Urteil des SozG Hamburg vom 13.02.2007

SozG Hamburg: untätigkeitsklage, gebühr, verwaltungsverfahren, vorverfahren, klageart, sozialleistung, widerspruchsverfahren, ermessen, vergütung, aufwand

Sozialgericht Hamburg
Beschluss vom 13.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 53 AS 2116/06
Auf die Erinnerung der Beklagten wird der Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 18. Januar 2007
insoweit abgeändert, als die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 141,52 EUR (in Worten:
hunderteinundvierzig 52/100) festgesetzt werden. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.
Gründe:
I. Im zugrunde liegenden Rechtsstreit hat der Kläger Untätigkeitsklage wegen der Nichtbescheidung seines
Widerspruchs vom 21. April 2006 gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2006 erhoben. Die Beklagte hat
während des Klageverfahrens einen Abhilfebescheid erlassen, wonach der Rechtsstreit eine unstreitige Erledigung
gefunden hat. Mit Schriftsatz vom 21. November 2006 hat die Beklagte sich - konkludent - bereit erklärt, dem Kläger
die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 13. November 2006 hat der Bevollmächtigte des Klägers 140,00 EUR zuzüglich
16 % Umsatzsteuer in Ansatz gebracht (die dreifache Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis
(VV) der Anlage 1 zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) in Höhe von
120,00 EUR zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG), insgesamt 162,40 EUR. Die Beklagte
hat sich lediglich zur Erstattung der Gebühren bereit gezeigt, die sich bei Berücksichtigung einer vierfachen
Mindestverfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe von 80,00 EUR zuzüglich 16,00 EUR Auslagenpauschale
nach Nr. 7002 VV RVG ergeben, insgesamt inklusive Umsatzsteuer 111,36 EUR.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat mit Beschluss vom 18. Januar 2007, der Beklagten zugestellt am 23.
Januar 2007, dem Antrag des Klägers in vollem Umfang entsprochen.
Mit ihrer am 23. Januar 2007 hiergegen eingelegten Erinnerung, der die Urkundsbeamtin nicht abgeholfen hat, hält die
Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass bei der Bemessung der Verfahrensgebühr der Rahmen der Nr. 3103 (und nicht
der Nr. 3102) VV RVG Anwendung finde, weil der Untätigkeitsklage eine Tätigkeit des Bevollmächtigten des Klägers
im Verwaltungs- und Vorverfahren vorausgegangen sei, so dass er im sozialgerichtlichen Verfahren einen geringeren
Aufwand gehabt habe. Innerhalb dieses Rahmens sei bei der vorliegenden durchschnittlichen Untätigkeitsklage die
vierfache Mindestgebühr angemessen. Anzusetzen seien daher 96,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer.
II. Die gemäß § 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Erinnerung ist im tenorierten Umfang begründet, im
Übrigen hingegen unbegründet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die zu erstattenden Kosten in Gestalt der
Rechtsanwaltsgebühren zu Unrecht auf mehr als 102,00 EUR zuzüglich 20,00 EUR Auslagenpauschale und 16%
Umsatzsteuer festgesetzt.
Rechtsgrundlage für die Kostenfestsetzung ist vorliegend § 197 Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 2, 3 und 14 RVG sowie dem
VV RVG. Danach setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag den Betrag der zu
erstattenden Kosten fest. Der anwaltlich vertretene Kläger hat einen solchen Antrag gestellt. Nach den zitierten
Bestimmungen des RVG entstehen in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen - wie vorliegend - das
Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Diese bestimmt der Rechtsanwalt im Einzelfall
unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem
Ermessen. Sein besonderes Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen. Ist die Gebühr von einem Dritten – hier der
Beklagten – zu ersetzen, ist die vom Anwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.
Der Kläger geht in seinem Kostenfestsetzungsantrag zunächst ebenso wie die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
zu Unrecht davon aus, dass die Verfahrensgebühr vorliegend nach dem Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV RVG
(40,00 bis 460,00 EUR) statt nach dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) zu bemessen ist, denn
es ist im Sinne der Nr. 3103 VV RVG eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im weiteren, der Nachprüfung des
Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren vorausgegangen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat für
diesen sowohl mit Antrag vom 19. Dezember 2005 das Verwaltungsverfahren eingeleitet als auch den Widerspruch
vom 21. April 2006 gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 23. März 2006 eingelegt. Insoweit ist es
ohne Belang, dass es sich bei dem gerichtlichen Verfahren um eine Untätigkeitsklage gehandelt hat und demgemäß
das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen war. Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV RVG stellt allein
darauf ab, dass der Rechtsanwalt oder die Rechtsanwältin zuvor in einem der dort aufgeführten Verfahren tätig war.
