Urteil des SozG Karlsruhe vom 15.07.2015

behinderung, darstellung des sachverhaltes, wahrscheinlichkeit, diagnose

SG Karlsruhe Urteil vom 15.7.2015, S 12 SB 836/14
Schwerbehindertenrecht - GdB-Feststellung - Versorgungsmedizinische
Grundsätze - Neurosarkoidose ohne Folgeschäden am betroffenen Organ - GdB
von 30
Leitsätze
1. Bei Auslegung des Wortlauts der Versorgungsmedizinischen Grundsätze Teil B,
Punkt 8.9 kann es nicht darauf ankommen, dass die Neurosarkoidose
behandlungsbedürftig ist bzw. die intermittierenden Beschwerden zu einer
Behinderung führen.
2. Vielmehr ist dem Wortlaut zu entnehmen, dass bereits das Vorliegen einer
chronischen Sarkoidose mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen auf den
Allgemeinzustand genügt, um einen GdB von 30 zu veranschlagen.
3. Folgeschäden an betroffenen Organen sind gegebenenfalls gesondert zu
bewerten.
4. Gestützt wird diese Ansicht aus der Tatsache heraus, dass die Anhaltspunkte für
eine ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP 1996) eine solche systematische Trennung
vorgenommen haben.
Tenor
1. Der Bescheid vom 15.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
28.01.2014 wird abgeändert und der Grad der Behinderung mit 50 ab dem 27.06.2013
festgestellt.
2. Der Beklagte erstattet dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im
Sinne des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter
Menschen - (SGB IX) umstritten.
2 Der am … 1963 geborene Kläger stellte am 27. Juni 2013 beim Landratsamt
Enzkreis(LRA) unter Vorlage unter anderem des ärztlichen Entlassungsberichtes
des SRH Klinikums K.-L. GmbH vom 01.07.2009, des Ambulanzberichtes des St.
J.-Hospitals B. vom 11.09.2009 und zwei weiterer ärztlicher Entlassungsberichte
vom SRH Klinikum K.-L. vom 15.09.2009 und vom 20.01.2010 den Antrag, seine
Gesundheitsstörungen als Behinderung und deren Grad festzustellen. Nach
weiterer medizinischer Sachaufklärung (Beizug des ärztlichen
Entlassungsberichtes des SRH Klinikums K.-L. vom 06.03.2013, Beizug
medizinischer Behandlungsunterlagen bei dem Allgemeinmediziner Dr. ...,
versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. ... vom 28.09.2013) setzte das LRA den
GdB ab dem 01.01.2012 auf 40 fest unter Berücksichtigung folgender
Funktionsbeeinträchtigungen:
3
Migräne, Fingerpolyarthrose
(Bescheid vom 15.10.2013).
4 Der hiergegen am 17.11.2013 erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg
(Widerspruchsbescheid vom 28.01.2014).
5 Deswegen hat der Kläger am 02.03.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe
erhoben, mit der er die Feststellung eines GdB von wenigstens 50 erstrebt.
6 Zu deren Begründung führt er aus, bei ihm sei mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit eine Neurosarkoidose diagnostiziert worden. Es sei nicht
nachvollziehbar, weshalb diese Erkrankung bei der Feststellung des Gesamt-
GdBs nicht berücksichtigt worden sei.
7 Die Kammer hat den Chefarzt des ... Prof. ..., den Allgemeinmediziner Dr. ... und
den Facharzt für Neurologie Dr. ... schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
Außerdem wurde Dr. ... zu der Behandlung des Klägers im Jahre 2009 befragt.
Prof. ... berichtete über eine letztmalige Behandlung am 06.03.2013. Davor sei der
Kläger unter dem Verdacht einer Neurosarkoidose behandelt worden. Er habe sich
zuletzt wegen seit 2 Jahren immer wieder kehrenden stechenden Schmerzen an
der Innenseite des rechten Oberschenkels vorgestellt. Zudem habe er Schmerzen
im Bereich beider Ellenbogen und an beiden Daumengrundgelenken beklagt.
