Urteil des SozG Karlsruhe vom 30.10.2015

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SG Karlsruhe Urteil vom 30.10.2015, S 1 SO 1842/15
Sozialhilfe - Übernahme von Bestattungskosten - Kostentragungspflicht -
Bestattungspflicht - Baden-Württemberg - Geschwister - Unzumutbarkeit der
Kostentragung - Sozialhilfeempfänger - Nachlass - Erbausschlagung - keine
bereiten Mittel - Sittenwidrigkeit
Leitsätze
1. Ein potenzieller Erbe kann trotz Ausschlagung des Erbes nach landesrechtlichen
Vorschriften zur Bestattung verpflichtet sein.
2. Die Erbausschlagung bewirkt, dass die Erbschaft als von Anfang an nicht
angefallen gilt. Ein eventueller Nachlasswert steht deshalb dem zur Bestattung
Verpflichteten zu keinem Zeitpunkt als "bereites Mittel" zur Bestreitung der
Bestattungskosten zur Verfügung.
3. Der Sozialhilfeträger muss einen Erbverzicht als zivilrechtliches Gestaltungsrecht
des Hilfesuchenden nicht in jedem Fall zu Lasten der Allgemeinheit gänzlich
hinnehmen (Anschluss an Bay. LSG vom 30.07.2015 - L 8 SO 146/15 B ER -). Zu
prüfen ist dann, ob von dem Hilfesuchenden unter sittlichen Aspekten erwartet werden
muss, dass dieser vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfe einen ihm angetragenen
oder angefallenen Vermögenserwerb wahrnimmt. Eine solche Prüfung muss aber
zurückhaltend und unter Beachtung bestehender gesetzlicher Wertungen wie den
Vorschriften zum Einkommens- und Vermögenseinsatz erfolgen.
Tenor
Der Bescheid vom 26. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06. Mai 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die
Bestattungskosten für J. Kä. in Höhe von 2.610,50 EUR aus Mitteln der
Sozialhilfe zu übernehmen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand
1 Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme von Kosten für die
Bestattung ihres Bruders J. Kä. in Höhe von 2.610,50 EUR aus Mitteln der
Sozialhilfe.
2 Der Bruder der 1951 geborenen Klägerin verstarb am 07.11.2014. Die Klägerin ist
geschieden und bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Baden-
Württemberg Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von monatlich
762,56 EUR (Stand Oktober 2014), eine Zusatzrente des Kommunalen
Versorgungsverbands Baden-Württemberg von monatlich 56,32 EUR sowie von
der Stadt E. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des
Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe von monatlich 78,28 EUR
(Stand November 2014). Als Kosten der Unterkunft berücksichtigt die Stadt E. bei
der Hilfeberechnung monatliche Aufwendungen von 330,13 EUR für die Kaltmiete
zzgl. 65,00 EUR monatlich für Kalt-Nebenkosten und weitere 44,00 EUR
Heizkosten (Bescheid vom 16.10.2014). Die Klägerin ist außerdem als
schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt;
weiter sind ihr die Nachteilsausgleiche „G“ und „B“ zuerkannt (Bescheid des
Landratsamts K. vom 07.01.2015).
