Urteil des SozG Karlsruhe vom 16.12.2015

anrechenbares einkommen, ausgabe, posten, steuerpflicht

SG Karlsruhe Urteil vom 16.12.2015, S 12 AS 4451/14
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung und -
berechnung - selbstständige Arbeit - vereinnahmte Umsatzsteuer als
Betriebseinnahme - Absetzung als Betriebsausgabe erst bei
Umsatzsteuerweiterleitung - Einkommenssteuernachzahlung keine
Betriebsausgabe
Leitsätze
1. Vereinnahmte Umsatzsteuer ist als betriebliche Einnahme nach der AlgII-V zu
berücksichtigen.
2. In der Zukunft an das Finanzamt abzugebende Umsatzsteuern können als
betriebliche Ausgaben nicht berücksichtigt werden. Dies kommt nur dann in Betracht,
wenn die Abgabe während des Bewilligungszeitraumes tatsächlich erfolgt ist.
3. Bei Einkommenssteuernachzahlungen handelt es sich nicht um betriebsbezogene,
sondern um personenbezogene Ausgaben.
4. Einkommenssteuernachzahlungen sind nicht vom Einkommen Hilfebedürftiger
abzusetzen.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB
II) für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 in Höhe von
2.735,10 EUR.
2 Der am 17.05.1958 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Neben dem Leistungsbezug ist er
selbständig im Bereich Montage tätig.
3 Am 21.03.2014 beantragte er die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts für die Zeit ab dem 01.04.2014. Hierzu legte er die Anlage
EKS (Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit) vor, aus der sich
entnehmen lässt, dass mit keinerlei Betriebseinnahmen für die Zeit vom
01.04.2014 bis zum 30.09.2014 gerechnet werde.
4 Das Jobcenter Landkreis Karlsruhe - Ettlingen (JC) bewilligte dem Kläger daraufhin
mit Bescheid vom 17.04.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für
den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum vom 01.04.2014 bis zum
30.09.2014. Der Leistungsbetrag belief sich auf 834,80 EUR monatlich. Die
Leistungsbewilligung erfolgte vorläufig gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328
Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) im Hinblick auf das noch
nicht vollständig ermittelte Einkommen des Klägers aus seiner selbstständigen
Tätigkeit.
5 Am 25.10.2014 wurde vom Kläger die Erklärung über die abschließenden
Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit nach Ablauf des
Bewilligungsabschnitts vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 vorgelegt. Aus diesen
lassen sich Betriebseinnahmen in Höhe von insgesamt 6.344,74 EUR und
Betriebsausgaben in Höhe von 2.326,48 EUR entnehmen. Des Weiteren gab der
Kläger unter der Spalte „personenbezogene Ausgaben des Selbständigen
(Absetzungen vom Einkommen)“ an, eine einmalige
Einkommenssteuernachzahlung in Höhe von 2.646,51 EUR im streitigen Zeitraum
bezahlt zu haben. Das JC setzte das auf den Bedarf des Klägers monatlich
anzurechnende Einkommen aus selbständiger Tätigkeit auf 455,85 EUR fest, und
bewilligte mit endgültigem Bewilligungsbescheid vom 29.10.2014 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014
in Höhe von monatlich 378,95 EUR.
6 Mit weiterem Bescheid vom 29.10.2014 wurde sodann die Gesamtüberzahlung für
die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB
II in Verbindung mit § 328 Abs. 3 SGB III teilweise in Höhe von 2.735,10 EUR
aufgehoben und der Betrag zur Erstattung festgesetzt.
7 Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 05.11.2014 Widerspruch. Zu dessen
Begründung führte er aus, seine in der abschließenden Erklärung über das
Einkommen aus selbständiger Tätigkeit gemachten Angaben zu den betrieblichen
Einnahmen und Ausgaben würden erheblich von den Berechnungen des JC
abweichen. Die Forderung des Finanzamtes in Höhe von 2.646,51 EUR sei nicht
vom Einkommen abgesetzt worden. Diese Steuernachzahlung sei von ihm an das
Finanzamt Ettlingen gezahlt worden. Um diesen Betrag sei sein Einkommen
vermindert und seine Hilfebedürftigkeit erhöht worden. Auch sei ihm zu Unrecht die
eingenommene Umsatzsteuer als Einkommen angerechnet worden, obwohl diese
nur ein Durchlaufposten sei.