Mit dem reduzierten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV RVG soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die
Tätigkeit in diesen Verfahren die Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren erleichtert. Hierfür kommt es auf die Frage des
Abschlusses des jeweiligen Verwaltungsverfahrens ebenso wie auf die Klageart nicht an (ebenso: Sozialgericht
Hamburg 5. Juli 2006 - S 58 AS 329/05, 25. September 2006 - S 52 AS 1626/05, 11. Januar 2007 - S 59 AS 234/06;
a.A.: Sozialgericht Hamburg 5. Januar 2007 – S 62 AS 803/05, 24. Januar 2007 – S 53 AS 882/06, wobei die
erkennende Kammer ihre bisherige Rechtsprechung hiermit ausdrücklich aufgibt). Der Gedanke des geringeren
Aufwands greift auch bei Untätigkeitsklagen: Während ein Bevollmächtigter, der bereits im Verwaltungs- oder
Vorverfahren tätig war, mit dem Sachverhalt vertraut ist und sich bei Antragstellung bzw. Widerspruchseinlegung die
Frist zur Erhebung einer Untätigkeitsklage notiert haben dürfte, müsste ein erstmalig zwecks Erhebung der
Untätigkeitsklage aufgesuchter Rechtsanwalt zunächst im Mandantengespräch den Sachverhalt klären, sich
Unterlagen vorlegen lassen und dann prüfen, ob die Erhebung der Klage zulässig, begründet und sinnvoll ist.
Ausgehend von dem Rahmen der Nr. 3103 VV RVG (20,00 bis 320,00 EUR) mit einer Mittelgebühr in Höhe von 170,00
EUR erscheint eine Gebühr in Höhe der vierfachen Mindestgebühr (80,00 EUR) allerdings unangemessen niedrig. Zu
bewerten ist die anwaltliche Tätigkeit im Rahmen einer durchschnittlichen Untätigkeitsklage. Die Untätigkeitsklage
zielt darauf, den Fortgang des Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens zu erzwingen. Sie ist nur darauf gerichtet,
überhaupt eine Entscheidung des Sozialleistungsträgers herbeizuführen. Die begehrte Sachentscheidung kann mit ihr
nicht erreicht werden. Sie hat daher für den Kläger in aller Regel weniger Bedeutung als die übrigen Klagearten.
Zudem ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit typischerweise gering. Regelmäßig ist bei einer Untätigkeitsklage
daher eine Gebühr deutlich unterhalb der Mittelgebühr anzusetzen. Gleichwohl muss die Untätigkeitsklage im
Zusammenhang mit der begehrten Sozialleistung (gleichsam als ihrem "Fernziel") betrachtet werden, zu deren
Durchsetzung sie dient. Aus diesem Grund darf die Gebühr nicht zu niedrig angesetzt und sollte auch nicht im
Verhältnis zur Mindestgebühr, sondern zur Mittelgebühr dargestellt werden, schon um ein angemessenes Verhältnis
zur Bewertung der Untätigkeitsklage bei fehlender vorausgegangener Tätigkeit nach Nr. 3102 VV RVG zu
gewährleisten. Bei einer Bemessung der Verfahrensgebühr, die von der Mindest- statt von der Mittelgebühr ausgeht,
ergäbe sich bei der Anwendung der Nr. 3102 VV RVG eine der Sache nach kaum zu rechtfertigende Verdoppelung
gegenüber derjenigen der Nr. 3103 RVG. Daher hält das Gericht bei durchschnittlichen Untätigkeitsklagen eine
Verfahrensgebühr in Höhe von 60% der Mittelgebühr des jeweiligen Rahmens für angemessen, was im Falle der Nr.
3102 VV RVG 150,00 EUR ergibt und im Falle der Nr. 3103 VV RVG - wie vorliegend - etwa ein Drittel weniger,
nämlich 102,00 EUR.
Hinzu kommen hier noch die Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 EUR sowie, da der Rechtsstreit und damit die
Leistungserbringung durch den Bevollmächtigten des Klägers vor dem 1. Januar 2007 geendet hat, 16% (statt
nunmehr 19%) Umsatzsteuer
III. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).