3 Am 09.12.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag, die ihr aus
Anlass der Bestattung ihres Bruders angefallenen Kosten aus Mitteln der
Sozialhilfe zu übernehmen. Hierzu legte sie die Rechnung des Bestattungsinstituts
der Stadt K. über 1.148,50 EUR sowie den Gebührenbescheid des Friedhofs- und
Bestattungsamts der Stadt K. über weitere 1.462,00 EUR vor. Die
Bestattungskosten könne sie nicht aus eigenen finanziellen Mitteln begleichen. Mit
Schreiben vom 12.12.2014 forderte die Beklagte die Klägerin auf, Angaben zum
Wert des Nachlasses ihres verstorbenen Bruders zu machen und hierzu
entsprechende Unterlagen vorzulegen. Am 08.01.2015 beantragte die Klägerin
deshalb beim Nachlassgericht die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zur
Vorlage bei der Beklagten. Das Notariat 8 - Nachlassgericht - K. teilte der
Beklagten mit, die Klägerin sei infolge Erbausschlagung nicht Erbin auf Ableben
ihres Bruders geworden. Sie hafte deshalb nicht für Nachlassverbindlichkeiten und
habe auch kein berechtigtes Interesse an der Errichtung eines
Nachlassverzeichnisses (Schreiben vom 16.01.2015). Durch Bescheid vom
26.03.2015 lehnte die Beklagte die Übernahme der Bestattungskosten aus
Sozialhilfemitteln mit der Begründung ab, die Klägerin habe vor der Gewährung
von Sozialhilfeleistungen vorrangig den Nachlass zur Bestreitung der
Bestattungskosten einzusetzen. Dessen Wert habe sie weder angegeben noch
nachgewiesen. Damit lasse sich nicht feststellen, ob ein sozialhilferechtlicher
Bedarf bestehe.
4 Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie
habe das Erbe auf Ableben ihres Bruders ausgeschlagen und deshalb keine
Möglichkeit, Angaben zum Nachlasswert zu machen. Die Erstellung eines von ihr
beantragten Nachlassverzeichnisses habe das Nachlassgericht abgelehnt. Die
Beklagte wies den Widerspruch zurück: Die Klägerin habe trotz entsprechenden
Hinweises über den vorrangigen Einsatz des Nachlasswertes zur Bestreitung der
Bestattungskosten die Erbschaft ausgeschlagen und die Bestattung in Auftrag
gegeben, ohne sich Klarheit über den vorhandenen Nachlasswert zu verschaffen.
Deshalb sei ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen, denn
andernfalls werde die Beklagte zum Ausfallbürgen für den nicht feststellbaren
Nachlasswert (Widerspruchsbescheid vom 06.05.2015).
5 Deswegen hat die Klägerin am 08.06.2015, einem Montag, Klage zum
Sozialgericht K. erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung
trägt sie im Wesentlichen vor, sie habe das Erbe auf Ableben ihres Bruders durch
notarielle Erklärung rechtswirksam ausgeschlagen. Sie habe bereits seit mehreren
Jahren keinen Kontakt zu ihrem Bruder mehr gehabt. Dessen konkrete
Lebensumstände seine ihr nicht bekannt. Sie sei auch nicht im Besitz von
Schlüsseln zur Wohnung ihres verstorbenen Bruders oder von sonstigen
Unterlagen. Sie könne deshalb keine Angaben zum Nachlasswert machen. Auch
ein Nachlassverzeichnis könne sie nicht vorlegen, nachdem das Nachlassgericht
dessen Erstellung abgelehnt habe. Sie habe alle ihr zumutbaren Möglichkeiten
ausgeschöpft, Kenntnis vom Umfang des Nachlasses auf Ableben ihres Bruders
zu erhalten.
6 Das Notariat 8 K. hat auf Anfrage der Kammer mitgeteilt, alle dem Nachlassgericht
bekannt gewordenen Erben hätten die Erbschaft auf Ableben des J. Kä.
ausgeschlagen. Ein Erbschein sei weder beantragt noch erteilt. Das
Nachlassverfahren sei abgeschlossen.
7 Die Klägerin beantragt,
8
den Bescheid vom 26. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 06. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die
Bestattungskosten für J. Kä. in Höhe von 2.610,50 EUR aus Mitteln der Sozialhilfe
zu übernehmen.
