Urteil des SozG Karlsruhe vom 08.06.2016

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SG Karlsruhe Urteil vom 8.6.2016, S 12 R 2116/15
Anspruch auf Zahlung von Übergangsgeld durch den Träger der gesetzlichen
Rentenversicherung für die Wochenenden vor und nach einer Arbeitsunfähigkeit, die eine
medizinische ambulante Rehabilitation unterbricht - Qualität einer verbindlichen
Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund
Leitsätze
1. Wird eine medizinische ambulante Rehabilitation von einer Arbeitsunfähigkeit unterbrochen, geht dadurch
der Anspruch auf Übergangsgeld für die Wochenenden vor der Arbeitsunfähigkeit und nach der
Arbeitsunfähigkeit nicht unter.
2. Für eine Unterbrechung des Übergangsgeldes bei Arbeitsunfähigkeit gibt es keine Ermächtigungsgrundlage.
3. § 45 Abs. 8 SGB IX ordnet die kalendertäglich vorzunehmende Zahlungsweise des Übergangsgeldes an.
Dabei wird eine Unterscheidung nach Arbeits- und Werktagen, Sonn- und Feiertagen nicht vorgenommen.
4. Die verbindliche Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund hat keine
Gesetzesqualität.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 11.03.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 verurteilt, dem Kläger auch für die Kalendertage Samstag, den
14.02.2015, Sonntag, den 15.02.2015, Samstag, den 21.02.2015 und Sonntag, den 22.02.2015 Übergangsgeld
in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
2. Die Beklagte erstattet dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Überbrückungsgeld während einer
ambulanten medizinischen Rehabilitation auch für Samstag, den 14.02.2015, Sonntag, den 15.02.2015,
Samstag, den 21.02.2015 und Sonntag, den 22.02.2015 hat.
2
Dem am … 1966 geborenen Kläger hat die Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (DRV) auf
seinen Antrag vom 10.10.2014 mit Bescheid vom 30.10.2014 eine ganztätige ambulante medizinische
Rehabilitation in der ... Klinik Bad Herrenalb für eine Dauer von 5 Wochen bewilligt. Die Aufnahme in die
Klinik erfolgte zum 12.02.2015. Für die Zeit vom 16.02.2015 bis einschließlich 20.02.2015 war der Kläger
arbeitsunfähig erkrankt. Deswegen war er in diesem Zeitraum nicht in der Lage, am
Rehabilitationsprogramm teilzunehmen. Ab dem 23.02.2015 nahm er wieder regelmäßig an der
Rehabilitation teil.
3
Mit Bescheid vom 11.03.2015 bewilligte die DRV dem Kläger Übergangsgeld für die Dauer der ambulanten
medizinischen Rehabilitation. Kalendertäglich wurden ihm ab dem 12.02.2015 Euro 51,85 bewilligt. Hiervon
ausgenommen wurde der Zeitraum vom 14.02.2015 bis zum 22.02.2015. Zur Begründung wurde
ausgeführt, Übergangsgeld stehe für diesen Zeitraum wegen einer krankheitsbedingten Unterbrechung der
Rehabilitation nicht zu. Übergangsgeld stehe für jeden Behandlungstag zu. Für von Behandlungstagen
eingeschlossene behandlungsfreie Tage (z.B. Wochenende) sowie für nachgewiesene Zeiten der
Behandlungsunfähigkeit von bis zu 3 Kalendertagen bestehe dieser Anspruch ebenfalls.
4
Gegen den Bescheid vom 11.03.2015 erhob der Kläger am 31.03.2015 Widerspruch. Zur Begründung führte
er aus, er sei lediglich vom 16.02. bis zum 20.02.2015 erkrankt gewesen, weswegen er um umgehende
Nachzahlung des Übergangsgeldes für den 14.02.2015, den 15.02.2015, den 21.02.2015 und 22.02.2015
bitte.
5
Am 15.04.2015 holte die DRV eine telefonische Auskunft bei der Techniker Krankenkasse dahingehend ein,
als dass ihm für die Zeit vom 16.02.2015 bis zum 20.02.2015 Krankengeld gewährt wurde.
