Urteil des SozG Karlsruhe vom 10.02.2016

zuschuss, vag, wechsel, selbstbehalt

SG Karlsruhe Urteil vom 10.2.2016, S 12 AS 715/15
Arbeitslosengeld II - Zuschuss zu den Versicherungsbeiträgen der privaten
Kranken- und Pflegeversicherung - keine Übernahme von Behandlungskosten
durch vereinbarten Selbstbehalt - kein Mehrbedarf gem § 21 Abs 6 SGB 2 - kein
Anspruch nach § 73 SGB 12
Leitsätze
1. Der mit dem privaten Krankenversicherungsunternehmen vereinbarte Selbstbehalt
an den Behandlungskosten ist durch den Grundsicherungsträger nicht zu
übernehmen.
2. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist schon seinem Wortlaut nach nicht einschlägig, da
hiernach nur ein Zuschuss zu den Versicherungs-"Beiträgen" durch den
Grundsicherungsträger zu gewähren ist.
3. Ein unabweisbarer Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II kommt nach der
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 8/14 R - juris) nur dann in
Betracht, wenn eine entsprechende Beratung durch den Grundsicherungsträger im
Hinblick auf die Möglichkeit des Wechsels in den Basistarif unterblieben ist.
4. § 73 Satz 1 SGB XII kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, da im SGB II
eine Rechtsgrundlage vorhanden ist.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Beklagte erstattet der Klägerin die Hälfte der Kosten im
Widerspruchsverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche
Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Im Streit stehen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung der tatsächlichen
Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung unter Berücksichtigung
eines von der Klägerin zu tragenden Eigenanteils in Höhe von 1.700,00 EUR
jährlich.
2 Die am 26.03.1955 geborene Klägerin war bis zu ihrer Krebserkrankung
selbstständig als Online-Buchhändlerin tätig. Sie ist privat krankenversichert. Im
Jahr 2013 betrug der monatliche Beitrag zu ihrer privaten Krankenversicherung
252,77 EUR, derjenige zur privaten Pflegeversicherung 37,34 EUR. Hinzukam ein
einmal jährlich auf die Kosten der Behandlungen entfallender Eigenanteil in Höhe
von 1.200,00 EUR. Zum 01.01.2014 betrug der monatliche Beitrag zur privaten
Krankenversicherung 246,76 EUR zuzüglich 37,34 EUR für die
Pflegeversicherung. Der Eigenanteil erhöhte sich auf 1.700,00 EUR.
3 Am 16.05.2013 beantragte die Klägerin aufstockend Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Zuschusses zu
den Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung beim Jobcenter des
Landkreise Karlsruhe (JC).
4 Mit Bescheid vom 10.07.2013 bewilligte das JC aufgrund des noch ungeklärten
Einkommens aus der selbstständigen Tätigkeit vorläufig Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.05.2013 bis zum 31.10.2013 in Höhe von
736,47 EUR unter Einschluss des Zuschusses zur privaten Krankenversicherung
in Höhe von 252,77 EUR und zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 37,34
EUR.
5 Auf ihren Weiterbewilligungsantrag vom 01.10.2013 wurden ihr wiederum vorläufig
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.11.2013 bis
zum 30.04.2014 in Höhe von 736,47 EUR bewilligt. Darin enthalten waren
Zuschüsse zu den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung in Höhe von
252,77 EUR und zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 37,34 EUR.
6 Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 19.11.2013 Widerspruch. Unter
anderem bemängelte sie, dass die von ihr monatlich zu tragenden Beiträge zur
privaten Kranken- und Pflegeversicherung unter anteiliger Berücksichtigung des
Selbstbehalts nicht in voller Höhe berücksichtigt worden seien. Diese würden
monatlich 390,11 EUR betragen.
7 Laut einer internen Email des JC (Verwaltungsaktenseite 365) fand am 20.01.2014
ein Telefongespräch mit der Klägerin statt. In diesem Telefonat sei unter anderem
das Thema der Beiträge zur privaten Krankenversicherung thematisiert worden.