Außerdem sei sein rechtes Knie seit 2009 taub. Die vom Kläger geschilderten
Beschwerden seien zu diesem Zeitpunkt prinzipiell mit einer granulomatösen
Myositis im Rahmen einer Neurosarkoidose erklärbar, wobei es labor- und
liquorchemisch keinen Anhalt für eine aktive Neurosarkoidose gegeben habe. ...
hat bekundet, der Kläger sei am 09.09.2013 wegen Sensibilitätsstörungen des
mittleren und kleinen Fingers der linken Hand in die Praxis gekommen. Als
Verlaufsparameter für die Sarkoidose gelte das ACE, bei der Blutentnahme im
August 2013 sei das ACE im Normbereich (47) bei einem Normwert von 8 - 52
gewesen. Bei einer Kontrolle im Mai 2014 sei das ACE leicht erhöht gewesen
(62,5). ... berichtete von einer im Jahre 2013 bestätigten Neurosarkoidose,
aufgrund derer starke Muskelschmerzen sowie Sensibilitätsstörungen bestanden
hätten, die sich unter Cortisontherapie gebessert hätten. Die Neurosarkoidose sei
eine chronische Erkrankung, die nicht sicher heilbar sei und immer wieder zu
neurologischen Ausfällen führen könne. Zum jetzigen Zeitpunkt bestünden
Sensibilitätsstörungen, keine Lähmungen. Zusätzlich bestünde eine Neuralgie des
Ramus cutaneus anterior des N.femoris der rechten Seite, was zu intermittierenden
starken Schmerzen an der Oberschenkelinnenseite rechts führe. Des Weiteren
bestehe ein sulcus ulnaris Syndrom links mit Sensibilitätsstörungen an den Fingern
IV und V links. Dieses werde konservativ behandelt. Hinsichtlich der
Neurosarkoidose bestehe momentan kein Behandlungsbedarf. Dr. ... konnte keine
weitergehenden Angaben zu seinem Bericht vom 11.09.2009 machen.
8 Der Kläger führt ergänzend aus, nach der Versorgungsmedizin Verordnung sei die
Sarkoidose eine eigenständige Funktionsbeeinträchtigung und getrennt von den
Auswirkungen auf betroffene Organe mit einem GdB von 30 zu bewerten.
Funktionseinschränkungen betroffener Organe seien zusätzlich zu
berücksichtigen. Dies ergebe sich aus den Ausführungen der Versorgungsmedizin
Verordnung Ziff. 8.9 unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Einleitung
(Vorwort). Dort heißt es, die vorliegende Verordnung setzt die Vorgaben der
Rechtsprechung um, ohne dass die in den AHP niedergelegten Grundsätze und
Kriterien inhaltlich geändert wurden. Vielmehr wurde an die seit Jahren bewährten
Bewertungsgrundsätze und Verfahrensabläufe angeknüpft. Dadurch wird
gewährleistet, dass gegenüber den bisherigen Feststellungsverfahren keine
Schlechterstellung möglich ist. Es seien die Ausführungen zur Sarkoidose unter
Ziff. 26.9 in den bis 2008 geltenden Anhaltspunkte für eine ärztliche
Gutachtertätigkeit heranzuziehen. Dort heißt es,
9
bei chronischem Verlauf mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen
auf den Allgemeinzustand ist ohne Funktionseinschränkung von betroffenen
Organen ein GdB /MdE von 30 anzunehmen. Funktionseinschränkungen
betroffener Organe sind zusätzlich zu berücksichtigen.
10 Dementsprechend müsse die Sarkoidose mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet
werden. Damit wäre der Gesamt-GdB mit mindestens 50 anzunehmen.
11 Der Kläger beantragt,
12 den Bescheid vom 15.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
28.01.2014 abzuändern und den Grad der Behinderung ab dem 27.06.2013 mit
wenigstens 50 festzustellen.
13 Der Beklagte beantragt,
14 die Klage abzuweisen.
15 Unter Hinweis auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. ... hält er die
angefochtene Entscheidung weiterhin für zutreffend.
16 Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie den der
Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
17 Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung
eines GdB von 50 seit dem 27.06.2013.
18
1.
Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellt auf Antrag des behinderten Menschen der
Beklagte das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest, für den die im
Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und der
aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung festgesetzten
Maßstäbe entsprechend gelten (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Menschen sind
behindert im Sinne des SGB IX, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von
dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).
Menschen sind schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50
vorliegt und sie ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung
auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses
Gesetzbuches haben (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Die Auswirkungen auf die Teilhabe am
Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft, von 20
bis 100 festgestellt (§ 69 Abs. 1 Sätze 4 und 6 SGB IX).