9 Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Sie erachtet die angefochtenen Bescheide für zutreffend. Die Klägerin habe trotz
der ihr bereits im November 2014 übersandten Erläuterungen und Merkblätter das
Erbe ausgeschlagen. Allein deshalb habe sie keinen Anspruch mehr auf
Auskünfte über den Nachlass ihres verstorbenen Bruders. Die daraus
resultierenden Folgen, nämlich die Ablehnung ihres Antrags auf Übernahme der
Bestattungskosten aus Sozialhilfemitteln, seien ihr bereits im Zeitpunkt der
Erbausschlagung bewusst gewesen. Dies könne nicht zu ihrem - der Beklagten -
Nachteil gereichen. Im Übrigen habe die Klägerin während ihrer vorläufigen
Erbenstellung bis zur Erbausschlagung gegenüber dem endgültigen Erben,
vermutlich dem Fiskus, durch den Bestattungsauftrag eine berechtigte
Geschäftsführung vorgenommen. Ihr stehe deshalb gegen den endgültigen Erben
einen Aufwendungsersatzanspruch, gegebenenfalls auch ein Anspruch auf
Befreiung von Verbindlichkeiten, zu.
12 Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie den der
Prozessakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1
und Abs. 4 i.V.m. § 56 des Sozialgerichtsgesetzes ) zulässig und
begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die
Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat gegen die
Beklagte Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten in Höhe von 2.610,50
EUR aus Mitteln der Sozialhilfe.
14
1)
Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 74 SGB XII. Danach werden die
erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu
Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.
15 Die Klägerin ist, obwohl sie als Schwester das Erbe auf Ableben des Verstorbenen
ausgeschlagen hat (vgl. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, §
74, Rand-Nr. 15 m.w.N.), nach landesrechtlichen Vorschriften zur Bestattung und
damit zur Tragung der hierfür anfallenden Bestattungskosten verpflichtet. Diese
Verpflichtung folgt aus § 31 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und Abs.
3 des Bestattungsgesetzes des Landes Baden-Württemberg. Die
Bestattungspflicht der Klägerin hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom
06.05.2015 auch anerkannt.
16 Ein Anspruch auf Kostenübernahme setzt die Unzumutbarkeit voraus, die
Bestattungskosten selbst zu tragen. Dabei handelt es sich um einen gerichtlich voll
überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSG, FEVS 61, 337 und FEVS 63,
445 sowie Schellhorn in Schellhorn/Hohm/Schneider, SGB XII, 19. Auflage 2015, §
74, Rand-Nr. 10). Das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit konkretisiert das
Nachrangigkeitsprinzip der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 SGB XII (vgl. Grube a.a.O.,
§ 74, Rand-Nr. 27) und ist nach Maßgabe des Einzelfalls auszulegen (vgl. Grube,
a.a.O., Rand-Nr. 37). Daraus folgt, dass vorhandener Nachlass und Leistungen,
die aus Anlass des Todes erbracht werden, regelmäßig vorrangig zur Bestreitung
des Bestattungsaufwandes heranzuziehen sind. Der Nachlasswert selbst ist
grundsätzlich mit seinem vollen Wert einzusetzen, ohne dass die
sozialhilferechtlichen Regelungen über das Schonvermögen nach § 90 SGB XII
dem Erben oder Bestattungspflichtigen zu Gute kommen (vgl. Schellhorn, a.a.O.,
Rand-Nr. 11). Auch darf der Nachlass im Rahmen des § 74 SGB XII nicht mit
bestehenden Nachlassverbindlichkeiten verrechnet werden (vgl. LSG Nordrhein-
Westfalen vom 20.08.2012 - L 20 SO 302/11 - und Gerichtsbescheid des
erkennenden Gerichts vom 19.01.2010 - S 1 SO 5729/08 - ).
17
2)
Orientiert daran hat es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu
Unrecht abgelehnt, die Kosten der Bestattung des J. Kä. aus Sozialhilfemitteln
zu übernehmen.
18
a)
Die Beklagte ist gem. § 98 Abs. 3 SGB XII der für die Übernahme der
Bestattungskosten örtlich zuständige Sozialhilfeträger. Denn der Bruder der
Klägerin ist am 07.11.2014 in K. verstorben. Dies steht fest aufgrund der
aktenkundigen, von der Beklagten eingeholten Einwohnerauskunft.
19
b)
Die Klägerin war - wie oben bereits ausgeführt - nach landesrechtlichen
Bestimmungen zur Bestattung ihres verstorbenen Bruders verpflichtet.
