Urteil des SozG Karlsruhe vom 20.06.2016

unterbringung, umschulung, aufenthalt, leistungsausschluss

SG Karlsruhe Urteil vom 20.6.2016, S 15 AS 3265/15
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Leistungsausschluss wegen Aufenthalt in stationärer
Einrichtung - Maßregelvollzug - Vollzugslockerung - Aufnahme einer Umschulungsmaßnahme
Leitsätze
Während einer gerichtlich angeordneten Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzuges (§ 64 StGB) greift
der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II auch dann, wenn der Hilfebedürftige aus der Einrichtung
heraus eine Umschulungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk aufnimmt.
Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem Berufsfortbildungswerk ist keine Erwerbstätigkeit von mindestens 15
Stunden wöchentlich im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Streitig ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im
Zeitraum Juli 2015 bis Januar 2016.
2 Der am … 1990 geborene Kläger war seit dem 11.06.2013 zur therapeutischen Behandlung gem. § 64
Strafgesetzbuch im Rahmen des Maßregelvollzuges im Zentrum für Psychiatrie C. (ZfP - Klinik für
forensische Psychiatrie und Psychotherapie) untergebracht. Laut Bescheinigung des ZfP vom 24.07.2015
waren mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft Lockerungen der Maßregel entsprechend Stufen 5 und 6
eines Lockerungsplanes erfolgt (Stufe 5 seit 29.4.2015: unbegleitete Ausgänge außerhalb des
Klinikgeländes; Stufe 6 seit 27.7.2015: Adaptionsphase/Freigang zur Arbeit). Vom ZfP erhielt der Kläger den
monatlichen Barbetrag von 107,73 EUR sowie Kleidergeld in Höhe von 23,01 EUR „analog SGB XII“.
3 Am 27.07.2015 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
4 Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 12.08.2015 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er seit dem 11.02.2013 in einer Einrichtung zum Vollzug
richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht sei. Inhaftierte seien mit dem ersten Tag der
Unterbringung von Leistungen des SGB II ausgeschlossen. Dies gelte auch für Freigänger und Inhaftierte,
denen Vollzugslockerungen zum Zweck der Arbeitssuche bzw. Arbeitsaufnahme eingeräumt worden seien.
5 Hiergegen erhob der Kläger am 02.09.2015 Widerspruch. Er sei nur noch formal untergebracht, könne sich
aber tatsächlich frei bewegen und habe dadurch theoretisch vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. Ab dem
27.07.2015 habe er von der zuständigen Staatsanwaltschaft die Genehmigung zur
Adaptionsphase/Aufnahme einer Arbeit (Stufe 6) erhalten. Sinn und Zweck dieser Stufe sei es, dass er -
ganztags - von der Einrichtung aus eine extramurale Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufnehme
und auch sein erarbeitetes Freizeitverhalten aus der vorhergehenden Stufe 5 umsetze und stabilisiere. Zum
Nachweis legte er ein weiteres Bestätigungsschreiben des ZfP vom 14.08.2015 vor. Danach habe der Kläger
am 29.04.2015 die Genehmigung der zuständigen Staatsanwaltschaft für unbegleitete Ausgänge außerhalb
des Klinikgeländes (Lockerungsplan Stufe 5) erhalten, seit dem 27.07.2015 habe er die Genehmigung zum
Freigang für die Arbeit (Lockerungsplan Stufe 6). Er sei demnach nur noch ambulant untergebracht und habe
nach vorheriger Antragsgenehmigung jederzeit die Möglichkeit einer Arbeit nachzugehen.
6 Mit Widerspruchsbescheid vom 11.09.2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 7 Abs. 4 Satz
2 SGB II sei dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung, der den Leistungsausschluss nach sich ziehe,
der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt.
Es werde von § 7 Abs. 4 SGB II jede Vollzugsform, so auch die nach § 64 StGB, umfasst. Es komme bei einer
richterlich angeordneten Freiheitsentziehung nicht darauf an, ob sie nach der Art ihrer Ausgestaltung eine
mindestens dreistündige Erwerbstätigkeit ausschließe oder ob Vollzugslockerungen gewährt würden (Bezug
auf BSG, Urteil vom 24.02.2011, B 14 AS 81/09 R). Die Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Nr. 2 SGB II, wonach
sich ein Anspruch auch bei Freigängereigenschaft ergeben könne, sei hier nicht erfüllt. Denn diese beinhalte
zum einen die Voraussetzung, dass die Aufnahme eines konkreten Beschäftigungsverhältnisses erlaubt und
zusätzlich auch tatsächlich ausgeübt werde. Dies sei nicht der Fall. Soweit der Kläger vorbringe, er sei nur
noch formal untergebracht, ändere dies nichts an der tatsächlich noch bestehenden Unterbringung.
