Urteil des SozG Karlsruhe vom 24.11.2015

eigene mittel, finanzielles interesse, anrechenbares einkommen, entlastung

SG Karlsruhe Urteil vom 24.11.2015, S 4 SO 370/14
Angemessenes Sterbegeld, erforderliche Aufwendungen
Leitsätze
Eine Sterbegeld-Versicherung mit einer Leistungssumme von insgesamt 5.001,-- EUR
ist angemessen im Sinne von § 33 Abs. 2 SGB XII
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 24.10.2011, 07.09.2012
und vom 10.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2014
verurteilt, der Klägerin höhere monatliche Leistungen der Grundsicherung im Alter für
die Zeit vom 01.02.2011 bis zum 03.06.2012 unter Berücksichtigung der monatlichen
Beiträge in Höhe von 84,38 EUR für die Sterbegeldversicherung Nr. ... zu bewilligen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten sind der Zeitpunkt des Beginns von Leistungen der
Grundsicherung im Alter sowie die Angemessenheit einer sogenannten
Sterbegeld-Versicherung im Streit.
2 Der Sohn und Generalbevollmächtigte H. der am … 1921 geborenen Klägerin
meldete sich am 02.06.2010 telefonisch bei der Heimhilfe des Beklagten und fragte
nach der Möglichkeit der Übernahme für die Kosten einer Kurzzeitpflege der
Klägerin. Mit Schreiben vom 02.06.2010 wurde ihm daraufhin ein entsprechendes
Antragsformular übersandt. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob es im Rahmen
dieses Kontakts zu einer Antragstellung betreffend Leistungen der Grundsicherung
im Alter gekommen ist. Ein schriftlicher Antrag wurde nach Übersenden des
Antragsformulars an H. bei dem Beklagten zunächst nicht gestellt. Bereits in den
Jahren 2008 und 2009 hatte H. sich für die Klägerin bezüglich der Möglichkeit der
Kostenübernahme für das betreute Wohnen bei dem Beklagten erkundigt,
letztendlich jedoch keinen Antrag gestellt bzw. seinen Antrag zurückgezogen.
3 Am 28.02.2011 sprach H. dann persönlich bei dem Beklagten vor, wobei auch der
Inhalt dieses Gesprächs zwischen den Beteiligten streitig ist. Gemäß einem
Aktenvermerk des Beklagten vom 01.03.2011 habe H. bei dem Gespräch am
28.02.2011 die Auffassung vertreten, nunmehr rückwirkend für die Zeit ab Juni
2010 einen Antrag auf Kostenübernahme stellen zu können, woraufhin ihm
mitgeteilt worden sei, dass die Übersendung eines Formulars an ihn zum
damaligen Zeitpunkt nicht als Antragstellung gewertet werden könne.
4 Daraufhin ging am 28.03.2011 bei dem Beklagten ein Antrag auf Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung von H. für die Klägerin ein, welcher
ausdrücklich mit Wirkung ab dem 11.06.2010 gestellt wurde.
5 Mit Schreiben vom 11.04.2011 übersandte der Beklagte einen
Berechnungsbogen, wonach angesichts einer monatlichen Altersrente der
Klägerin von 575,04 EUR und einer Hinterbliebenenrente von 461,62 EUR der
monatliche Bedarf der Klägerin durch eigene Mittel gedeckt werden könne. Auch
nach Vorlage weiterer Unterlagen und erneuter Berechnung des Bedarfs ging der
Beklagte von einem Einkommensüberhang aus, weswegen er mit Bescheid vom
24.10.2011 die Gewährung von Leistungen ablehnte.
