Urteil des SozG Gießen vom 28.10.2010

SozG Gießen: konzept, stadt, angemessenheit der kosten, daten, heizung, unterkunftskosten, wohnungsmarkt, hessen, anteil, verwaltungsakt

Sozialgericht Gießen
Urteil vom 28.10.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 25 AS 775/10
Der Bescheid vom 29.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2010 und des Bescheides vom
10.06.2010 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Kläger auf Bewilligung von Leistungen für Kosten der Unterkunft
und Heizung für den Zeitraum Juli bis November 2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu
entscheiden.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung.
Die Kläger wohnen seit 2001 in einer 103 qm großen 4-Zimmer-Wohnung in A-Stadt. Seit Januar 2005 erhalten sie
Leistungen nach dem SGB II. Ab 01.08.2008 betrug die Miete insgesamt 770,84 EUR monatlich (562,84 EUR
Kaltmiete, 64,00 EUR Heizkostenvorauszahlung, 144,00 EUR Nebenkostenvorauszahlung). Mit Schreiben vom
22.12.2009 und 09.02.2010 wies die Beklagte die Kläger darauf hin, dass für einen 4 Personen-Haushalt in A-Stadt für
Grundmiete 462,00 EUR, Heizkosten 64,00 EUR und weitere Betriebskosten 100,68 EUR angemessen seien und
dass die Übernahme der unangemessenen Unterkunftskosten längstens für sechs Monate, d. h. bis zum 30.06.2010,
in Betracht komme.
Mit Bescheid vom 29.04.2010 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung
für Juli bis November 2010 in Höhe von monatlich 626,28 EUR. Hiergegen legte die Klägerin zu 1. am 11.05.2010
Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 10.06.2010 teilte die Beklagte der Klägerin zu 1. mit, dass die Leistungen für Kosten der
Unterkunft und Heizung ab 01.07.2010 von 770,84 EUR auf 626,68 EUR abgesenkt werden würden. Hiergegen legte
die Klägerin zu 1. unter dem 14.06.2010 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2010 wies die
Beklagte diesen Widerspruch zurück.
Ebenfalls mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2010 wies die Beklagte den Widerspruch vom 11.05.2010 gegen den
Bescheid vom 29.04.2010 zurück. Hiergegen erhoben die Kläger am 24.06.2010 die Klage S 25 AS 776/10. Zu
diesem Klageverfahren legte die Beklagte unter dem 26.07.2010 ein "Konzept über die Festlegung der angemessenen
Kosten der Unterkunft im Landkreis A-Stadt" vom 09.06.2010 vor. Ausweislich des Konzepts der Beklagten vom
09.06.2010 werden die KdU-Daten aller Leistungsempfänger nach SGB II ab 12.02.2009 und SGB XII ab 12.12.2008
sowie Daten von angemessenem Wohnraum aus Kleinanzeigen des A-Stadter Anzeigers ab 29.08.2008, insgesamt
derzeit 4894 Datensätze, berücksichtigt. Außerdem wurden dem Konzept die Grundstücksmarktberichte der
Gutachterausschüsse zugrunde gelegt. Der Gutachterausschuss für den Landkreis A-Stadt ermittle jährlich
Mietwertangaben für den Bereich des Landkreises A-Stadt, letztmalig im Jahr 2007. Der Gutachterausschuss für die
Universitätsstadt A-Stadt habe im Jahr 2008 eine Mietübersicht über die Jahre 2005 bis 2007 herausgegeben. Das
Konzept differenziere nach drei Kategorien: Wohnflächen bis 50 qm, Wohnflächen 51 bis 90 qm und Wohnflächen ab
91 qm. Die Kategorie 51 bis 90 qm werde als Referenzgröße festgelegt. Da bei den Wohnungen, die von den
Gutachterausschüssen bewertet worden seien, die gesamte Bandbreite des Wohnungsmarktes mit einfließe, seien die
bereinigten Werte der Gutachterausschüsse nochmals um 5% minimiert worden. Für eine allein wohnende Person sei
eine Regelung eingefügt worden, nach der ein zusätzlicher Betrag von 16% zu den angemessenen Kosten der
Unterkunft gewährt werden könne.
