Urteil des SozG Karlsruhe vom 23.02.2016

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SG Karlsruhe Urteil vom 23.2.2016, S 17 AS 2487/15
Grundsicherung für Arbeitssuchende; Hilfebedürftigkeit des Miterben; Miterbe
eines selbstgenutzten Hausgrundstücks - angemessene Größe - kein
verwertbares Vermögen
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26.11.2014 in der
Fassung des Änderungsbescheids vom 21.04.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 03.07.2015 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2014 bis
zum 31.05.2015 in gesetzlicher Höhe als Zuschuss zu bewilligen.
2. Der Beklagte hat die außergerichtlicher Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2014 bis
31.05.2015 in Form eines Zuschusses zu erhalten, statt wie bewilligt als Darlehen.
2 Der am ...1965 geborene Kläger bezieht seit etwa zehn Jahren Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
3 Aufgrund des Weiterbewilligungsantrages des Klägers vom 15.10.2014 bewilligte
der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 01.12.2014 bis 31.05.2015 als zinsloses
Darlehen (Bescheid vom 26.11.2014). Mit Änderungsbescheid vom 21.04.2015
gewährte der Beklagte für den gleichen Zeitraum darlehensweise höhere
Leistungen. Der Beklagte begründete die darlehensweise Gewährung damit, der
Kläger verfüge über Vermögen in Form eines Erbteilsanspruchs zu 1/3 über ein
Hausgrundstück in O., welches die Vermögensfreibeträge übersteige.
4 Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 03.07.2015 als unbegründet zurück.
5 Mit der am 06.08.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgt der
Kläger sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, das
Hausanwesen sei gemäß § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht als Vermögen zu
berücksichtigen. Es müsse auf die tatsächlich genutzte Wohnfläche abgestellt
werden. Diese betrage weniger als 110 qm. Er bewohne die im Kellergeschoss
gelegene Wohnung mit einer Wohnfläche von 49,72 qm, seine Kinder jeweils
lediglich ein Zimmer im Dachgeschoss. Der Gebrauch des Hausanwesens sei
aufgrund der Willensbildung der weiteren Mitglieder der Erbengemeinschaft
eingeschränkt. Die Berücksichtigung der Grundstücksgröße müsse hier
unterbleiben, da Haus und Grundstück eine solche Einheit bildeten, dass sie
lediglich als einheitlicher Vermögensgegenstand betrachtet werden könnten.
6 Der Kläger beantragt sinngemäß,
7
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 26.11.2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 03.07.2015 zu verurteilen, Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II als Zuschuss zu bewilligen.
8 Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Die Wohnung sei nicht angemessen. Der Kläger nutze das Hausgrundstück selbst.
Er sei jedoch derzeit keinen rechtlichen Grenzen einer uneingeschränkten
tatsächlichen Nutzung der gesamten Wohnfläche unterlegen. Jedenfalls
bestünden keine eigentumsrechtlichen Einschränkungen. Solange eine Teilung
des Eigentums nicht vorläge, sei das Hausgrundstück in seiner Gesamtheit zu
bewerten. Damit sei der Angemessenheitswert um ein erhebliches überschritten.
Selbst ohne die Wohnung der Mutter ergebe sich eine genutzte Wohnfläche von
120 qm, die den Angemessenheitswert des BSG von 110 qm für drei Personen
übersteige. Aus dem Verkehrswertermittlungsgutachten vom 03.04.2015 ergebe
sich eine Wohnfläche von 68 qm für die Wohnung im Untergeschoss und eine
Wohnfläche von 62 qm für die Wohnung im Dachgeschoss. Auch aus der
geringeren Wohnfläche im Untergeschoss ergebe sich eine Gesamtwohnfläche
von insgesamt 115,55 qm, welche immer noch unangemessen wäre. Im
Dachgeschoss könnten faktisch alle Zimmer mitbenutzt werden, eine
Verfügungsbeschränkung der übrigen Miterben sei weder mündlich noch schriftlich
vereinbart.
11 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Prozessakte sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom
26.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.07.2015 ist
rechtswidrig, soweit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II als Darlehen und nicht als Zuschuss bewilligt worden sind. Der Kläger ist
hierdurch beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
1.
13 Der Kläger ist Leistungsberechtigter im Sinne von § 7 Abs. 1 SGG II. Insbesondere
ist er auch hilfebedürftig im Sinne von § 9 SGB II. Er verfügt im
streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig nicht über Einkommen im Sinne von §
11 SGB II, welches seinen Bedarf aus den §§ 20 und 22 SGB II zu decken
vermag.
2.
14 Weiterhin verfügt der Kläger auch über kein verwertbares Vermögen im Sinne von
§ 12 SGB II, welches seiner Hilfebedürftigkeit entgegensteht.
15 Der Miterbenanteil des Klägers am Hausgrundstück stellt zwar Vermögen dar.
Allerdings ist nach § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II ein selbst genutztes Hausgrundstück
von angemessener Größe als Vermögen nicht zu berücksichtigen.
a.
16 Der Kläger bewohnt ein eigenes Hausgrundstück.
b.
17 Die Wohnfläche ist angemessen.
18 Angemessen für ein Familienheim ist eine Größe bei einem Vier-Personen-
Haushalt von 130 qm (vgl. BSG, U.v. 22.3.2012 - B 4 AS 99/11 R - juris, m.w.N.).
