Urteil des SozG Karlsruhe vom 26.04.2016

gonarthrose, klinik, arbeitsunfall, rechtskräftiges urteil

SG Karlsruhe Urteil vom 26.4.2016, S 1 U 2600/15
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit - Gonarthrose - sekundäre
Gonarthrose - ursächlicher Zusammenhang - Meniskektomie als
Konkurrenzursache
Leitsätze
Die Feststellung einer Kniegelenksarthose als Berufskrankheit der Nr. 2112 der Anl. 1
zur BKV kommt ungeachtet der arbeitstechnischen Voraussetzungen nur bei einer
primären Gonarthrose in Betracht.
Eine außerberuflich bedingte Entfernung des Innenmeniskus steht als
Konkurrenzursache der Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen
beruflichen Einwirkungen durch Arbeiten im Knien oder vergleichbaren
Kniebelastungen und einer Gonarthrose auch bei Erfüllung der beruflichen
Voraussetzungen entgegen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob Gesundheitsstörungen am rechten
Kniegelenk als Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 2112 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) festzustellen sind.
2 Der 1955 geborene Kläger war von 1977 bis 1987 als Maschinenführer in einer
Textilfabrik beschäftigt. Von 1991 bis 1994 arbeitete er bei der (inzwischen
aufgelösten) Firma K., O.-R., als Gerüstbauer, Gipser und Stuckateur.
Anschließend war er elf Monate lang Verkäufer in einem Döner-Laden. Danach
kaufte er das Geschäft dem damaligen Besitzer ab und führte es bis 1997
selbständig weiter. Ab 1998 arbeitete der Kläger über eine Leiharbeitsfirma
zunächst ein Jahr lang als Elektrohelfer. Seit Oktober 2000 ist er bei der Firma Kr.
GmbH, B., beschäftigt, bis zu einem Arbeitsunfall am 07.03.2011 als Bauhelfer
(Bau-/Tiefbauarbeiter) und seit April 2013 als Lagerarbeiter. Eigenen Angaben
zufolge war der Kläger während seiner Beschäftigungen bei den Firmen K. und Kr.
Belastungen durch Arbeiten im Knien, Hocken und Kriechen ausgesetzt. Diese
Arbeiten habe er zwischen einer und drei Stunden je Arbeitsschicht verrichtet.
3 Wegen einer degenerativen Innenmeniskopathie rechts mit Längsriss an der
Gelenkkapsel im Bereich des Innenbandes und eines Knorpelschadens des
medialen Kondylus und der Hauptbelastungszone sowie einer medial betonten
Gonarthrose rechts unterzog sich der Kläger am 24.04.1992 im Kreiskrankenhaus
Sch. einer Innenmeniskektomie und Knorpelglättung (vgl. Entlassungsbericht vom
14.08.1992 und Operationsbericht vom 24.04.1992). Bei der
Aufnahmeuntersuchung zu diesem stationären Aufenthalt gab der Kläger
anamnestisch unter anderem an, er leide seit Kindesalter an Schmerzen im
rechten Kniegelenk. Intraoperativ ergaben sich Zeichen von Degeneration am
rechten Innenmeniskus, außerdem ein rund ein Zentimeter langer Riss im Verlauf
des Meniskus an der Gelenkkapsel. Der Meniskus ließ sich im Vorderhornbereich
bis ins Gelenk hineinziehen. Am medialen Kondylus bestand ein Knorpelschaden
mit Vertiefung in der Hauptbelastungszone. Im Zentrum des Schadens war der
Knorpel vollständig abgelöst.
4 Am 07.03.2011 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall mit Verletzungen des rechten
Fußes und Kniegelenks. Am 17.05.2011 unterzog er sich in der
Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik L. (BG-Klinik) der Implantation einer
zementierten Knietotalendoprothese rechts (vgl. Entlassungsbericht vom
07.06.2011). Intraoperativ zeigten sich dorsale Osteophyten an den
Femurcondylen (vgl. Operationsbericht des Dr. A. vom 17.05.2011). Gestützt auf
ein Gutachten des Orthopäden Dr. R. anerkannte die Beklagte das Unfallereignis
als Arbeitsunfall und als dessen Folge:
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„Rechts: Verrenkung des Kniegelenks mit Zerrung des Kapselbandapparates“.