Die Klägerin habe in diesem Gespräch mitgeteilt, dass sie einen
Krankenversicherungstarif gewählt habe, der es ihr ermögliche, die monatlichen
Beiträge auch mit ihrem nur geringen Einkommen aus der selbstständigen
Tätigkeit zu bezahlen. Dafür müsse sie jedoch, trotz basistarifähnlicher Leistungen,
jährlich Behandlungskosten in Höhe von 1.700,00 EUR selbst bezahlen. Trotz
ihrer Erkrankung hoffe sie, ihren Lebensunterhalt irgendwann ohne öffentliche
Leistungen bestreiten zu können. Deswegen lehne sie es ab, in den Basistarif
ohne Eigenleistung zu wechseln. Sie befürchte, nach dem Ende des Alg II-
Bezuges den vollen Basistarif von circa 600,00 EUR monatlich nicht aufbringen zu
können. Es wurde ihr die Klärung zugesagt, ob zumindest die Differenz zwischen
dem von ihr aufzubringenden Beitrag und dem vom JC im Rahmen der
Leistungsgewährung anzuerkennenden hälftigen Basistarif zur teilweisen Deckung
des Selbstbehaltes gewährt werden könne.
8 Mit Bescheid vom 04.02.2014 wurden die Leistungen nach dem SGB II für die Zeit
vom 01.05.2013 bis zum 31.08.2013 endgültig festgesetzt. Dabei wurde ein
Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in Höhe des hälftigen Basistarifs, der
im Jahr 2013 305,16 EUR betrug, berücksichtigt. Der Zuschuss zur privaten
Pflegeversicherung wurde in Höhe von 41,51 EUR gewährt.
9 Mit Änderungsbescheid vom 04.02.2014 wurde darüber hinaus für die Zeit vom
01.11.2013 bis zum 31.12.2013 ebenfalls ein Zuschuss zur privaten
Krankenversicherung in Höhe von 305,16 EUR und zur privaten
Pflegeversicherung in Höhe von 41,51 EUR gewährt. Für die Zeit vom 01.01.2014
bis zum 30.04.2014 wurde ein Zuschuss zur privaten Krankenversicherung in
Höhe von 313,88 EUR und zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 41,51
EUR gewährt. Den Widerspruch vom 19.11.2013 zog die Klägerin daraufhin mit
Schreiben vom 28.01.2014 zurück.
10 Auf ihre Weiterbewilligungsanträge vom 25.04.2014 und vom 23.09.2014 wurden
ihr für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 30.09.2014 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 900,46 EUR unter Berücksichtigung
eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 313,88 EUR und
zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 41,51 EUR und für den Zeitraum
01.10.2014 bis zum 31.03.2015 in Höhe von 829,17 EUR unter Berücksichtigung
eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 261,76 EUR und
zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 22,34 EUR bewilligt. Mit
Änderungsbescheid vom 22.11.2014 wurden die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts aufgrund der Erhöhung der Regelsätze zum 01.01.2015 für die
Zeit vom 01.01.2015 bis zum 31.03.2015 in Höhe von 838,16 EUR monatlich
bewilligt.
11 Gegen den Bescheid vom 22.11.2014 erhob die Klägerin am 10.12.2014
Widerspruch, den sie damit begründete, die tatsächliche Höhe der monatlichen
Beiträge zur privaten Krankenversicherung belaufe sich aktuell auf 436,39 EUR.
Darin enthalten seien die monatlichen Beitragszahlungen von 294,72 EUR
(Erhöhung zum 01.10.2015) und die jährliche Selbstbeteiligung in Höhe von
1.700,00 EUR. Dies entspreche einer monatlich zusätzlichen Rate in Höhe von
141,67 EUR. Der bewilligte Zuschuss in Höhe von 284,10 EUR reiche demnach
nicht aus, um die erforderlichen Beiträge zu entrichten. Dies sei aber erforderlich,
um eine adäquate ärztliche Versorgung im Rahmen ihrer Krebserkrankung zu
erhalten.
12 Am 13.12.2014 erging ein Änderungsbescheid für die Zeit vom 01.10.2015 bis
zum 31.03.2015 aufgrund einer Änderung betreffend des Mehrbedarfs Ernährung.
Eine Änderung in der Höhe der Leistungen ergab sich hierdurch nicht.
13 Mit Änderungsbescheid vom 16.12.2014 wurden der Klägerin aufgrund ihres
Widerspruches für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum 31.03.2015 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 848,78 EUR unter Berücksichtigung
eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 271,82 EUR und
für die private Pflegeversicherung in Höhe von 22,90 EUR bewilligt.