20
c)
Bestattungskosten sind in Höhe von insgesamt 2.610,50 EUR angefallen, wie
sich aufgrund der Rechnung des Bestattungsinstituts der Stadt K. über 1.148,50
EUR sowie des Gebührenbescheids des Friedhofs- und Bestattungsamts der
Stadt K. in Höhe von 1.462,00 EUR ergibt. Diese Kosten waren auch „erforderlich“
i.S.d. § 74 SGB XII.
21 „Erforderlich“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und damit gerichtlicher Auslegung
uneingeschränkt zugänglich. Der Begriff der „erforderlichen Kosten“ impliziert dabei
geringere Kosten als sie für eine „standesgemäße“ Beerdigung anfallen, auf die §
1968 BGB abstellt (vgl. Grube, a.a.O., Rand-Nr. 32 sowie Berlit in LPK-SGB XII, 10.
Auflage 2015, § 74, Rand-Nr. 12, jeweils m.w.N.). Was erforderlich ist, ist nach
einem objektiven Maßstab zu beurteilen (vgl. Grube, a.a.O., Rand-Nr. 32). Die
Erforderlichkeit der Kosten ist im Einzelnen zu ermitteln und zu beurteilen. Es ist
mithin eine den Individualitätsgrundsatz berücksichtigende Entscheidung zu treffen
(§ 9 Abs. 1 SGB XII); grundsätzlich ist dabei auch angemessenen Wünschen des
Bestattungspflichtigen (§ 9 Abs. 2 SGB XII) und gegebenenfalls des Verstorbenen
(§ 9 Abs. 1 SGB XII) sowie religiösen Bekenntnissen (Art. 4 des Grundgesetzes)
mit Rücksicht auf die auch nach dem Tod zu beachtenden Menschenwürde (vgl.
dazu u.a. BVerwG, Buchholz 436.0 § 88 BSHG Nr. 41 und BSG SozR 4-3500 § 90
Nr. 3) Rechnung zu tragen (vgl. BSGE 109, 61 ff.). Der Eindruck eines
Armenbegräbnisses bzw. Armengrabes ist zu vermeiden (vgl. Hess. LSG, FEVS
59, 567 ff. und Berlit, a.a.O., Rand-Nr. 12 m.w.N.). Erforderliche Kosten sind
danach diejenigen, die üblicherweise für eine würdige, den örtlichen
Gepflogenheiten entsprechende einfache Bestattung anfallen (vgl. BSGE 109, 61
ff.; Grube, a.a.O., Rand-Nr. 32 m.w.N. sowie Berlit, a.a.O., Rand-Nr. 12), weil der
Steuerzahler sozialhilferechtlich nur für eine solche Bestattung aufkommen soll
(vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.). Was ortsüblich und angemessen ist, bestimmt sich in
erster Linie nach den einschlägigen landesrechtlichen bestattungs- und
friedhofsrechtlichen Bestimmungen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, FEVS 60, 524,
526), insbesondere nach der jeweils maßgebenden Friedhofssatzung (vgl. VGH
Baden-Württemberg, FEVS 41, 318 und LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O.). Zu den
übernahmefähigen Kosten gehören alle diejenigen Kosten, die unmittelbar der
Bestattung unter Einschluss der ersten Grabherrichtung dienen bzw. mit der
Durchführung der Bestattung untrennbar verbunden sind, nicht jedoch solche für
Maßnahmen, die nur anlässlich des Todes entstehen, also nicht final auf die
Bestattung selbst ausgerichtet sind (vgl. BSGE 109, 61 ff.). Übernahmefähig sind
damit alle öffentlich-rechtlichen Gebühren, das Waschen, Kleiden und Einsargen
des Leichnams, der Sarg, die Kosten für Sargträger und das erstmalige Herrichten
des Grabes sowie einfacher Grabschmuck, ferner die Gebühren für die Grabstätte
sowie für ein Holzkreuz; bei einer - wie hier - Feuerbestattung sind neben den
Kosten der Einäscherung und für den Urnenträger auch die Aufwendungen für die
Urne selbst zu berücksichtigen (vgl. Grube, a.a.O., Rand-Nr. 32 sowie Berlit, a.a.O.,
Rand-Nr. 13, jeweils m.w.N.).