6 Keine Unfallfolgen seien eine Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks
nach Knieendoprothese, eine Osteomyelitis (Knocheneiterung) am Oberschenkel,
ein Kniescheibentiefstand und Narben am Bein sowie Verschleißerscheinungen
am linken Kniegelenk und eine Handverletzung links mit Beuge- und Streckdefizit
des Mittelfingers. Der Kläger habe wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom März
2011 keinen Anspruch auf Verletztenrente (Bescheid vom 10.12.2013,
Widerspruchsbescheid vom 07.11.2014). Die auf die Feststellung von
„Meniskusriss am rechten Kniegelenk“ als weitere Folge dieses Arbeitsunfalls und
unter anderem auf die Gewährung von Verletztenrente gerichtete Klage wies das
erkennende Gericht durch - rechtskräftiges - Urteil vom 16.10.2015 (S 1 U
4106/14) ab.
7 Zusammen mit der Begründung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom
10.12.2013 beantragte der Kläger die Feststellung von Gesundheitsstörungen am
rechten Kniegelenk als Folge einer BK der Nr. 2112. Hierzu trug er unter anderem
vor, die langjährige Tätigkeit als Gipser und Stuckateur habe zu einer besonderen
Meniskusbelastung geführt. Im Rahmen dieser Erkrankung sei es nachfolgend zu
einer Kniegelenksarthrose rechts gekommen, die Ursache für den späteren
Kniegelenksersatz gewesen sei. Ohne den Arbeitsunfall vom März 2011 wäre eine
Implantation eines künstlichen Kniegelenks nicht erfolgt. Nach weiterer
Sachaufklärung (u. a. Beizug des Entlassungsberichts der BG-Klinik vom
07.06.2011
Osteomyelitis des distalen Femur in der Kindheit>, Arztbrief derselben Klinik vom
14.12.2011
und des Gutachtens des Dr. R. vom 02.10.2013, beratungsärztliche
Stellungnahme des Orthopäden T.) lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK
der Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, der Kläger leide nach
dem Gutachten des Dr. R. an einer Kniegelenksarthrose rechts als Folge einer
Knochenentzündung während der Kindheit. Die Kniegelenksarthrose sei deshalb
nicht primär durch eine berufliche kniende Tätigkeit, sondern sekundär als Folge
der Knochenentzündung entstanden. Damit entspreche die Gesundheitsstörung
keinem Schadensbild im Sinne der BK-Nr. 2112 (Bescheid vom 18.11.2014).
8 Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im
Wesentlichen vor, er sei ab 1997 kniebelastenden (knienden) Tätigkeiten im
Tiefbau ausgesetzt gewesen. Diese habe er je Arbeitsschicht zwischen vier und
sieben Stunden ausgeführt. Damit seien die formellen Voraussetzungen für die
Feststellung einer Gonarthrose rechts als Folge einer BK der Nr. 2112 erfüllt.
Entgegen der Beklagten habe Dr. R. die Gonarthrose nicht auf eine in der Kindheit
erlittenen Osteomyelitis zurückgeführt. Ein ursächlicher Zusammenhang mit dieser
Erkrankung scheide bereits unter medizinischen Gesichtspunkten aus, weil die
Osteomyelitis einen kleinen Bereich im Oberschenkelschaft betroffen habe. Der
Kniegelenksbereich sei hiervon indes nicht berührt gewesen. Vielmehr habe die
jahrzehntelange berufliche Belastung seines rechten Kniegelenks zu einer
schwergradigen Schädigung der Kniegelenksfläche und der Gelenkknorpel
geführt. Nach Beizug weiterer Behandlungsunterlagen der BG-Klinik wies die
Beklagte den Widerspruch zurück: Aufgrund der Vorerkrankungen des rechten
Kniegelenks des Klägers (Knochenentzündung am rechten Bein und
Meniskektomie rechts 1992) handele es sich bei der Gonarthrose nicht um eine -
wie erforderlich - primäre Erkrankung. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang
mit kniebelastenden Tätigkeiten spreche überdies die unterschiedliche
Ausprägung der Gonarthrosen an beiden Kniegelenken. So habe Dr. R. am linken
Kniegelenk nur leichtgradige abnutzungsbedingte Verschleißveränderungen
objektiviert. Demgegenüber sei aufgrund einer fortgeschrittenen sekundären
Gonarthrose die Operation mit einem künstlichen Kniegelenk erforderlich gewesen
(Widerspruchsbescheid vom 10.07.2015, den Prozessbevollmächtigten des
Klägers am 15.07.2015 zugegangen).
