Urteil des SozG Karlsruhe vom 29.07.2015

konzept, unbestimmter rechtsbegriff, haushalt, umzug

SG Karlsruhe Urteil vom 29.7.2015, S 17 AS 2154/14
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Dreipersonenhaushalt in Baden-
Württemberg - Kostensenkungsverfahren - fehlerhafte Angemessenheitsgrenze
in der Kostensenkungsaufforderung - Unzumutbarkeit bzw Unmöglichkeit der
Kostensenkung - Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen
Leitsätze
Kostensenkungsmaßnahmen sind dann unzumutbar, wenn der
Grundsicherungsträger dem Hilfeempfänger unrichtige Richtgrößen in der
Kostensenkungsaufforderung mitteilt und der Hilfeempfänger deshalb keine
angemessene Wohnung findet.
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 27.02.2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 11.06.2014 verurteilt, den Bescheid vom
09.12.2013 abzuändern und unter Abänderung der Bescheide vom 11.03.2014 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2014 und vom 11.03.2014 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2014 verurteilt, den Klägern für den
Zeitraum 01.03.2014 bis 30.09.2014 monatlich 171,93 EUR zu gewähren.
2. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Gewährung höherer Kosten für Unterkunft und
Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom
01.03.2014 bis 30.09.2014.
2 Die Kläger, eine Bedarfsgemeinschaft bestehend aus Vater, Mutter und
minderjährigem Kind, bewohnen eine Mietwohnung in F. Die Wohnfläche beträgt
114 m². Die Grundmiete beläuft sich auf 650,- EUR. Die Kläger erhalten seit
01.07.2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Beklagten.
3 Mit Schreiben vom 05.08.2013 teilte der Beklagte den Klägern mit, die Wohnung
sei unangemessen groß bzw. zu teuer. Der tatsächliche Bedarf könne daher in der
Regel längstens bis 28.02.2014 übernommen werden. Es obliege den Klägern, wie
sie ihre Mietkosten reduzieren würden. Angemessen für einen Drei-Personen-
Haushalt in F sei eine Kaltmiete bis maximal 374,- EUR und eine Wohngröße bis
max. 75 m².
4 In der Folge bewilligte der Beklagte Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes für den Zeitraum 01.12.2013 bis 31.03.2014
(Änderungsbescheid vom 09.12.2013). Dabei berücksichtigte er ab 01.03.2014 als
angemessene Kaltmiete 453,25 EUR und einen Nebenkostenanteil in Höhe von
140,- EUR. Der Nebenkostenanteil beinhalte die kalten Nebenkosten. Die
angemessene Kaltmiete berechne sich aus der Miete nach der Wohngeldtabelle
i.H.v. 479,- EUR zuzüglich eines Sicherungszuschlags von 10 Prozent (47,90
EUR), abzüglich der kalten Nebenkosten i.H.v. 73,65 EUR.
5 Am 17.01.2014 beantragten die Kläger die Überprüfung des Bescheids vom
09.12.2013 im Hinblick auf die Übernahme der angemessenen Kosten der
Unterkunft ab 01.03.2014 (gem. § 44 SGB X). Es sei zum einen nicht möglich
gewesen, innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten eine andere,
bedarfsgerechte kostengünstigere Unterkunft zu finden. Zum anderen sei ein
Umzug unzumutbar.
6 Mit Bescheid vom 27.2.2014 lehnte der Beklagte den Antrag auf Überprüfung ab.
7 In der Folge setzte der Beklagte die angemessene Kaltmiete ab 01.03.2014 mit
monatlich 478,07 Euro neu fest (Änderungsbescheid vom 11.03.2014).
8 Mit Bewilligungsbescheid vom 11.03.2014 bewilligte der Beklagte Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 01.04.2014 bis 30.09.2014.
Dabei berücksichtigte er für die Kosten der Unterkunft eine angemessene
Kaltmiete in Höhe von 478,07 Euro.
9 Sodann legten die Kläger Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.02.2014,
sowie die Bescheide vom 11.03.2014 ein (Schreiben vom 04.07.2014).
10 Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2014 wies der Beklagte den Widerspruch
gegen den Bewilligungsbescheid vom 11.03.2014 für den Zeitraum 01.04.2014 bis
30.09.2014 zurück, mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2014 wies der Beklagte
auch den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 11.03.2014 für den
Monat März 2014 als unbegründet zurück. Den Widerspruch gegen den
Ablehnungsbescheid vom 27.02.2014 auf Überprüfung des Bescheids vom
09.12.2013 wie der Beklagte ebenfalls als unbegründet zurück
(Widerspruchsbescheid vom 11.06.2014). In den Gründen der
Widerspruchsbescheide führt der Beklagte jeweils aus, nach § 22 Abs. 1 Satz 1
SGB II würden Bedarfe für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
anerkannt, soweit diese angemessen seien. Die von den Klägern bewohnte
Wohnung sei für einen Drei-Personen-Haushalt in F unangemessen.
