Urteil des SozG Karlsruhe vom 29.01.2016

höchstdauer, eingliederung, bemessungsgrundlage, ermessen

SG Karlsruhe Urteil vom 29.1.2016, S 11 AL 3716/15
Arbeitsförderung - Eingliederungszuschuss - Verlängerung des
Bewilligungszeitraums
Leitsätze
Die Verlängerung des ursprünglichen Bewilligungszeitraums eines
Eingliederungszuschusses ist zwar gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen, nach
dem Sinn und Zweck des Eingliederungszuschusses - der Förderung der
nachhaltigen Integration der bzw. des Arbeitslosen - jedoch bis zur sich aus § 89
Sätze 2 und 3 SGB III ergebenden gesetzlichen Höchstdauer möglich.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 08.10.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 28.10.2015 verpflichtet, den Antrag des Klägers vom
13.07.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
verbescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte seiner außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Verlängerung
des Zeitraums der Gewährung eines Eingliederungszuschusses nach dem
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) im Streit.
2 Der Kläger (Kl.) ist selbständiger Rechtsanwalt. Die Beklagte (Bekl.) bewilligte ihm
wegen der Einstellung der am ... geborenen Frau K. als
Rechtsanwaltsfachangestellte in Teilzeit (30 Std./Woche) zum 01.02.2015 durch
Bescheid vom 27.03.2015 einen Eingliederungszuschuss für den Zeitraum vom
01.02.2015 bis zum 31.05.2015 i. H. v. monatlich 864,00 EUR (40 v. H. der
Bemessungsgrundlage i. H. v. monatlich 2.160,00 EUR). Als Gründe für die
Notwendigkeit der Bewilligung eines Eingliederungszuschusses hatte der Kl. die
fehlenden Kenntnisse der Frau K. in den von ihm genutzten Fachanwendungen
sowie im Rechtsanwaltsvergütungs- und Zwangsvollstreckungsrecht benannt.
3 Am 13.07.2015 beantragte der Kl. die Verlängerung des
Eingliederungszuschusses wegen der erschwerten Einarbeitung der Frau K. Auch
zwischenzeitlich bestünden bei Frau K. noch erhebliche Defizite, wegen denen sie
nur ca. 50 v. H. der von ihr geforderten Arbeitsleistung erbringen könne. Durch
Bescheid vom 08.10.2015 lehnte die Bekl. eine Verlängerung des Zeitraums der
Bewilligung des Eingliederungszuschusses ab. Über die Bewilligung des
Eingliederungszuschusses habe sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu
entscheiden. Ein Rechtsanspruch auf die Bewilligung habe der Kl. demnach nicht.
Die von ihm für die Verlängerung der Bewilligungsdauer genannten Erwägungen
seien nicht ausreichend. Sie seien der regulären betrieblichen Einarbeitung
zuzurechnen. Eine weitere Förderung sei insofern nicht möglich.
4 Wegen der Ablehnung der Weiterbewilligung des Eingliederungszuschusses
erhob der Kl. am 23.10.2015 unter Hinweis auf sein bisheriges Vorbringen
Widerspruch. Durch Widerspruchsbescheid vom 28.10.2015 wies die Bekl. den
Widerspruch als unbegründet zurück. Der Bescheid vom 08.10.2015 entspreche
den gesetzlichen Bestimmungen.
5 Mit der am 16.11.2015 zum Sozialgericht Karlsruhe erhobenen Klage verfolgt der
Kl. sein Begehren weiter. Zur Klagebegründung bekräftigt er sein bisheriges
Vorbringen im Verwaltungsverfahren.
6 Der Kl. beantragt,
7
die Bekl. unter Aufhebung des Bescheids vom 08.10.2015 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 28.10.2015 zu verpflichten, den wegen der
Einstellung von Frau K. für den Zeitraum vom 01.02.2015 bis zum 31.05.2015
gewährten Eingliederungszuschuss i. H. v. monatlich 864,00 EUR auch für den
Zeitraum vom 01.06.2015 bis zum 30.09.2015 in gleichbleibender Höhe zu
bewilligen.
8 Die Bekl. beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Gesetzlich sei eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Verlängerung des
Bewilligungszeitraums des Eingliederungszuschusses nicht vorgesehen. Die
erschwerte Einarbeitung der Frau K. sei dem Kl. bereits zu Beginn des
Arbeitsverhältnisses bekannt gewesen.
11 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Verwaltungsakte der Bekl. sowie
den der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Die zulässige Klage ist insofern begründet, als die Bekl. zur Neuverbescheidung
des Antrags des Kl. vom 13.07.2015 unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts zu verpflichten war (§ 131 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
13 1. Gemäß § 88 SGB III können Arbeitgeber zur Eingliederung von
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Vermittlung wegen in ihrer Person
liegender Gründe erschwert ist, einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt zum Ausgleich
einer Minderleistung erhalten. Die Förderhöhe und die Förderdauer richten sich
gemäß § 89 Satz 1 SGB III nach dem Umfang der Einschränkung der
Arbeitsleistung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers und nach den
Anforderungen des jeweiligen Arbeitsplatzes (Minderleistung). Der
Eingliederungszuschuss kann gemäß § 89 Satz 2 SGB III bis zu 50 Prozent des
zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts und die Förderdauer bis zu zwölf Monate
betragen.