6 Der Sohn der Klägerin legte am 24.11.2011 Widerspruch ein. Im
Widerspruchsverfahren stellten die Bevollmächtigten der Klägerin den Antrag, den
Ablehnungsbescheid aufzuheben und der Klägerin ab dem 28.03.2011
Grundsicherungsleistungen im Alter nach den gesetzlichen Bestimmungen und in
der gesetzlichen Höhe zu gewähren, wobei auch die Bevollmächtigten davon
ausgingen, dass ein Antrag am 28.03.2011 gestellt worden sei. Im
Widerspruchsschreiben wurde zudem darauf hingewiesen, dass der Beklagte
auch die Sterbegeldversicherung der Klägerin mit einem monatlichen Beitrag von
84,38 EUR, wobei es sich um das günstigste auf dem Markt erhältliche Angebot
handele, zu Unrecht nicht berücksichtigt habe. Diese Sterbegeldversicherung war
am 23.06.2009 mit Vertragsbeginn zum 01.06.2009 bei der K.- Versicherung
abgeschlossen worden. Der Tarif X sieht vor, dass bis zum 31.05.2014 monatliche
Beiträge von 84,38 EUR zu zahlen waren, woraus sich ein „gesamter Todesfall-
Schutz“ einschließlich Gewinnbeteiligungen in Höhe von 5.001,--. EUR ergibt (vgl.
Bl. 83 der Verwaltungsakte). Der Versicherungsschutz ist vor Eintritt des Todesfalls
frei widerruflich, wobei in diesem Fall die gezahlten Beiträge in voller Höhe erstattet
werden. Die Bevollmächtigten gingen nach ihrer Rechnung von einer
Unterdeckung des monatlichen Bedarfs in Höhe von 147,72 EUR aus.
7 Mit Schreiben vom 14.06.2012 teilten die Bevollmächtigten der Klägerin dann mit,
dass die Leistungen „in Abänderung des Antrags vom 18.01.2012“ bereits ab dem
02.06.2010 begehrt würden. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, dass
dem Kläger bei seiner Vorsprache am 02.06.2010 am Telefon bestätigt worden sei,
dass die telefonische Antragstellung als Antragsdatum für die Leistungen der
Grundsicherung zugrunde gelegt würden, woraufhin der Kläger sich im Vertrauen
auf diese Aussage mit der schriftlichen Antragstellung Zeit gelassen habe.
8 Die Klägerin verließ das M.-Wohnstift zum 27.06.2012.
9 Mit Bescheid vom 07.09.2012 bewilligte der Beklagte daraufhin Leistungen nach
dem Vierten Kapitel des SGB XII von insgesamt 318,14 EUR für die Zeit von März
2011 bis Juni 2012, wobei er zur Berechnung des Betrages auf die beigefügten
Berechnungsbögen verwies.
10 Die Klägerbevollmächtigten verfolgten ihren Widerspruch weiter und machten auf
diverse Posten aufmerksam, die bei der Leistungsberechnung nicht berücksichtigt
worden seien, unter anderem die oben genannte Sterbegeldversicherung.
Außerdem seien die Leistungen bereits mit Wirkung ab dem 02.06.2010 beantragt
worden.
11 Der Beklagte nahm daraufhin eine weitere Neuberechnung des Anspruchs vor,
was zu einer Bewilligung mit Bescheid vom 10.05.2013 für die Zeit von März 2011
bis April 2012 mit monatlichen Nachzahlungen zwischen 94,11 EUR und 149,20
EUR, insgesamt einem Gesamtnachzahlungsbetrag von 1.770,31 EUR resultierte.
12 Auch nach dieser Neuberechnung wurde der Anspruch auf höhere und frühere
Leistungen weiter verfolgt. Insbesondere sei die monatliche Leistungshöhe nicht
ausreichend nachvollziehbar. Vorgelegt wurde u. a. ein Telefonvermerk des H.
vom 02.06.2010 (ohne Unterschrift), wonach H. notiert habe, dass „der Antrag“ mit
dem Telefonat als gestellt gelte.
13 Der Beklagte bewilligte mit Widerspruchsbescheid vom 03.01.2014 die Leistungen
bereits ab dem 01.02.2011 und anerkannte für den bewilligten Zeitraum die
Übernahme der Unterkunftskosten in voller Höhe, wobei er jedoch einen
Ernährungsanteil am Regelsatz in Höhe von 37 % bzw. ab dem 01.01.2012 in
Höhe von 30,9886 % abzog. Im Übrigen wurde der Widerspruch als unbegründet
zurückgewiesen. Die um einen Monat vorgezogene Leistungsbewilligung beruhe
darauf, dass die erste Vorsprache bereits am 28.02.2011 stattgefunden habe und
die Leistungen nach § 44 SGB XII jeweils am 1. des Monats einsetzten. Eine noch
frühere Leistungsgewährung sei jedoch nicht möglich, da zu einem früheren
Zeitpunkt kein Antrag auf Leistungen vorgelegen habe. Der zuvor erfolgte
ausschließliche telefonische Kontakt genüge nicht den Anforderungen für eine
wirksame Antragstellung, zumal lediglich nach Antragsunterlagen für die
Kostenübernahme einer Kurzzeitunterbringung gefragt worden sei. Der Beklagte
erläuterte die Höhe der Kostenübernahme für die Unterkunft sowie der
Vollverpflegung in Höhe von 13,30 EUR kalendertäglich. Hinsichtlich der
Sterbegeldversicherung bei der K.- Versicherung in Höhe von monatlich 84,38
EUR ging der Beklagte davon aus, das es sich gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII
nicht um eine anerkennungsfähige Versicherung handele, da diese Versicherung
allenfalls der Entlastung der Erben und der Unterhaltspflichtigen diene. Zudem sei
davon auszugehen, dass es sich um eine Kapitallebensversicherung handele, da
bereits ab dem Versicherungsbeginn Rückkaufswerte gebildet würden und die
Versicherung jederzeit von der Klägerin unter Mitnahme der Rückkaufswerte
gekündigt werden könne. Dies könne dazu führen, dass trotz höherer
Sozialhilfeleistungen letztendlich zusätzlich auch noch eine Beihilfe für
Bestattungskosten nach § 74 SGB XII zu bewilligen sei und damit quasi doppelt
geleistet würde. Schließlich habe die Klägerin zwei Kinder, die als Erben vorrangig
zur Bestattung verpflichtet seien.
14 Der Sohn und Vertreter der Klägerin hat am 04.02.2014 beim Sozialgericht
Karlsruhe (SG) Klage erhoben. Mit der Klage wird weiterhin die Auffassung
vertreten, dass eine Antragstellung bereits im Juni 2010 erfolgt und dass die von
der Klägerin abgeschlossene Sterbegeldversicherung angemessen und von dem
Beklagten zu übernehmen sei.
15 Die Klägerin beantragt,
16 den Beklagten unter Abänderung des Verwaltungsaktes vom 24.10.2011 in der
Fassung des Bescheides vom 07.09.2012 und des Bescheides vom 10.05.2013
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2014 zu verurteilen, ihr für
die Zeit vom 02.06.2010 bis 31.01.2011 gesetzliche Leistungen nach dem SGB
XII, insbesondere unter Berücksichtigung der Beiträge für die
Sterbegeldversicherung zu gewähren,
und diese höheren Leistungen auch für die Zeit ab dem 01.02.2011 zu gewähren.
17 Der Beklagte beantragt,
18 die Klage abzuweisen.
19 Der Beklagte hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
20 In der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 sind die Mitarbeiterinnen des
Beklagten K. (für das Telefonat am 02.06.2010) und E. (für die Vorsprache am
28.02.2011) sowie der Sohn der Klägerin als Zeugen vernommen worden.
21 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten
wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
22 Die Klage ist zulässig und hinsichtlich der Übernahme der Kosten für die
Sterbegeldversicherung im bereits anerkannten Leistungszeitraum auch
begründet. Für eine Leistungsgewährung vor dem 01.02.2011 fehlt es jedoch an
einer wirksamen Antragstellung.
23 Gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ist Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII Personen zu leisten, die
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben oder das 18. Lebensjahr
vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren
notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften
und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten
können. Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Älteren und dauerhaft voll
erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren
notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§
82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung zu leisten.
24 Die Klägerin erfüllt für die Zeit ab dem 01.02.2011 diese Voraussetzungen für die
Bewilligung von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, weswegen
der Beklagte zu Recht Leistungen ab diesem Datum bewilligt hat.
25 Zu Unrecht hat der Beklagte bei der Berechnung der Leistungshöhe jedoch nicht
die Sterbegeldversicherung der Klägerin berücksichtigt. Um die Voraussetzungen
eines Anspruchs auf ein angemessenes Sterbegeld zu erfüllen, können die
erforderlichen Aufwendungen übernommen werden, § 33 Abs. 2 SGB XII. Die
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen
nach § 42 Nr. 2 SGB XII auch die die zusätzlichen Bedarfe nach dem Zweiten
Abschnitt des Dritten Kapitels, zu denen die Leistung nach § 33 Abs. 2 SGB XII
gehört (vgl. BSG, Urteil vom 09. Juni 2011 – B 8 SO 11/10 R –, Rn. 23, juris). Der
Beklagte hat sich in den angegriffenen Bescheiden mit dieser Vorschrift nicht
ausreichend auseinandergesetzt.