7 Hiergegen hat der Kläger am 09.10.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
8 Zur Begründung trägt er vor, die Ablehnung könne nicht auf § 7 SGB II gestützt werden. Es sei vielmehr die
Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II einschlägig. Tatsächlich habe der Kläger zwischenzeitlich eine
Umschulung zum Industriemechaniker begonnen. Seit dem 11.01.2016 habe er ein Praktikum
aufgenommen. Zum Beleg legte er einen Vertrag über die Teilnahme an der Bildungsmaßnahme Umschulung
zum Industriemechaniker (Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017) vor sowie einen Praktikumsvertrag vom
27.11.2015, wonach vom 11.01.2016 bis 08.04.2016 ein Praktikum bei der Firma V. durchgeführt werde.
9 Seit dem 1.2.2016 wohnt der Kläger zusammen mit seiner Freundin in S. Ab diesem Zeitpunkt hat das
Jobcenter Stuttgart der Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Der Kläger befindet sich
weiterhin in therapeutischer Behandlung gem. § 64 StGB (Lockerungsstufe 7); eine Entlassung aus dem
Maßregelvollzug ist noch nicht erfolgt.
10 Der Kläger beantragt,
11 den Bescheid vom 12.8.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.9.2015 aufzuheben und
den Beklagten zu verurteilen, ihm vom 1.7.2015 bis 31.1.2016 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher
Höhe zu gewähren.
12 Der Beklagte beantragt,
13 die Klage abzuweisen.
14 Die Bildungsmaßnahme/Umschulung sei keine Erwerbstätigkeit gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II im Sinne
einer auf das Erzielen von Einkünften gerichteten Verwertung der Arbeitskraft.
15 Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte
sowie den der Gerichtsakte S 15 AS 3265/15 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Klage ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der ablehnende Bescheid vom 12.08.2015 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten. Er hat im streitgegenständlichen Zeitraum 01.07.2015 bis 31.01.2016 keinen Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
17 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und
Heizung erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Verbindung mit § 19
Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
wenn sie hilfebedürftig sind.
18 Einem entsprechendem Anspruch des Klägers steht allerdings vorliegend § 7 Abs. 4 SGB II entgegen. Danach
erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente
wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art
bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug
richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach
dem SGB II,
19 1. wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 SGB V) untergebracht ist
oder
2. wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
20 § 7 Abs. 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als
erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist. Diese gesetzliche
Fiktion kann nur durch tatsächliche Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden
Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II; LSG
Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2016, L 13 AS 4877/13).
21 Gemäß § 7 Abs. 4 SGB II in der vorangehenden Fassung des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (alte Fassung) erhielt Leistungen nach dem SGB II nicht, wer länger als sechs
Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist oder Rente wegen Alters bezieht. § 7 Abs. 4 Satz
3 Nr. 2 SGB II in der seit dem 1.8.2006 geltenden Fassung sieht dagegen lediglich für den Fall einer
tatsächlichen Erwerbstätigkeit eine ausdrückliche Rückausnahme vom Leistungsausschluss vor.
22 Der 14. Senat des BSG hatte in Bezug auf die alte Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II einen vom SGB XII
getrennten eigenständigen funktional ausgerichteten Einrichtungsbegriff für das SGB II entwickelt. Danach
kam es für die Einordnung einer Einrichtung als stationär darauf an, ob der in der Einrichtung
Untergebrachte aufgrund der objektiven Struktur der Einrichtung in der Lage war, wöchentlich 15 Stunden
(bzw. täglich 3 Stunden) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein (BSG, Urteil vom
06.09.2007, B 14/7b AS 16/07 R; BSG, Urteil vom 07.05.2009, B 14 AS 16/08 R). Dieser funktionale
Einrichtungsbegriff findet für die Auslegung von § 7 Abs. 4 SGB II in der seit dem 01.08.2006 geltenden
Fassung keine Anwendung mehr. Zentrales Kriterium wird nunmehr eine tatsächliche Erwerbstätigkeit im
Umfang von 15 Wochenstunden unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes (BSG, Urteil vom
05.06.2014, B 4 AS 32/13 R, juris Rdnr. 23; BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 35/13 R, juris Rdnr. 20).
23 Nach dieser nunmehr modifizierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen für das Eingreifen
eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II drei Voraussetzungen vorliegen: In einem ersten
Schritt ist zu prüfen, ob es sich um eine Leistungserbringung in einer Einrichtung handelt. In einem zweiten
Schritt kommt es darauf an, ob Leistungen stationär erbracht werden. Dritte Voraussetzung ist die
Unterbringung in der stationären Einrichtung. Es reicht nicht aus, dass die Einrichtung (auch) stationäre
Leistungen erbringt, ferner genügt nicht bereits ein geringes Maß an Unterbringung im Sinne einer
formellen Aufnahme. Von einer Unterbringung ist nur auszugehen, wenn der Träger der Einrichtung nach
Maßgabe seines Konzeptes die Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung und die Integration des
Hilfebedürftigen übernimmt (BSG, Urteil vom 05.06.2014, B 4 AS 3213 R, juris Rdnr. 24 - 28; BSG, Urteil
vom 02.12.2014, B 14 AS 35/13 R, juris Rdnr. 21; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.03.2016, L 13 AS
4877/13, juris Rdnr. 28).
