Urteil des SozG Gießen vom 19.12.2009

SozG Gießen: vorläufiger rechtsschutz, darlehen, hauptsache, stromversorgung, heizung, notlage, verfügung, wiederherstellung, zuschuss, erlass

Sozialgericht Gießen
Beschluss vom 19.12.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 26 AS 1621/09 ER
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller zur Begleichung
seiner Schulden bei der o.GmbH in Höhe von 2.368,93 EUR durch Überweisung der Darlehenssumme auf das Konto
der o.AG (Sparkasse O., Blz. , Kto. ) unter Angabe der Vertragskontonummer: des Antragstellers, zu gewähren.
Weiterhin wird die Antragsgegnerin verpflichtet, die Kosten der Widerherstellung der Stromversorgung darlehensweise
zu übernehmen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
Der am 11. Dezember 2009 gestellte Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller die Kosten für
Stromrückstände in Höhe von 2.367,43 EUR nebst den Kosten für die Wiedereinschaltung zu übernehmen,
ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger
Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei
Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die
durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur
summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im
Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten
Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die
Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az. 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927ff).
Ein Anordnungsanspruch auf Übernahme der Stromschulden als Zuschuss besteht nicht. Es liegen aber die
Voraussetzungen der Übernahme als Darlehen vor.
Zwar können Stromkosten Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II sein, wenn mit Strom
geheizt wird, doch gilt dies nicht für in der Vergangenheit fällig gewordene Abschlagszahlungen. Im Übrigen greift für
Schulden mit § 22 Abs. 5 SGB II eine speziellere Norm. Nach dieser Vorschrift können, sofern Leistungen für
Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der
Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn
dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.
Soweit ersichtlich, ist die Übernahme der Schulden zur Wiederherstellung der Stromversorgung notwendig.
Insbesondere ist der Antragsteller nicht darauf zu verweisen, im Wege der Selbsthilfe eine
Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Stromversorger abzuschließen. Das Gericht sieht keine Erfolgsaussichten für ein
solches Vorgehen, da dazu keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stehen und die möglichen geringen Raten
angesichts der Höhe der Forderung vom Stromversorger nicht als ausreichend angesehen werden dürften. Die
Schuldenübernahme ist auch gerechtfertigt. Bei dieser Frage ist es von maßgeblicher Bedeutung, wie es zu der
geltend gemachten Notlage gekommen ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller die Schulden durch
Nichtweiterleitung von bewilligten Leistungen oder zur Verfügung stehenden Mitteln verschuldet hat. Vielmehr war der
Antragsteller in diesem Zeitraum mittellos.
Das Nichtvorhandensein von Strom steht einer Wohnungslosigkeit im Sinne des § 22 Abs. 5 S. 2 SGB II gleich.
Eine Übernahme der Kosten kommt nur als Darlehen in Betracht, § 22 Abs. 5 S. 4 SGB II. Ein Ausnahmefall, der eine
Abweichung von diesem Grundsatz begründen könnte, liegt nicht vor.
Die bisher nicht bezifferten Kosten der Wiederherstellung der Stromversorgung sind als Darlehen nach § 23 Abs. 1 S.
1 SGB II zu übernehmen. Unter § 22 Abs.5 SGB II fallen sie nicht, da es sich nicht um Schulden handelt (SG
Hildesheim, Beschluss vom 4. September 2009, S 43 AS 1610/09 ER, Juris-Rn. 29).
Im Rahmen eines Verfahrens im einstweiligen Rechtschutzes besteht keine Bindung an die Anträge, so dass das
Gericht die beantragte Summe überschreiten und die darlehensweise Zahlung anordnen durfte, obwohl ein Zuschuss
verlangt war.
Ein Anordnungsgrund ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin bei einer Stromabschaltung grundsätzlich
gegeben. Es spielt keine Rolle, wie lange es der Antragsteller bereits ohne Strom ausgehalten hat. Rückschlüsse
dahingehend, dass es, wenn es doch seit Mai 2009 möglich war, auch noch bis zum Abschluss eines
Hauptsacheverfahrens gelingen könnte, sind nicht möglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Hier war das Unterliegen hinsichtlich des Zuschusses zu
berücksichtigen.