Unangemessene Kosten für die Unterkunft sei in der Regel nur über einen
Zeitraum von sechs Monaten anzuerkennen. Bereits mit Schreiben vom
05.08.2013 sei den Klägern mitgeteilt worden, ab 01.03.2014 könne nur noch der
angemessene Bedarf für die Kaltmiete übernommen werden. Dieser betrage
478,07 Euro.
11 Mit der zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr
Begehren weiter. Zur Begründung tragen sie vor, die angemessene
Quadratmeterzahl sei zu gering angesetzt. Es sei die Mietstufe III für einen Vier-
Personen-Haushalt zugrunde zu legen, weil die Klägerin zu 2. bis März 2014 ein
Home-Office benötigt habe, um ihre Arbeit zu verrichten. Daneben sei eine
Wohnung nicht verfügbar. Überdies sei ein Umzug unzumutbar. So müsse die
Klägerin zu 3. den Kindergartenplatz für ein halbes Jahr wechseln, da sie ab
September 2014 die Grundschule besuche. Auch sei bei den angefragten
Ganztageskindergärten im fraglichem Zeitraum kein Platz freigewesen. Auch aus
ärztlicher Sicht sowie vom Jugendamt sei von einem Kindergartenwechsel für so
kurze Zeit abgeraten worden. Die Klägerin zu 2. sei seit 01.07.2014 wieder in
Arbeit. Die Klägerin zu 3. besuche seit 01.09.2014 die Schule in F und habe einen
schwer erkämpften Ganztageshortplatz. Bei einem Umzug würde die Betreuung
der Klägerin zu 3. nicht gesichert sein. Auch könne sich der Kläger zu 1. aufgrund
seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht um die Betreuung der Klägerin
zu 3. kümmern. Daneben sei ein Umzug allein wegen des Gesundheitszustandes
des Klägers zu 1. unzumutbar.
12 Die Kläger beantragen,
13 den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27.02.2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 11.06.2014, des Änderungsbescheids vom
11.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2014, den
Änderungsbescheid vom 11.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 26.05.2014 zu verurteilen, ihnen für die Zeit vom 01.03.2014 bis 30.09.2014
die tatsächlichen Kosten der Unterkunft (Kaltmiete) in Höhe von 650,00 Euro
monatlich zu gewähren.
14 Der Beklagte beantragt,
15 die Klage abzuweisen.
16 Bei einem Drei-Personen-Haushalt ergebe sich eine angemessene Wohngröße
vom maximal 75 m². Die persönlichen Lebensumstände innerhalb einer
Bedarfsgemeinschaft wie z.B. ein notwendiges Arbeitszimmer (Home-Office)
rechtfertigten eine Vergrößerung der maximalen Quadratmeterzahl und damit den
Ansatz in der Mietstufe III für einen Vier-Personen-Haushalt nicht. Aus den
vorliegenden Unterlagen ergäben sich eine Vielzahl von geeigneten
angemessenen Wohnungen. Überdies sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen
ein Umzug oder Wegzug aus F für die Kläger zu 1. bzw. für das minderjährige Kind
subjektiv unzumutbar sein solle.
17 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Akte
des Gerichts sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1.
18 Die Klage ist zulässig und begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf
Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für den Zeitraum 01.03.2014
bis 30.09.2014.
a.
19 Soweit die Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 05.08.2013 nach § 44 SGB
X begehren, handelt es sich um eine Verpflichtungsklage i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1
Var. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Verpflichtungsklage ist begründet, wenn
die Kläger Anspruch auf Erlass des beantragten Verwaltungsakt oder auf
ermessensfehlerfreie Neubescheidung haben (Keller, in: Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 54 Rn. 24). Die Kläger haben einen
Anspruch nach § 44 SGB X, da die Kosten der Unterkunft nicht richtig festgesetzt
worden sind und somit bei Erlass des Verwaltungsaktes vom 09.12.2013 das
Recht nicht unrichtig angewandt worden ist (vgl. 2.).
b.