9 Deswegen hat der Kläger am 17.08.2015, einem Montag, Klage zum Sozialgericht
Karlsruhe erhoben. Zu deren Begründung trägt er neben der Wiederholung seines
Widerspruchsvorbringens im Wesentlichen vor, die unterschiedliche Ausprägung
der Gonarthrose an beiden Kniegelenken stehe der Feststellung seiner
Gesundheitsstörung auf der rechten Seite als Folge der streitigen BK nicht
entgegen. Überdies habe er ausschließlich unter vollem Belastungseinsatz des
rechten Kniegelenks gearbeitet. Dies erkläre die unterschiedlichen
Belastungszeichen. Weiter seien auch die Ärzte der BG-Klinik im Arztbrief vom
14.12.2011 von einer primären Gonarthrose rechts ausgegangen. Dr. R. habe sich
in seinem Gutachten zum ursächlichen Zusammenhang der Gonarthrose rechts
mit beruflichen Belastungen durch Arbeiten im Knien nicht geäußert.
10 Der Kläger beantragt,
11 den Bescheid vom 18. November 2014 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 10. Juli 2015 aufzuheben und eine
„Endoprothetische Versorgung des rechten Kniegelenks mit Beugebehinderung
und belastungsabhängiger Schmerz- und Reizsymptomatik“ als Folge einer
Berufskrankheit der Nr. 2112 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung
festzustellen.
12 Die Beklagte beantragt,
13 die Klage abzuweisen.
14 Unter Vorlage des Operationsberichts des Kreiskrankenhauses Sch. vom
24.04.1992 und des Entlassungsberichts derselben Klinik vom 14.08.1992, ferner
einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Orthopäden T. erachtet sie die
angefochtenen Bescheide für zutreffend.
15 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten, den der
Prozessakte zum Verfahren S 1 U 2600/15 sowie das Urteil des erkennenden
Gerichts vom 16.10.2015 im Verfahren S 1 U 4106/14 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
16 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1
Satz 1 in Verbindung mit § 55 Abs. 1 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes )
zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger
hat keinen Anspruch auf Feststellung von Gesundheitsstörungen am rechten
Kniegelenk als Folge einer BK der Nr. 2112. Denn es ist nicht hinreichend
wahrscheinlich, dass diese Gesundheitsstörungen beruflich bedingt sind.
17
1.
Leiden Versicherte am 01.07.2009 an einer Krankheit nach der Nr. 2112 der
Anlage 1 zur BKV, ist diese gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 BKV auf Antrag als BK
anzuerkennen, wenn der Versicherungsfall nach dem 30.09.2002 eingetreten ist.
18 Ein Anspruch auf Anerkennung einer BK nach der Nr. 2112 der Anlage 1 zur BKV
besteht nicht. BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs -
Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung
durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet
und die Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in
der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den
Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen
verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind
(§ 9 Abs. 1 Satz 2, erster Halbsatz SGB VII). Aufgrund dieser Ermächtigung hat die
Bundesregierung die BKV vom 31.10.1997 (BGBl. I Seite 2623) erlassen, in der die
derzeit als BKen anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. In der Anlage 1 zur
BKV ist die Gonarthrose als BK Nr. 2112 enthalten.
19 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) ist für die
Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich
versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von
Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat
(Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die
Krankheit durch die Einwirkungen verursacht sein (haftungsbegründende
Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die BK nicht anzuerkennen (vgl.
BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5, Rdnr. 17 und BSG vom 23.04.2015 - B 2
U 10/14 R -, Rdnr. 11 ). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den
Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität),
ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.
20 Nach ständiger Rechtsprechung (st. Rspr.) müssen wie bei einem Arbeitsunfall
auch bei einer BK die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu denen neben der
versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und
die als BK-Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung gehören, erwiesen sein
(vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und 60, 58 ff. sowie BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr.
2108 Nr. 2 m.w.N.); d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des
Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als
erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG SozR 2200 § 555a Nr. 1). Dem
gegenüber reicht für den nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu
beurteilenden ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der
Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht
aber die bloße Möglichkeit aus (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2109 Nr. 1, Rdnr.
12; BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4, Rdnr. 16 m.w.N.; BSG SozR 4-2700 §
9 Nr. 14, Rdnr. 9 m.w.N. sowie zuletzt BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R -,
Rdnr. 11; - B 2 U 20/14 R -, Rdnr. 10 und - B 2 U 6/13 R -, Rdnr. 10 ).
Die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach
sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls nach der
herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn
spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründe
zumindest deutlich überwiegen (st. Rspr.; vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG SozR 4-
2700 § 8 Nr. 17 und a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11
R - ). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so
sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer
besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen
haben (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht
nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich
gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren
geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus
diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen
also zu Lasten des jeweiligen Klägers (st. Rspr. seit BSGE 6, 70, 72; vgl. u.a. BSG
SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).
21
2.