Bei geringerer Familiengröße ist je Person weniger ein Abschlag von 20 qm
zulässig. Bei einer Bedarfsgemeinschaft - wie hier - von drei Personen ergibt sich
folglich eine angemessene Größe von etwa 110 qm.
19 Bei der Beurteilung der Angemessenheit des Hausgrundstückes ist vorliegend
nicht die gesamte Wohnfläche des Hauses zu berücksichtigen, sondern lediglich
die vom Kläger tatsächlich genutzte Wohnfläche. Nach der Rechtsprechung des
BSG ist bei der Beurteilung der Angemessenheit grundsätzlich die
Gesamtwohnfläche entscheidend, wenn ein Kläger kraft seines Eigentums,
dessen Verwertbarkeit als Vermögen im Streit steht und keinen Beschränkungen
hinsichtlich dieser Nutzung unterliegt. Etwas anderes gelte im Falle eines
Miteigentumsanteils, da in einem solchen Fall jeder Miteigentümer durch die
Rechte der anderen Miteigentümer in seinem Nutzungsrecht, auch dem
Wohnnutzungsrecht, eingeschränkt sei (vgl. BSG, U.v. 22.3.2012 - B 4 AS 99/11
R; BSG, U.v. B 14 AS 90/12 R - juris).
20 Diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen führen zur Überzeugung
der Kammer zu folgendem Ergebnis: Durch den Tod der Mutter ist der Kläger
neben seinen beiden Brüdern Miterbe am Hausgrundstück geworden. Die
Rechtsverbindung der Miterben ist als Gemeinschaft zur gesamten Hand
ausgestattet. Die Erbschaft geht mit dem Erbfall ungeteilt als Ganzes auf die
Miterben über (Palandt, 71. Aufl., Einführung vor § 2032, Rn. 1; Palandt, a.a.O., §
2032, Rn. 1). Die einzelnen Miterben haben eine Gesamtberechtigung am
Nachlass und einen Anspruch auf dessen Auseinandersetzung, bis dahin aber
keine unmittelbar dingliche Berechtigung an einzelnen Nachlassgegenständen,
selbst wenn der Nachlass nur noch aus einer Sache besteht (Palandt, a.a.O., §
2032, Rn. 1). Nachlasssachen stehen also in Gesamthandeigentum. Die Miterben
sind folglich in ihrer Verfügung beschränkt (vgl. auch § 2033 BGB). Der Kläger hat
demnach - wie auch die beiden Miterben - kein Recht aus der Erbschaft, die
Wohnung ohne Zustimmung der Miterben zu nutzen. Die Nutzung des Klägers
erfolgt vielmehr aus dem Mietvertrag mit der Erblasserin. Eine über den Mietvertrag
hinausgehende Wohnnutzung ist hingegen eingeschränkt, da dies gerade der
Zustimmung der Mitglieder der Erbengemeinschaft bedürfe. Daher erscheint es der
Kammer sachgerecht, in diesem Fall auf das Nutzungsrecht des Klägers, also dem
Mietvertrag, abzustellen.
21 Nach den Angaben des Klägers hat er die Wohnung im streitigen Zeitraum zur
Überzeugung der Kammer auch entsprechend der Vereinbarung im Mietvertrag
genutzt: Er nutzte die Wohnung im UG sowie zwei Zimmer im Dachgeschoss.
Diese Wohnfläche beträgt weniger als 110 qm. Zwar enthält der Mietvertrag selbst
keine Angabe zu dem Nutzungsumfang im Sinne einer Quadratmeterangabe.
Jedoch hat die Erblasserin am 19.06.2006 eine Mietbescheinigung beim
Landratsamt Karlsruhe vorgelegt, aus welcher hervorgeht, die Gesamtfläche der
vermieteten Wohnung betrage ca. 100 qm. Dies deckt sich in etwa mit den
Angaben des Gutachtens zu Verkehrswertermittlung aus dem Jahr 2015
(Wohnfläche UG: 68 qm; Wohnfläche DG gesamt: 62 qm) sowie der Unterlage des
Planfertigers aus dem Jahr 1973 (Wohnfläche KG: 49,72 qm; Wohnfläche DG
gesamt: 65,83 qm).
c.
22 Das Hausgrundstück selbst findet keine weitere Berücksichtigung.
23 Bei einer Immobilie von nicht mehr angemessener Größe, die im städtischen
Bereich bis 500 qm und im ländlichen Bereich bis 800 qm als noch gegeben
angesehen wird, ist die Verwertung von eigentumsrechtlich abtrennbaren
Gebäuden oder Grundstücksbestandteilen vorrangig durch Verkauf oder
Beleihung zu verlangen, sofern die Teilung nicht zu wirtschaftlich unverwertbaren
Vermögensgegenständen führt oder offensichtlich unwirtschaftlich ist. Vorliegend
ist das Grundstück nicht aufteilbar bzw. abtrennbar, da das Grundstück nur von
Seiten des Wohnhauses zur Straße hin erschlossen ist. Der nicht erschlossene
(Garten-)Bereich des Hausgrundstücks befindet sich überdies in Hanglage
(Geiger, in: Münder, 5. Aufl., § 12 Rn. 57).
d.
24 Mangels verwertbarem Vermögen steht dem Kläger nach alledem für den Zeitraum
vom 01.12.2014 bis 31.05.2015 Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe als
Zuschuss zu.
3.
25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.