Urteil des SozG Karlsruhe vom 21.04.2016

reformatio in peius, entschädigung, auskunft, vergütung

SG Karlsruhe Beschluß vom 21.4.2016, S 1 KO 1296/16
Sozialgerichtliches Verfahren - sachverständiger Zeuge - Sachverständiger -
Entschädigungsanspruch - Abgeltung von Schreibaufwendungen des
sachverständigen Zeugen - keine Anwendung der reformatio in peius
Leitsätze
Die Entschädigungeines vom Gericht als sachverständiger Zeuge herangezogenen
Arztes richtet sich allein nach den Nrn. 200 bis 203 der Anl. 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG.
Eine Vergütung nach dem Umfang des erbrachten Zeitaufwands steht dem
gegenüber nicht zu.
Mit dem Honorar nach den Nrn. 200 bis 203 der an l. 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG sind auch
die mit diesen Leistungen verbundenen Schreibaufwendungen des sachverständigen
Zeugen abgegolten.
Das Verbot der reformatio in peius findet in Verfahren der erstmaligen richterlichen
Festsetzung der Entschädigung eines sachverständigen Zeugen oder eines
Sachverständigen keine Anwendung.
Tenor
Die Entschädigung der Antragstellerin für ihre Auskunft als
sachverständige Zeugin vom 01. März 2016 im Verfahren S x
SB xxx/15 wird auf 120,15 EUR festgesetzt.
Dieser Beschluss ergeht gebührenfrei; Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
I.
1
Im Hauptsacheverfahren S x SB xxx/15 streiten die dortigen Beteiligten um die
Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Schwerbehindertenrechts.
Mit Schreiben vom 15.02.2016 forderte der Kammervorsitzende von der
Antragstellerin eine Aussage als sachverständige Zeugin an zu insgesamt sechs
Beweisfragen zum Zeitraum und der Dauer der ärztlichen Behandlung seit dem
01.11.2009, der dabei erhobenen Befunde und gestellten Diagnosen, zum
Schweregrad der diagnostizierten Gesundheitsstörungen, zur Frage, welche
dieser Gesundheitsstörungen nicht nur vorübergehend und gegebenenfalls
welche ergänzenden Untersuchungen oder stationären Behandlungen des
Klägers erfolgt seien. Außerdem sollte sich die Antragstellerin zu zwei der Anfrage
beigefügten versorgungsärztlichen Stellungnahmen in Bezug auf die Höhe des
GdB äußern.
2
Ihre schriftliche Auskunft hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 01.03.2016 auf
insgesamt dreieinhalb Textseiten erteilt und ihrer Auskunft insgesamt 167 Kopien
(2 Mehrfertigungen der schriftlichen Auskunft sowie 159 Blatt Arztunterlagen)
beigefügt. Hierfür hat sie eine Entschädigung von insgesamt 156,00 EUR geltend
gemacht und dabei einen Zeitaufwand von 2,0 Stunden zu je 75,00 EUR und 6,00
EUR Schreibgebühren angesetzt. Die Kostenbeamtin hat eine Entschädigung von
120,30 EUR gewährt unter Berücksichtigung eines Honorars von 75,00 EUR für
eine außergewöhnlich umfangreiche schriftliche Auskunft als sachverständige
Zeugin mit gutachtlicher Äußerung, einer Entschädigung für 168 Kopien, davon 50
Kopien zu je 0,50 EUR und 118 Kopien zu je 0,15 EUR, das sind insgesamt 42,70
EUR, und von 2,60 EUR Portoaufwendungen (Schreiben vom 10.03.2016).
