Urteil des SozG Karlsruhe vom 15.12.2015

weiterbildungskosten, nebeneinkommen, freibetrag, nebeneinkünfte

SG Karlsruhe Urteil vom 15.12.2015, S 17 AL 2967/14
Absetzen von Werbungskosten von Nebeneinkommen; Weiterbildungskosten
bejaht
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 18.07.2014 in der
Fassung der Änderungsbescheide vom 30.07.2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 02.09.2014 verurteilt, der Klägerin Arbeitslosengeld für
die Zeit vom 01.07.2014 bis 30.06.2015 unter Berücksichtigung von
Nebeneinkommen in Höhe von monatlich 450,-- EUR und unter Abzug von
Werbungskosten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften in Höhe von monatlich
343,12 EUR für den Zeitraum 01.07.2014 bis 30.06.2014 zu gewähren. Im übrigen
wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Höhe von Arbeitslosengeld streitig.
2 Am 15.07.2014 stellte die Klägerin einen Antrag auf Arbeitslosengeld bei der
Beklagten. Dabei gab sie an, ab/seit 01.07.2014 eine Nebenbeschäftigung als
Aushilfskraft mit einer wöchentlichen Stundenzahl von acht Stunden und einem
Entgelt in Höhe von 450,00 EUR monatlich auszuüben. Die Beklagte bewilligte der
Klägerin daraufhin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.07.2014 bis 30.06.2015
(Bescheid vom 16.07.2014). Mit Änderungsbescheid vom 18.07.2014 erhöhte die
Beklagte den täglichen Leistungsbetrag auf 39,13 EUR. Dabei berücksichtigte sie
einen Anrechnungsbetrag in Höhe von täglich 9,50 EUR als Nebeneinkommen
gemäß § 155 SGB III, welches sich aus der Differenz des monatlichen
Nebeneinkommens und eines Freibetrages in Höhe von 165,00 EUR errechne.
3 Hiergegen erhob die Klägerin per E-Mail vom 22.07.2014 Widerspruch. Zur
Begründung trug sie vor, die von ihr selbst getragenen Fortbildungskosten seien
als Werbungskosten zu berücksichtigen. Zudem stünde ihr ein individueller
Freibetrag zu.
4 Mit Änderungsbescheid vom 30.07.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin
Arbeitslosengeld ab 23.07.2014 über den streitgegenständlichen Zeitraum hinaus
bis 08.07.2015. Unter dem gleichen Datum bewilligte die Beklagte für die Zeit vom
07.07.2014 bis 22.07.2014 Arbeitslosengeld (Änderungsbescheid vom
30.07.2014). Die Klägerin bestätigte mit Schreiben vom 01.08.2014 schriftlich den
per E-Mail erhobenen Widerspruch.
5 In der Folge wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück
(Widerspruchsbescheid vom 02.09.2014). Die Fortbildungskosten könnten bei
dem erzielten Nebeneinkommen nicht als Werbungskosten anerkannt werden, da
sie in keinem objektiven Zusammenhang zu der Nebentätigkeit stünden, aus der
das Einkommen erzielt werde. Ein individueller Freibetrag könne ebenfalls nicht
angesetzt werden. Der monatliche Freibetrag werde laut Gesetz pauschaliert.
6 Mit der hiergegen am 05.09.2014 zum Sozialgericht erhobenen Klage verfolgt die
Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, bereits die Beendigung
der früheren Tätigkeit zum 30.06.2014 habe in Absprache mit der Beklagten
stattgefunden und in der Folge habe sie entsprechende Leistungen und
Arbeitslosenunterstützung ohne jegliche Übergangsphase oder Sperrzeit erhalten.
Gleichzeitig habe sie zusammen mit der Beklagten für den weiteren beruflichen
Weg eine Umschulung zur arbeitsmedizinischen Assistentin erarbeitet. Nach
Zusammenstellung der für die Umschulung erforderlichen Kurse sei deutlich
geworden, die Beklagte werde nur einen Teil dieser Kurse als
Fortbildungsmaßnahme fördern. Ihr Eigenanteil betrage 4.117,40 EUR. Da sie
nicht in der Lage gewesen sei, die Kosten aus eigenen Mitteln zu bezahlen, habe
sie bei ihrem alten Arbeitgeber eine Nebentätigkeit aufgenommen. Das Entgelt sei
ausschließlich dazu gedacht gewesen, den Eigenanteil der Fortbildungskosten zu
finanzieren. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, es fehle am objektiven
Zusammenhang. Das Finanzamt habe die Weiterbildungskosten im vollen Umfang
als Werbungskosten anerkannt. Der Beklagten sei ein massives
Beratungsverschulden vorzuwerfen. Sie sei daher so zu stellen, wie wenn der
Nebenverdienst nicht vorhanden wäre. Dies folge aus dem Grundsatz des
sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs. Hilfsweise verweist die Klägerin
darauf, sie habe für die Ausübung der Nebentätigkeit ein Arbeitszimmer für
monatlich 250,-- EUR angemietet.
