Urteil des SozG Karlsruhe vom 08.08.2016

berufskrankheit, unfallversicherung, kausalität, wahrscheinlichkeit

SG Karlsruhe Entscheidung vom 8.8.2016, S 1 U 1231/16
Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1303 - Harnblasentumor -
Merkblatt BK 1303 - Benzolexposition - Abgrenzung zu der BK 1301 - Tanklastwagenfahrer
Leitsätze
Ein Harnblasentumor wird von der Berufskrankheit der Nr. 1303 der Anl. 1 zur Berufskrankheitenverordnung
nicht erfasst (Anschluss an SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 - und SG Hamburg vom
07.04.2006 - S 40 U 409/04 -)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob ein Harnblasentumor als Folge einer Berufskrankheit (BK) der Nr.
1303 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) festzustellen ist.
2 Der ... geborene Kläger war zuletzt vom 21.05.1991 bis zum 30.04.2015 bei der Firma X Spedition GmbH,
K., als Tanklastwagenfahrer beschäftigt. Dabei hatte er eigenen Angaben zufolge auch Kontakt zu Benzol
und seinen Homologen. Im März 2015 diagnostizierte der Urologe Dr. B. bei dem Kläger einen
Harnblasentumor.
3 Im April 2015 erstattete der Kläger bei der Beklagten eine Verdachtsanzeige auf das Vorliegen einer BK.
Nach Einholung eines Berichts ihres Präventionsdienstes, weiterer medizinischer Sachaufklärung und
aufgrund der Stellungnahme der Gewerbeärztin E. lehnte die Beklagte die Feststellung der
Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK Nr. 130
1
der Anlage 1 zur BKV mit der Begründung ab, der
Kläger sei im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit keinen Einwirkungen gegenüber aromatischen Amine
ausgesetzt gewesen (Bescheid vom 15.09.2015, Widerspruchsbescheid vom 12.01.2016).
4 Nachdem der Kläger im Rahmen seiner Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15.09.2015
die Feststellung der Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr. 130
3
der Anlage 1 zur BKV
geltend gemacht hatte mit der Begründung, er sei während seiner langjährigen Tätigkeit als
Tanklastzugfahrer fortlaufend in erhöhtem Maße Benzoldämpfen ausgesetzt gewesen, leitete die Beklagte
ein Feststellungsverfahren auch zu dieser BK ein. Hierzu holte sie u.a. eine weitere Stellungnahme ihres
Präventionsdienstes ein. Dieser führte zusammenfassend aus, Ottokraftstoffe und in geringerem Ausmaß
auch Dieselkraftstoffe enthielten als typische Mineralölprodukte Aromate wie Benzol, Toluol, Xylol und
weitere Alkylbenzole. Insoweit lasse sich eine ausreichende Exposition mit Bezug zu einer BK Nr. 1303
grundsätzlich bestätigen. Auch sei Benzol als krebserzeugend eingestuft. Zielorgan des kanzerogenen
Angriffs sei allerdings das blutbildende bzw. lymphatische System. Die Harnblase entspreche demgegenüber
nicht der Organotropie dieser Verbindung. Benzol sei deshalb generell nicht geeignet, einen Harnblasenkrebs
zu verursachen. Die übrigen Aromate seien nicht als krebserzeugend eingestuft und kämen deshalb schon
dem Grunde nach nicht als Ursache der angezeigten Blasenkrebserkrankung in Betracht. Dem stimmte die
Gewerbeärztin E. zu (vgl. Stellungnahme vom 02.12.2015). Gestützt auf das Ermittlungsergebnis lehnte die
Beklagte die Feststellung der Harnblasenkrebserkrankung als Folge der BK Nr. 130
3
der Anlage zur BKV ab
(Bescheid vom 22.12.2015, Widerspruchsbescheid vom 24.04.2016).
5 Deswegen hat der Kläger am 13.04.2016 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, mit der sein Begehren
weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, sowohl Dr. B. als auch die ihn behandelnden
Ärzte des Klinikums Y., B., bestätigten einen ursächlichen Zusammenhang der Blasenkrebserkrankung mit
beruflichen Einwirkungen durch Benzoldämpfe. Zur Stützung seines Begehrens legt der Kläger eine
Bescheinigung des Dr. B. vor.
6 Der Kläger beantragt - teilweise sinngemäß -,
7
den Bescheid vom 22. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. März 2016
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr.
1303 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen.
8 Die Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10 Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
11 Mit Schreiben vom 29.06.2016 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, es erwäge eine Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme
eingeräumt.
12 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
vorliegenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie den der Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes ; zur Klageart vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 22, Rnr. 13 m.w.N. und LSG
Baden-Württemberg vom 17.03.2016 - L 6 U 1518/14 -, Rnr. 50 ) zulässig, aber nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2
S. 1 SGG). Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, die Harnblasenkrebserkrankung des Klägers als Folge
einer BK der Nr. 1303 der Anlage 1 zur BKV festzustellen. Hierüber konnte die Kammer gemäß § 105 Abs. 1
S. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil sie der Auffassung ist, dass die Sache keine besondere Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
14
1.
Nach § 7 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind
Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die
Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit
erleiden. Eine solche Bezeichnung hat der Verordnungsgeber mit den sogenannten Listenkrankheiten in der
Anlage 1 zur BKV vorgenommen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch
besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte
Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Diese Listenerkrankungen
umfassen u.a. nach Nr. 1303 Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol.