20 Soweit sie die Aufhebung der beiden Bescheide vom 11.03.2014 und die
Gewährung weiterer Leistungen für die Kosten der Unterkunft begehren, handelt
es sich um kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklagen gem. § 54 Abs. 1 Satz
1 Var. 1, Abs. 4 SGG. Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn die Kläger durch
einen rechtswidrigen Verwaltungsakt beschwert sind und ein Anspruch auf die
Leistung besteht. Der Beklagte hat die Kosten der Unterkunft unzutreffend in
seinen Bescheiden vom 11.03.2014 festgesetzt. Es besteht ein Anspruch auf
höhere Leistungen (vgl. 2.).
2.
21 Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe
der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind.
a.
22 Die Angemessenheitsprüfung limitiert somit die erstattungsfähigen Kosten der
Höhe nach. Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter
Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG, U.v. 12.12.2013
– B 4 AS 87/12 R – juris, m.w.N.). Die Prüfung der Angemessenheit der
tatsächlichen Aufwendungen für eine Wohnung erfolgt nach der Rechtsprechung
des BSG in mehreren Schritten (BSG, Ue.v. 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE
97, 231 und - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254): Im ersten Schritt ist die Größe der
Wohnung des oder der Hilfebedürftigen festzustellen und zu überprüfen, ob diese
angemessen ist. Dabei ergibt sich für Baden-Württemberg für eine aus drei
Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft eine angemessene Größe von 75 m².
23 Angemessen ist eine Wohnung darüber hinaus nur, wenn sie nach Ausstattung,
Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und
keinen gehobenen Wohnstandard aufweist (zweiter Schritt). Nach der
Rechtsprechung des BSG genügt es jedoch insoweit, wenn das Produkt aus
Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt,
angemessen ist (BSG, U.v. 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231), also die
zu übernehmende Miete in dem räumlichen Bezirk, der den Vergleichsmaßstab
bildet, die angemessene Mietobergrenze nicht überschreitet (LSG Baden-
Württemberg, U.v. 22.6.2010 – L 13 AS 4212/08 – juris).
24 Auf Grundlage der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße für einen Drei-
Personen-Haushalt von 75 m² und des örtlichen Vergleichsmaßstabes ist
festzustellen, wie hoch die angemessene Miete für Wohnungen einfachen
Standards - die Referenzmiete - in diesem Raum ist. Nur auf dieser Grundlage
kann beurteilt werden, ob die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger diese
Angemessenheitsobergrenze überschreiten. Dabei ist die Mietobergrenze bzw. die
Referenzmiete im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze nach der
Rechtsprechung des BSG auf Grundlage eines dieses beachtenden schlüssigen
Konzepts zu ermitteln (BSG, U.v. 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - juris; BSG, U.v.
18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - juris). Der Grundsicherungsträger muss mithin
nicht nur ein Konzept haben, nach dem er die Referenzmiete bestimmt, sondern
dieses Konzept muss zudem einer gerichtlichen Überprüfung Stand halten, also
schlüssig sein (BSG, U.v. 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - juris).
25 Ein Konzept liegt nach der Rechtsprechung des BSG dann vor, wenn der Ersteller
planmäßig vorgegangen ist im Sinne der systematischen Ermittlung und
Bewertung genereller, wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen im
maßgeblichen Vergleichsraum sowie für sämtliche Anwendungsfälle und nicht nur
punktuell im Einzelfall (BSG, U.v. 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - juris).
Zusammengefasst ergeben sich folgende Voraussetzungen an die
Schlüssigkeitsanforderungen des Konzepts (BSG, a.a.O.):
26 - Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss
über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung),
- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der
Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard
der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach
Wohnungsgröße,
- Angaben über den Beobachtungszeitraum,
- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B.
Mietspiegel),
- Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,
- Validität der Datenerhebung,
- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der
Datenauswertung und
- Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder
Kappungsgrenze).
27 Ein solches schlüssiges Konzept hatte die Beklagte in den vorliegend streitigen
Zeiträumen - auch nach eigenem Bekunden - nicht. Für die hier streitigen
Zeiträume kann die Beklagte - auch unter Mithilfe des Gerichts - ein schlüssiges
Konzept nicht mehr erarbeiten oder durch ein bisheriges Konzept durch eine
Verfeinerung bzw. Ergänzung der Datenerhebung verändern. Auch das Gericht
kann unter Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen und
Erkenntnismittel im Rahmen der Amtsermittlung, insbesondere auch unter
Einholung eines Sachverständigengutachtens, für die inzwischen vier bzw. fünf
Jahre zurückliegenden Zeiträume weder ein schlüssiges Konzept noch eine
entsprechende Datengrundlage ermitteln (LSG Baden-Württemberg, U.v.