22 Einwände gegen die Erforderlichkeit der Kosten hat die Beklagte nicht erhoben.
Angesichts der Höhe der Bestattungskosten von 2.610,50 EUR, die sich aus den
Kosten der Bestattung selbst sowie den Friedhofs- und Einäscherungsgebühren
zusammensetzen, ergeben sich für das erkennende Gericht auch objektiv keine
Zweifel an der Erforderlichkeit.
23
d)
Diese Kosten kann die Klägerin zumutbar aus eigenen Einkünften und
Vermögen nicht begleichen. Denn sie bezieht von der Stadt E. laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel SGB XII und ist damit ersichtlich bereits
zur Bestreitung ihres eigenen notwendigen Lebensunterhalts und ihres
soziokulturellen Existenzminimums auf Sozialhilfeleistungen angewiesen. Eine
zusätzliche Begleichung der Kosten für die Bestattung ihres verstorbenen Bruders
ist ihr daher nicht zumutbar.
24
e)
Auch vorrangig einzusetzende Nachlasswerte standen ihr als „bereite Mittel“
(vgl. hierzu BSG vom 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R -, vom 10.09.2013 - B 4 AS
89/12 R - und vom 12.12.2013 - B 14 AS 76/12 R - ; ferner
Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 90, Rand-Nr. 21 m.w.N.) zu keinem
Zeitpunkt zur Verfügung.
25
aa)
Als potenzielle Erbin auf Ableben ihres Bruders (§ 1925 Abs. 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs ) konnte die Klägerin die Erbschaft mit Eintritt
des Erbfalls ausschlagen (§ 1946 BGB). Von dieser Möglichkeit hat die Klägerin
vorliegend und - soweit ersichtlich - auch rechtswirksam (§§ 1944 Abs. 1, 1945
Abs. 1 BGB) Gebrauch gemacht. Damit gilt die Erbschaft als nicht angefallen (§
1953 Abs. 1 BGB), d.h. die Klägerin ist zu keinem Zeitpunkt Erbin auf Ableben
ihres verstorbenen Bruders geworden. Nur eine Erbschaft, die als Einkommen
oder Vermögen tatsächlich zugeflossen ist, ist überhaupt einsetzbar. Mit der
Ausschlagung fiel die Erbschaft indes demjenigen an, der ohne den
Ausschlagenden gesetzlicher Erbe geworden wäre (§ 1953 Abs. 2 BGB).
Nachdem neben der Klägerin auch alle anderen dem Nachlassgericht bekannt
gewordenen Erben die Erbschaft auf Ableben des J. Kä. ausgeschlagen haben,
wie das Notariat 8 K. - Nachlassgericht - der Kammer auf Anfrage glaubhaft
mitgeteilt hat, ist vorliegend das Land Baden-Württemberg gesetzlicher Erbe
geworden (§ 1936 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klägerin ist mit anderen Worten zu
keinem Zeitpunkt Gesamtrechtsnachfolgerin des Erblassers - ihres Bruders -
geworden; ihr stand damit der Nachlass zu keinem Zeitpunkt als „bereites Mittel“
zu. Mit Blick auf den sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 SGB
XII schließen indes nur präsente Selbsthilfemöglichkeiten einen an sich
gegebenen Anspruch auf Sozialhilfe - hier: Übernahme von Bestattungskosten -
aus (vgl. Grube, a.a.O., Rand-Nr. 27). Da die Klägerin indes über den Nachlass
bzw. den Wert des Nachlasses auf Ableben ihres Bruders zu keinem Zeitpunkt
verfügen konnte, besteht in Höhe der angefallenen Bestattungskosten auch eine
sozialhilferechtliche Bedarfslage, die die Klägerin -wie oben bereits ausgeführt -
nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen decken kann.