14 Gegen die Bescheide vom 13.12.2014 und vom 16.12.2014 erhob die Klägerin am
29.12.2014 Widerspruch und beantragte die Anerkennung ihres Eigenanteils in
Höhe von 1.700,00 EUR als Sonderbedarf.
15 Mit weiterem Änderungsbescheid vom 21.01.2015 wurden ihr schließlich
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.10.2014 bis
zum 31.12.2014 in Höhe von monatlich 900,46 EUR unter Berücksichtigung eines
Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 313,88 EUR und zur
privaten Pflegeversicherung in Höhe von 41,51 EUR und für die Zeit vom
01.01.2015 bis zum 31.03.2015 in Höhe von monatlich 922,22 EUR unter
Berücksichtigung eines Zuschusses zur privaten Krankenversicherung in Höhe
von 319,69 EUR und zur privaten Pflegeversicherung in Höhe von 48,47 EUR
bewilligt.
16 Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 wurde der Widerspruch nach Erteilung
des Änderungsbescheids vom 21.01.2015 als unbegründet zurückgewiesen.
17 Deswegen hat die Klägerin am 02.03.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe
erhoben.
18 Zu deren Begründung führt sie aus, angesichts einerseits ihrer Erkrankung und
andererseits des abgeschlossenen Versicherungsvertrags sei im Rahmen von §
26 SGB II in Verbindung mit § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 des
Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) nicht nur der Versicherungsbeitrag
geschuldet, sondern darüber hinaus auch eine umgerechnete Rate der von ihr zu
tragenden Eigenbeteiligung. Diese Eigenbeteiligung habe eine Reduzierung des
Beitrages bewirkt, der folglich auch dem Beklagten zugutekomme. Sie habe
deswegen einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen
Versicherungsbeiträge unter Berücksichtigung der anteiligen Selbstbeteiligung in
Höhe von 141,67 EUR monatlich. Darüber hinaus könne der Anspruch auf § 21
Abs. 6 SGB II gestützt werden. Bei den Kosten für den vereinbarten Selbstbehalt
handele es sich um einen unabweisbaren Bedarf, insbesondere auch vor dem
Hintergrund ihrer Erkrankung, bei der eine bestmöglich medizinische Versorgung
sichergestellt sein müsse. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung
vom 29.04.2015 - Az.: B 14 AS 8/14 R - entschieden, dass etwaige vom
Selbstbehalt umfasste Krankenbehandlungskosten als unabweisbarer, laufender,
nicht nur einmaliger besonderer Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II übernahmefähig
seien. Schließlich komme ein Anspruch gemäß § 73 Satz 1 Zwölftes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Betracht.
19 Die Klägerin bestreitet, dass eine entsprechende Beratung durch den Beklagten im
Hinblick auf einen Wechsel in den Basistarif erfolgt sei.
20 Die Klägerin beantragt,
21 den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 22.11.2014 in der Fassung
der Änderungsbescheide vom 13.12.2014 bzw. 16.12.2014 und des
Änderungsbescheids vom 21.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 28.01.2015 zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum 01.10.2014 bis zum
31.03.2015 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II unter Berücksichtigung der tatsächlichen Beiträge zur privaten Kranken-
und Pflegeversicherung unter Berücksichtigung des Eigenanteils zu gewähren.
22 Der Beklagte beantragt,
23 die Klage abzuweisen.
24 Er hält die angefochtenen Entscheidungen weiterhin für zutreffend. Es sei bereits
der hälftige Basistarif gewährt worden, obwohl der tatsächliche
Krankenversicherungsbeitrag niedriger gewesen sei. Die Klägerin sei bei einem
Telefongespräch am 20.01.2014 auf den Wechsel in den Basistarif hingewiesen
worden. Sie sei auch darauf hingewiesen worden, dass die Selbstbeteiligung über
eine Zuschussgewährung gemäß § 26 SGB II nicht erfolgen könne. Eine
Rechtsgrundlage aufgrund derer der Leistungsträger verpflichtet wäre, einen
höheren Betrag als den halben Beitrag für den Basistarif in der gesetzlichen
Krankenversicherung zu zahlen, bestehe nicht. Ein Wechsel in den Basistarif sei
grundsätzlich zumutbar. Ein Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6 SGB II scheide aus,
da die Selbstbeteiligung für die Behandlungskosten nicht unabweisbar sei. Sie sei
auf den Wechsel in den Basistarif hingewiesen worden. Aufgrund der Erkrankung
und der besseren ärztlichen Behandlung sei ein Wechsel von ihr nicht gewünscht
gewesen. Der Beratungspflicht wurde somit gemäß des BSG-Urteils - B 14 AS 8/14
R - genüge getan. Ein Anspruch nach § 73 S. 1 SGB XII scheide laut LSG
Hamburg - L 4 AS 348/12, da bereits eine Rechtsgrundlage im SGB II vorhanden
ist.