22.6.2010 – L 13 AS 4212/08 – juris).
b.
28 Fehlt ein schlüssiges Konzept der Beklagten und lässt es sich - wie hier - auch
nicht mehr nachholen, sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen des
Klägers zu übernehmen (BSG, U.v. 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - juris). Die
Übernahme der tatsächlichen Kosten kann jedoch nicht unbegrenzt erfolgen (BSG,
a.a.O.). Auch insoweit besteht eine "Angemessenheitsgrenze" nach "oben". Durch
sie soll verhindert werden, dass extrem hohe und damit nicht nur nach Auffassung
des Grundsicherungsträgers, sondern per se unangemessene Mieten durch den
Steuerzahler zu finanzieren sind (BSG, a.a.O.). Die Grenze findet sich insoweit in
den Tabellenwerten zu § 12 WoGG. Da mit der Heranziehung der Wohngeldtabelle
eine abstrakte, vom Einzelfall und den konkreten Umständen im Vergleichsraum
unabhängige Begrenzung vorgenommen wird, ist der jeweilige Höchstbetrag der
Tabelle (rechte Spalte) anzusetzen. Eine Differenzierung nach Wohnaltersklassen
ist dabei nicht vorzunehmen. Das BSG (a.a.O.) erhöht im Interesse des Schutzes
des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des
Wohnraumes diesen sich aus § 12 WoGG ergebenden Betrag ferner um einen
"Sicherheitszuschlag".
29 Danach ergibt sich für die Kläger (drei Personen) unter Zugrundelegung des
Wohnortes F (Mietstufe III, Landkreis E), ein Betrag von 479,00 Euro. Eine
Zugrundelegung eines Vier-Personen-Haushaltes ist entgegen der Auffassung der
Kläger nicht angezeigt. Der Betrag in Höhe von 479,- EUR ist um einen vom BSG
als „Sicherheitszuschlag“ bezeichneten Betrag zu erhöhen.
30 Zur Überzeugung der erkennenden Kammer ist vorliegend ein zehnprozentiger
Zuschlag (47,90 EUR) angemessen. Damit beträgt die so ermittelte Referenzmiete
monatlich insgesamt 526,90 Euro.
31 Es ist vorliegend im Übrigen nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte von diesem
Betrag im Rahmen ihrer Bewilligungsbescheide die kalten Nebenkosten abzieht.
Die kalten Nebenkosten sind bereits in der Position „Nebenkostenanteil“
berücksichtigt.
c.
32 Zu diesem Mietpreis sind hinreichend mietbare Wohnungen verfügbar. Dabei stützt
sich die Überzeugung der erkennenden Kammer auf die von den Klägern
vorgelegten Unterlagen ihrer Kostensenkungsbemühungen. Aus den dem Gericht
vorliegenden Zeitungsannoncen sind eine Vielzahl von angemessenen
Wohnungen ersichtlich.
3.
33 Ein weitergehender Anspruch der Kläger auf Erstattung ihrer vollen Mietkosten in
Höhe von 650,00 Euro ergibt sich allerdings aus § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II.
34 Da die Aufwendungen der Kläger den angemessenen Mietpreis von 526,90 Euro
für drei Personen überschreiten, handelt es sich mithin um unangemessene
Kosten, die von dem Grundsicherungsträger nach Ablauf von sechs Monaten
gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, grundsätzlich nicht mehr übernommen werden
müssen. Aufwendungen sind nur dann ausnahmsweise so lange als Bedarf
anzuerkennen, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht
zumutbar ist, die Aufwendungen zu senken.
35 Allerdings liegen Gründe vor, die es ausnahmsweise rechtfertigen, den Klägern
über den abgelaufenen Sechs-Monats-Zeitraum des § 22 Absatz 1 Satz 3 SGB II
hinaus einen höheren Anspruch auf Leistung für die Unterkunft als die nach den
obigen Ausführungen abstrakt angemessenen Beträge, zu gewähren.
a.
36 Objektiv ist den Klägern eine Kostensenkung, einschließlich eines Umzugs,
zumutbar. Denn die objektive Unmöglichkeit einer Unterkunftsalternative ist nur in
seltenen Ausnahmefällen zu begründen, zumal es in Deutschland derzeit keine
allgemeine Wohnungsnot gibt und allenfalls in einzelnen Regionen Mangel an
ausreichendem Wohnraum herrscht (BSG, U.v. 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - juris).
