Urteil des SozG Karlsruhe vom 11.07.2016

nachlässigkeit, anschrift, mitteilungspflicht, sorgfalt

SG Karlsruhe Beschluß vom 11.7.2016, S 17 AS 829/16 (PKH)
Aufhebung der Bewilligung von PKH - grobe Nachlässigkeit - Mitwirkungspflicht - unterlassene
unverzügliche Mitteilung
Tenor
Der Beschluss vom 17.07.2015 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird aufgehoben.
Gründe
I.
1 Am 10.03.2015 erhob der Kläger Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf Übernahme von Kosten der
Unterkunft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2014 bis 30.09.2015.
2 Auf seinen Antrag hin bewilligte das Sozialgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom
17.07.2015.
3 Mit Schreiben vom 30.11.2015 teilte der Klägerbevollmächtigte im laufenden Gerichtsverfahren u.a. mit,
„der Klageantrag wird noch dahingehend gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG zu beschränken sein, dass Kosten für
Unterkunft bis zum Ende des Grundsicherungsbezugs zu zahlen sind, voraussichtlich bis Juli 2015“.
4 Im Rahmen des Termins der mündlichen Verhandlung am 18.03.2016 gab der Kläger an, seit August 2015
sei er ununterbrochen erwerbstätig. Er verdiene derzeit etwa 3.000,-- EUR im Monat. Der Vorsitzende wies
den Kläger im Rahmen des Termins auf dessen Pflichten zur unverzüglichen Mitteilung von
Einkommensänderungen hin und forderte den Kläger auf, die Mitteilung unverzüglich nachzuholen.
5 Mit Schreiben vom 21.03.2016 teilte der Klägerbevollmächtigte mit, der Kläger verfüge seit August 2015
über ein Einkommen in Höhe von ca. 900,-- EUR netto. Ab Januar 2016 verfüge er über darüber
hinausgehendes Einkommen und könne daher (spätestens) ab Januar 2016 die Kosten der Prozessführung
selbst aufbringen. Gleichwohl sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht aufzuheben. Der Kläger habe
dem Gericht mit Schreiben vom 30.11.2015 eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse mitgeteilt. Im
August sei nicht klar gewesen, ob er über die Probezeit hinaus beschäftigt werde. Er habe jedenfalls nicht
grob fahrlässig gehandelt.
6 Mit Schreiben vom 04.04.2016 forderte das Gericht den Kläger auf, eine aktuelle „Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ nebst Nachweisen vorzulegen und erinnerte den Kläger an
die Erledigung (Schreiben vom 09.05.2016). Sodann teilte das Gericht dem Kläger mit, es beabsichtige den
Beschluss über die Bewilligung aufzuheben und gab Gelegenheit zur Stellungnahme.
II.
7 Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4
ZPO aufzuheben.
8 Demnach soll das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn (Nr. 2) die Partei
absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über die persönlichen oder wirtschaftlichen
Verhältnisse gemacht oder eine Erklärung nach § 120a Absatz 1 Satz 3 nicht oder ungenügend abgegeben
hat; (Nr. 4) die Partei entgegen § 120a Absatz 2 Satz 1 bis 3 dem Gericht wesentliche Verbesserungen ihrer
Einkommens- und Vermögensverhältnisse oder Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober
Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitgeteilt hat.
9 Nach § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO muss die Partei auf Verlangen des Gerichts jederzeit erklären, ob eine
Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist.
10 Verbessern sich vor dem in § 120a Abs. 1 Satz 4 ZPO genannten Zeitpunkt die wirtschaftlichen Verhältnisse
der Partei wesentlich oder ändert sich ihre Anschrift, hat sie dies dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.
Bezieht die Partei ein laufendes monatliches Einkommen, ist eine Einkommensverbesserung nur wesentlich,
wenn die Differenz zu dem bisher zu Grunde gelegten Bruttoeinkommen nicht nur einmalig 100 Euro
übersteigt. Satz 2 gilt entsprechend, soweit abzugsfähige Belastungen entfallen (§ 120a Absatz 2 Satz 1 bis
3 ZPO).
1.