15 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesozialgerichts (BSG) ist für die Feststellung einer Listen-BK
erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit
(sachlicher Zusammenhang) zu
Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat
(Einwirkungskausalität) sowie, dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die
Einwirkungen verursacht sein
(haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die
BK nicht anzuerkennen (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5, Rnr. 17 und BSG vom 23.04.2015 - B
2 U 10/14 R -, Rnr. 11 )
. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende
Folgen nach sich zieht
(haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK.
16 Außerdem müssen wie bei einem Arbeitsunfall auch bei einer BK die anspruchsbegründenden Tatsachen, zu
denen neben der versicherten Tätigkeit die Dauer und Intensität der schädigenden Einwirkung und die als
BK-Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung gehören, erwiesen sein (vgl. BSGE 45, 1, 9; 58, 80, 83 und
60, 58 ff. sowie BSG SozR 3-5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.). Dem gegenüber reicht für den nach der
Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der
Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit
aus (vgl. BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2109 Nr. 1, Rnr. 12;
BSG SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 3101 Nr. 4, Rnr. 16
m.w.N.; BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 14, Rnr. 9 m.w.N. sowie zuletzt BSG vom 23.04.2015 - B 2 U 10/14 R
-,
Rnr. 11; - B 2 U 20/14 R -, Rnr. 10 und - B 2 U 6/13 R -, Rnr. 10 ). Die Wahrscheinlichkeit des
ursächlichen Zusammenhangs liegt vor, wenn nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände
des Einzelfalls nach der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen ihn
spricht, d.h. wenn die für den ursächlichen Zusammenhang sprechenden Gründe zumindest deutlich
überwiegen (st. Rspr.; vgl. BSGE 45, 285, 286; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 und a.a.O., § 200 Nr. 3 sowie
BSG vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R - ). Kann u.a. der ursächliche Zusammenhang nicht
wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden
Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet
(st. Rspr. seit BSGE 6, 70, 72; vgl. u.a. BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 11). Das ist vorliegend der Kläger.
17
2.
Daran orientiert sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und hat es die Beklagte zu Recht
abgelehnt, die Harnblasenkrebserkrankung als Folge einer BK der Nr. 1303 festzustellen. Zwar leidet der
Kläger - zwischen den Beteiligten nicht umstritten und nicht zweifelhaft - jedenfalls seit März 2015 an einer
Harnblasenkrebserkrankung mit transurethraler Resektion im Klinikum Y. am 01.04.2015 und Nachoperation
am 05.05.2015. Er war nach den glaubhaften Darlegungen des Präventionsdienstes der Beklagten während
seiner Tätigkeit als Tanklastzugwagenfahrer auch beruflichen Einwirkungen durch Benzoldämpfe ausgesetzt.
Benzol ist ein systemisches Kanzerogen. Allerdings wird der Blasenkrebs durch die BK Nr. 1303 der Anlage 1
zur BKV nicht erfasst (vgl. SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 -, Rnr. 10 und SG Hamburg
vom 07.04.2006 - S 40 U 409/04 -, Rnr. 48 ). Vielmehr sind die typischen Erkrankungen
dieser BK Leukämien und Lymphome, wie der Präventionsdienst der Beklagten und die Gewerbeärztin E. im
Ergebnis übereinstimmend und zutreffend ausgeführt haben (vgl. auch Abschnitt II des Merkblatts zur BK
Nr. 1303, veröffentlicht in BArbBl. 1964, 30 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall- und
Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1240). Während die Benzolhomologe Toluol, Xylol und Styrol nicht
kanzerogen sind, worauf der Präventionsdienst der Beklagten ebenfalls zutreffend hinwiesen hat - Toluol
und Xylol wirken neurotoxisch auf das Zentralnervensystem, ebenso Styrol, dessen akute Wirkung in
Schleimhautreizungen der oberen Atemwege und der Augen besteht (vgl. Koch in Lauterbach,
Unfallversicherung, 4. Aufl., § 9 SGB VII, Anh. IV 1303 erg Erl, S. 247/5 f.) -, ist Benzol als Verursacher von
Krebserkrankungen des blutbildenden Systems bekannt. Zwar können nach mehrjährigen Einwirkungen
bestimmte Aminoverbindungen des Benzols Schleimhautveränderungen der Harnwege, Blasenpapillome und
Blasenkrebs verursachen. In diesem Fall handelt es sich jedoch um Erkrankungen im Sinne der Nr. 1301 der
Anlage 1 zur BKV. Dies lässt sich Abschnitt IV des Merkblatts zur BK Nr. 1304 der Anlage 1 zur BKV,
veröffentlicht in BArbBl. 1963, 130) entnehmen (vgl. SG Düsseldorf vom 31.10.2006 - S 16 (18) U 15/04 -,
Rnr. 10 sowie - im Ergebnis - Schleswig-Holsteinisches LSG vom 24.11.2005 - L 1 U 18/04 - Rnr. 17 und 26
).
18 Vor diesem Hintergrund sah sich die Kammer auch nicht gedrängt, von Amts wegen (§ 103 S. 1 SGG)
weiteren Beweis etwa durch Einholung schriftlicher Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte als
sachverständige Zeugen oder ein medizinischen Sachverständigengutachtens einzuholen (vgl. Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103, Rnr. 4 m.w.N.).
19 Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf die ärztliche Bescheinigung von Dr. B. vom 21.06.2016. Denn dessen
Auffassung eines wahrscheinlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen berufsbedingten
Benzoleinwirkungen und dem Auftreten einer Harnblasenkrebserkrankung stimmt mit der herrschenden
medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung nicht überein.
20
3.
Aus eben diesen Gründen sind die angefochtenen Bescheide rechtmäßig und musste das Begehren des
Klägers erfolglos bleiben.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Absätze 1 und 4 SGG.