Dies gilt umso mehr, als sich die erkennende Kammer von dem in ausreichendem
Maß verfügbarer Wohnraums zu dem oben genannten Betrag überzeugen konnte.
Auch sonstige Gründe, die objektiv einer Kostensenkung entgegenstehen (vgl.
BSG, Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - juris), liegen nach der Überzeugung
des Gerichts hier nicht vor.
b.
37 Die Kostensenkung war den Klägern jedoch subjektiv unzumutbar.
aa.
38 Die subjektive Unzumutbarkeit ergibt sich dabei jedoch nicht aus den von den
Klägern beschriebenen gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers zu 1.. Die
Kläger haben eingeräumt, die derzeit bewohnte Wohnung in F erfülle keine
besonderen Anforderungen. Auch stand die Home-Office-Erwerbstätigkeit bis
31.03.2014 einer Kostensenkung nicht entgegen. Letztlich bedarf es keiner
Entscheidung, ob ein Kindergartenwechsel sechs Monate vor Eintritt in die
Grundschule der Zumutbarkeit entgegensteht.
bb.
39 Die subjektive Unzumutbarkeit ergibt sich aus Folgendem:
40 Einem Hilfebedürftigen sind Kostensenkungsmaßnahmen subjektiv nur dann
zumutbar und möglich, wenn er Kenntnis von seiner Obliegenheit hat,
Kostensenkungsmaßnahmen zu ergreifen (BSG, U.v. 17.12.2009 - B 4 AS 19/09 R
- juris). Insoweit kann die Unmöglichkeit einer Kostensenkung vorliegen, wenn der
Grundsicherungsträger dem Hilfeempfänger zur Angemessenheit der
Unterkunftskosten über die als angemessen angesehene Referenzmiete hinaus
unrichtige Richtgrößen (Parameter) mitteilt und der Hilfeempfänger gerade deshalb
keine angemessene Wohnung findet (BSG, U.v. 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R -
juris). Führen die unzutreffenden Angaben des Grundsicherungsträgers dazu,
dass der Hilfeempfänger mit den "falschen" Parametern oder auf dem "falschen"
Wohnungsmarkt sucht und er auf Grund dessen keine Wohnung zur
angegebenen Referenzmiete finden kann, bleibt der Grundsicherungsträger auf
Grund des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zur Übernahme auch zu hoher
Unterkunftskosten verpflichtet, bis der Irrtum des Hilfeempfängers oder die
Unmöglichkeit von Kostensenkungsmaßnahmen auf sonstige Weise beseitigt ist
(BSG, a.a.O.)
41 Vorliegend hat der Beklagte unter Zugrundelegung des oben genannten
Mietpreises einen unzutreffenden Hinweis zu den angemessenen Kosten der
Kaltmiete mit der Kostensenkungsaufforderung vom 05.08.2013 erteilt. Zur
Überzeugung der erkennenden Kammer war dieser fehlerhafte Hinweis ursächlich
dafür, dass die Kläger keine angemessene Wohnung gefunden haben. Die Kläger
haben trotz mehrfacher Nachfrage glaubhaft erklärt, keine Wohnung mit 75 m² für
374,- EUR gefunden zu haben. Die Kläger gingen davon aus, beide Parameter,
Quadratmeterobergrenze und Mietpreisobergrenze, erfüllen zu müssen. Den
Klägern kann auch nicht vorgeworfen werden, sie hätten keinen Versuch
unternommen, die Kosten zu senken. Dann wäre der fehlerhafte Hinwies des
Beklagten in der Kostensenkungsaufforderung nicht ursächlich dafür gewesen
wäre, die Kostensenkungsmaßnahmen nicht durchzuführen (so LSG Baden-
Württemberg, U. v. 22.6.2010 – L 13 AS 4212/08 – juris). Nach den glaubhaften
Schilderungen der Kläger haben sie sich redlich bemüht, eine Wohnung zu den
vom Beklagten vorgegebenen beiden Parametern zu finden.
42 In der Folge sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft im streitigen Zeitraum
vom Beklagten zu leisten.
4.
43 Nach alledem haben die Kläger einen Anspruch auf höherer Kosten der Unterkunft
für den Zeitraum 01.03.2014 bis 30.09.2014. Die tatsächlichen Kosten der
Unterkunft betragen monatlich 650,- EUR. Der Beklagte hat im
streitgegenständlichen Zeitraum bereits 478,07 EUR pro Monat geleistet. Folglich
ist noch der Differenzbetrag in Höhe von monatlich weiteren 171,93 EUR zu
gewähren.
5.
44 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.