26 Sofern der Beklagte die Voraussetzungen einer Berücksichtigung dieser Kosten
nach § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII nicht als erfüllt ansieht, lässt die Kammer diese
Frage ausdrücklich offen. Denn die Voraussetzungen einer Übernahme nach § 33
Abs. 2 SGB XII liegen vor. Dabei ist davon auszugehen, dass die Vorschrift des §
33 Abs. 2 SGB XII aufgrund ihres engeren Anwendungsbereichs die speziellere
Vorschrift darstellt, da sie sich ausdrücklich mit dem Sterbegeld befasst. Der
Vorschrift des § 82 Abs. 2 Nr. 3 SGB XII lassen sich daher keine weiteren
Einschränkungen für die Übernahme von Leistungen nach § 33 Abs. 2 SGB XII
entnehmen.
27 Eine Sterbegeldversicherung ist eine meist lebenslängliche
Kapitallebensversicherung auf den Todesfall mit einer relativ niedrigen
Versicherungssumme, die vor allem die Beerdigungskosten und andere direkt mit
dem Tod verbundene Aufwendungen abdecken soll (sog. „Klein-
Lebensversicherungen“). Entscheidend für die Einordnung als
Sterbegeldversicherung ist die subjektive Zweckbestimmung des
Leistungsberechtigten, die sich in den objektiven Umständen der Ausgestaltung
der Versicherung widerspiegeln muss (Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB
XII, 2. Aufl. 2014, § 33 SGB XII, Rn. 38). Eine solche Versicherung hat die Klägerin
vorliegend abgeschlossen. Da bei der Frage nach der angemessenen Höhe der
Versicherung jedenfalls auch die Kosten der Grabpflege für die Dauer der
Mindestruhezeit zu berücksichtigen sind (Behrend a.a.O. Rn. 41), ist die
Versicherungssumme von 5.001,-- EUR als angemessen anzusehen. Die
Aufwendungen sind auch erforderlich in dem Sinne, dass die Klägerin mittellos ist
und daher die Aufwendungen für ihre Bestattung und Grabpflege nicht selbst
ansparen oder auf sonstige Weise gewährleisten kann.
28 Sofern der Beklagte die Auffassung vertritt, dass die Versicherung allenfalls der
Entlastung der Angehörigen dient, ist diese Ansicht unzutreffend. Die Leistung
stellt auch eine Entlastung der Leistungsempfänger dar, die von der Sorge befreit
werden, ihre Angehörigen mit den Kosten ihrer Bestattung zu belasten. Die
tatsächliche Entlastung von Angehörigen in der Folge ist mithin gerade durch diese
Regelung beabsichtigt. Die Auslegung der Vorschrift muss sich insbesondere
daran orientieren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit einzuschätzen ist, dass ohne
die gegenwärtige Hilfeleistung Sozialhilfe im und für den Sterbefall in Zukunft
erforderlich werden wird (zur Übernahme von Bestattungskosten als
Sozialhilfeleistung s. § 74 SGB XII). Aus dieser Sicht ist die Hilfe durch die
Übernahme von Beiträgen für eine Sterbegeldversicherung nur dann gerechtfertigt,
wenn nach den Umständen des Einzelfalles eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür
spricht, dass zur Deckung der Bestattungskosten überhaupt Sozialhilfe benötigt
werden wird (Flint in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5.Aufl. 2014, § 33 Rn. 19).
Insofern ist festzustellen, dass bei der mittellosen Klägerin des Geburtsjahrgangs
1921 der Abschluss einer entsprechenden Vorsorgeversicherung im Jahr 2009
nahelag. Der Umstand, dass die Versicherung deutlich vor der Antragstellung bei
dem Beklagten abgeschlossen und auch bedient wurde belegt auch, dass es der
Klägerin nicht ausschließlich um eine Leistungsgewährung durch den Beklagten
ging.