6
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2015 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur
Begründung wurde vorgetragen, gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX sei bei ganztätig ambulanten Leistungen
das Überbrückungsgeld für die Tage der Teilnahme zu zahlen. Wenn diese von Montag bis Freitag
durchgeführt würden, stehe das Übergangsgeld auch für die Wochentage/Feiertage zu. Werde die
ambulante Leistung jedoch aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen, werde das Übergangsgeld bis zu 3
Tage weitergezahlt, wenn die Behandlungsunfähigkeit durch eine ärztliche Bescheinigung nachgewiesen
wurde. Bei einer krankheitsbedingten Unterbrechung von mehr als 3 Tagen ende die Übergangsgeldzahlung
mit dem letzten Behandlungstag und beginne ggf. wieder mit der Wiederaufnahme der ganztätigen
ambulanten Rehabilitation. Dies bedeute, dass bei einer Unterbrechung von mehr als drei Tagen vom ersten
Tag der Unterbrechung an kein Anspruch auf Übergangsgeld bestehe. Nach der vorliegenden ärztlichen
Bescheinigung vom 23.03.2015 sei er im Zeitraum 16.02.2015 bis 20.02.2015 arbeitsunfähig krank
gewesen. In seinem Fall sei der letzte Behandlungstag am Freitag, den 13.02.2015 gewesen. Gemäß § 45
Abs. 1 Nr. 3 SGB IX hätte somit der Anspruch auf Übergangsgeld bis Montag, den 16.02.2015 (=3. Tag)
bestanden. Die ambulante Rehabilitationsmaßnahme sei jedoch mehr als 3 Tage aus gesundheitlichen
Gründen unterbrochen worden. Die Arbeitsunfähigkeit sei bis zum 20.02.2015 verlaufen. Die
Wiederaufnahme der ganztätig ambulanten Maßnahme sei am 23.02.2015 erfolgt. Ab diesem Tag bestehe
somit wieder ein Anspruch auf Übergangsgeld. Mit Bewilligungsbescheid vom 30.10.2014 sei ihm das
Merkblatt V 823.01 (Allgemeine Hinweise, Blatt 5) übersandt worden, mit welchem er darauf hingewiesen
worden sei, dass für Unterbrechungen von mehr als 3 Tagen ein Anspruch auf Übergangsgeld nicht bestehe.
7
Deswegen hat der Kläger am 03.07.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zu Begründung trägt
er vor, seiner Auffassung nach bestehe während des gesamten Zeitraumes der Durchführung der
medizinischen Reha ein Anspruch auf Übergangsgeld. Wegen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und im
Hinblick auf die Gewährung von Krankengeld in der Zeit vom 16.02.2015 bis zum 20.02.2015 sei das
Übergangsgeld zum Ruhen gekommen. Die Nichtgewährung von Übergangsgeld für die Kalendertage 14.02.,
15.02., 21.02. und 22.02.2015 entbehre einer rechtlichen Grundlage.
8
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 11.03.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015 verurteilt, dem Kläger auch für die Kalendertage Samstag, den
14.02.2015, Sonntag, den 15.02.2015, Samstag, den 21.02.2015 und Sonntag, den 22.02.2015
Übergangsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
10 Die Beklagte beantragt,
11 die Klage abzuweisen.
12 Sie hält die angefochtene Entscheidung weiterhin für zutreffend und verweist insoweit auf den Inhalt des
Widerspruchsbescheids vom 02.06.2015.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie wegen des weiteren Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
14 Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Übergangsgeld auch für Samstag, den
14.02.2015, Sonntag, den 15.02.2015, Samstag, den 21.02.2015 und Sonntag den 22.02.2015.
15 1. Anspruchsgrundlage ist § 20 SGB VI in Verbindung mit § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX.
