Urteil des SozG Hildesheim vom 30.11.2010

SozG Hildesheim: unterbringung, stadt, wohnung, wohnraum, untergeschoss, sachleistung, erlass, hauptsache, asylbewerber, deckung

Sozialgericht Hildesheim
Beschluss vom 30.11.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 42 AY 157/10 ER
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 18. September 2010 wird abgelehnt. Die Beteiligten haben
einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Der nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
gegen den Antragsgegner des Inhalts, diesen einstweilen zu verpflichten, der 1952 in Syrien geborenen, derzeit
mangels Pass-/ Passersatzpapieren von der als Ausländerbehörde zuständigen Stadt D. geduldeten Antragstellerin
kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischen Glaubens, die wohl zu Beginn des Jahres 2005 in die Bundesrepublik
ohne Identitätsnachweis zum Zwecke der Beantragung von Asyl mit der Begründung eingereist ist, sie sei staatenlose
Kurdin (ihr Asylantrag blieb erfolglos, vgl. Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.05.2005),
und derzeit nach § 1a Nr. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nur eingeschränkte Grundleistungen bezieht
sowie gemeinsam mit ihren beiden Söhnen E. und F. in einer 2 Zimmer sowie Küche, Bad und Flur umfassenden
Wohnung im Untergeschoss der Notunterkunft für Obdachlose der Stadt D. in der G. in D. kostenfrei untergebracht ist
(vgl. dazu die die Leistungsgewährung bestätigenden Beschlüsse der 39. Kammer des erkennenden Gerichtes vom
13.08.2009 - S 39 AY 143/09 ER - und vom 10.06.2010 - S 39 AY 33/10 ER -; die Beschwerde des Antragsgegners
gegen diesen Beschluss ist, soweit er dem Antrag des Sohnes der Antragstellerin, H., stattgegeben hat, derzeit beim
LSG Niedersachsen-Bremen unter dem Aktenzeichen L 8 AY 57/10 B ER anhängig),
ihr unverzüglich angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und diesbezüglich die notwendigen
angemessenen Miet- und Heizkosten zu übernehmen,
weil die Stadt D. die derzeit von ihr bewohnte Einrichtung für Obdachlose und Asylbewerber in der G. verkommen
lasse, sich die bewohnten Räumlichkeiten nur spärlich heizen ließen und mit Parasiten befallen seien, sodass durch
die derzeitige Unterbringung ihr Gesundheitszustand gefährdet sei, wie die vorgelegten Ärztlichen Atteste des Dr. I.
belegten, ist unbegründet, denn die Antragstellerin hat für ihr e.g. Begehren keinen Anordnungsanspruch und keinen
Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung
(ZPO).
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig ist. Das ist immer dann der Fall, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz schwere und
unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung
in der Hauptsache im Falle des Obsiegens nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG),
Beschluss vom 19.10.1977 - 2 BvR 42/76 -, BVerfGE 46 [166, 179, 184]). Steht dem Antragsteller ein von ihm
geltend gemachter Anspruch voraussichtlich zu und ist es ihm nicht zuzumuten, den Ausgang des
Hauptsacheverfahrens abzuwarten, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes begründet. Eine aus
Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebotene Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen
Verfahren ist jedoch nur dann zulässig, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung
unzumutbare Nachteile drohen und für die Hauptsache hohe Erfolgsaussichten prognostiziert werden können
(Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 08.09.2004 - L 7 AL 103/04 ER -). Sowohl die
hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs
(Anordnungsanspruch) als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
(Anordnungsgrund) müssen glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1
ZPO. Dies ist der Antragstellerin nicht gelungen.