26
bb)
Dass die Klägerin der Beklagten gegenüber - trotz wiederholter Aufforderung -
keine Angaben zum Nachlasswert gemacht hat, steht der sozialhilferechtlichen
Bedarfslage nicht entgegen. Denn sie hat der Beklagten und dem Gericht
gegenüber glaubhaft und nachvollziehbar vorgetragen, dass sie seit Jahren keinen
persönlichen Kontakt zu ihrem Bruder mehr hatte und deswegen weder über seine
Lebensführung noch seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse Kenntnis
hatte. Ebenso glaubhaft ist deshalb ihr weiteres Vorbringen, dass sie auch zu
keinem Zeitpunkt Zugriff auf seine Wohnung oder eventuell dort vorhandene
Vermögenswerte oder Unterlagen nehmen konnte. Weiter hat sie infolge der
Erbausschlagung auch keinen Anspruch auf Erstellung eines
Nachlassverzeichnisses, da gem. § 1993 BGB nur ein Erbe berechtigt ist, ein
Verzeichnis des Nachlasses bei dem Nachlassgericht einzureichen. Angesichts
dieser Umstände kann die Klägerin zumutbar keine Angaben zum Umfang und
zum Wert des Nachlasses machen. Wenn die Beklagte vor ihr gleichwohl diese
Angaben fordert, verlangt sie etwas tatsächlich Unmögliches. Insbesondere mit
ihrem Antrag vom 08.01.2015 auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses hat die
Klägerin aus Sicht des erkennenden Gerichts alles ihr Zumutbare getan, den Wert
des Nachlasses auf Ableben ihres verstorbenen Bruders doch noch zu ermitteln.
27
cc)
Soweit die Beklagte vorträgt, die Klägerin habe in Kenntnis der Verpflichtung
zum vorrangigen Einsatz des Nachlasswertes zur Bestreitung der
Bestattungskosten und ohne sich Kenntnis vom Nachlasswert zu verschaffen, die
Erbschaft auf Ableben ihres verstorbenen Bruders ausgeschlagen und die
Beerdigung in Auftrag gegeben, steht dies dem Anspruch auf Übernahme der
Bestattungskosten aus Sozialhilfemitteln nicht entgegen. Zunächst hat die Klägerin
mit der Erbausschlagung ein ihr von Gesetzes wegen zustehendes
Gestaltungsrecht ausgeübt. Zwar hat die Beklagte ein solches zivilrechtlich
eröffnetes Gestaltungsrecht eines Hilfebedürftigen bzw. Hilfesuchenden zu Lasten
der Allgemeinheit nicht in jedem Fall gänzlich hinzunehmen (vgl. Bay. LSG vom
30.07.2015 - L 8 SO 146/15 B ER -, Rn. 22 ; a.A. unter Hinweis auf das
höchstpersönliche Recht eines Erben zur Erbausschlagung und den fehlenden
Zwang zur Annahme einer Erbschaft: LG Aachen, FamRZ 2005, 1506). Insoweit
bietet der unbestimmte Rechtsbegriff der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) die
Möglichkeit, statt auf ein Nachrangprinzip auf ein Prinzip der Selbstverantwortung
als notwendiges Spiegelbild der Handlungsfreiheit für einen Hilfebedürftigen/-
suchenden abzustellen, und im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob unter sittlichen
Aspekten erwartet werden muss, dass dieser vor der Inanspruchnahme von
Sozialhilfe einen ihm angetragenen oder angefallenen Vermögenserwerb
wahrnimmt (vgl. Armbruster in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 93, Rn. 77 m.w.N.;
ferner OLG Stuttgart, NJW 2001, 3484 und OLG Hamm, FamRZ 2009, 2036). Eine
solche Prüfung muss aber zurückhaltend und unter Beachtung bestehender
gesetzlicher Wertungen wie den Vorschriften zum Einkommens- und
Vermögenseinsatz erfolgen. Bei einer Erbausschlagung sind deshalb u.a. die die
Werthaltigkeit der Erbschaft, die Motive des Hilfesuchenden für die Ausschlagung,
sowie die Frage zu prüfen, ob er in der Absicht, sozialhilfebedürftig zu werden, mit
direktem Vorsatz gehandelt hat.
