Urteil des SozG Karlsruhe vom 24.07.2015

befangenheit, verfügung, angriff, sorgfalt

SG Karlsruhe Beschluß vom 24.7.2015, S 1 SF 2309/15 E
Sozialgerichtliches Verfahren - Sachverständigenvergütung - Wegfall des
Entschädigungsanspruchs - Besorgnis der Befangenheit wegen grob
fahrlässiger Pflichtwidrigkeit des Sachverständigen - unsachlicher und
persönlicher Angriff gegenüber Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten
Leitsätze
Gründet sich die - erfolgreiche - Ablehnung eines vom Gericht bestellten
Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit auf eine zumindest grob
fahrlässige Pflichtwidrigkeit des Sachverständigen, verliert dieser seinen
Vergütungsanspruch.
Grobe Fahrlässigkeit in diesem Sinne liegt u.a. vor, wenn der Sachverständige den
Prozessbevollmächtigten eines Beteiligten unsachlich und persönlich angreift.
Tenor
Der Antrag auf Vergütung von Leistungen und Aufwendungen des
Antragstellers im Zusammenhang mit dem Gutachtensauftrag vom 02. Januar
2015 im Verfahren S 4 SO xxx/14 wird abgelehnt.
Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1
Im Hauptsacheverfahren S 4 SO xxx/14 streiten die dortigen Beteiligten um die
Gewährung höherer Hilfe zur Pflege aus Sozialhilfemitteln wegen eines vom
Kläger geltend gemachten erhöhten zeitlichen Aufwands für seine
hauswirtschaftliche Versorgung. Mit Schreiben vom 02.01.2015 ernannte der
Vorsitzende der 4. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe den Antragsteller zum
gerichtlichen Sachverständigen und beauftragte ihn mit der Erstellung eines
schriftlichen Gutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers
insbesondere zu Fragen des zeitlichen Umfangs des erforderlichen Pflegebedarfs
auf verschiedenen Gebieten insgesamt und speziell für dessen
hauswirtschaftliche Versorgung.
2
Mit Schriftsatz vom 29.01.2015 beantragte der Kläger über seine
Prozessbevollmächtigten, den Antragsteller wegen Besorgnis der Befangenheit
abzulehnen. Der Antragsteller habe die Betreuerin des Klägers am 22.01.2015
unangekündigt aufgesucht. Seine Prozessbevollmächtigten hätten sich deshalb
am 28.01.2015 telefonisch mit dem Antragsteller zur Vermittlung eines
Besuchstermins in Verbindung gesetzt. Der Antragsteller habe das Telefonat mit
dem Hinweis beendet, er dürfe mit seinen - des Klägers - Prozessbevollmächtigten
nicht sprechen, weil er „von der Gegenseite“ beauftragt worden sei. In einer an die
Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichteten E-Mail vom selben Tag führte
der Antragsteller folgendes aus:
3
„Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt …..,
Sie haben mich mit Ihrem frech-schelmischen Anruf mich ganz schon überrascht.
Man sagt die Migranten seien eigen, anderer Mebntalität, bildungsunwillig und -
unfähig. schlagen sie bei herrn Zarrafin nach, er weis noch mehr über sie. Dass
sie national nicht nationalsozialistisch vorbelastet sind gereicht ihnen auch nicht
zu Ehre…..
Mit freundlichen Grüßen ….“
4
Mit Verfügung vom 30.01.2015 hob der Vorsitzende der 4. Kammer des
Sozialgerichts Karlsruhe daraufhin den Gutachtensauftrag an den Antragsteller auf
und bat um Rückgabe der ihm überlassenen Verwaltungs- und Prozessakten.
Hiervon unterrichtete die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den Antragsteller
am selben Tag vorab telefonisch.
5
Am 16.02.2015 teilte die Betreuerin des Klägers dem Sozialgericht Karlsruhe mit,
der Antragsteller habe erneut (nach den Angaben des Antragstellers im
Entschädigungsantrag an diesem Tag) versucht, in ihr Haus zu gelangen. Er habe
eine Frau vorgeschickt, die bei ihr geklingelt und gesagt habe, sie müsse sie in die
Wohnung lassen, da sie einen Termin habe. Erst auf die Verweigerung des Zutritts
und den Hinweis, der Gutachtensauftrag sei aufgehoben, sei der Antragsteller
persönlich in Erscheinung getreten mit der Behauptung, er wisse von der
Aufhebung des Gutachtensauftrages nichts und das Gericht werde im Übrigen
Ärger mit ihm bekommen. Mit Schreiben vom 17.02.2015, dem Antragsteller
gegen Postzustellungsurkunde am 20.02.2015 zugestellt, übersandte das
Sozialgericht Karlsruhe dem Antragsteller erneut die Verfügung über die
Aufhebung des Gutachtensauftrags; zugleich forderte es ihn nochmals auf, die
überlassenen Verwaltungs- und Prozessakten unverzüglich zurückzugeben und
weitere Kontaktversuche mit dem Kläger, der Betreuerin oder den
Prozessbevollmächtigten zu unterlassen. Erst auf die Erinnerung der 4. Kammer
des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12.03.2015 reichte der Antragsteller die
Verwaltungs- und Prozessakten am 30.03.2015, dem letzten Tag der hierzu
eingeräumten Frist, zurück.