8 Mit Widerspruchsbescheid vom 27.11.2014 wurde der Widerspruch des Klägers
als unbegründet zurückgewiesen.
9 Deswegen hat der Kläger am 29.12.2014 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe
erhoben. Zu deren Begründung wiederholt er im wesentlichen seinen Vortrag aus
der Widerspruchsbegründung.
10 Der Kläger beantragt,
11 der Bescheid vom 29.10.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
27.11.2014 wird aufgehoben.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die Klage wird abgewiesen.
14 Sie hält die angefochtene Entscheidung weiterhin für zutreffend und verweist
insoweit auf den Inhalt des Widerspruchsbescheids.
15 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, sowie wegen des
weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte, sowie auf die
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
16 I. Die in zulässiger Weise beim örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht
Karlsruhe erhobene Klage ist unbegründet.
17 Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 29.10.2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 27.11.2014 entschieden hat, dass der Kläger für die
Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts in Höhe von 2.735,10 EUR zu erstatten hat, ist dies rechtlich
nicht zu beanstanden.
18 1. Die Beklagte war zur endgültigen Festsetzung aufgrund der in dem
vorangegangenen Bewilligungsbescheid enthaltenen Vorläufigkeitsklausel gemäß
§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III ohne Beachtung der
Vertrauensschutzregelungen der §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB
X) befugt. Der vorausgegangene Bescheid, der durch die endgültige
Leistungsfestsetzung aufgehoben beziehungsweise gegenstandslos wurde,
enthielt eine hinreichend bestimmte Vorläufigkeitsklausel, wonach die
Leistungsfestsetzung hinsichtlich des noch zu ermittelnden Einkommens aus
selbstständiger Tätigkeit vorläufig sei. Die Erstattungsforderung ergibt sich aus §
40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III. Eine vorherige Anhörung war
gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) entbehrlich.
19 2. Der Kläger hatte im streitigen Bewilligungszeitraum einen Anspruch auf
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur in derjenigen Höhe, wie von
dem beklagten JC im endgültigen Bewilligungsbescheid vom 29.10.2014
festgesetzt. Der Kläger konnte mit seinem Einkommen aus selbständiger Tätigkeit
seinen Bedarf zumindest teilweise decken.
20 Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts Personen, die (1) das 15. Lebensjahr vollendet und die
Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, (2) erwerbsfähig sind, (3)
hilfebedürftig sind und (4) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Hilfebedürftig ist gemäß
§ 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus
dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von
Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
21 Der Bedarf des Klägers betrug in der Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014
inklusive der Kosten der Unterkunft unstreitig 834,80 EUR. Diesen Bedarf konnte
der Kläger zumindest teilweise durch das Einkommen aus seiner selbständigen
Tätigkeit decken.
22 Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs. 1 SGB II alle Einnahmen
in Geld oder Geldeswert.
23 Gemäß § 3 Abs. 1 AlgII-V ist bei der Berechnung des Einkommens aus
selbständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen
sind alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft
erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Wird eine
Erwerbstätigkeit nach Satz 1 nur während eines Teils des Bewilligungszeitraums
ausgeübt, ist das Einkommen nur für diesen Zeitraum zu berechnen. Zur
Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im
Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit
Ausnahme der nach § 11 b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf
steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (§ 3 Abs. 2 Alg II-V). Tatsächliche
Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise
vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des
Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen.
Nachgewiesene Einnahmen können bei der Berechnung angemessen erhöht
werden, wenn anzunehmen ist, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen
offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen entspricht. Ausgaben können bei
der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu
den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht (§ 3 Abs. 3 Alg II-
V). Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei
der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl
der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Im Fall des Absatzes 1 Satz 3 gilt als
monatliches Einkommen derjenige Teil des Einkommens, der der Anzahl der in
den in Absatz 1 Satz 3 genannten Zeitraum fallenden Monate entspricht. Von dem
Einkommen sind die Beträge nach § 11b SGB II abzusetzen (§ 3 Abs. 4 Alg II-V).
