Urteil des SozG Karlsruhe vom 24.08.2015

vag, ultra petita, krankenversicherung, avb

SG Karlsruhe Entscheidung vom 24.8.2015, S 13 P 3851/14
Private Pflegeversicherung - Notlagentarif - Geltendmachung von Kosten für
vorgerichtliche anwaltliche Forderungsbeitreibung
Leitsätze
1. § 12 h VAG findet auf einen privaten Pflegeversicherungsvertrag keine Anwendung.
2. Für die außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit fallen auch bei einer Tätigkeit im
Auftrag einer privaten Pflegekasse Betragsrahmengebühren an.
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 959,46 EUR nebst Zinsen hieraus in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 4. April 2014
sowie 201,71 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und 1,50 EUR Mahnkosten
zu zahlen.
2. Die Klägerin trägt 1/3, der Beklagte 2/3 der Gerichtskosten des Mahnverfahrens.
3. Die Klägerin erstattet dem Beklagten dessen außergerichtlicher Kosten zu 1/3. Im
Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist ein Beitragsrückstand für die private
Pflegeversicherung in Höhe von 959,46 EUR im Streit.
2 Die Klägerin erwirkte auf ihren Antrag vom 1. April 2014 einen Mahnbescheid des
Amtsgericht Coburg vom 4. April 2014 (Geschäftsnummer x), dem Beklagten
zugestellt am 4. April 2014. Nach dessen Inhalt macht die Klägerin Beiträge zur
privaten Pflegeversicherung für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis zum 31. Januar 2014
in Höhe von 1.141,46 EUR sowie Mahnkosten in Höhe von 1,50 EUR und
vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 201,71 EUR geltend.
3 Nach Widerspruch des Beklagten hat das Amtsgericht Coburg den Rechtstreit am
6. November 2014 an das Sozialgericht Karlsruhe abgegeben.
4 Die Klägerin hat mit Schreiben vom 7. Mai 2015 die Klage in Höhe von 182 EUR
zurückgenommen und macht nunmehr noch rückständige
Pflegeversicherungsbeiträge für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Januar 2014
geltend. Die Klägerin trägt vor, sie und der Beklagte hätten einen privaten
Pflegepflichtversicherungsvertrag gemäß § 23 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB
XI) abgeschlossen. Grundlage des Versicherungsvertrages seien die Allgemeinen
Versicherungsbedingungen für die private Pflegepflichtversicherung (AVB). Zum
Nachweis legte sie Vertragsunterlagen, einen Versicherungsschein vom 12. März
2008 und 13. Januar 2014, sowie ein Mahnschreiben vom 7. Oktober 2013 und
eines ihres Klägerbevollmächtigten vom 14. März 2014 vor.
5 Die Klägerin beantragt,
6
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 959,46 EUR nebst Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit
sowie 201,71 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und 1,50 EUR
Mahnkosten zu zahlen.
7 Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
9 Der Kranken- und Pflegeversicherungsvertrag sei seit dem 1. Februar 2008 ruhend
gestellt. Daher schulde der Beklagte lediglich den Notlagentarif. Schließlich sei er
nicht gemahnt worden und die Rechtsanwaltskosten seien überhöht. Die
Forderungen aus dem Jahr 2010 seien verjährt. Zum Nachweis legte er ein
Schreiben der Klägerin vom 15. Februar 2008 vor, in welchem diese ihm mitgeteilt
hat, dass sein Krankenversicherungsvertrag für eine maximale Laufzeit von 12
Monaten auf Anwartschaft genommen werde; zudem ein Schreiben der Klägerin
vom 7. Oktober 2013, in welchem diese ihm mitgeteilt hat, dass, da seine
Krankenversicherung zum 1. August 2013 geruht habe, sein Vertrag rückwirkend
in den Notlagentarif umgestellt werde.
10 Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf die
Gerichtsakten und Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung sowie der gerichtlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
11 Die Klage ist zulässig und auch begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf
die im Klageantrag geltend gemachte Forderung.
12 1. Der Beklagte ist zur Zahlung der Beiträge zur privaten Pflegepflichtversicherung
(§ 23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch XI - SGB XI -) vom 01. Januar 2011 bis 31. Januar
2014 in Höhe von 959,46 Euro verpflichtet. Anspruchsgrundlage hierfür sind der
Versicherungsvertrag i.V.m. § 1 Abs. 2 Gesetz über den Versicherungsvertrag
(VVG), § 8 Abs. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private
Pflegepflichtversicherung(AVB). Nach § 1 Abs. 2 VVG hat der
Versicherungsnehmer die vereinbarte Prämie zu entrichten. Der Beklagte hat den
Abschluss des Versicherungsvertrages nicht bestritten. Ausweislich der von der
Klägerin vorgelegten Vertragsunterlagen belief sich der
Pflegeversicherungsbeitrag im Jahr 2011 auf monatlich 26,00 EUR, im Jahr 2012
auf monatlich 25,16 EUR, im Jahr 2013 auf monatlich 26,58 EUR.