6
Durch Beschluss vom 22.06.2015 gab der Vorsitzende der 4. Kammer des
Sozialgerichts Karlsruhe dem Befangenheitsgesuch des Klägers gegen den
Antragsteller statt.
7
Mit seinem am 07.04.2015 beim Sozialgericht Karlsruhe eingegangenen Antrag
vom 30.03.2015 machte der Antragsteller eine Vergütung für seinen Zeitaufwand
im Zusammenhang mit dem Gutachtensauftrag im Umfang von 26 Zeitstunden,
weiter für 167 gefahrene Kilometer am „26.01.2015“ (98 km) und am 16.02.2015
(69 km), „notwendige Postausgaben“ für „Telefonate und Korrespondenzen zur
Beschaffung der medizinischen Daten des Klägers“ in Höhe von 100,00 EUR,
6,99 EUR Portokosten für die Aktenrücksendung an das Gericht und weitere 6,20
EUR Portokosten für „Korrespondenzen mit Gericht, dem Kläger und seiner
Betreuerin“ geltend.
8
Der Kostenbeamte lehnte eine Entschädigung des Antragstellers mit der
Begründung ab, dieser verliere seinen Entschädigungsanspruch, wenn er - wie
hier - im Laufe seiner Tätigkeit Gründe geschaffen habe, die seine Ablehnung
wegen der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten (Schreiben vom 09.07.2015).
9
Deswegen hat der Antragsteller am 20.07.2015 die richterliche Festsetzung seiner
Vergütung beantragt.
10 Der Kostenbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom
23.07.2015) und sie dem erkennenden Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
11 Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens des
Antragstellers wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungs-, Prozess- und
Kostenakten Bezug genommen.
II.
12 Der nicht fristgebundene Antrag auf richterliche Festsetzung (§ 4 Abs. 1 Satz 1
des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes ) ist statthaft und
zulässig. Er ist jedoch nicht begründet, weil dem Antragsteller eine Vergütung für
Zeitaufwand und sonstige Kosten aufgrund des Gutachtensauftrags vom
02.01.2015 nicht zusteht.
13
1.
Die Vergütung u.a. von Sachverständigen, die von dem Gericht herangezogen
werden, richtet sich nach den Vorschriften des JVEG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und
Satz 2 JVEG). Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung ein
Honorar für ihre Leistungen (Nr. 1), Fahrtkostenersatz (Nr. 2) sowie u.a. Ersatz für
sonstige und für besondere Aufwendungen (Nr. 4). Allerdings kann ein
Sachverständiger seinen Vergütungsanspruch in bestimmten Fällen ganz oder
teilweise einbüßen, wie sich aus § 8 a JVEG ergibt. Nach dessen Absatz 2 Satz 1
Nr. 3 erhält der Sachverständige eine Vergütung nur insoweit, als seine Leistung
bestimmungsgemäß verwertbar ist, wenn er im Rahmen der Leistungserbringung
grob fahrlässig oder vorsätzlich Gründe geschaffen hat, die einen Beteiligten zur
Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.
14 Allerdings macht allein der Umstand, dass ein Sachverständiger mit Erfolg
abgelehnt und deshalb die von ihm erbrachte Leistung unverwertbar wird, seinen
Vergütungsanspruch nicht hinfällig (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26.
Auflage 2014, § 8 a, Rand-Nr. 19 und OLG Koblenz vom 18.06.2014 - 14 W
334/14 - ). Vielmehr kann die - erfolgreiche - Ablehnung eines gerichtlichen
Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit nach dem
Gesetzeswortlaut nur dann den Verlust der Vergütung rechtfertigen, wenn der
Sachverständige die Ablehnung grob fahrlässig oder durch bewusste
Pflichtwidrigkeit herbeigeführt hat (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, a.a.O., m.w.N.
aus der Rechtsprechung). Grobe Fahrlässigkeit liegt in Anlehnung an die
Definition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, zweiter Halbsatz des Sozialgesetzbuchs -
Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) vor, wenn der
Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Dies setzt voraus, dass der Sachverständige die erforderliche Sorgfalt nach den
Umständen des Einzelfalls in ungewöhnlich hohem Maße verletzt hat, indem er
schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher das
unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen
(vgl. u.a. BSGE 42, 184 und BSGE 62, 32; BVerwGE 92, 84; ferner OLG Koblenz,
a.a.O.).