24 Gemessen an dieser Rechtsprechung war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum im zfp in einer
Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II stationär untergebracht. Bei stationären Leistungen handelt es
sich typischerweise um Gesamtleistungen, die Unterkunft und Verpflegung einschließen, wobei auf die Art
der jeweiligen Hilfemaßnahme und das Konzept der in Anspruch genommenen Einrichtung abzustellen ist.
Will die Einrichtung die Führung eines selbständigen Lebens vermitteln, ist die Hilfe dann als stationär
anzusehen, wenn der Einrichtungsträger nach Maßgabe des angewandten Gesamtkonzeptes die
Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung des Aufgenommenen übernimmt (Bayerisches LSG,
Urteil vom 17.9.2014, L 16 AS 813/13, juris Rnr. 37; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.12.2014, L 19
AS 1600/11, Rn. 23 für Unterbringung in einem Wohnprojekt im Rahmen des Maßregelvollzugs).
25 Im Rahmen der Unterbringung im Maßregelvollzug wurde der Kläger im zfp therapeutisch betreut und
erhielt auch darüber hinaus von der Einrichtung alle erforderlichen Leistungen in Form von Unterkunft,
Nahrung, Barbetrag und Kleidergeld.
26 Der Erfüllung des Kriteriums eines stationären Aufenthalts des Klägers steht nicht entgegen, dass der Kläger
entsprechend dem in den Verwaltungsakten enthaltenen Lockerungsplan seit dem 29.04.2015 die
Lockerungsstufe 5 bzw. seit dem 27.07.2015 die Lockerungsstufe 6 erreicht hatte. Auch wenn nach
Lockerungsstufe 5 unbegleitete Ausgänge außerhalb des Klinikgeländes möglich sind, der Aufbau eines
stabilisierenden Freizeitverhaltens sowie die Kontaktgestaltung zu einem suchtmittelfreien Umfeld, darüber
hinaus die Kontaktierung der Agentur für Arbeit und anderer Behörden vorgesehen ist und in Stufe 6 der
Patient ganztags von der Einrichtung aus einer extramuralen Tätigkeit nachgehen soll, bleibt es dabei, dass
die Einrichtung in diesem Zeitraum nach Maßgabe eines Konzepts (eben Lockerungsstufe 5 bzw. 6)
weiterhin die Gesamtverordnung für die tägliche Lebensführung und Integration des Klägers hat. Hierfür
spricht z. B., dass in Stufe 5 sämtliche Ausgänge vom Patienten schriftlich zu beantragen und
gegebenenfalls vor- und nachzubesprechen sind. In Stufe 6 bleibt der Patient ausdrücklich in Form von
Diensten, Patientenversammlungen und Kontakten zum Behandlungsteam in den Ablauf der Station
eingebunden. Der Verlauf der Erprobung einer Tätigkeit außerhalb der Klinik steht durch die täglichen
Kontakte mit dem Pflegeteam sowie den regelmäßigen Kontakten zum Sozialdienst und der Bezugspflege
unter einer engen Kontrolle.
27 Erst ab dem 01.02.2016 hat der Kläger vom zfp keine Gesamtleistung mehr erhalten, die neben der
therapeutischen Begleitung auch Unterkunft und Verpflegung einschloss. Mit dem Auszug des Klägers in eine
eigenständige Wohnung zusammen mit seiner Freundin hat das zfp die Gesamtverantwortung für die
tägliche Lebensführung und Integration des Klägers fast vollständig an diesen selbst abgegeben. Nach der
vom Kläger nunmehr erreichten Lockerungsstufe 7 erfolgt die weitere therapeutische Betreuung nur noch
ambulant. Die Versorgung des Klägers als Teil der Leistungserbringung ist mit dem Umzug in die eigene
Wohnung aufgehoben worden. Diese Form der Leistungserbringung stellt keine stationäre
Leistungserbringung mehr dar (ebenso für den Fall einer dauerhaften Beurlaubung in eine eigene Wohnung
bzw. „Probewohnen“ im Rahmen des Maßregelvollzuges nach § 64 StGB: Bayerisches Landessozialgericht,
Urteil vom 17.9.2014, L 16 AS 813/13, juris Rn. 38 f.; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.3.2015, L
7 AS 1504/13, juris Rn. 22). Entsprechend den Angaben des Sozialdienstes gegenüber dem Gericht folgt bei
problemlosem Verlauf der Lockerungsstufe 7 der Entlassungsantrag, so dass auch nach Ende der
Umschulung keine Rückkehr in die stationäre Einrichtung zu erwarten ist. Dementsprechend folgerichtig hat
das Jobcenter S. dem Kläger ab dem 01.02.2016 Leistungen nach dem SGB II bewilligt. Der entsprechende
Leistungsanspruch des Klägers ist allerdings nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens.