28
(1)
Hier hat die Klägerin - wie bereits ausgeführt - glaubhaft vorgetragen, dass sie
bereits seit Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihrem verstorbenen
Bruder hatte und ihr (daher) dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse
nicht bekannt waren. Dafür, dass sie das Erbe allein oder jedenfalls vorrangig mit
dem Ziel ausgeschlagen hat, einen (hier neben dem laufenden Hilfebezug
weiteren) Sozialhilfeanspruch bewusst und zu Lasten der Beklagten
herbeizuführen, besteht aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein
Anhalt (vgl. zur Sittenwidrigkeit der Ausschlagung einer werthaltigen Erbschaft:
Wahrendorf, a.a.O., § 90, Rand-Nr. 11; vgl. zur Sittenwidrigkeit eines
Unterhaltsverzicht des Hilfesuchenden in Schädigungsabsicht zu Lasten des
Sozialhilfeträgers: Münder in LPK-SGB XII, 10. Aufl. 2015, § 94, Rand-Nr. 21 f.
m.w.N.),
29
(2)
Weiter besteht nach Aktenlage auch kein Anhalt dafür, dass der verstorbene
Bruder der Klägerin tatsächlich über nennenswerte Vermögensgegenstände
verfügte, die in seinen Nachlass gefallen sein könnten. Denn er erhielt von der
Beklagten in den Jahren 2008 und 2009 jeweils eine Brennstoffkostenbeihilfe aus
Sozialhilfemitteln. Für die Heizperioden 2010/2011 und 2011/2012 hatte die
Beklagte entsprechende Leistungsanträge zwar abgelehnt. Nach den von dem
Verstorbenen in den entsprechenden Antragsvordrucken hierzu jeweils
gemachten Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bezog er als
Einkommen jedoch allein eine Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung und Wohngeld von der Wohngeldstelle der Stadt K.; die
Fragen nach vorhandenen Vermögenswerten hatte er jeweils verneint. Auch die
Beklagte berücksichtigte bei der Berechnung der entsprechenden Hilfe zum
Lebensunterhalt keine Vermögenswerte.
30
e)
Schließlich ist es der Klägerin aus Sicht der Kammer auch nicht zuzumuten,
gegen das Land Baden-Württemberg als gesetzlichen Erben auf Ableben ihres
Bruders gegebenenfalls gerichtlich vorzugehen, um (zunächst) Auskunft über den
Wert des Nachlasses zu erhalten. Überdies könnte sie einen solchen
Auskunftsanspruch auch kaum in absehbarer Zeit realisieren.
31 Gleiches gilt für einen von der Beklagten angeführten Anspruch der Klägerin
gegen den tatsächlichen Erben auf Aufwendungsersatz aus Geschäftsführung
ohne Auftrag. Ungeachtet dessen, ob ein solcher Anspruch nach bürgerlich-
rechtlichen Bestimmungen überhaupt besteht, ergäbe sich hieraus jedenfalls kein
„bereites Mittel“ zur Bestreitung der angefallenen Bestattungskosten.
Gegebenenfalls mag die Beklagte einen solchen Aufwendungsersatzanspruch der
Klägerin gegen das Land Baden-Württemberg auf sich überleiten (§ 93 Abs. 1 Satz
1 SGB XII) und sodann im eigenen Namen geltend machen.
32
3)
Angesichts dessen sind die Bestattungskosten gem. § 74 SGB XII von der
Beklagten aus Sozialhilfemitteln zu übernehmen.
33 Aus eben diesen Gründen war dem Klagebegehren stattzugeben.
34 Die Kostenentscheidung folgt aus § 183 i.V.m. § 193 Abs. 1 SGG.