7 Die Klägerin beantragt zuletzt,
8
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 16.07.2014 und 30.07.2014 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.09.2ß14 zu verurteilen, ihr ab
01.07.2014 Arbeitslosengeld in voller Höhe bzw. ohne anteilige Anrechnung der
von ihr erzielten Nebeneinkünfte in Höhe von 450,-- EUR zu gewähren.
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im angefochtenen
Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt sie vor, ein Beratungsverschulden sei
nicht ersichtlich. Im Übrigen könne die tatsächliche Erzielung von Einkommen nicht
durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden.
12 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die
Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf höheres
Arbeitslosenentgelt. Die angefochtenen Bescheide in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten. Allerdings steht der Klägerin weder ein Anspruch auf Unterlassen der
Anrechnung der Nebeneinkünfte (dazu 1.) noch ein individueller Freibetrag zu
(dazu 2.). Der Anspruch begründet sich aus der Berücksichtigung von
Werbungskosten (dazu 3.).
1.
14 Maßgebliche Rechtsgrundlage stellt § 155 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes
Buch (SGB III) dar. Demnach ist, soweit die oder der Arbeitslose während einer
Zeit, für die ihr oder ihm Arbeitslosengeld zusteht, eine Erwerbstätigkeit im Sinne
des § 138 Absatz 3 ausübt, das daraus erzielte Einkommen nach Abzug der
Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines
Freibetrags in Höhe von 165 Euro in dem Kalendermonat der Ausübung
anzurechnen.
15 Die Nebenbeschäftigung der Klägerin als Aushilfskraft stellt eine Erwerbstätigkeit
im Sinne des § 138 SGB III dar, da die Arbeitszeit weniger als 15 Stunden, nämlich
acht Stunden, umfasst.
16 Nach § 155 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind Nebeneinkünfte folglich zwingend
anzurechnen. Zu welchem Zweck die Klägerin erzieltes Nebeneinkommen
verwendet oder verwenden will, beeinflusst nach der gesetzlichen Regelung die
Anrechnung des Nebeneinkommens nicht. Das Argument der Klägerin, sie habe
das Nebeneinkommen ausschließlich zur Kostentragung einer Umschulung
verwendet, ist daher rechtlich unbeachtlich.
17 Die Klägerin kann ein Außerachtlassen der Nebeneinkünfte im Rahmen der
Berechnung des Arbeitslosengeldanspruchs auch nicht wegen einer etwaigen
Absprache mit der Beklagten beanspruchen. Eine die Beklagte bindende
Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)
liegt nicht vor, da die Beklagte unstreitig keine schriftliche Zusage erteilt hat.
18 Sofern sich die Klägerin auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beruft,
trägt dies das Klagebegehren ebenfalls nicht. Selbst wenn ein
Beratungsverschulden vorläge, kann die Tatsache der Einkommenserzielung nicht
durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt bzw. geschaffen werden.
2.
19 Daneben hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines
individuellen Freibetrags. Nach § 155 SGB III findet ein pauschaler Abzug in Höhe
von 165,00 EUR statt (vgl. Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB, 03/14, § 155 SGB III,
Rn. 65).
3.
20 Allerdings steht der Klägerin im Ergebnis gleichwohl höheres Arbeitslosengeld zu.
Von dem erzielten monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 450,- EUR sind neben
dem monatlichen Freibetrag in Höhe 165,- EUR die Kosten für die Fortbildung in
Höhe von 4.177,40 EUR als Werbungskosten in Abzug zu bringen.
a.
21 Werbungskosten i.S.d. § 155 SGB III sind Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1
Einkommensteuergesetz (EStG) und damit folglich Aufwendungen zur Erwerbung,
Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, U.v.
21.3.2003 – L 3 AL 25/02 – juris). Zu solchen Aufwendungen gehören die von der
Klägerin getragenen Weiterbildungskosten in Höhe von 4.177,40 EUR.
22 Zwar hat das Bundessozialgericht eine Anerkennung von Weiterbildungskosten
als abzugsfähige Werbungskosten abgelehnt, wenn - wie hier - kein objektiver
Zusammenhang zu der Tätigkeit, in der Einkommen erzielt wird, besteht. Das
Einkommen müsse mit dem Beruf erzielt sein, in dem die Fortbildung erfolgt (BSG,
U.v. 21.1.1999 - B 11 AL 55/98 R - juris; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, B.v.