29 Schließlich spricht auch der Umstand der Kündbarkeit der Versicherung vor dem
Eintritt des Todesfalls mit der für diesen Fall vereinbarten Erstattung der Beiträge
nicht gegen die Übernahme dieser Kosten. Denn zum einen ist kein Anhaltspunkt
dafür vorhanden, dass die Klägerin die Kündigung der Versicherung beabsichtigt.
Auch an anderer Stelle sieht das SGB XII die Unantastbarkeit geschützten
Vermögens für andere als die geschützten Leistungszwecke nicht als zwingende
Voraussetzung vor (vgl. etwa § 90 Abs. 2 Nrn. 1, 3, 6, 7 SGB XII). Die Annahme
eines derartigen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Unmöglichkeit einer
anderweitigen Verwendung ist daher abzulehnen. Zum anderen würde die
Kündigung und Erstattung von Beiträgen auch dazu führen, dass in dem absehbar
fortbestehenden Leistungsbezug der Klägerin anrechenbares Einkommen erzielt
würde. Da die Argumente für eine Übernahme der Beiträge erheblich sind und ein
überzeugender Gesichtspunkt für die Ablehnung der Leistung nicht vorgetragen
oder ersichtlich ist, geht die Kammer von einer Ermessensreduzierung auf Null
aus, weswegen der Beklagte insoweit antragsgemäß zur Leistung zu verurteilen
war.
30 Im Übrigen wird zur Berechnung der Leistungshöhe der Grundsicherung für den
Zeitraum ab dem 01.02.2011 auf die in den angefochtenen Bescheiden
enthaltenen Berechnungen Bezug genommen. Weitere Anhaltspunkte für eine
fehlerhafte Berechnung, d.h. über die zu Unrecht nicht berücksichtigten Beiträge
zur Sterbegeldversicherung hinaus, sind nicht erkennbar.
31 Eine Leistungsgewährung vor dem 01.02.2011 (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII)
kommt indes nicht in Betracht, weil es hierfür an dem nach § 91 Abs. 1 Satz 1 SGB
XII erforderlichen Antrag fehlt. Ein solcher Antrag ist zwar auch formlos und damit
telefonisch möglich (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 08.
August 2007 – L 7 SO 1680/07 –, juris). Auch ein formloser Antrag ist jedoch vor
dem 28.02.2011 nicht nachgewiesen.
32 Die Feststellungslast für einen früheren Antrag liegt bei der Klägerin. Der Beweis
für einen solchen Antrag konnte durch die Vernehmung des H. und der beiden
Mitarbeiterinnen des Beklagten, mit welchen H. im Juni 2010 und am 28.02.2011
Kontakt hatte, nicht erbracht werden. Nach dem Gesamtergebnis der
Beweisaufnahme wurde ein Leistungsantrag durch H. für die Klägerin erstmalig am
28.02.2011 gestellt.
33 Die Vorschrift des § 18 Abs. 1 SGB XII über das Einsetzen der Sozialhilfe stellt
ausdrücklich klar, dass der sog. Kenntnisnahmegrundsatz im Bereich der
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht gilt. Auch eine Kenntnis
des Beklagten von einem entsprechenden Bedarf lag vor dem 28.02.2011 im
Übrigen nicht vor. Der Kläger hat sich im Juni 2010 telefonisch nach Unterlagen für
die Gewährung von Leistungen für die Kurzzeitpflege gefragt, was aus den
Verwaltungsakten und der schlüssigen und überzeugenden Zeugenaussage der
Mitarbeiterin K. hervorgeht. Darüber hinaus wurde am Telefon auch ein mündlicher
Antrag auf die Übernahme der Kosten einer Kurzzeitpflege gestellt. Die Zeugin K.
ist deswegen zu Recht für den Beklagten davon ausgegangen, dass wegen
Ausbleibens der ausgefüllten Unterlagen betreffend eine Kurzzeitpflege dieser
Antrag nicht aufrechterhalten wurde. Neben der Zeugenaussage der Zeugin K.
liegt hierzu der Aktenvermerk vom 02.06.2010 vor, in dem ausdrücklich ein Antrag
bezüglich Leistungen der Kurzzeitpflege angekündigt bzw. gestellt worden ist und
die Einigung auf einen Termin zu Antragsabgabe vereinbart worden ist.