25 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie wegen des
weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte und die
Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
26 I. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung
eines anteiligen Selbstbehalts als Zuschuss zu den Beiträgen zur privaten
Krankenversicherung.
27 1. Als Anspruchsgrundlage für die Übernahme der anteiligen Selbstbeteiligung als
Zuschuss zu den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung scheidet bereits §
26 Abs. 1 Nr. 1 SGB II aus.
28 Für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld, die in der
gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch
familienversichert sind und die für den Fall der Krankheit bei einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, gilt § 152 Absatz 4 Satz 2 und
3 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II in der ab
01.01.2016 gültigen Fassung). Danach sind als Teil der in § 152 VAG getroffenen
Vorschriften zur substitutiven Krankenversicherung Ansprüche unter anderem
gegen den SGB II-Träger für den Fall begründet, dass SGB II-Leistungsbezieher
die Mittel auch für einen nach § 152 VAG reduzierten Beitrag nicht aufbringen
können.
29 Bis zum 31.12.2015 war insoweit noch § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 VAG aF
einschlägig, der in seinem Wortlaut identisch war mit der nunmehr einschlägigen
Vorschrift des § 152 Abs. 4 Satz 2 und 3 VAG.
30 Eine Übernahme des jährlichen Eigenanteils an den Behandlungskosten ist bereits
wegen dem eindeutigen Wortlaut des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II einerseits als
auch des § 152 Abs. 4 Satz 2 und 3 VAG andererseits (und auch insoweit mit der
im Wortlaut identischen Vorschrift des § 12 Abs. 1 c Satz 5 und 6 VAG aF) nicht
möglich. Maßgeblich ist danach der vom SGB II-Träger zu zahlende „Beitrag“, den
die Leistungsberechtigten nach dem SGB II an ihr Versicherungsunternehmen zu
entrichten haben. Hierauf verweist bereits die amtliche Überschrift des § 26 SGB II.
Ebenso ist Gegenstand des § 152 Abs. 4 allein der Beitrag zur privaten
Krankenversicherung, an dem sich der SGB II-Träger „beteiligt“. Insoweit verweist
die Kammer auf die sehr ausführliche Begründung des Bundessozialgerichts in
seinem Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 8/14 R - juris, der sich die Kammer
vorbehaltlos anschließt. Vor diesem Hintergrund besteht keine Möglichkeit, die von
der Klägerin zu tragende Selbstbeteiligung in Höhe von 1.700,00 EUR jährlich
unter den § 26 SGB II zu subsumieren. Käme man zu einem anderen Ergebnis
würde dies auf eine Besserstellung der Klägerin im Vergleich zu denjenigen
Leistungsbeziehern nach dem SGB II hinauslaufen, die mit Eintritt der
Hilfebedürftigkeit in den Basistarif gewechselt sind. Die Klägerin erhielte auf der
einen Seite eine bessere medizinische Versorgung, auf der anderen Seite wäre sie
nicht mit höheren Beiträgen zur privaten Krankenversicherung belastet. Eine
solche Ungleichbehandlung ist auch unter verfassungsrechtlichen
Gesichtspunkten bedenklich.
31 2. Als weitere möglich Anspruchsgrundlage scheidet auch § 21 Abs. 6 SGB II aus.
Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt,
soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer
Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht
durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von
Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach
erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.