16 Gemäß § 20 SGB VI haben Anspruch auf Übergangsgeld Versicherte, die
17 (1) von einem Träger der Rentenversicherung Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben oder sonstige Leistungen zur Teilhabe erhalten,
18 (3) bei Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder sonstigen Leistungen zur Teilhabe unmittelbar vor
Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder, wenn sie nicht arbeitsunfähig sind, unmittelbar vor Beginn der
Leistungen
19 a) Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt und im Bemessungszeitraum Beiträge zur
Rentenversicherung gezahlt haben oder
20 b) Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergansgeld, Kurzarbeitergeld, Arbeitslosengeld,
Arbeitslosengeld II oder Mutterschaftsgeld bezogen haben und für die von dem der Sozialleistung zugrunde
liegenden Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen oder im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II zuvor aus
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden sind.
21 Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX leisten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
die Träger der Rentenversicherung Übergangsgeld nach Maßgabe dieses Buches und der §§ 20 und 21 des
Sechsten Buches. Das Übergangsgeld wird für Kalendertage gezahlt; wird die Leistung für einen ganzen
Kalendermonat gezahlt, so wird dieser mit 30 Tagen angesetzt (§ 45 Abs. 8 SGB IX).
22 2. Nach diesen gesetzlichen Maßgaben hat der Kläger auch für die zwei Tage vor dem Beginn seiner
Arbeitsunfähigkeit und für die zwei Tage nach seiner Arbeitsunfähigkeit, mithin für den 14.02.2015, den
15.02.2015, den 21.02.2015 und den 22.02.2015, Anspruch auf Übergangsgeld.
23 § 45 Abs. 8 SGB IX ordnet die einheitlich kalendertäglich vorzunehmende Zahlungsweise der in § 45 Abs. 1
bis 3 SGB IX genannten unterhaltssichernden Leistungen an. Dabei wird eine Unterscheidung nach Arbeits-
bzw. Werktagen und Sonn- oder Feiertagen nicht vorgenommen. Der Anspruch auf Übergangsgeld besteht
deshalb grundsätzlich auch während der Ausführung entsprechender Rehabilitationsmaßnahmen für
arbeitsfreie Tage (vgl. Reyels in jurisPK-SGB IX, 2. Auflage, § 45 Rdnr. 83). Damit steht dem Kläger
grundsätzlich auch Übergansgeld für die behandlungsfreien Samstage und Sonntage während der Dauer
seiner ambulanten medizinischen Rehabilitation zu.
24 Dieser Anspruch ist auch nicht durch die die Rehabilitation unterbrechende Arbeitsunfähigkeit erloschen. Die
Arbeitsunfähigkeit begann am 16.02.2015 und dauerte bis zum 20.02.2015. Für diese Zeit hat der Kläger
von seiner Krankenkasse Krankengeld gemäß § 44 SGB V bezogen. Für diesen Zeitraum ruht unstreitig der
Anspruch auf Übergangsgeld. Dies gilt jedoch nicht für den Samstag und Sonntag vor Beginn der
Arbeitsunfähigkeit und den Samstag und Sonntag nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit. Für die von der
Beklagten angenommene Unterbrechung des Übergangsgeldes an diesen Tagen gibt es keine gesetzliche
Grundlage. Soweit sie sich auf die Verbindliche Entscheidung des Vorstandes der Deutschen
Rentenversicherung Bund vom 01.02.2006 beruft (veröffentlicht in RV aktuell 2006, S. 409), wonach das
Übergangsgeld weiterzuzahlen ist, wenn die krankheitsbedingte Unterbrechung nicht länger als drei
Kalendertage angedauert hat, kann dies zu keiner anderen Entscheidung führen. Die Verbindliche
Entscheidung des Vorstandes der Deutschen Rentenversicherung Bund hat keine Gesetzesqualität.
Deswegen kann sie auch nicht Grundlage für krankheitsbedingte Unterbrechung des Übergangsgeldes sein.
Es verbleibt mithin bei dem grundsätzlichen Anspruch des Klägers auf Übergangsgeld auch für die im Tenor
genannten Tage.
II.
25 Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.