34 Die Aussage des H., bereits im Juni 2010 einen Antrag auf
Grundsicherungsleistungen gestellt zu haben, konnte die Kammer nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme nicht nachvollziehen. Zunächst ist darauf
hinzuweisen, dass der H. als Sohn und Vertreter ein erhebliches - auch finanzielles
- Interesse am Ausgang des Klageverfahrens hat. Die Kammer hält es allerdings
für durchaus möglich, dass er selbst nach dem Telefongespräch einseitig von
einer entsprechenden Antragstellung ausging. Der H. hätte dann allerdings auf
eigenes Risiko bzw. auf Risiko der Klägerin den unsicheren Kommunikationsweg
per Telefon gewählt, der bekanntermaßen besonders anfällig für
Missverständnisse ist und auch regelmäßig zu Beweisproblemen führt. Ein
Nachweis eines entsprechenden Antrags ist jedenfalls nicht durch die eigene
Gesprächsnotiz des H. vom 02.06.2010 (Bl. 385 der Verwaltungsakte) geführt.
Unabhängig davon, dass unklar ist, wann diese Notiz erstellt worden ist, ist diese
Notiz auch nicht unterschrieben. Darüber hinaus wird die begehrte Grundsicherung
auch nicht in dieser Notiz erwähnt, so dass diese Aufzeichnung des H. auch
gerade den Vortrag des Beklagten zu stützen geeignet ist, es seien zunächst
telefonisch Leistungen zur Kurzzeitpflege beantragt worden.
35 Da es sich bei Leistungen der Kurzzeitpflege um eine spezielle Leistung handelt,
die auch konkret nachgefragt wurde, ist auch unter Berücksichtigung des sog.
Meistbegünstigungsgrundsatzes nicht vom Vorliegen eines Antrags auf
Grundsicherung im Alter zu diesem Zeitpunkt auszugehen. Nach diesem
verbindlichen Auslegungsgrundsatz (vgl. § 123 SGG) sind Verfahrenserklärungen,
zu denen auch der Widerspruch gehört, unabhängig vom Wortlaut unter
Berücksichtigung des wirklichen Willens auszulegen. Die Auslegung hat sich
daran zu orientieren, was als Leistung möglich ist, wenn jeder vernünftige
Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung anpassen
würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen (BSG, Urteil vom 07.
November 2006 – B 7b AS 8/06 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, BSGE 97, 217-230,
SozR 4-1500 § 123 Nr. 2, SozR 4-4200 § 7 Nr. 1, Rn. 11).
36 Für den Beklagten lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass H. für seine Mutter
etwas anderes wollte als die Gewährung von Leistungen zur Kurzzeitpflege. Der
Grundsatz der Meistbegünstigung erfährt jedoch die Einschränkung, dass bei der
ausdrücklichen Beschränkung auf eine bestimmte Leistung eine weitergehende
Auslegung nicht möglich ist. Nur wenn eine solche Beschränkung nicht vorliegt, ist
davon auszugehen, dass der Leistungsberechtigte die Sozialleistungen begehrt,
die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (vgl. Link in
Eicher/Spellbrink, SGB II, 3. Aufl 2013, § 37 RdNr 26 m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.
Oktober 2010 – B 14 AS 16/09 R –, SozR 4-4200 § 37 Nr. 3, SozR 4-1300 § 28 Nr.
1, Rn. 18; SG Karlsruhe, Urteil vom 24. November 2015 – S 4 SO 56/15 –, Rn. 32,
juris).
37 Ein Beratungsbedarf ist auch aus den sonstigen zeitnah vorliegenden Unterlagen
und den Zeugenaussagen nicht ersichtlich. Der Beklagte hat zudem durch die
Übersendung von Unterlagen eine weitere Sachbearbeitung bzw. Beratung
angeboten, für die der H. die Unterlagen indes zunächst ausgefüllt hätte
zurücksenden müssen. Nachdem dies nicht geschehen ist, waren aus Sicht des
Beklagten keine Fragen mehr offen. Der Beklagte hat durch die Übersendung der
Formulare zudem konkludent zu erkennen gegeben, das eine weitere
Sachbearbeitung dann erfolgt, wenn die Unterlagen ausgefüllt eingehen. Da weder
eine angezeigte Beratung unterblieb noch eine Falschauskunft des Beklagten
ersichtlich ist, kann auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs ein früherer Antragszeitpunkt nicht angenommen werden.