15
2.
Ungeachtet der nicht geklärten einzelnen Umstände der Kontaktaufnahme
zwischen dem Antragsteller und der Betreuerin des Klägers am 22.01.2015 und
dessen Prozessbevollmächtigten am 28.01.2015 hat der Antragsteller jedenfalls
die Prozessbevollmächtigten des Klägers in seiner E-Mail vom 28.01.2015
unsachlich und persönlich angegriffen, indem er diesen ein „frech-schelmisches
Verhalten“ am Telefon vorgeworfen und zusätzlich noch den „Rat“ erteilt hat, zu
persönlichen Eigenschaften von Ausländern „bei herrn Zarrafin“ (gemein offenbar:
Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“) nachzuschlagen. Insbesondere aber
der nachfolgende Satz in der E-Mail des Antragstellers: „Dass sie national nicht
nationalsozialistisch vorbelastet sind gereicht ihnen auch nicht zur Ehre…..“, stellt
einen unsachlichen und persönlichen Angriff des Antragstellers gegen die
Prozessbevollmächtigten des Klägers dar. Den Vorwurf eines „frech-frivol-
schelmischen Vokabulars“ der Prozessbevollmächtigten hat der Antragsteller
zudem in seiner Äußerung vom 20.06.2015 zum Befangenheitsgesuch des
Klägers wiederholt und zusätzlich Telefonate mit der Betreuerin des Klägers als
Versuch bezeichnet, sich Gewissheit verschaffen zu wollen, ob eine „ihr
möglicherweise zuvor zugesicherte Aufhebung des Gutachtens auch tatsächlich
stattgefunden“ habe. Auch sein Vorbringen im Schriftsatz vom 20.06.2015, die
Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten mit ihrem Anruf vom 28.01.2015
keinen Besprechungstermin vermitteln, sondern „zielbewusst die Realisierung des
Wunsches der Betreuerin des Klägers: Die Verhinderung (seiner) Zusammenkunft
mit dem Kläger unter vier Augen“ verhindern wollen, stellt einen (weiteren)
unsachlichen und durch nichts begründeten Angriff gegenüber der Betreuerin und
den Prozessbevollmächtigten des Klägers dar. Diese deutlich am Gebot der
Sachlichkeit und der Verpflichtung eines gerichtlichen Sachverständigen zur
persönlichen Zurückhaltung und Unvoreingenommenheit gegenüber den
Prozessbeteiligten vorbeigehenden Angriffe erfolgten - wenn nicht gar vorsätzlich -
zumindest grob fahrlässig. Als akademisch vorgebildetem Menschen hätte dem
Antragsteller bei Anstellung selbst einfachster Überlegungen einleuchten müssen,
dass derartige unsachliche Äußerungen aus Sicht eines objektiven, unbeteiligten
Dritten geeignet sind, Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit und
Unparteilichkeit zu wecken. Demgemäß hat der Vorsitzende der 4. Kammer des
Sozialgerichts Karlsruhe dem Befangenheitsgesuch des Klägers stattgegeben.
16 Nachdem überdies das erkennende Gericht bereits mit Verfügung vom
30.01.2015 den Gutachtensauftrag vom 02.01.2015 aufgehoben hatte - dass der
Antragsteller hiervon vor Erhalt des weiteren Schreibens des Gerichts vom
17.02.2015 keine Kenntnis gehabt haben will, erachtet die Kammer angesichts der
aktenkundigen Telefonnotiz der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom
30.01.2015 als bloße Schutzbehauptung - ist eine von ihm erbrachte Leistung für
das Gericht insgesamt unverwertbar. Dies führt zum Wegfall seines
Vergütungsanspruchs.
17 Soweit der Antragsteller eine Vergütung auch für Zeit- und Fahrtkostenaufwand
am 16.02.2015 geltend macht, als er - trotz Kenntnis von der Aufhebung des
Gutachtensauftrags - erneut versucht hatte, sich - zudem mittels einer
unbekannten dritten Person - dennoch Zutritt zur Wohnung des Klägers zu
verschaffen, steht ihm ein Vergütungsanspruch schon deshalb nicht zu, weil er zu
diesem Zeitpunkt und zu diesen Handlungen nicht - wie erforderlich (§ 1 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 JVEG) - von dem Gericht „herangezogen“ worden war.
18
3.
Die Entscheidung über die Gebühren und Kosten folgt aus § 4 Abs. 8 JVEG.