Urteil des SozG Hamburg vom 24.04.2009

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Sozialgericht Hamburg
Urteil vom 24.04.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 40 U 198/08
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall vom 23.09.2007 ein Arbeitsunfall ist.
Der 1965 geborene Kläger ist als Hafenfacharbeiter bei der Firma E. beschäftigt und in der Ausbildungsabteilung für
Großgerätefahrer tätig.
Für den Zeitraum vom 23.09.2007 bis 28.09.2007 beantragte er mit Erfolg bei seinem Arbeitgeber die Gewährung von
Bildungsurlaub nach dem Hamburgischen Bildungsurlaubsgesetz für das Seminar "Erst stirbt die See und dann der
Mensch". Während dieser Bildungsurlaubsreise, die auf einem Segelschiff auf der Ostsee stattfand, erlitt der Kläger
am 23.09.2007 einen Unfall, bei dem er sich aufgrund eines Sturzes aus seiner ca. 2,5 Meter hoch gelegenen
Schlafkoje einen Bruch des rechten Schulterblattes sowie der dritten Rippe rechts zuzog.
Mit Bescheid vom 06.11.2007 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der
Begründung ab, die Tätigkeit habe in keinem inneren Zusammenhang mit der eigentlichen versicherten betrieblichen
Tätigkeit gestanden.
Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers vom 06.12.2007 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2008
zurückgewiesen. Die Vermittlung allgemeiner Informationen, die irgendwie und irgendwann auch einmal für den Betrieb
zu verwenden, seien reiche nicht aus, um den erforderlichen inneren Zusammenhang mit dem
Beschäftigungsverhältnis zu begründen.
Am 23.07.2009 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt vor, die im Beruf benötigte Teamfähigkeit habe im Vordergrund
gestanden, damit "neue innerbetriebliche Aufgaben und Verantwortungsbereiche" übernommen werden könnten. Dies
sei in Absprache mit dem Arbeitgeber geschehen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß),
den Bescheid der Beklagten vom 06.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2008 aufzuheben
und festzustellen, dass der Unfall vom 23.09.2007 ein Arbeitsunfall ist.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Begründungen der angefochtenen Bescheide.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.
Am 06.03.2009 hat das Gericht im Rahmen eines Erörterungstermins Beweis durch die Vernehmung des Zeugen B.,
Personalchef von E., erhoben und das Sach- und Streitverhältnis ausführlich mit den Beteiligten erörtert. Hierbei hat
der Kläger erläutert, er habe die Kosten der Bildungsreise selbst getragen, sein Arbeitgeber habe ihn lediglich für die
fragliche Zeit unter Lohnfortzahlung freigestellt. Der Zeuge führte unter anderem aus, dass anerkannte
Bildungsurlaubsveranstaltungen nach dem Bildungsurlaubsgesetz grundsätzlich genehmigt werden müssen, es sei
denn, es stünden betriebliche Belange entgegen. Kosten würden hierfür nicht vom Unternehmen getragen, nur die
Freistellung. Betriebliche Fortbildungsveranstaltungen würden voll von E. bezahlt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und
die beigezogene Akte Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der Erörterung und Entscheidungsfindung
der Kammer.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage, über die die Kammer nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aufgrund der
Einverständniserklärung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 06.11.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.06.2008 ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Der Unfall vom 23.09.2007 ist kein Arbeitsunfall.
Es fehlt an einem sachlichen Zusammenhang zwischen den Verrichtungen des Klägers während der
Bildungsurlaubsreise, also auch zum Unfallzeitpunkt, mit der versicherten Tätigkeit.
Nach § 8 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer
den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle
sind nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende
Ereignisse, die zu einem Körperschaden oder zum Tod führen.
Die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls muss der versicherten Tätigkeit zuzurechnen sein (innerer bzw.
sachlicher Zusammenhang) und zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis, dem
Unfallereignis, führen (Unfallkausalität). Das Ereignis muss dann einen Gesundheitsschaden verursacht haben
(haftungsbegründende Kausalität).
Der Kläger war als Beschäftigter der Fa. E. nach § 2 Abs.1 Nr. 1 SGB VII versichert. Die Teilnahme an der
Bildungsurlaubsreise stellt keine dem Beschäftigungsverhältnis des Klägers zurechenbare versicherte "Tätigkeit" dar,
die unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Diese Wertung folgt aus dem Schutzzweck der
gesetzlichen Unfallversicherung, die durch die Ablösung der Unternehmerhaftpflicht dann einzutreten hat, wenn eine
Tätigkeit betrieblich veranlasst wurde und sie dem Betrieb wesentlich dient.
Hierbei kann dahinstehen, ob der Unfall des Klägers bereits aus dem Gesichtspunkt der eigenwirtschaftlichen
Tätigkeit (Schlafen) unversichert wäre oder ob sich eine besondere betriebliche Gefahr (Segelschiff) realisiert hat,
denn weder zum Unfallzeitpunkt noch während der gesamten Bildungsurlaubsreise bestand ein sachlicher
Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.
Der wesentliche Zweck dieser Reise bzw. allgemein einer Bildungsurlaubsveranstaltung ist die persönliche
"Weiterbildung" und regelmäßig nicht ein betriebliches Interesse. Solche Veranstaltungen werden nicht vom
Arbeitgeber veranlasst, sie stellen originäre Arbeitnehmerrechte dar. Bereits aus der Bezeichnung des
Bildungsurlaubs ist ersichtlich, dass es sich um eine "Beurlaubung" von der beruflichen Tätigkeit handelt. Den dafür
erforderlichen rechtlichen Rahmen hat der Gesetzgeber in Hamburg mit dem Hamburger Bildungsurlaubsgesetz
(HmbBUG) vom 21.01.1974 in der Fassung vom 16.04.1991 geschaffen. Durch die Freistellung von der Arbeit soll
dem Arbeitnehmer die Teilnahme an anerkannten Veranstaltungen sowohl der politischen Bildung als auch der
beruflichen Weiterbildung und zur Qualifikation für die Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten ermöglicht werden (§
1 Abs. 1 HmbBUG). Nach § 3 HmbBUG besteht ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Freistellung von seiner
Arbeit, so dass ein Arbeitgeber nur aus zwingenden betrieblichen Gründen (§ 7 Abs. 2 HmbBUG) einen solchen
(Urlaubs-)Antrag ablehnen kann. Der Arbeitgeber hat gemäß § 13 HmbBUG die Pflicht, während des Bildungsurlaubes
das Entgelt fortzuzahlen.
Versicherungsschutz kann hingegen bei einer "Fortbildungsmaßnahme", die nicht durch den Arbeitgeber veranlasst
wurde, nur dann bestehen, wenn die Veranstaltung unmittelbar wesentlich der versicherten Tätigkeit dient. Die
Wesentlichkeit des betrieblichen Interesses beurteilt sich nach der Handlungstendenz, die in erster Linie aus den
objektiven Umständen des Einzelfalles abzuleiten sind. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn dem
Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einer Bildungsurlaubs-veranstaltung konkrete berufliche Perspektiven oder
Zusagen von Seiten des Arbeitgebers vor der Teilnahme gemacht wurden.
Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Arbeitgeber musste den Kläger freistellen, ohne den tatsächlichen Inhalt
der Veranstaltung geprüft zu haben. Dem Kläger wurden auch vorher keine Zusage über konkrete berufliche
Perspektiven gegeben. Laut Angaben des Arbeitgebers wurde dem Kläger weder aus Gründen der beruflichen
Weiterbildung geraten, an dieser Bildungsurlaubsveranstaltung teilzunehmen, noch sollten ihm konkrete neue
innerbetriebliche Aufgaben und Verantwortungsbereiche anvertraut werden. Der Zeuge B. hat zum Ablauf des
Verfahrens bei E. für die Genehmigung von Bildungsurlaub ausgesagt, dass ein Arbeitnehmer unter Beifügung der
Unterlagen für den konkreten Bildungsurlaub sowie einer Bestätigung des Veranstalters einen Antrag stellen muss.
Seitens des Betriebes würde dann lediglich geprüft, ob es sich um einen anerkannten Bildungsurlaub handele und ob
der gewünschte Termin betrieblich passe. Empfehlungen zur Teilnahme an Bildungsurlaubsveranstaltungen seitens
des Personalbereichs gebe es hingegen nicht. Der Betrieb biete außerdem selbst Fortbildungen für die Mitarbeiter an,
deren Kosten dann vollumfänglich übernommen werden.
Ein Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers ist auch angesichts des Themas nicht ersichtlich. Die
Durchsicht des Programms des Seminars ergibt, dass der Schwerpunkt dieser Bildungsurlaubsveranstaltung auf
"meeresbiologischen Untersuchungen und entsprechenden Vorträgen und Diskussionen" beruhen sollte. Damit ist ein
wesentlicher Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Klägers als Hafenfacharbeiter bzw. Ausbilder für
(Hafen-)Großgeräte bei E. nicht herzustellen. Dass diese Reise auch der Förderung der Teamfähigkeit diente, wie
beiläufig aus den Unterlagen zu entnehmen ist, stellt lediglich eine positive Begleiterscheinung dar. Ein konkreter
Bezug zur versicherten Tätigkeit liegt damit nicht vor. Sie wird auch nicht dadurch hergestellt, dass bei E. in Teams
gearbeitet wird.
Auch wenn die bei dem Bildungsurlaub erworbenen Kenntnisse in irgendeiner Form der betrieblichen Tätigkeit des
Klägers als Ausbilder zugute kommen könnten, reicht dies nicht aus, um ein wesentlich betriebliches Interesse des
Arbeitgebers an dem Bildungsurlaub des Klägers zu begründen. Insbesondere nicht, wenn der Arbeitgeber dies
ausdrücklich verneint. Würde der Betrieb eine Fortbildung für den Kläger für erforderlich halten, so würde diese nach
Aussage des Zeugen innerbetrieblich stattfinden und die Kosten voll vom Arbeitgeber übernommen werden.
Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII kommt ebenfalls nicht in Betracht, denn der Kläger war nicht als
"Lernender" in einer "Einrichtung" im Sinne dieser Vorschrift tätig. Insoweit fehlt es ebenfalls am Zusammenhang mit
seiner versicherten Tätigkeit.
Auch nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII ist Versicherungsschutz nicht gegeben. Der Kläger wurde nicht "wie" ein
Beschäftigter des Unternehmers des Segelschiffes tätig. Es fehlt an der entsprechenden Handlungstendenz.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.