Wie die Kammer bereits in ihrem den Sohn der Antragstellerin, H., betreffenden Beschluss vom 03.09.2010 - S 42 AY
147/10 ER - ausgeführt hat, entscheidet, soweit - wie vorliegend die Antragstellerin - der Leistungsberechtigte nicht
schon aus ordnungsrechtlichen Gründen zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet ist, der nach dem
AsylbLG zuständige Leistungsträger über die Art und Weise der Deckung des laufenden Bedarfs des
Leistungsberechtigten an Unterkunft und Heizung nach seinem Ermessen. Die Ausübung dieses Ermessens hat sich
vorrangig an den das Leistungsrecht des AsylbLG tragenden Prinzipien zu orientieren. In der Regel werden es das
Sachleistungsprinzip und der sozialhilferechtliche Nachranggrundsatz (vgl. § 2 SGB XII) bedingen, dass der
Unterkunftsbedarf des Leistungsberechtigten durch kostenlose Bereitstellung von Wohnraum in einer
Gemeinschaftsunterkunft der Kommune gedeckt werden kann; dies gilt selbst unter Berücksichtigung des
Umstandes, dass einem nach § 2 Abs. 1 AsylbLG Leistungsberechtigten die Hilfe zum Lebensunterhalt regelmäßig -
d.h. vorbehaltlich einer anderweitigen ermessensfehlerfreien Entscheidung des Leistungsträgers nach § 2 Abs. 2
AsylbLG - in Geld zu gewähren ist (Hohm in: Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Stand: 41. Erg.Lfg. Juli 2010,
§ 2 Rn. 127 unter Bezugnahme auf VG Weimar, Beschluss vom 13.03.1997 - 5 E 2449/96.We -, n.v.). In der
Rechtsprechung ist deshalb bereits entschieden, dass selbst der nach § 2 Abs. 1 AsylbLG privilegiert
Leistungsberechtigte allein mit dem Hinweis auf den Bezug von sog. Analog-Leistungen nicht automatisch die
Unterbringung in einer von ihm privat angemieteten Wohnung auf Kosten des Leistungsträgers beanspruchen kann
(vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 16.02.2006 - 21 CS 06.230 -, juris Rn. 4). Diese Grundsätze müssen vorliegend erst
Recht Geltung beanspruchen, denn die Antragstellerin ist lediglich zum Bezug sog. eingeschränkter Grundleistungen
nach §§ 1a, 3 AsylbLG berechtigt, weil mangels Mitwirkung der Antragstellerin an der Aufklärung ihrer wahren Identität
und Staatsangehörigkeit sowie an der Beschaffung von Pass-/ oder Passersatzpapieren aufenthaltsbeendende
Maßnahmen von der Stadt D. seit mehreren Jahren nicht vollzogen werden können. Lediglich in begründeten
Einzelfällen kann etwa aus gesundheitlichen Gründen im Wege der Ermessensreduzierung auf Null ein Anspruch auf
dezentrale Unterbringung des nach § 1a AsylbLG Leistungsberechtigten etwa in privat angemietetem Wohnraum
bestehen.
Die gegenwärtige Unterbringung der Antragstellerin in der 2-Zimmer-Wohnung im Untergeschoss des Gebäudes G. in
D. gemeinsam mit ihren beiden Söhnen E. und F. begegnet nach Auffassung der Kammer keinen rechtlichen
Bedenken. Denn die Antragstellerin wird durch diese Form der familiären Einzel-Unterbringung in einer separat
abschließbaren Wohneinheit bereits gegenüber den übrigen Leistungsberechtigten, die von der Stadt D. im 2.
Obergeschoss des e.g. Gebäudes in mehrfach belegten Zimmern unter Verweis auf die gemeinschaftliche Nutzung
von Sanitär-, Aufenthalts- und Waschräumlichkeiten untergebracht sind, wesentlich besser gestellt, ohne dass sie
diese großzügige Unterbringung beanspruchen könnte. Ob die im Verfahren S 39 AY 143/09 ER von der
Antragstellerin geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden beim Treppensteigen glaubhaft sind und darüber
hinaus auch gegenwärtig noch die Unterbringung der Antragstellerin im Unter- oder Erdgeschoss des Gebäudes
erfordern, kann deshalb hier dahinstehen, denn der Antragsgegner hat mit der durch die Stadt D. im September 2009
geschaffenen Abhilfe durch Bezug der gegenwärtigen Wohnung im Untergeschoss diesem Begehren der
Antragstellerin mehr als nur Rechnung getragen.
