzungen (berufliche Belastung / Exposition) sowie
einer einschlägigen Erkrankung aufgrund dieser Belastung. Dabei müssen die
versicherte Tätigkeit, die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen
einschließlich deren Art und Ausmaß sowie die entsprechende Erkrankung mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Sowohl
hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität (ursächlicher Zusammenhang
zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits)
als auch hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität (ursächlicher
Zusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung
andererseits) genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit.
Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller
wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches
Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286), d.h. es müssen die für einen
ursächlichen Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich überwiegen. Ein
Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er
nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich ein Kausalzusammenhang
nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen
Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten dessen, der
einen Anspruch aus dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang
für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112; BSG Urt. vom
28.03.2003 - B 2 U 33/03 R -).
32 Nach Nr. 2113 der Anlage 1 zur BKV ist eine Druckschädigung des Nervus
medianus im Carpaltunnel (Carpaltunnel-Syndrom) durch repetitive manuelle
Tätigkeiten mit Beugung und Streckung der Handgelenke, durch erhöhten
Kraftaufwand der Hände oder durch Hand-Arm-Schwingungen als BK anerkannt.
33 Die Anerkennung dieser neuen BK zum 01.01.2015 gemäß der 3. Verordnung zur
Änderung der Berufskrankheiten (Bundesgesetzblatt 2014 Teil I Nr. 62, vom 29.
Dezember 2014, S. 2397) erfasst grundsätzlich auch den vorliegenden
Sachverhalt, weil nach § 6 Abs. 1 BKV die BK nach der Nr. 2113 auch rückwirkend
anzuerkennen ist, wenn sie bereits vor dem Stichtag eingetreten ist.
34 Aufgrund dieser unbeschränkten Rückwirkungsklausel erübrigen sich nähere
Ausführungen zu einer Wie-BK gemäß § 9 Abs. 2 SGB VII, weil diese bereits ihrem
Wortlaut nach immer subsidiär gegenüber einer Listen-BK ist. Zudem ist diese
Regelung nur einschlägig, solange Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft
über die besondere Gefährdung bestimmter Berufsgruppen bei der letzten
Neufassung der Anlage zur BKV noch nicht vorlagen oder nicht berücksichtigt
wurden, was mit der rückwirkenden Einführung der BK Nr. 2113 nicht mehr der Fall
ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar 2008 – L 3 U
137/06 –, Rn. 23, juris).
35 Eine Erkrankung im Sinne eines CTS gemäß der BK Nr. 2113 ist bei der Klägerin
unstreitig aufgetreten. Auch war ausweislich des Berichts des Präventionsdienstes
der Beklagten eine CTS-relevante berufliche Belastung der Klägerin gegeben.
Dennoch kann die (inzwischen beidseits operierte und gemäß dem Hausarzt Dr. H.
ausgeheilte) Erkrankung nicht als BK anerkannt werden, weil es unwahrscheinlich
ist, dass diese Erkrankung auf die berufliche Tätigkeit der Klägerin zurückzuführen
ist. Denn es fehlt es an dem hierfür erforderlichen zeitlichen Zusammenhang
zwischen der beruflichen Exposition und dem erstmaligen Auftreten der
Erkrankung.
36 Zum zeitlichen Verlauf bis zum Auftreten eines CTS liegen in der Literatur
unterschiedliche Angaben vor, ganz überwiegend reichen aber z. T. kurze
Expositionszeiten aus (MASEAR et al. 1986, BARNHART et al. 1991). So fanden
GORSCHE et al. 1999 innerhalb eines Jahres 11 % Neuerkrankte unter
ursprünglich CTS-Gesunden eines Schlachtbetriebs. In der taiwanesischen
Fischindustrie war nach CHIANG et al. 1993 das CTS-Risiko dann am höchsten,
wenn die Exposition weniger als zwölf Monate betragen hatte. Ein
Kausalzusammenhang ist plausibel, wenn der Erkrankungsbeginn in engem
zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition steht (Zitat aus der
wissenschaftlichen Begründung für die BK, Bek. des BMAS vom 1.5.2009 – IVa4-
45226-2 GMBl. 30.6.2009, 573-581, S. 5). Dementsprechend wird auch in der
Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8.
Auflage 2010, Seite 561) und Rechtsprechung (vgl. Landessozialgericht Sachsen-
Anhalt, Urteil vom 08. Oktober 2009 – L 6 U 1/05 –, Rn. 46, juris, noch zur BK Nr.
2106b beim Vorliegen eines CTS) ein enger zeitlicher Zusammenhang für die
Anerkennung einer BK bei einem CTS verlangt.
37 Ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang ist jedenfalls dann nicht mehr
gegeben, wenn wie im Falle der Klägerin zwischen dem letzten Beschäftigungstag
mit einschlägiger Exposition und dem erstmaligen Auftreten eines CTS mehr als
drei Jahre liegen.
38 Die erste ärztliche Feststellung eines CTS stammt aus dem Jahr 2012 (Dr. B.),
wobei noch in diesem Jahr die beiden Operationen durchgeführt worden sind.