3
Deswegen hat die Antragstellerin am 18.04.2016 Antrag auf richterliche
Festsetzung ihrer Entschädigung gestellt. Hierzu hat sie vorgetragen, die vom
Gericht erwünschte Auskunft als sachverständige Zeugin entspreche einer
gutachterlichen Leistung. Der Umfang und der Schweregrad der erwünschten
Auskunft lasse sich durch einen Befundbericht im Sinne der Nr. 203 der Anlage 2
zu § 10 Abs. 1 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) nicht
abdecken. Für Aktenstudium, Abfassung ihres „Gutachtens“, Diktat, Durchsicht
und Korrektur habe sie insgesamt 120 Minuten aufgewendet. Außerdem stehe ihr
eine Entschädigung für Schreibgebühren (6.623 Zeichen) zu.
4
Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom
20.04.2016) und sie dem erkennenden Gericht zu Entscheidung vorgelegt.
5
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der
Antragstellerin wird auf den Inhalt der vorliegenden Prozess- und Kostenakten
Bezug genommen.
II.
6
Der nicht fristgebundene Antrag auf richterliche Festsetzung der Entschädigung ist
gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG statthaft und zulässig. Er führt indes zu keiner
höheren Entschädigung als 120,15 EUR.
7
1.
Das JVEG regelt nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 u.a. die Entschädigung der
Zeuginnen, Zeugen und Dritte, die von den in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JVEG
genannten Stellen herangezogen werden. Nach S. 2 dieser Bestimmung wird eine
Vergütung oder Entschädigung nur nach diesem Gesetz gewährt.
8
Gemäß § 10 Abs. 1 JVEG erhält ein Sachverständiger oder sachverständiger
Zeuge, der Leistungen erbringt, die in der Anlage 2 bezeichnet sind, sein Honorar
oder seine Entschädigung nach dieser Anlage. Nach Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10
Abs. 1 JVEG erhält der sachverständige Zeuge für ein Zeugnis über einen
ärztlichen Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter kurzer
gutachtlicher Äußerung, wenn die Leistung außergewöhnlich umfangreich ist, ein
Honorar von bis zu 75,00 EUR. Außerdem hat ein sachverständiger Zeuge
Anspruch auf Ersatz für das Anfertigen von Ablichtungen in Höhe von 0,50 EUR
für jede der ersten 50 Seiten und von 0,15 EUR für jede weitere Seite (§ 7 Abs. 2
S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 3 JVEG) und für Portoauslagen (§ 7 Abs. 1 S. 1
i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG). Diese Entschädigung gilt auch bei der
schriftlichen Beantwortung von Beweisfragen (§ 19 Abs. 1 S. 2 JVEG).
9
2.
Ausgehend hiervon ist die Entschädigung der Antragstellerin für ihre schriftliche
Auskunft als sachverständige Zeugin vom 01.03.2016 im Verfahren S x SB xxx/15
auf 120,15 EUR festzusetzen.
10
a)
Vorliegend hatte der Vorsitzende der x. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe
mit Schreiben vom 15.02.2016 von der Antragstellerin eine Auskunft als
sachverständige Zeugin angefordert. Hierauf hatte er die Antragstellerin in Absatz
1 des genannten Schreibens ausdrücklich hingewiesen, wobei die Wörter
„schriftliche Vernehmung als sachverständige/r Zeuge/in“ durch Unterstreichung
textlich noch hervorgehoben waren. Die hierzu an die Antragstellerin gestellten
Beweisfragen erforderten auch die Abgabe einer gutachtlichen Stellungnahme
u.a. zum Schweregrad der diagnostizierten Gesundheitsstörungen sowie zu der
Einschätzung des GdB und einer Äußerung zu zwei der Anfrage beigefügten
versorgungsärztlichen Stellungnahmen. Diese Beweisfragen hat die
Antragstellerin auf insgesamt dreieinhalb Textseiten beantwortet. Auch wenn allein