19 Für die Feststellung des GdB sind für die Verwaltung und die Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit gleichermaßen seit dem 01.01.2009 die
Bewertungsmaßstäbe der Anlage zu § 2 der aufgrund der Ermächtigung in § 30
Abs. 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-
Verordnung (VMV) vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) in der Fassung der
Fünften Änderungs-Verordnung vom 11.10.2012 (BGBl. I Seite 2122), gültig ab
dem 17.10.2012, maßgebend (§ 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). In den
versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) ist ebenso wie in den bis zum
31.12.2008 gültig gewesenen „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit
im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“, die als
antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich waren und normähnliche
Wirkung entfalteten (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 22, SozR 3-3870 § 4 Nr. 19
und SozR 4-3250 § 69 Nrn. 2 und 9 sowie BVerfG SozR 3-3870 § 3 Nr. 6), der
medizinische Kenntnistand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben.
Dadurch wird eine für den behinderten Menschen nachvollziehbare, dem
medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht
(vgl. LSG Baden-Württemberg vom 23.07.2010 - L 8 SB 1372/10 -). Die VG
bezwecken darüber hinaus eine möglichst gleichmäßige Anwendung der
Bewertungsmaßstäbe im Bundesgebiet und dienen so auch dem Ziel des
einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung (vgl. Bay. LSG,
Breithaupt 2011, 68ff).
20
2.
Orientiert an diesen rechtlichen Gegebenheiten und Beurteilungsmaßstäben
steht dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 ab
Antragstellung zu. Für diese Überzeugung stützt sich die Kammer auf das
Ergebnis der sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. ..., ... und ..., ferner auf
die ärztlichen Entlassungsberichte des SRH Klinikums K.-L. sowie des
Ambulanzberichtes des St. J.-Hospitals B. vom 11.09.2009.
21 a. Beim Kläger wurde im Jahre 2009 eine Neurosarkoidose erstdiagnostiziert. So
lässt sich bereits dem Bericht des SRH Klinikums K.-L. vom 11.07.2009 die
Diagnose einer granulomatösen Myelitis, vermutlich autoimmuner Genese im
Rahmen einer Neurosarkoidose entnehmen. In den Laboruntersuchungen zeigte
sich ein ACE Spiegel von 91,82 U/l (NW 12-68) im Serum, weswegen man von
einer granulomatösen Myositis im Rahmen einer Neurosarkoidose ausging. Für
eine Beteiligung anderer Organsysteme gab es keinen Anhalt. Bestätigt wurde die
Verdachtsdiagnose der Neurosarkoidose durch Dr. ... in seinem Ambulanzbericht
vom 11.09.2009. Die Verdachtsdiagnose verhärtetet sich, sodass Prof. ... in
seinem Bericht vom 20.01.2010 von der Diagnose einer Neurosarkoidose sprach
bei weiterhin erhöhten ACE-Werten. Im Rahmen eines stationären Aufenthalts in
der Zeit vom 28.02.2013 bis zum 06.03.2013 fanden sich weiterhin erhöhte ACE-
Werte. Außerdem bestand eine grenzwertige Störung der Blut-Liquor-
Schrankenfunktion.
22 Der Beklagte hat die Neurosarkoidose bei der Feststellung des Grades der
Behinderung mit Bescheid vom 15.10.2013 nicht als Behinderung berücksichtigt.
Hierzu führte ... in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 28.09.2013
aus, es sei der Verdacht auf eine Neurosarkoidose mitgeteilt worden; eine
spezifische Behandlung sei nicht erforderlich. Die intermittierenden Beschwerden
führten nicht zu einer Behinderung.
23 Diese Beurteilung widerspricht den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Dort
heißt es in deren Teil B Punkt 8.9:
24
Der GdS richtet sich nach der Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den
Allgemeinzustand und nach den Auswirkungen an den verschiedenen
Organen.
25
Bei chronischem Verlauf mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen
auf den Allgemeinzustand ist ohne Funktionseinschränkungen von
betroffenen Organen ein GdS von 30 anzunehmen.