Hier sind die Voraussetzungen für die Feststellung einer BK-Nr. 2112 nicht
erfüllt.
22 Offenbleiben kann, ob der Kläger am 07.03.2011, dem Zeitpunkt seines
Arbeitsunfalls, oder im Mai 2011, als ihm die Knie-TEP eingesetzt worden ist, die
arbeitstechnischen Voraussetzungen der streitigen BK (kumulative Einwirkung von
mindestens 13.000 Stunden Tätigkeiten im Knien oder vergleichbare
Kniebelastung und Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde je
Arbeitsschicht) erfüllte. Denn aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist
die berufliche Verursachung von Gesundheitsstörungen am rechten Kniegelenk
aus medizinischen Gründen zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 Satz 1
SGG) nicht hinreichend wahrscheinlich.
23 Zwar litt der Kläger nach der im April 1992 vorgenommenen Entfernung des
Innenmeniskus am rechten Kniegelenk mit Knorpelglättung des Femurkondylus an
einer medial betonten Gonarthrose mit hochgradigem Knorpelschaden im
medialen Gelenkabschnitt Stadium III bis IV, einem degenerativen Knorpelschaden
retropatellar an der medialen Facette Stadium III und im entsprechenden Abschnitt
des femoralen Gleitlagers, ebenfalls Stadium III sowie an ausgeprägten
knöchernen Randanbauten an den Gelenkenden und einer deutlichen
Verknöcherung im Ansatz des hinteren Kreuzbandes an der Tibia, wie sich aus
dem im Verfahren S 1 U 4106/14 beigezogenen Arztbrief der Radiologin Dr. P. vom
28.03.2011 ergibt. Wegen dieser Gesundheitsstörung erfolgte am 17.05.2011 in
der BG-Klinik die Implantation eines bikondylären Oberflächenersatzes am rechten
Knie.
24 Diese Gesundheitsstörungen sowie die nachfolgend von Dr. R. diagnostizierte
Bewegungseinschränkung sowie belastungsabhängige Schmerz- und
Reizsymptomatik am rechten Kniegelenk sind indes nicht mit Wahrscheinlichkeit
ursächlich auf berufliche Belastungen durch Arbeiten im Knien oder vergleichbar
kniebelastende Tätigkeiten zurückzuführen, denen der Kläger als Bauhelfer bei der
Firma Kr. GmbH und/oder als Gerüstbauer, Gipser und Stuckateur bei der Firma K.
ausgesetzt gewesen ist. Dies steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund
der Entlassungs- und Operationsberichte des Kreiskrankenhauses Schwetzingen
vom April und August 1992 und des Gutachtens von Dr. R. - diese Unterlagen
verwertet die Kammer im Wege des Urkundenbeweises -, der zutreffenden
Stellungnahme des Beratungsarztes T., die das Gericht als qualifiziertes
Beteiligtenvorbringen verwertet, und des Entlassungsberichts der BG-Klinik vom
07.06.2011 sowie der Operations- und Arztberichte derselben Klinik vom
17.05.2011 und vom 28.01.2013.
25 Nach Abschnitt III des Merkblatts zur BK 2112, herausgegeben vom
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vgl. GMBl.5/6/2010, Seite 98 ff), ist die
Arthrose des Kniegelenks (Gonarthrose) gekennzeichnet durch Knorpelabbau,
subchondralen Knochenumbau mit Sklerose, subchondrale Knochenzysten,
Osteophytenbildung im Bereich der beteiligten Knochen,
Bewegungseinschränkungen im Rahmen der Beugung und Streckung des
Kniegelenkes sowie Schmerzen im Kniegelenk. Entsprechende radiologisch
nachgewiesene Veränderungen lagen auch bei dem Kläger vor, wie sich aufgrund
des Arztbriefs von Dr. P. vom 28.03.2001 ergibt. Allerdings litt der Kläger bereits im
April 1992 an einem Knorpelabbau des medialen Condylus mit Vertiefung in der
Hauptbelastungszone mit vollständiger Ablösung des Knorpels im Zentrum des
Schadens, weshalb die Klinikärzte bereits damals eine medial betonte
Gonarthrose rechts als Gesundheitsstörung diagnostiziert hatten. Dies steht fest
aufgrund des Operationsberichts des Kreiskrankenhauses Sch. vom 24.04.1992.