38 Die Einlassung des H., er habe sich ausgehend von einem Hinweis auf eine
telefonisch vermerkte Antragstellung Zeit mit der Vorlage der Unterlagen gelassen
(vgl. die Widerspruchsbegründung vom 14.06.2012 ), vermag nicht zu
überzeugen. Angesichts der knappen Mittel des H. und der Klägerin wäre es zu
erwarten gewesen, dass der H. zumindest bei dem Beklagten nachhakt, bevor er
einen Kredit aufnimmt. Es ist nicht schlüssig, dass auf eine Übernahme der Kosten
durch den Beklagten vertraut und gleichzeitig ein - mit weiteren Kosten
verbundener - privater Kredit zur Deckung dieser Kosten aufgenommen worden
sein soll. Vielmehr ist unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes
und des Subsidiaritätsgrundsatzes in § 2 Abs. 1 SGB XII davon auszugehen, dass
der Bedarf der Klägerin vor dem 01.02.2011 anderweitig gedeckt worden ist.
39 Der mündliche Antrag im Juni 2010 betraf zudem nicht nur eine andere Leistung,
sondern wurde aus der maßgeblichen objektiven Empfängersicht des Beklagten
auch in der Folge nicht aufrechterhalten. H. als Vertreter und
Generalbevollmächtigter der Klägerin hat die Antragsunterlagen nicht zeitnah
abgegeben, sondern stattdessen durch die Aufnahme eines persönlichen Kredits
die Begleichung der Unterbringungskosten der Klägerin sichergestellt. Da ein
Termin zur Antragsabgabe vereinbart werden sollte, vom H. aber nicht nachgefragt
wurde, konnte der Beklagte jedenfalls nach dem vorliegenden Intervall von nahezu
neun Monaten, in denen der H. die Bedarfsdeckung anderweitig organisiert hatte,
nicht vom Aufrechthalten eines etwaigen früheren Antrags ausgegangen werden,
selbst wenn Grundsicherung damals telefonisch tatsächlich beantragt worden
wäre. Der Sohn der Klägerin H. hatte im Übrigen in der Vergangenheit schon
mindestens bei zwei anderen Gelegenheiten Informationen des Beklagten über
Leistungen an die Klägerin eingeholt, ohne jedoch anschließend einen Antrag
weiterzuverfolgen.
40 Schließlich wurde der Widerspruch vom 24.11.2011 vom den damaligen
Bevollmächtigten der Klägerin (V.) mit Schriftsatz vom 18.01.2012 auch darauf
beschränkt, Grundsicherungsleistungen (erst) ab dem 28.03.2011 zu gewähren.
Auch die damaligen Bevollmächtigten der Klägerin gingen demnach nicht von
einem früheren Antrag aus.
41 Auch die Aufzeichnungen und Aussagen der Zeugin E. sprechen gegen die
Annahme eines früheren Antrags. Aus dem Vermerk vom 01.03.2011 lässt sich
entnehmen, dass H. selbst die Formulierung gewählt hat, er könne seiner Ansicht
nach einen rückwirkenden Antrag stellen. Dieser Vermerk ist auch deswegen
vermutlich zutreffend, weil er zu erklären vermag, warum ein Antrag zu einem
früheren Zeitpunkt nicht gestellt worden ist bzw. die Antragsunterlagen nicht
zeitnah zum ersten telefonischen Kontakt abgegeben wurden. Denn ausweislich
dieses Vermerks hat H. weiter vorgetragen, dass die Klägerin selbst die Differenz
zwischen ihrer Rente und ihren Unterbringungskosten bis zur Vorsprache am
28.02.2011 habe tragen können. Auch die mündliche Aussage der Zeugin in der
Verhandlung legt es nahe, den Vermerk als zutreffend zugrunde zu legen.
42 Die Kammer hat daher keine Veranlassung, an der inhaltlichen Richtigkeit dieses
Vermerks zu zweifeln. Nach dem Bedarfsdeckungsgrundsatz ist jedoch eine
rückwirkende Bewilligung der Leistung ausgeschlossen (Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Beschluss vom 08. August 2007 – L 7 SO 1680/07 –, Rn. 41,
juris).
43 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.