Auch die Klägerin hat über ihren Bevollmächtigten eingeräumt, dass eine frühere
ärztliche Feststellung dieser Erkrankung nicht vorliegt. Insbesondere ergibt sich
auch aus dem beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse keine
Erwähnung eines CTS vor 2012.
39 Es ist auch nicht ersichtlich, dass ein CTS bereits zu einem wesentlich früheren
Zeitpunkt - von den Ärzten unerkannt - vorgelegen haben könnte. Angesichts des
letzten Arbeitstages am 23.10.2008 kann insoweit nicht mehr von einem engen
zeitlichen Zusammenhang gesprochen werden können.
40 Die Klägerin hat zwar gegenüber der Beklagten im Verwaltungsverfahren
behauptet, bereits zeitnah mit ihrer Beschäftigung im Jahr 2008 entsprechende
Probleme in den Händen und Armen gehabt zu haben. Für diese Behauptung
fehlen jedoch belastbare Nachweise. Insbesondere ist der insoweit erforderliche
Vollbeweis für die Erkrankung an einem CTS bereits zu einem früheren Zeitpunkt
nicht erbracht.
41 Als die Beklagte am 13.08.2013 erstmalig Kenntnis von der Erkrankung durch Prof.
Dr. H. erhielt, gab dieser an, dass die Beschwerden erstmalig vor ca. zwei Jahren
aufgetreten seien. Die Kammer geht davon aus, dass diese Angaben aus der
Anamnese der Klägerin durch Prof. Dr. H. stammen. Denn dies deckt sich auch mit
den Angaben der Klägerin, sie sei erstmalig im Jahr 2010 durch Dr. B. und Dr. H.
wegen Hand- und Armbeschwerden behandelt worden. Hinsichtlich der früheren
Eigenangaben der Klägerin hat Handchirurg Dr. W. am berichtet, dass die die
Klägerin sich am 24.07.2012 wegen der Diagnose beidseitiges CTS vorgestellt
habe und über seit mindestens drei Monaten bestehende Gefühlsstörungen beider
Hände, linke Seite schlechter berichtet habe.
42 Die Kammer misst insbesondere dem Bericht über den stationären Aufenthalt der
Klägerin vom 18.11.2008 bis zum 20.01.2009 in der Y-Klinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik große Bedeutung für die Frage des
erstmaligen Auftretens eines CTS bei. Die Klägerin wurde in diesem Zeitraum, der
rund vier Wochen nach ihrem letzten Arbeitstag begann, intensiv und umfassend
ärztlich betreut. Dementsprechend finden sich in dem Bericht auch sehr
umfassende Beschreibungen der Anamnese und der Befunde der Klägerin. Weder
die Klägerin noch die Ärzte haben ausweislich dieses Berichts jedoch wie auch
immer geartete Beschwerden an den Händen oder Armen der Klägerin erwähnt.
43 Es überzeugt daher, dass sowohl die Beratungsärztin Dr. H. als auch die staatliche
Gewerbeärztin E. den Kausalzusammenhang verneinen, da der
Erkrankungsbeginn nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Exposition
steht. Der große zeitliche Abstand der Erkrankung vom letzten Arbeitstag spricht
vorliegend deutlich gegen einen beruflichen Zusammenhang.
44 Der als sachverständige Zeuge gehörte Neurologe und Psychiater Dr. W. hat als
Praxisnachfolger von Dr. B. hat im vorliegenden Gerichtsverfahren ebenfalls die
Auffassung vertreten, dass Anhaltspunkte für eine BK nicht vorliegen.
45 Sofern der Hausarzt Dr. H. als sachverständiger Zeuge ein Auftreten eines CTS
schon zu einem früheren Zeitpunkt für möglich und denkbar hält, ist dies keine
ausreichende Grundlage für eine Verurteilung zur Anerkennung einer BK. Dr. H.
weist selbst darauf hin, dass der Nachweis des CTS erst durch die NRG-Messung
im Jahre 2012 durch den Facharzt für Neurologie Dr. B. erbracht worden ist. Sofern
der sachverständige Zeuge Dr. H. auf die zahlreichen ärztlichen Behandlungen der
Klägerin verweist, wäre auch insofern zu erwarten gewesen, dass die Ärzte der
Klägerin ein CTS schon früher festgestellt hätten, wenn diese vorgelegen hätte.
46 Angesichts dieser Beweislage sieht die Kammer keine Veranlassung für die von
dem Klägerbevollmächtigten angeregten weiteren medizinischen Ermittlungen.
47 Auch für das Vorliegen anderer BKen als von der Klägerin geltend gemacht - die
Beklagte hat das Vorliegen einer BK schlechthin abgelehnt - finden sich keine
Anhaltspunkte. dies gilt insbesondere hinsichtlich der vor dem 01.01.2015
hinsichtlich eines CTS als Auffangtatbestand fungierenden (str.; hierzu
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08. Oktober 2009 – L 6 U 1/05 –,
Rn. 46, juris entgegen Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18. Januar
2008 – L 3 U 137/06 –, Rn. 21, juris) BK Nr. 2106 („Druckschädigung der Nerven“).
48 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.