Urteil des SozG Gießen vom 15.05.2009

SozG Gießen: wohnung, vorläufiger rechtsschutz, umzug, zusicherung, stadt, heizung, familie, hauptsache, schwangerschaft, vermieter

Sozialgericht Gießen
Beschluss vom 15.05.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 26 AS 490/09 ER
1. Die Antraggegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern die Zusicherung zur Übernahme der Leistungen für
Unterkunft und Heizung für die Wohnung K-Str. in A Stadt zu erteilen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Die 23jährigen Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes im Rahmen von Leistungen nach
dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) die Zusicherung zur Übernahme von Kosten für Unterkunft und
Heizung für eine Wohnung in A-Stadt.
Die Antragstellerin ist schwanger. Der Antragsteller ist der Kindsvater. Die Antragstellerin wohnte zunächst bei ihrem
Vater, ist aber nach Streitigkeiten ausgezogen und wohnt derzeit vorübergehend bei dem Bruder des Antragstellers.
Der Antragsteller wohnt vorübergehend bei seiner Mutter. Die Antragsteller wollen gemeinsam eine Wohnung nehmen.
Dazu beantragten die Antragsteller die Zustimmung zur Übernahme der Kosten der Wohnung in der K-Str. in A-Stadt.
Am 23.04.2009 stellte die Antragsgegnerin fest, dass die Wohnung für drei Personen angemessen sei. Der Vermieter
hat die Wohnung bisher freigehalten.
Die Antragstellerin behaupten, die Antragstellerin könne nicht zu ihrem Vater, da sie mit ihm im Streit auseinander
gegangen sei und er ihr Geld entwendet hätte. Zu ihrer Mutter könne sie ebenfalls nicht zurück, da sie dort auf den
Vater treffen könne und das Verhältnis zur Mutter auch nicht gut sei.
Die Antragsteller beantragen, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Anmietung
der Wohnung K-Str. in A-Stadt gemäß Angemessenheitsbescheinigung vom 23.04.2009 zu genehmigen, hilfsweise
die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung der Antragsteller im Sinne der Gründung einer Bedarfsgemeinschaft zu
genehmigen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung nicht befürwortet werden
könne, da der Fachdienst Zuwanderung und Integration des L-Kreises von einer Kindswohlgefährdung ausgehe, wenn
die Antragstellerin ohne Hilfe verbleiben würde. Diese Hilfe könne der Antragsteller nicht leisten.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte
Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen
Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger
Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei
Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die
durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur
summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im
Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten
Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die
Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Az. 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927 ff).
Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Die Antragsteller haben einen Anspruch auf die tenorierte Zusicherung. Nach § 22
Abs. 2a SGB II werden Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Leistungen für Unterkunft und
Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht, wenn der kommunale
Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur
Zusicherung verpflichtet, wenn 1. der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der
Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann, 2. der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den
Arbeitsmarkt erforderlich ist oder 3. ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Eine Schwangerschaft stellt einen sonstigen, ähnlich schwerwiegenden Grund im Sinne der Nr. 3 dieser Vorschrift dar
(SG Berlin, Beschluss vom 19.06.2006, Az. S 103 AS 3267/06 ER, juris-Rn. 41). Der Gesetzgeber nennt ausdrücklich
die Schwangerschaft als Grund für einen Umzug (BT-Drucks. 16/688, S. 12 a. E.). Dies passt auch in das System
des SGB II. Eine schwangere Tochter genießt bereits eine Sonderstellung innerhalb der Bedarfsgemeinschaft (§ 9
Abs. 3 SGB II) und mit der Geburt des Kindes begründet sie eine eigene Bedarfsgemeinschaft. Es ist nur folgerichtig,
wenn sie diese eigene Bedarfsgemeinschaft auch durch einen Umzug manifestieren darf. Darauf, ob die
Antragstellerin auch aus anderen Gründen nicht mehr bei ihrer Mutter oder ihrem Vater leben kann, kommt es nicht
an.
Die Schwangerschaft bleibt e auch dann ein ausreichender Grund für einen Umzug, wenn die Möglichkeit einer
Gefährdung des Kindeswohls besteht. Das SGB II erlaubt es nicht, Eltern die Gründung einer Familie zu untersagen,
weil sie möglicherweise nicht die Sorge für ein Kind übernehmen können. Eine solche Auslegung dürfte bereits das
grundgesetzlich geschützte Recht zur Gründung einer Familie (Art. 6 GG) verhindern. Zudem wird der Schutz des
Kindeswohls durch andere Vorschriften und Institutionen gewährleistet. § 22 Abs. 2a SGB II verfolgt dieses Ziel
nämlich nicht. Vielmehr ging es bei der Einführung dieses Absatzes darum, dem Auszug von 18 bis 24jährigen einen
Riegel vorzuschieben, um Kosten zu sparen (BT-Drucks. 16/688, S. 15). Grundsätzlich ist die Vorgehensweise der
Antragsgegnerin zu befürworten, für das Vorliegen von Gründen für einen Umzug fachkundige Stellungnahmen
einzufordern. Diese Stellungnahmen dürfen aber nicht dazu führen, dass bei Vorliegen eines ausreichenden Grundes
für einen Auszug, nämlich der Absicht der Gründung einer eigenen Familie, an den Erfolgsaussichten dieses Plans
gezweifelt wird und damit der Grund für den Umzug entfällt. Diese Zweifel sollten bei der Antragsgegnerin allerdings
Anlass sein, das Jugendamt zu informieren.
Die Kosten der neuen Wohnung sind nach den Feststellungen der Beklagten angemessen.
Der Anordnungsgrund folgt daraus, dass die Wohnung schnell angemietet werden muss, damit der Vermieter sich
nicht für andere Mieter entscheidet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Beschwerde ist für die Antragsgegnerin zulässig, da die
Zusicherung den Wert von 750 EUR überschreitet, § 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 und § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG.