Urteil des SozG Karlsruhe vom 08.10.2015

auflage, klagerücknahme, stadt, kostenfreiheit

SG Karlsruhe Beschluß vom 8.10.2015, S 1 SF 3222/15 E
Sozialgerichtliches Verfahren - Pauschgebühr - formelle Beteiligtenstellung
allein maßgebend für Gebührenpflicht (Beklagte hier: Stadt als Wohngeldstelle) -
Verweisung des Rechtsstreits an Verwaltungsgerichtsbarkeit - Klagerücknahme
Leitsätze
Für die Verpflichtung eines Sozialleistungsträgers zur Entrichtung der Pauschgebühr
kommt es nicht darauf an, ob die erhobene Klage zulässig oder/und begründet war.
Maßgebend ist allein die formelle Beteiligtenstellung.
Eine Stadt als Wohngeldstelle unterfällt in sozialgerichtlichen Verfahren nicht der
Kostenfreiheit nach § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X
Tenor
Die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle vom 23. Juli 2015 im Verfahren S 4 SV .../15 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Erinnerungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
1 Mit Schriftsatz vom 03.05.2015, beim Sozialgericht Karlsruhe am 09.03.2015
eingegangen, machte der Kläger des Hauptsacheverfahrens S 4 SV .../15 gegen
den Erinnerungsführer einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem
Wohngeldgesetz geltend. Nachdem das Sozialgericht Karlsruhe durch Beschluss
vom 01.04.2015 den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für
unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht
Karlsruhe verwiesen hatte, nahm der Kläger noch vor Zustellung des
Verweisungsbeschlusses an ihn am 08.04.2015 mit Schriftsatz vom 01.04.2015
die Klage zurück. Durch Beschluss vom 23.07.2015 setzte die Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle gegen die Erinnerungsführerin eine Pauschgebühr i.H.v. 75,00
EUR fest, die die Landesoberkasse Baden-Württemberg nachfolgend bei der
Erinnerungsführerin zur Zahlung anforderte (Schreiben vom 14.08.2015).
2 Hiergegen richtet sich die am 24.09.2015 beim erkennenden Gericht
eingegangene Erinnerung der Erinnerungsführerin. Zu deren Begründung trägt sie
im Wesentlichen vor, der Kläger des Hauptsacheverfahrens habe für den
streitgegenständlichen Anspruch irrtümlicherweise zunächst das Sozialgericht
Karlsruhe angerufen. Für dieses Verfahren könne sie kostenrechtlich nicht in
Anspruch genommen werden. Die bereits gezahlte Pauschgebühr sei deshalb zu
erstatten.
3 Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen
(Verfügung vom 07.10.2015) und sie dem erkennenden Gericht zur Entscheidung
vorgelegt.
II.
4 Die gemäß § 189 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte
Erinnerung ist zulässig, aber unbegründet. Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle gegen die Erinnerungsführerin im Verfahren S 4 SV .../15 eine
(hälftige; § 184 Abs. 2 i.V.m. § 186 Satz 1 SGG) Pauschgebühr i.H.v. 75,00 EUR
festgesetzt.
5 Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören,
für die Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kostenfrei sind,
haben für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten (§ 184 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Gebühr entsteht, sobald die Streitsache rechtshängig geworden ist; sie ist für
jeden Rechtszug zu zahlen (§ 184 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Höhe der Gebühr wird
für das Verfahren vor den Sozialgerichten auf 150,00 EUR festgesetzt (§ 184 Abs.
2 SGG). Wird eine Sache nicht durch Urteil erledigt, so ermäßigt sich die Gebühr
auf die Hälfte (§ 186 Satz 1 SGG). Die Gebühr wird nach § 185 SGG fällig, sobald
die Streitsache unter anderem durch Rücknahme des Rechtsbehelfs erledigt ist.
Die Gebühren für die Streitsachen werden nach § 189 Abs. 1 Satz 1 in einem
Verzeichnis zusammengestellt. Die Mitteilung eines Auszuges aus diesem
Verzeichnis an die nach § 184 Abs. 1 SGG Gebührenpflichtigen gilt als
Feststellung der Gebührenschuld und als Aufforderung, den Gebührenbetrag
binnen eines Monats an die in der Mitteilung angegebene Stelle zu zahlen (§ 189
Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Feststellung erfolgt nach Abs. 2 Satz 1 der genannten
Bestimmung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle.