28 Nach alledem hat der Kläger zur Überzeugung der Kammer im streitgegenständlichen Zeitraum 1.7.2015 bis
31.1.2016 trotz Erreichens der Lockerungsstufen 5 und 6 in einer stationären Einrichtung im Sinne von § 7
Abs. 4 Satz 1 SGB II gelebt und war insoweit vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen.
29 Damit kommt es maßgeblich darauf an, ob die vom Kläger zum 13.7.2015 begonnene Umschulung eine
tatsächliche Erwerbstätigkeit in einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich im Sinne der
Rückausnahme des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II darstellt. Erst mit tatsächlicher Ausübung einer solchen
Tätigkeit wäre die Fiktion fehlender Erwerbsfähigkeit zwingend widerlegt; die reine Möglichkeit der
Aufnahme einer mindestens 15-stündigen Erwerbstätigkeit reicht nicht aus.
30 Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. Eine Vollzeitbildungsmaßnahme in einem
Berufsfortbildungswerk mit dem Ziel eines qualifizierten Berufsabschlusses ist keine Erwerbstätigkeit von
mindestens 15 Stunden wöchentlich. Sie ist einer derartigen Erwerbstätigkeit auch nicht gleichzustellen.
31 Bei einer Erwerbstätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 2 SGB II kann es sich um eine abhängige
Beschäftigung oder um eine selbständige Tätigkeit handeln. Eine Beschäftigung muss sich unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes vollziehen. Dies ist gegeben, wenn die Bedingungen des
Arbeitsverhältnisses hinsichtlich Arbeitsentgelt, Arbeitsort sowie -dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit
den Bedingungen der Mehrheit der Arbeitsverhältnisse entsprechen (vgl. nur Leopold in juris-PK-SGB II, § 7,
Rn. 252; diesen Anforderungen entsprechen beispielsweise Beschäftigungen in einer Justizvollzugsanstalt
oder Werkstätte für Behinderte ebenso wenig wie Tätigkeiten mit Mehraufwandsentschädigung, sog. 1-EUR-
Job).
32 Den genannten Anforderungen genügt die vom Kläger begonnene Umschulung nicht, denn der Kläger steht
weder in einem Beschäftigungsverhältnis noch erhält er für seine Tätigkeit eine Vergütung.
33 Laut dem vom Kläger vorgelegten Bildungsvertrag mit dem Berufsfortbildungswerk (bfw S.) nimmt er im
Zeitraum 13.07.2015 bis 12.07.2017 an der Bildungsmaßnahme „Umschulung Industriemechaniker/in
Fachrichtung Feingerätebau“ mit dem Bildungsziel „Facharbeiterbrief Industriemechaniker/Feingerätebau“
teil. Es handelt sich um eine Bildungsmaßnahme der beruflichen Erwachsenenbildung mit einer
wöchentlichen Unterrichtszeit von 37,5 Stunden. Die Bildungsmaßnahme erfolgt in Form eines schulischen
Lehrgangs; die Lehrgangsgebühren betragen monatlich 866,11 Euro. Der Kläger erhält für seine Tätigkeit
keine Vergütung. Sowohl das Kriterium der schulischen Ausbildung als auch die fehlende Entlohnung
sprechen gegen eine Einordnung der Tätigkeit als Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes im Sinne der Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II.
34 Etwas anderes gilt auch nicht für den Zeitraum, in dem der Kläger das Praktikum bei der Firma V. in L.
durchgeführt hat (laut Praktikumsvertrag im Zeitraum 11.01.2016 bis 08.04.2016). Ein Arbeitsverhältnis
zum Praktikumsbetrieb sollte erkennbar nicht begründet werden. Verantwortlicher Bildungsträger blieb
auch in diesem Zeitraum weiterhin das bfw. Eine Praktikumsvergütung hat der Kläger vom
Praktikumsbetrieb nicht erhalten. Eine weitergehende Integration in den Praktikumsbetrieb ist nicht erfolgt.
Auch während des Praktikumszeitraums fand demzufolge keine Erwerbstätigkeit zu regulären
Arbeitsmarktbedingungen statt.
35 Nach alledem greift die Rückausnahmevorschrift des § 7 Abs. 4 S. 3 SGB II nicht ein; es bleibt beim
Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II. Die Klage konnte aus diesen Gründen keinen Erfolg
haben.
36 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.