14 Eine Verlängerung der Bewilligung des Eingliederungszuschusses ist zwar
gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen, sie ist jedoch möglich (vgl.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.11.2007, L 6 AL 1317/05,
Rn. 27 - nach juris). Gemäß § 88 SGB III wird der Eingliederungszuschuss zur
Eingliederung in den Arbeitsmarkt gewährt. Dieser Zweck erschöpft sich nicht
alleine in der Förderung der Aufnahme einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung, sondern auch in deren Festigung. Mithin ist auch eine
Verlängerung der Bewilligung des Eingliederungszuschusses bis zu der sich aus §
89 Satz 1 SGB III ergebenden Höchstdauer möglich, um ein bereits bestehendes
Beschäftigungsverhältnis aufrecht zu erhalten. Somit um einer Kündigung alleine
wegen der erschwerten Einarbeitung derjenigen Arbeitnehmerin oder desjenigen
Arbeitnehmers, deren oder dessen Einstellung zunächst durch die Bewilligung des
Eingliederungszuschusses gefördert worden ist, entgegenzuwirken. Die
Notwendigkeit der Möglichkeit einer Verlängerung der Förderungsdauer des
Eingliederungszuschusses ergibt sich auch aus folgender Überlegung: Bei der
erstmaligen Bewilligung des Eingliederungszuschusses hat die Bekl. bezüglich der
Förderungsdauer eine Prognoseentscheidung zu treffen. Um der Gefahr der sich
nachträglich ergebenden Unrichtigkeit dieser Prognoseentscheidung
entgegenzuwirken, wäre der Antragsteller, der Arbeitgeber, wenn eine
Verlängerung der Förderungsdauer nicht möglich wäre, grundsätzlich gezwungen,
gegen jede erstmalige Förderung, welche nicht für die Höchstdauer der Förderung
bewilligt wird, Widerspruch zu erheben. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der
Prognoseentscheidung wäre dann zumindest der Zeitpunkt des
Widerspruchsbescheids maßgeblich. Es ist jedoch verfahrens- und
prozessunökonomisch, den Antragsteller immer die Last der Durchführung eines
Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen.
15 Die Bekl. hat nach den gesetzlichen Vorgaben ein Entschließungsermessen
bezüglich des „Ob“ der Leistungsbewilligung und ein Auswahlermessen
hinsichtlich des „Wie“ der Leistungserbringung (Kuhnke in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB III, 1. Aufl. 2014, Stand: 01.12.2013, § 88 SGB III, Rn. 41 - nach juris).
Die Ablehnung der weiteren Förderung der Beschäftigung der Frau K. durch die
Weitergewährung des Eingliederungszuschusses ist ermessensfehlerhaft. Die
Bekl. hat das ihr zustehende Ermessen nicht gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1
Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) entsprechend dem Zweck der
Ermächtigung ausgeübt und nicht die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
eingehalten. Auf die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens hat der Kl. jedoch
gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I einen Anspruch.
16 Die Ausführungen der Bekl. sind insofern ermessensfehlerhaft, als die fehlerhafte
Tatsachengrundlage für die Ablehnung der weiteren Förderung der Frau K. die
Annahme war, nach Ablauf der zunächst bewilligten Förderungsdauer sei zu ihrer
Integration lediglich eine regulären Einarbeitung erforderlich. Frau K. verfügt zwar
über eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten, sie hat aber in den
letzten Jahren in diesem Beruf nicht mehr gearbeitet. Nach den - von der Bekl.
nicht bestrittenen - Angaben des Kl. hat sie keine Kenntnisse im Recht der
Vergütung der Rechtsanwälte und im Recht der Zwangsvollstreckung. Auch ist sie
mit den von dem Kl. verwendeten Fachanwendungen nicht vertraut. Die
Einarbeitung der Frau K. geht demnach zur Überzeugung des Gerichts - entgegen
den Ausführungen der Bekl. - über das normale Maß der Einarbeitung einer neuen
Arbeitnehmerin hinaus. Insbesondere deshalb, weil Frau K. in nicht unerheblichem
Maße Fachkenntnisse vermittelt werden müssen, über welche üblicherweise eine
Rechtsanwaltsfachangestellte verfügt.
17 Aus den vorgenannten Gründen war die Bekl. zur erneuten Verbescheidung des
Antrags des Kl. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu
verpflichten.
18 Eine Ermessensreduzierung auf Null, bei deren Vorliegen die Bekl. zur
Leistungserbringung zu verurteilen wäre (Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 2. Aufl. 2011, Stand: 01.10.2011, § 39 SGB I, Rn. 30), liegt hingegen nicht
vor. Alleine die Weitergewährung des Eingliederungszuschusses für die Dauer von
weiteren vier Monaten in gleichbleibender Höhe ist nicht das einzige
ermessensgerechte Ergebnis. Es könnte durchaus auch ermessensfehlerfrei eine
Weiterbewilligung des Eingliederungszuschusses für einen kürzeren Zeitraum
und/oder in einer geringeren Höhe sein. Der Kl. selbst hat während des
Verwaltungsverfahrens auf die Möglichkeit einer zweimonatige Verlängerung i. H.
v. lediglich 30 v. H. der Bemessungsgrundlage hingewiesen (Schreiben des Kl.
vom 05.08.2015, Bl. 24 d. Verw.-Akte).
19 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise
Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.