6 Gemessen an diesen rechtlichen Bestimmungen sind der
Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom
23.07.2015 und die darauf beruhende Zahlungsaufforderung der
Landesoberkasse Baden-Württemberg vom 14.08.2015 weder dem Grunde noch
der Höhe nach zu beanstanden. An dem Verfahren S 4 SV .../15 war die
Erinnerungsführerin als Beklagter im Sinne des § 184 Abs. 1 Satz 1 SGG beteiligt.
Sie gehörte auch nicht zu dem kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG,
denn diese Kostenfreiheit gilt nur für Versicherte, Leistungsempfänger
einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder
deren Rechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder
Personen, die im Fall des Obsiegens zu diesen Personen gehören würden (§ 183
Sätze 1 und 3 SGG).
7 Das Verfahren S 4 SV .../15 endete hier
nicht
durch Verweisung des Rechtsstreits
an das Verwaltungsgericht Karlsruhe, was zum Entfallen der Pauschgebühr aus §
184 SGG geführt hätte (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, §
184, Rn. 9 m.w.N. und Krauß in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 184, Rn.
33), weil sich bei der Verweisung eines Rechtsstreits durch ein Gericht an ein
Gericht eines anderen Gerichtszweiges das Kostenrecht nach dem Recht des
Gerichts richtet, an das verwiesen wird (§ 4 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes)
und die Verwaltungsgerichtsordnung eine dem § 184 SGG entsprechende
Bestimmung nicht enthält. Vielmehr endete das Verfahren S 4 SV .../15 durch die
am 01.04.2015 beim Sozialgericht Karlsruhe eingegangene Klagerücknahme des
Klägers. Der am selben Tag bereits erlassene Verweisungsbeschluss entfaltete
damit keine Wirkung mehr.
8 Da außerdem das Klageverfahren nicht durch Urteil, sondern aufgrund
Klagerücknahme endete, war die Pauschgebühr (nur) in Höhe von 75,00 EUR
festzusetzen (§ 186 Satz 1 SGG).
9 Für die Gebührenverpflichtung ist es - entgegen der Ansicht der
Erinnerungsführerin - unerheblich, ob die Klage zulässig oder/und begründet war
(vgl. BSG SozR Nrn. 1 und 2 zu § 184 SGG). Sie entfällt auch nicht durch eine
sofort nach Klageerhebung eingereichte Klagerücknahme (vgl. Groß in Hk-SGG, 4.
Auflage 2012, § 184, Rn. 6). Abzustellen ist vielmehr allein auf das Rubrum, d.h.
die formelle Beteiligtenstellung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11.
Auflage 2014, § 184, Rn. 5; Groß in Hk-SGG, a.a.O. sowie Krauß in
Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014, § 184, Rn. 8). Die Pauschgebühr ist mit
anderen Worten - entsprechend der typischen sozialen Lage der Beteiligten -
unabhängig von den Erfolgsaussichten, d.h. dem Anlass zur Klageerhebung, und
dem Ausgang des Verfahrens (vgl. Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage
2014, § 184, Rn. 5). Sie trifft deshalb auch obsiegende Beteiligte. Dies ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 76, 139).
10 Eine Gebührenbefreiung ergibt sich vorliegend auch nicht aus § 64 Abs. 3 Satz 2
des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X), weil die Erinnerungsführerin als
Wohngeldstelle nicht zu den dort abschließend genannten Leistungsträgern
gehört.
11 Die Erinnerungsführerin gehört schließlich auch nicht zu den gemäß § 2 Abs. 1
Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. § 184 Abs. 3 SGG von der
Zahlung von Kosten befreiten öffentlichen Anstalten, denn sie wird nicht nach
Haushaltsplänen des Bundes oder des Landes Baden-Württemberg verwaltet.
12 Aus eben diesen Gründen war der Erinnerung nicht statt zu geben.
13 Diese Entscheidung ergeht endgültig (§ 189 Abs. 2 Satz 2 SGG).