Mit Dr. P. und den Ärzten der BG-Klinik ist die Erkrankung des rechten Kniegelenks
mit der im Mai objektivierten Notwendigkeit einer Knie-TEP deshalb keine - wie
erforderlich - primäre Gonarthrose im Sinne der BK 2112, sondern sekundär in
Folge der bereits 1992 vorgenommenen Entfernung des Innenmeniskus am
rechten Kniegelenk entstanden. Dies ergibt sich mittelbar auch aus dem Gutachten
des Dr. R. zum Arbeitsunfall des Klägers vom 07.03.2011, wenn dieser als
Gesundheitsstörung unter anderem eine „Knieendoprothetische Versorgung bei
Pangonarthrose
nach
Meniskektomie medialseitig 1992….“ diagnostiziert hatte.
Ein Zustand nach Meniskektomie mit Entfernung des Meniskus stellt nach den
Erkenntnissen der herrschenden medizinischen Wissenschaft, der die Kammer
folgt, eine gesicherte Konkurrenzursache für die Entwicklung einer Gonarthrose
dar (vgl. Abschnitt IV des Merkblatts zur BK-Nr. 2112 sowie Nr. 7 der
wissenschaftlichen Begründung für die BK 2112, abgedruckt im BArBl. Heft
10/2005, Seite 46, 52). Wegen des stark erhöhten Gonarthroserisikos nach
außerberuflich bedingter Entfernung des Meniskus scheidet bei diesem
konkurrierenden Faktor auch bei gegebenen beruflichen Voraussetzungen
mangels medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse für ein multiplikatives
Zusammenwirken in Bezug auf die Entwicklung einer Gonarthrose eine
Anerkennung als BK aus (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und
BK, 8. Aufl. 2010, Seite 650). Zutreffend sind deshalb die Ärzte der BG-Klinik im
Entlassungsbericht vom 07.06.2011 sowie in ihrem Arztbrief vom 28.01.2013 von
einer sekundären Gonarthrose des Klägers ausgegangen. Soweit im Arztbrief
derselben Klinik vom 14.12.2011 die Assistenzärztin H. eine „primäre Gonarthrose“
als Gesundheitsstörung diagnostiziert hatte, beruhte diese Diagnose ersichtlich
allein auf den anamnestischen Angaben des Klägers und in Unkenntnis dessen
medizinischer Vorgeschichte. Die von der Ärztin H. verzeichnete Diagnose einer
primären Gonarthrose überzeugt die Kammer daher nicht.
26 Bestätigt sieht sich das Gericht insoweit auch durch die anamnestischen Angaben
des Klägers gegenüber den Ärzten des Kreiskrankenhauses Sch. bei der
Aufnahmeuntersuchung im April 1992, denen zufolge er bereits „seit Kindesalter“
an „Schmerzen im rechten Kniegelenk“ leide. Mit dem Beratungsarzt T. ist deshalb
das Gericht der Überzeugung, dass bereits die 1992 durchgeführte komplette
Innenmeniskusentfernung rechts zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung des
Knorpels der inneren Gelenkkammer führte und den nachfolgend weiter
zunehmenden Gelenkverschleiß hinreichend plausibel zu erklären vermag. Auch
der 1992 nachgewiesene Knorpelschaden an der innenseitigen Oberschenkelrolle
hat nach den zutreffenden Darlegungen des Beratungsarztes T. für sich
genommen einen schicksalhaften Verlauf genommen und den hieraus
resultierenden Gesamtschaden ebenfalls bewirkt. Damit widerspricht der bereits
1992 dokumentierte Knorpelschaden wie auch die erfolgte komplette
Innenmeniskektomie der Diagnose einer primären Gonarthrose.
27 Schließlich ist das Vorbringen des Klägers auch in sich widersprüchlich. Denn im
Verfahren S 1 U 4106/14 hatte er die TEP des rechten Kniegelenks allein auf den
Arbeitsunfall vom 07.03.2011 bzw. die dabei erlittenen Gesundheitsstörungen
zurückgeführt und noch auf Seite 3 der Begründung seines Widerspruchs gegen
den Bescheid der Beklagten vom 10.12.2013 ausdrücklich geltend gemacht, „dass
ohne das Unfallereignis vom 07.03.2011 keine Implantation eines künstlichen
Kniegelenks erfolgt wäre“.
28
3.
Damit ist festzustellen, dass die Gonarthrose rechts nicht durch berufliche
Einwirkungen, sondern durch eine bereits 1992 erheblich ausgeprägte
Gonarthrose im rechten Kniegelenk mit Entfernung des Innenmeniskus verursacht
worden ist (vgl. insoweit auch Mehrtens/Brandenburg, BKV, M 2112, Randziffer IV).
29
4.
Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und
musste das Begehren des Klägers erfolglos bleiben.
30 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 Abs. 1 und 4 SGG.