1.7.2004 – L 8 AL 1567/04 – juris). Allerdings hat sich zwischenzeitlich die
steuerrechtliche Anerkennung von Weiterbildungskosten nach der
Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zugunsten der Steuerpflichtigen
verändert. Nach - der seit 2008 gleich lautenden Fassung - R 9.2 der Lohnsteuer-
Richtlinien sind Aufwendungen für die Aus- und Weiterbildung wie folgt steuerlich
zu behandeln: „Aufwendungen für den erstmaligen Erwerb von Kenntnissen, die
zur Aufnahme eines Berufs befähigen, beziehungsweise für ein erstes Studium
(Erstausbildung) sind Kosten der Lebensführung und nur als Sonderausgaben im
Rahmen von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG abziehbar. Werbungskosten liegen dagegen
vor, wenn die erstmalige Berufsausbildung oder das Erststudium Gegenstand
eines Dienstverhältnisses (Ausbildungsdienstverhältnis) ist. Unabhängig davon, ob
ein Dienstverhältnis besteht, sind die Aufwendungen für die Fortbildung in dem
bereits erlernten Beruf und für die Umschulungsmaßnahmen, die einen
Berufswechsel vorbereiten, als Werbungskosten abziehbar. Das gilt auch für die
Aufwendungen für ein weiteres Studium, wenn dieses in einem hinreichend
konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit späteren steuerpflichtigen
Einnahmen aus der angestrebten beruflichen Tätigkeit steht.“ Der BFH erkennt
Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung unter Anwendung der Richtlinie
nunmehr großzügig als Werbungskosten an: Es sei ausreichend, wenn die
Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern (BFH, U.v.
28.7.2011 – VI R 7/10 – juris). Dem Folgend, erkannte das Finanzamt die
Weiterbildungskosten der Klägerin in voller Höhe als Werbungskosten an (vgl.
Steuerbescheid vom 02.12.2015).
23 Nachdem der BFH Weiterbildungskursen großzügig absetzt, sind die
Weiterbildungskosten der Klägerin vorliegend zur Überzeugung der Kammer
entgegen der bisherigen Rechtsprechung in der Sozialgerichtsbarkeit als
Werbungskosten i.S.d. § 155 SGB III absetzbar. Zum einen ist nach § 17 Abs. 1
Satz 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) eine möglichst weitgehende
Übereinstimmung mit den Regelungen des Steuerrechts sicherzustellen. Zum
anderen fordert auch das SGB III eine Unterstützung der selbst finanzierten
Weiterbildung. Dazu zählt im Ergebnis auch die Absetzbarkeit von
Weiterbildungskosten als Werbungskosten (vgl. Schmitz, in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, § 155 SGB III, Rn. 34; Stascheit/Winkler, Leitfaden
für Arbeitslose, 2013, S. 223 f.).
b.
24 Es erscheint sachgerecht, die Weiterbildungskosten der Klägerin über den
gesamten Bewilligungszeitraum anteilig abzusetzen.
25 Das Gesetz selbst gibt keinen Hinweis darauf, wie Fortbildungskosten als
Werbungskosten abzusetzen sind. Eine Anrechnung nach dem Abflussprinzip,
also eine (tag- oder monatsgenaue) Anrechnung der Seminarkosten im Zeitpunkt
der Bezahlung erscheint unbillig, da die in der Regel hohen Kursgebühren bei der
Anrechnung dann nur wenig positive Auswirkungen für die Klägerin hätten. Die
Anrechnung von Werbungskosten soll schließlich auch Anreiz sein, die
Beendigung der Arbeitslosigkeit selbst aus eigenen Mitteln voranzutreiben.
Überdies erscheint es der Kammer nicht sachgerecht, wenn die Anrechnung
davon abhängig ist, ob Fortbildungskosten in einer Summe oder in mehreren
Raten bezahlt würden (vgl. auch Schleswig-Holsteinisches LSG, U.v. 21.2.2014 - L
3 AL 29/12 - juris, Rn. 43).
26 Das Gericht orientiert sich bei seiner Anrechnung an den steuerrechtlichen
Gesetzesvorgaben und sieht daher auch von einer (taggenauen) Anrechnung nur
für die konkrete Dauer der Weiterbildungsmaßnahme ab. Im Steuerrecht sind
Werbungskosten im gesamten Veranlagungszeitraum, welches das Kalenderjahr
darstellt, von den Erwerbseinkünften abzuziehen (Vgl. §§ 2, 9, 11, 25 EStG). Der
steuerrechtliche Veranlagungszeitraum entspricht allerdings - wie auch hier - in der
Regel nicht dem Zeitraum des Leistungsbezugs. Daher erscheint es sachgerecht
und auch praktikabel, die Weiterbildungskosten hier auf den gesamten
Bewilligungszeitraum des Arbeitslosengeldbezug der Klägerin, mithin 360Tage, zu
verteilen.
27 Demnach sind bei der Klägerin monatlich 343,12 EUR (4.117,40 EUR / 360 Tage *
30 Tage) an Werbungskosten für die Weiterbildungsmaßnahme von den
Nebeneinkünften abzuziehen.
c.
28 Nach Abzug der Werbungskosten in Höhe von 343,12 EUR und dem Freibetrag in
Höhe von 165,00 EUR von dem monatlichen Einkommen in Höhe von 450,00
EUR verbleibt somit kein Anrechnungsbetrag (450,00 EUR - 343,12 EUR - 165,00
EUR = -58,12 EUR).
29 Auf die Absetzbarkeit etwaiger weiterer Werbungskosten - wie die Anmietung eines
Büroraumes - kommt es daher nicht mehr an.
4.
30 Nach alledem waren die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Beklagte
zur Gewährung von Arbeitslosengeld ohne Anrechnung zu verurteilen.
5.
31 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.