26 Bei Auslegung des Wortlautes der Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Teil B,
Punkt 8.9 kann dem Beklagten nicht darin zugestimmt werden, es komme darauf
an, dass die Neurosarkoidose behandlungsbedürftig sei bzw. die intermittierenden
Beschwerden zu einer Behinderung führen. Vielmehr lässt sich dem Wortlaut der
Vorschrift entnehmen, dass bereits das Vorliegen einer chronischen Sarkoidose
mit klinischen Aktivitätszeichen und Auswirkungen auf den Allgemeinzustand
genügt, um einen GdB von 30 für die Erkrankung zu veranschlagen, ohne dass es
darauf ankommt, ob eine spezifische Behandlung erforderlich ist oder gar
Folgeschäden an betroffenen Organen eingetreten sind. Solche Folgeschäden
sind gegebenenfalls gesondert zu bewerten. Zum einen ergibt sich dies neben
dem Wortlaut auch aus der systemischen Aufteilung in einen ersten und einen
zweiten Absatz. Diese beiden Absätze sind getrennt voneinander zu betrachten.
Absatz 2 der Regelung betrifft den Einzel-GdB für die Erkrankung an einer
Sarkoidose, Absatz 1 betrifft die darüber hinaus gehenden Funktionsstörungen.
Gestützt wird die Ansicht, dass hier eine getrennte Betrachtung zu erfolgen hat
auch aus der Tatsache heraus, dass die Vorgängervorschrift der
Versorgungsmedizinischen Grundsätze, die AHP 1996 Punkt 26.8, eine solche
systematische Trennung vorgenommen haben. Überdies enthielten sie den
zusätzlichen Satz: „Funktionseinschränkungen betroffener Organe sind zusätzlich
zu berücksichtigen.“ In einem dritten Absatz war außerdem vermerkt: „Bei
Defektzuständen kommt es allein auf die funktionellen Ausfallerscheinungen an.“
Daraus lässt sich nach Ansicht der Kammer entnehmen, dass es nicht erst zu
einem „Defekt“ kommen muss, sondern bereits das bestätigte Vorliegen einer
Sarkoidose zu einem eigenständigen GdB von 30 führt.
27 Im Falle des Klägers bedeutet dies aber, dass ihm aufgrund der Erkrankung an
einer Neurosarkoidose hierfür ein Teil-GdB von 30 zusteht. Auch der Beklagte geht
zwischenzeitlich davon aus, dass es sich nicht lediglich um eine
Verdachtsdiagnose handelt, sondern dass tatsächlich von dem Vorliegen einer
Neurosarkoidose auszugehen ist. Dies lässt sich jedenfalls der
versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. ... entnehmen. Die Neurosarkoidose
ist aber nicht nur mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten, wie dies Dr. ...
vorgeschlagen hat, sondern mit einem solchen von 30. Da Folgeschäden an
anderen Organen bislang nicht nachgewiesen wurden, verbleibt es bei dem Teil-
GdB von 30 für die Neurosarkoidose.
28 b. Beim Kläger liegt weiterhin eine Migräne sowie eine Fingerpolyarthrose vor. Der
Beklagte hat die Migräne mit einem Teil-GdB von 40 und die Fingerpolyarthrose
mit einem solchen von 10 bewertet. Den GdB für die Migräne hat der Beklagte mit
40 zutreffend (vgl. Teil B Nr. 2.3 VG) bewertet. Durch die sachverständigen
Zeugenaussagen ergeben sich diesbezüglich keine Änderungen. Das gleiche gilt
für die Fingerpolyarthrose, die der Beklagte mit einem Teil-GdB von 10 bewertet
hat.
29 3. Den Gesamt-GdB bewertet das erkennende Gericht, ausgehend von Teil-GdB-
Werten von 40, 30 und 10 seit dem 27.06.2013 mit 50.
30 Bei der Festlegung des Gesamt-GdB dürfen einzelne Teil-GdB-Werte zur
Ermittlung des Gesamt-GdB nicht addiert werden und sind auch andere
Rechenmethoden hierfür nicht geeignet. Vielmehr ist für die Beurteilung des
Gesamt-GdB von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten
Teil-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren
Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und in wie weit hierdurch das Ausmaß
der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren
Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte
hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von hier
nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen führen leichte
Gesundheitsstörungen mit einem Teil-GdB von lediglich 10 nicht zu einer
wesentlichen Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, und zwar
auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen
nebeneinander bestehen (vgl. BSG SozR 3-3100 § 30 Nr. 24 sowie Teil A Nr. 3
VG). Auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht
gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu
schließen. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen
Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller
sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen,
zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind (vgl. LSG Baden-
Württemberg, Urteil vom 23.03.2011, Az.: L 3 SB 463/07).
31 Aus eben diesen Gründen ist der Grad der Behinderung mit 50 zu bewerten,
weswegen die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und die Klage
deswegen Erfolg hatte
32 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.