32 Nach der Rechtsprechung des BSG in der oben genannten Entscheidung vom
29.04.2015 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die in einen Selbstbehalt
fallenden Kosten der medizinischen Versorgung nach dem mit der Einführung des
PKV-Basistarifs verfolgten Regelungskonzepts zumindest ab dem Zeitpunkt nicht
mehr im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II unabweisbar sind, ab welchem es dem
privat krankenversicherten Leistungsberechtigten zumutbar möglich ist, in den
Basistarif ohne Selbstbehalt zu wechseln (siehe BSG, a.a.O). In diesem
Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass es dem Bezieher
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
grundsätzlich zumutbar ist, in den Basistarif der privaten Krankenversicherungen
zu wechseln (vgl. BSG, Urteil vom 16.10.2012 - B 14 AS 11/12 R - SozR 4-4200 §
26 Nr. 3 Rdnr. 24).
33 Das Bundessozialgericht hat allerdings eine Einschränkung insoweit gemacht, als
dass die Selbstbehaltskosten zumindest solange als Härtefallmehrbedarf im Sinne
von § 21 abs. 6 SGB II anzuerkennen sind, als dass der betroffene
Leistungsbezieher keine Kenntnis von der Wechselmöglichkeit in den Basistarif
seines privaten Krankenversicherungsunternehmens hatte.
34 Das BSG hat zutreffend ausgeführt, dass es von einem Betroffenen aus eigener
Initiative beim erstmaligen Angewiesensein auf existenzsichernde Leistungen nicht
verlangt werden könne, in einen Basistarif zu wechseln (BSG v. 29.04.2015,
a.a.O). Zum einen vermag dies aus Sicht des Betroffenen auf den ersten Blick
unwirtschaftlich zu sein, da die Höhe der im Basistarif zu entrichtenden Beiträge
aufgrund des vereinbarten Selbstbehalts oftmals oberhalb der individuellen
Beiträge liegt. So auch im Falle der Klägerin. Des Weiteren ist zu bedenken, dass
sich ein Wechsel in den Basistarif schon aufgrund der schwer überschaubaren
Rechtslage dem Betroffenen nicht aufdrängen dürfte.
35 Hier setzt die Beratungspflicht der Träger der Grundsicherungsleistungen im Sinne
von § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ein. Diesen obliegt die Pflicht, die
betroffenen Leistungsberechtigten auf die Möglichkeit eines Wechsels in den
Basistarif aufzuklären und ihm entsprechende Hilfe zu gewähren. Solange es sich
den Betroffenen nicht aufdrängt, dass der Wechsel in den Basistarif vom
Gesetzgeber trotz unter Umständen höherer Beitragslasten im Hinblick auf die
damit verbundene Entlastung des Verwaltungsaufwands erwünscht ist und auch
die höheren Beiträge voll übernommen werden, sind sie auf eine hinreichende
Belehrung der Träger angewiesen die sie in die Lage versetzt, Mehrkosten der
medizinischen Versorgung zu vermeiden (vgl. Krauß in Haug/Noftz, SGB II, Stand
Mai 2014, § 26 Rdnr. 78).
36 Im Falle der Klägerin ist eine solche Beratung durch den Grundsicherungsträger
am 20.10.2014 erfolgt. Dies lässt sich einer internen Email des JC vom 20.10.2014
entnehmen. Zwar wurde in der mündlichen Verhandlung vom 10.02.2016 durch
den Prozessbevollmächtigten bestritten, dass eine solche Beratung tatsächlich
stattgefunden hat. Die Kammer hat jedoch keine Zweifel daran, dass diese
Beratung stattgefunden hat, denn schließlich hat die Klägerin mit Schreiben vom
28.01.2014 ihren Widerspruch vom 19.11.2013 gegen den Bescheid vom
04.11.2013 zurückgenommen mit folgender Begründung:
37 „Aufgrund des informativen und beratenden Gesprächs ziehe ich hiermit meinen
Widerruf zurück.“
38 Ein Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II kommt deswegen nicht in
Betracht.
39 3. Auch ein Anspruch aufgrund des § 73 SGB XII scheidet aus.
40 Danach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden,
wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (§ 73 Satz 1 SGB XII).
41 Da eine Rechtsgrundlage im SGB II vorhanden ist, aufgrund welcher Beiträge zur
privaten Krankenversicherung übernommen werden können, bedarf es keines
Rückgriffs auf den § 73 Satz 1 SGB XII. Eine Beiladung das Sozialhilfeträgers war
aus diesem Grund entbehrlich.
42 II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.