24 Laut der vom Kläger am 25.10.2014 erstellten abschließenden Erklärung zum
Einkommen aus selbständiger Tätigkeit betrugen die Betriebseinnahmen in der
Zeit vom 01.04.2014 bis zum 30.09.2014 6.344,74 EUR. Die Betriebsausgaben
betrugen demgegenüber 2.326,48 EUR. Mithin verblieb ein Gewinn in Höhe von
4.018,26 EUR, der verteilt auf sechs Monate in jedem Monat mit einem Betrag in
Höhe von 669,71 EUR zu berücksichtigen ist. Dieses so ermittelte Einkommen ist
um die Freibeträge nach § 11b SGB II und um die Versicherungspauschale gemäß
§ 6 Abs. 1 Alg II-V zu mindern, sodass ein monatlich anrechenbares Einkommen
von 455,85 EUR verbleibt.
25 Entgegen der Auffassung des Klägers ist als betriebliche Einnahme auch die
vereinnahmte Umsatzsteuer zu berücksichtigen, auch wenn diese rein
steuerrechtlich betrachtet ein durchlaufender Posten ist. Auch wenn diese an das
Finanzamt abgegeben werden muss, kann sie auch nicht als betriebliche Ausgabe
von den Einnahmen abgesetzt werden. Das Bundessozialgericht hat in seiner
Entscheidung vom 22.08.2013 - B 14 AS 1/13 R hierzu ausgeführt, nur im
Bewilligungszeitraum tatsächlich erfolgte Umsatzsteuerzahlungen können vom
Einkommen Selbständiger abgesetzt werden. […] Auch wenn im Zeitpunkt des
Zuflusses der zu versteuernden Einnahme die Steuerpflicht bereits absehbar ist,
entsteht die Pflicht zur Zahlung und also die maßgebliche Belastung erst mit der
vollständigen Verwirklichung des Steuertatbestandes. Für die Bewertung, ob
Beträge, die von Unternehmern als Umsatzsteuer ausgewiesen und vereinnahmt
worden sind, als Einkommen Selbständiger zu berücksichtigen sind, kommt es
deshalb entscheidend darauf an, wann die Steuer tatsächlich entsteht. Der
Steueranspruch der Finanzverwaltung, auf den Zahlungen zu leisten sind, entsteht
aber nicht mit der Vereinnahmung des Zuflusses, sondern nach § 13 Abs 1 Nr 1
Buchst a und b Umsatzsteuergesetz (UStG) erst mit Ablauf des
Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistung erbracht bzw das Entgelt
vereinnahmt wird (vgl BFH Urteil vom 29.1.2009 - V R 64/07 - BFHE 224, 24, RdNr
16). Damit ist der entsprechende Zufluss (also die Vereinnahmung des Entgelts iS
des UStG) auch nicht von vornherein nach dem SGB II privilegiert, sondern gehört
(als Bruttoeinnahme vor Steuer) zum Einkommen.
26 Der Kläger hat in seiner abschließenden Erklärung über sein Einkommen aus
selbständiger Tätigkeit angegeben, im August 2014 Umsatzsteuer in Höhe von
688,48 EUR und im September 2014 in Höhe von 324,55 EUR eingenommen zu
haben. Demgegenüber erfolgte im gleichen Zeitraum keine Zahlung an das
Finanzamt. Deswegen sind die eingenommenen Umsatzsteuern als Einnahmen
zu qualifizieren, ohne dass eine Berücksichtigung als betriebliche Ausgabe in
Betracht kommt.
27 Als betriebliche Ausgabe kann auch nicht die Einkommenssteuernachzahlung aus
dem Jahre 2012 in Höhe von 2.646,51 EUR berücksichtigt werden. Es handelt sich
hierbei nicht um eine betriebsbezogene, sondern um eine personenbezogene
Ausgabe. Eine Einkommenssteuerpflicht besteht gemäß § 1 Abs. 1
Einkommenssteuergesetz (EStG) für alle natürlichen Personen, unabhängig
davon, ob das Einkommen aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus
nichtselbständiger Arbeit herrührt (§ 2 Abs. 1 EStG).
28 Im Übrigen sind offene Schulden nicht vom Einkommen abzusetzen, denn das
Einkommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzen (vgl.
BSG vom 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R). Aus der Subsidiarität der staatlichen
Fürsorge folgt, dass diese erst dann eingreifen soll, wenn der Hilfebedürftige ihm
zur Verfügung stehende Mittel verbraucht hat (vgl. BSG vom 15.04.2008 - B 14 AS
27/07 R).
29 Nach alldem konnte die Klage keinen Erfolg haben.
30 II. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 193 SGG.