13 a) Soweit der Beklagtenvertreter sich auf die Einrede der Verjährung der Beiträge
aus dem Jahr 2010 beruft, hat die Klägerin ihre Klage diesbezüglich bereits
zurückgenommen.
14 b) Nach Überzeugung des Gerichts bestehen keine Zweifel hinsichtlich der
Angemessenheit der Beitragshöhe. Zum einen ergibt sich diese unmittelbar aus
den zwischen den Parteien vereinbarten Vertragsbedingungen. In § 8 b der AVB
sind bereits Beitragsänderungen vorgesehen. Bei Vertragsschluss im Jahr 2005
hat der Beitrag 23,55 EUR betragen. Bei einer Erhöhung auf 26,00 binnen 5
Jahren ergeben sich für das Gericht keinerlei Anhaltspunkte für eine
Unangemessenheit.
15 c) Zum anderen ist der Beitrag für die private Pflegeversicherung entgegen der
Auffassung des Beklagtenvertreters nicht in den Notlagentarif gem. § 12 h VAG
umzustellen. Diese Vorschrift ist nur für die privaten Krankenversicherungsverträge
anwendbar.
16 Dies ergibt sich zum einen darauf, dass § 12 h VAG unter der Kapitelüberschrift
Krankenversicherung zu finden ist. § 12 f VAG, welcher Regelungen für die
Pflegeversicherung trifft, verweist ausdrücklich nicht auf § 12 h VAG. Auch § 193
Abs. 7 VVG bezieht sich auf den Krankenversicherungsvertrag und nicht auf die
Pflegeversicherung. Auch § 110 SGB XI enthält keinen Verweis auf § 12 h VAG.
17 Gegen eine Anwendbarkeit spricht weiter, dass § 12 h VAG nur explizit regelt,
welche krankenversicherungsrechtlichen Leistungen im Rahmen des Notlagentarif
zu leisten sind. Eine vergleichbare Regelung für die Pflegeversicherung fehlt aber
vollständig. Daher wäre völlig unklar, welche Leistungen der Pflegeversicherung im
Falle des Notlagentarif zu erbringen wäre. Zudem ist für das Gericht nicht
ersichtlich, welche notwendigen Pflegeleistungen vergleichbar mit den Regelungen
zum Krankenversicherungsrecht in einem Notlagentarif geleistet werden sollten. §
12 h Abs. 1 VAG regelt nämlich explizit, dass nur Leistungen bei akuten
Erkrankungen, Schmerzzuständen, Schwangerschaft und Mutterschaft erbracht
werden, also in Notfall- und Ausnahmesituationen. Eine solche Kategorisierung ist
im Hinblick auf die Leistungen im Pflegefall nach Überzeugung des Gerichts nicht
möglich. Aus Gründen der Rechtssicherheit verbietet sich daher eine
entsprechende Anwendung.
18 Zweck der Regelung war, die Beitragsschuldner der privaten
Krankenversicherungsverträge vor weiterer Überschuldung zu schützen, aber
gleichzeitig ihre Notfallversorgung zu gewährleisten und das Kollektiv der
Versichertengemeinschaft finanziell zu entlasten. (vgl. Btdrs. 17/13079) Auch die
Gesetzesbegründung nimmt ausdrücklich nur auf die Krankenversicherung Bezug.
Dieses Bedürfnis besteht bei der privaten Pflegeversicherung, der im Vergleich zur
privaten Krankenversicherung ohnehin nur einen sehr viel geringeren monatlichen
Beitrag zu Grunde liegt hat, gerade nicht. Zudem enthält § 110 Abs. 2 Satz 5 SGB
XI eine ausdrückliche Regelung, wie der Pflegeversicherungsschutz im Falle des
Eintritts von Hilfebedürftigkeit erhalten wird. Dadurch sind die Versicherten einer
privaten Pflegeversicherung ausreichend geschützt.
19 d) Schließlich ruht entgegen der Auffassung des Beklagten der
Pflegeversicherungsvertrag nicht seit dem Jahr 2008. Dies ergibt sich zum einen
ausdrücklich aus den beiden vorgelegten Schreiben der Klägerin, die sich
ausdrücklich auf den Kranken- und nicht den Pflegeversicherungsvertrag
beziehen. Zum anderen ist wie bereits zuvor ausgeführt, eine Umstellung des
Pflegeversicherungsvertrages in den Notlagentarif und ein damit verbundenes
Ruhen des Pflegeversicherungsvertrages nicht möglich.