damit nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts eine
außergewöhnlich umfangreiche, d.h. in Umfang und Ausmaß über den sonst mit
der Erstellung eines ärztlichen Befundes und der Abgabe einer kurzen
gutachtlichen Stellungnahme üblicherweise verbundenen Aufwand deutlich
hinausgehende, Leistung noch nicht vorliegt (vgl. Beschluss vom 30.09.2014 - S 1
SF 3240/14 E - ; das LSG Baden-Württemberg
vom 01.09.2006 - L 12 R 3579/06 KO-A> und das Bay. LSG
22.06.2012 - L 15 SF 136/11 -> erachten eine solche Leistung erst dann als
erbracht an, wenn der Befundbericht wenigstens 5 bzw. 6 Seiten erreicht), steht
der Klägerin gleichwohl gemäß Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG eine
Entschädigung von 75,00 EUR zu. Denn zu berücksichtigen ist vorliegend auch
der erforderliche Zeitaufwand, den die Antragstellerin, eine Klinikärztin, die den
Kläger des Hauptsacheverfahrens selbst nicht behandelt hat, für die
Zusammenstellung der berichtenswerten Befunde und die Auswertung dieser
Arztunterlagen aufwenden musste. Bei der Entschädigung von 75,00 EUR für ihre
Leistung handelt es sich um den nach dem Gesetz maximal möglichen
Entschädigungsbetrag. Soweit die Antragstellerin abweichend hiervon eine
Entschädigung nach ihrem tatsächlichen Zeitaufwand und unter Berücksichtigung
eines Entschädigungssatzes nach der Honorargruppe M 2 begehrt, übersieht sie,
dass sie vorliegend (nur) als sachverständige Zeugin vom Gericht herangezogen
worden ist und nicht als Sachverständige. Deshalb steht ihr eine Entschädigung
allein nach der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG und nicht nach dem von ihr
erbrachten Zeitaufwand zu (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG).
11 Mit dem Honorar nach der Nr. 203 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG sind auch
die mit dieser Leistung verbundenen Schreibaufwendungen abgegolten (vgl. BSG
SozR 1925 § 8 Nr. 1 und BSG SozR 3-1925 § 5 Nr. 1 sowie Bay. LSG vom
22.06.2012 - L 15 SF 136/11 - und vom 31.07.2012 - L 15 SF 229/10 -, ferner
Beschluss des erkennenden Gerichts vom 16.11.2012 - S 1 KO 4138/12 -).
12
b)
Weiter hat die Antragstellerin Ersatz auf Entschädigung für das Anfertigen von
insgesamt 167 Fotokopien, davon 50 Fotokopien zu je 0,50 EUR, das sind 25,00
EUR, und weiteren 117 Kopien zu je 0,15 EUR, das sind 17,55 EUR, insgesamt
mithin in Höhe von 42,55 EUR, außerdem für Portoauslagen in Höhe von 2,60
EUR.
13 Damit ergibt sich insgesamt eine Entschädigung der Antragstellerin für ihre
schriftliche Auskunft als sachverständige Zeugin vom 01.03.2016 im Verfahren S x
SB xxx/15 in Höhe von 120,15 EUR.
14 Nachdem die Erinnerung kein Rechtsbehelf ist (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 46.
Aufl. 2016, § 4 JVEG, Rn. 10), gilt das Verschlechterungsverbot (sogenannte
reformatio in peius) bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. u.a.
LSG Baden-Württemberg vom 28.05.2015 - L 12 SF 1072/14 -; Thüringisches
LSG vom 13.08.2013 - L 6 SF 266/13 E - und Bayerisches LSG vom 04.07.2014 -
L 15 SF 123/14 - und vom 01.03.2016 - L 15 RF 28/15 -; ferner
Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Aufl. 2014, § 4, Rnrn. 3 und 12 sowie
Hartmann, a.a.O.). Die vom Gericht festgesetzte Vergütung kann deshalb auch
niedriger anfallen, als sie zuvor von der Kostenbeamtin festgesetzt worden ist. Mit
Blick auf die Höhe der bereits angewiesenen Überzahlung von 0,15 EUR wird von
deren Rückforderung abgesehen.
15 Die Entscheidung zu den Gebühren und Kosten beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.