Die von der Antragstellerin in ihrer Antragsschrift geltend gemachten Mängel des Gebäudes G. in D. liegen zur
Überzeugung der Kammer nicht vor. Insoweit wird auf die Niederschrift über den am 19.11.2010 von der Kammer
durchgeführten Ortstermin mit Beweisaufnahme verwiesen. Die Kammer hat sich insbesondere davon überzeugen
können, dass die zentrale Heizungsanlage des Gebäudes voll funktionstüchtig ist, die von der Antragstellerin
bewohnte Wohnung im Untergeschoss, die mit voll funktionstüchtigen Heizkörpern (ein Heizkörper wurde noch
während des Ortstermins vom Hausmeister der Einrichtung entlüftet) und dicht schließenden Fenstern ausgestattet
ist, in allen Räumen auf übliche Zimmertemperatur beheizt werden kann und ein Parasitenbefall oder vergleichbare
unhygienische Zustände nicht vorliegen; eine Gesundheitsgefahr für die Antragstellerin durch die gegenwärtige
Unterbringung ist deshalb schon ansatzweise nicht erkennbar. Die in der Vergangenheit kurzfristig aufgetretenen
Mängel sind von den Verantwortlichen des Gebäudemanagements zeitnah abgestellt worden (Ameisenbefall im
Sommer, Ausfall der zentralen Heizungsanlage für 2 Tage); sie können daher einen Anspruch auf anderweitige
Unterbringung in der Gegenwart nicht begründen. Im Übrigen sind die Antragstellerin und ihre beiden Söhne gehalten,
im Wege der Selbsthilfe etwa durch regelmäßige Reinigung ihrer Wohnung unerwünschten Zuständen wie der vor Ort
geltend gemachten Spinnwebenbildung an der Decke entgegenzuwirken. Dazu wären sie nämlich auch bei
anderweitiger Unterbringung etwa in privat angemietetem Wohnraum angehalten. Bei zukünftigem Auftreten von
Mängeln haben sie die Möglichkeit, sich jederzeit an den Hausmeister des Objekts zu wenden. Die Kammer konnte
insoweit nicht den Eindruck gewinnen, dass die Verantwortlichen des Gebäudemanagements auf Bitten oder
Beschwerden der Antragstellerin oder anderer Bewohner des Gebäudes nicht reagieren.
Der durchgeführte Ortstermin und die hieraus gewonnenen Erkenntnisse zur Deckung der notwendigen Bedarfe der
Leistungsberechtigten bietet für den Antragsgegner allerdings Anlass, die im vorliegenden Verfahren nicht gerügte und
damit nicht streitgegenständliche Höhe der Leistungsgewährung nach §§ 1a, 3 AsylbLG gegenüber der Antragstellerin
zu überprüfen. Denn der Bedarf der in der G. untergebrachten Leistungsberechtigten an Verbrauchsgütern des
Haushalts (z.B. Putz- und Reinigungsmittel) wird weder von der Stadt D. noch von der örtlichen Betreiberin der
Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, Fa. J., durch kostenfrei bereitgestellte Sachleistung gedeckt. Dagegen
wird der Bedarf an Haushaltsenergie durch Sachleistung gedeckt; Abzüge von dem Betrag nach § 3 Abs. 2 Satz 2
AsylbLG für diese Bereitstellung von Haushaltsenergie als Sachleistung oberhalb des in dem Betrag enthaltenen
Anteils für Haushaltsenergie i.H.v. 20,45 EUR bzw. 23,01 EUR gemäß den in stetiger Verwaltungspraxis von dem
Antragsgegner herangezogenen Vorgaben des früheren Erlasses des Nds. Innenministeriums zur Durchführung des
AsylbLG vom 14.08.1995 sind nach Auffassung der Kammer indes nicht gerechtfertigt.
Die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten beruht auf einer entsprechenden
Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen der Antragstellerin.