20 2. Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 201,71
Euro und die Mahnkosten in Höhe von 1,50 EUR ergibt sich als Verzugsschaden
aus §§ 280, 286 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Beiträge sind gemäß § 8
Abs. 1 AVB zudem am Ersten eines jeden Monats fällig und der Beklagte befindet
sich im Zahlungsverzug. Zum Nachweis hat die Klägerin ein Mahnschreiben vom
7. Oktober 2013 und ein Mahnschreiben ihres Klägerbevollmächtigten vom 14.
März 2014 vorgelegt.
21 Auf die Frage, ob eine 1,3 Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) angemessen ist, kommt es vorliegend
nicht an. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich die anwaltliche
Gebühr nicht aus Nr. 2300 VV RVG. Vielmehr ist vorliegend Nr. 2302 VV RVG
anzuwenden. § 3 Absatz 1 RVG bestimmt, dass in Verfahren vor den Gerichten
der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden
ist, Betragsrahmengebühren entstehen. In sonstigen Verfahren werden die
Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet, wenn der Auftragsgeber nicht
zu den in § 183 des Sozialgerichtsgesetz genannten Personen gehört. Nach
Absatz 2 der Vorschrift gilt dies entsprechend für eine Tätigkeit außerhalb des
gerichtlichen Verfahrens.
22 Auf das vorliegende Verfahren ist das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht
anzuwenden. Der Beklagte gehört zu dem in § 183 Satz 1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Personenkreis. Versicherte im Sinne des §
183 Satz 1 SGG sind vorwiegend die in der Sozialversicherung versicherten
Personen nach Maßgabe der besonderen einschlägigen Vorschriften. Als
Versicherte in diesem Sinne privilegiert sind jedoch auch die in der privaten
Pflegeversicherung versicherten Personen. (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 183, Rn. 5.)
23 Demnach kann jedoch die vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit lediglich nach Nr.
2302 RVG abgerechnet werden. Danach beträgt die Geschäftsgebühr in
sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren
Betragsrahmengebühren entstehen 50,00 bis 640,00 Euro. Eine Gebühr von mehr
als 300,00 Euro kann dabei nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich
oder schwierig war. Die Regelung der Nr. 2302 VV RVG, nach der sich in
bestimmten sozialrechtlichen Angelegenheiten auch bei außergerichtlicher
Tätigkeit des Rechtsanwalt die Höhe der Geschäftsgebühr nach einem
Betragsrahmen richtet, geht zurück auf die Regelung des § 3 Absatz 2 RVG, vgl.
Dinkat in Mayer/Kroiß, RVG, 3. Auflage 2008, § 3, Rn. 1.) Dies gilt nach dem
eindeutigen gesetzlichen Wortlaut auch dann, wenn wie im vorliegenden Fall kein
Verwaltungsverfahren im klassischen Sinne vorliegt, sondern sich eine private
Pflegekasse anwaltlicher Hilfe zur Beitreibung ihrer Beiträge bedient. Für eine
analoge Anwendung der Nr. 2300 VV RVG verbleibt dementsprechend kein Raum
und ist auch nicht mit der in § 51 Absatz 1 Nr. 2 SGG niedergelegten
gesetzgeberischen Absicht, Angelegenheiten der privaten Pflegeversicherung der
Sozialgerichtsbarkeit zuzuordnen, in Einklang zu bringen. (vgl. hierzu Keller in
Meyer-Ladewig, aaO, § 51, Rn. 27.) Im vorliegenden Fall muss jedoch nach dem
Grundsatz „ne ultra petita“ nicht entschieden werden, ob der Klägerin die
Schwellengebühr der Nr. 2302 VV RVG in Höhe von 300,00 Euro zusteht. Sie hat
im Verfahren lediglich 201,71 Euro geltend gemacht. Diese waren nach Umfang
und Schwierigkeit der vorgerichtlichen Angelegenheit (vgl. hierzu im Ganzen vgl.
Dinkat in Mayer/Kroiß, RVG, 3. Auflage 2008, § 3, Rn. 1) jedenfalls vom
Betragsrahmen der Nr. 2302 VV RVG gedeckt.
24 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei besteht keine Möglichkeit,
dem Beklagten außergerichtliche Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Gemäß §
182a Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist mit dem Eingang der Akten beim
Sozialgericht nach den Vorschriften des SGG zu verfahren. Nach § 193 Abs. 4 i. V.
m. §§ 184 Abs. 1, 183 SGG sind unter anderem private
Pflegeversicherungsunternehmen nicht zur Geltendmachung der
außergerichtlichen Kosten berechtigt. Da die Klägerin aber im Klageverfahren die
Klage in Höhe von 182 EUR zurückgenommen hat, trägt sie 1/3 der
außergerichtlichen Kosten des Beklagten.
25 Demgegenüber hat der Beklagte die Kosten des vorhergehenden gerichtlichen
Mahnverfahrens zu 2/3 , die Klägerin zu 1/3 zu tragen, § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG
(vgl. auch BSG, Urteil vom 12.02.2004, B 12 P 2/03 R).