11 Der Kläger hat wesentliche Verbesserungen seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht
unverzüglich mitgeteilt, obwohl er hierzu nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 120a Abs. 2 Satz 1 ZPO
verpflichtet gewesen wäre.
12 Eine Äußerung des Klägers erfolgte erstmalig nach Aufforderung des Gerichts mit Schreiben des
Bevollmächtigten vom 21.03.2016, nachdem im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 18.03.2016 eine
Erwerbstätigkeit des Klägers seit August 2015 bekannt geworden war. Dabei hat er jedoch seine geänderte
persönliche und wirtschaftliche Situation nicht in überprüfbarer Weise erklärt: Er hat insbesondere weder
Angaben zu seinem tatsächlichen Einkommen gemacht noch einen Arbeitsvertrag vorgelegt.
13 Mit der Ankündigung des Klägerbevollmächtigten, der Klageantrag werde noch zu beschränken sein, „dass
Kosten für Unterkunft bis zum Ende des Grundsicherungsbezugs zu zahlen sind, voraussichtlich bis Juli
2015“ (Schreiben vom 30.11.2015), ergibt nichts abweichendes. Hierbei handelt sich lediglich um einen
Hinweis auf eine möglicherweise eintretende Änderung. Bereits aus der Formulierung „voraussichtlich“ wird
dies deutlich.
2.
14 Daneben hat der Kläger auch gegen seine Pflicht aus § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO verstoßen, da er trotz
gerichtlicher Aufforderung keine aktuelle Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
vorgelegt hat.
15 Nach der Erklärung im anwaltlichen Schreiben vom 21.03.2016 verfüge der Kläger über ein monatliches
Nettoeinkommen von ca. 900,-- EUR. In der mündlichen Verhandlung hatte der Kläger noch angegeben, er
verdiene etwa 3.000,-- EUR monatlich. Zur Klärung dieser Unstimmigkeit forderte das Gericht den Kläger
auf, eine aktuelle „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ nebst Nachweisen
vorzulegen. Hierauf hat der Kläger trotz Erinnerung nicht reagiert.
3.
16 Der Kläger hat dabei zumindest grob nachlässig gehandelt.
17 Zwar kann eine grobe Nachlässigkeit nicht allein daraus abgeleitet werden, dass der Kläger trotz
ordnungsgemäßer Belehrung in dem Formular „Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse“ die Mitteilung nicht von sich aus unverzüglich getätigt hat (vgl. Landesarbeitsgericht Baden-
Württemberg, B.v. 21.01.2016 - 17 Ta 36/15 - juris). Der Kläger hat jedoch darüber hinaus trotz mehrfacher
gerichtlicher Nachfrage, sich über eine Verbesserung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse zu erklären, nicht
reagiert.
18 Mit Schreiben vom 04.04.2016 forderte das Gericht den Kläger auf, eine aktuelle „Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse“ vorzulegen. Hierauf hat der Kläger trotz Erinnerung vom
09.05.2016 nicht reagiert. Auch auf das weitere gerichtliche Schreiben vom 06.06.2016 reagierte der Kläger
nicht. Dies macht deutlich, dass der Kläger seine Pflicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt hat.
Er ist nicht nur der Mitteilungspflicht, die er von sich aus - ohne gerichtliche Aufforderung - zu erfüllen
gehabt hätte, nicht nachgekommen, sondern hat beharrlich gerichtliche Aufforderungen, die ihm die Pflicht
nochmals vor Augen geführt haben, ignoriert. Er hat damit die im Prozesskostenhilfeverfahren erforderliche
Sorgfalt in einem ungewöhnlich groben Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen, was jeder Partei
hätte einleuchten müssen (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, B.v. 21.01.2016 - 17 Ta 36/15 - juris).
4.
19 Anhaltspunkte für das Vorliegen eines atypischen Falls sind nicht ersichtlich.
20 Nach alle dem war die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe daher gemäß § 73a Abs. 1
Satz 1 SGG i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO aufzuheben.