Gegen den Bescheid vom 29.04.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.06.2010 haben die Kläger
ebenfalls am 24.06.2010 Klage erhoben.
Am 07.07.2010 sind die Akten der Beklagten bei Gericht eingegangen. Mit Schreiben vom 08.07.2010 hat das Gericht
die Beklagte darauf hingewiesen, dass keine Unterlagen bzw. Daten vorlägen, insbesondere kein schlüssiges Konzept
im Sinne der ständigen Rechtsprechung des BSG, die es ihm ermöglichen würden, die (abstrakte) Angemessenheit
der Unterkunftskosten beurteilen zu können und dass das Gericht daher weitere erhebliche Sachaufklärung für
erforderlich hält und eine Entscheidung nach § 131 Abs. 5 SGG beabsichtigt.
Das Gericht hat am 09.08.2010 einen Erörterungstermin durchgeführt und hierbei auch zu dem Verfahren S 25 AS
776/10 verhandelt. Wegen des Inhalts des Erörterungstermins wird auf die Niederschrift vom 09.08.2010 Bezug
genommen.
Mit Bescheid vom 16.08.2010 hat die Beklagte den Klägern vorläufig Leistungen für Kosten der Unterkunft und
Heizung für August bis November 2010 bewilligt.
Die Kläger sind der Auffassung, dass angemessener Wohnraum zur Zeit auf dem Wohnungsmarkt nicht zu
bekommen sei.
Die Kläger beantragen, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.04.2010 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.06.2010 und des Bescheides vom 10.06.2010 zu verurteilen, ihnen Leistungen für
Kosten der Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe für den Zeitraum Juli bis November 2010 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass sich der kommunale Träger nicht in der Lage sehe, das Konzept zur Berechnung der
angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nachzubessern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akte des beigezogenen
Verfahrens S 25 AS 776/10 und die Behördenakte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
I. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz –SGG-) statthafte und auch
im Übrigen zulässige Klage ist begründet.
Allerdings hat das Gericht keine Verurteilung zu höheren Leistungen vorgenommen, sondern sich auf eine Aufhebung
des angegriffenen Bescheides und eine Verpflichtung zur Neubescheidung beschränkt. Dies folgt aus § 131 Abs. 5
SGG.
Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 SGG kann das Gericht, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und
den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich
sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist, wenn es in den
Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 eine weitere Sachaufklärung für erforderlich hält. Die Voraussetzungen
dieser Vorschrift liegen vor.
1. Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG.
2. Eine weitere Aufklärung des Sachverhaltes ist erforderlich, da dem Gericht keine Daten zur Verfügung stehen, um
die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung zu beurteilen. Diese Ermittlungen sind auch erheblich.
a) Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des
Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange zu berücksichtigen, wie es möglich oder
nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu
senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate (§ 22 Abs. 1 S. 3 SGB II).
Bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen ist auf die im unteren Bereich der für vergleichbare
Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser
tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln. Hierbei steht dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher
und im unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zu (Bundessozialgericht, Urteil vom 07.11.2006, B
7b AS 10/06 R, S. 10 des Urteilsumdrucks). Als Vergleichsmaßstab ist regelmäßig die Miete am Wohnort
heranzuziehen, wobei bei kleineren Gemeinden größere, bei Großstädten kleinere räumliche Bereiche denkbar sind;
gibt es – insbesondere bei Kleinst-Gemeinden – keinen Wohnungsmarkt, muss auf größere räumliche Bereiche
abgestellt werden, die so zu wählen sind, dass dem grundsätzlich zu respektierenden Recht des
Leistungsempfängers auf Verbleib in seinem sozialen Umfeld ausreichend Rechnung getragen wird (BSG, B 7 AS
10/06 R, a.a.O; ähnlich B 7b As 18/06 R, S. 10 des Urteilsumdrucks). Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche kann
anhand der Kriterien der Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau ermittelt werden. Hieraus ergibt sich für
Hessen, dass eine Wohnungsgröße für eine Person bis zu 45 m², für 2 Personen bis 60 m² und für jede weitere
Person 12 m² angemessen sind (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 13.12.2005, L 9 AS 48/05 ER, S. 11 des
Entscheidungsumdrucks). Entscheidend ist aber nicht die Größe der Wohnung, sondern die Höhe der Aufwendungen
im Ergebnis. Da der Hilfebedürftige einen Anspruch auf Deckung seines Unterkunftsbedarfs hat, muss sich die
Angemessenheitsprüfung auch auf die Frage erstrecken, ob dem Leistungsberechtigten im Bedarfszeitraum eine
andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist; besteht eine derartige
Unterkunftsalternative nicht, ist also die vom Leistungsberechtigten bewohnte Unterkunft die in dem maßgeblichen
räumlichen Umkreis im Bedarfszeitraum einzig verfügbare, sind die Aufwendungen für die Wohnung angemessen und
deshalb vom Träger (zunächst) zu übernehmen BSG, B 7b AS 10/06 R, a.a.O). Überschreiten die Aufwendungen für
die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang, ist es Sache des Hilfeempfängers, im
Einzelnen darzulegen und glaubhaft zu machen, dass er sich ernsthaft und intensiv um eine andere bedarfsgerechte
und kostengünstigere Wohnung bemüht hat und es ihm trotz seiner Bemühungen nicht möglich gewesen ist, eine
solche Wohnung zu finden; hat der Hilfeempfänger ausreichende erfolglose Bemühungen dargelegt und glaubhaft
gemacht, sind die Unterkunftskosten in tatsächlicher Höhe zu übernehmen (LSG Hessen, B. v. 13.12.2005, a. a. O.,
Seite 7/8 des Entscheidungsumdrucks).
Die Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfordert weitere Konkretisierungen, die schon aufgrund
des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einheitlichen Kriterien erfolgen müssen, wobei das Rechtsstaatsprinzip die
Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit der Begrenzung erfordert (BSG, Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R, Juris,
Randnr. 12). Stehen die abstrakt angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche Vergleichsraum fest, ist nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in einem dritten Schritt nach Maßgabe der Produkttheorie zu ermitteln,
wie viel auf diesem Wohnungsmarkt für eine einfache Wohnung aufzuwenden ist (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a.
O., Randnr. 17). Um trotzdem ein gleichmäßiges Verwaltungshandeln auch innerhalb eines Vergleichsraums zu
gewährleisten, muss die Ermittlung der regionalen Angemessenheitsgrenze auf Grundlage eines überprüfbaren
"schlüssigen Konzepts" erfolgen, welches die hinreichende Gewähr dafür bieten soll, dass die aktuellen Verhältnisse
des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden, wobei entscheidend ist, dass den Feststellungen des
Grundsicherungsträgers ein Konzept zugrunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses
schlüssig und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein angemessenes Maß hinreichend
nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a. O., Randnr. 18). Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen
des Grundsicherungsträgers im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller, wenngleich orts- und
zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle im Vergleichsraum und nicht nur ein punktuelles Vorgehen
von Fall zu Fall (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a. O., Randnr. 19). Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens
die folgenden Voraussetzungen erfüllt:
Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss genau über den gesamten
Vergleichsraum erfolgen (keine Ghetto-Bildung); es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der
Beobachtung, z. B. welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und
Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße; Angaben über den Beobachtungszeitraum;
Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z. B. Mietspiegel); Repräsentativität des
Umfangs der eingezogenen Daten; Validität der Datenerhebung; Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer
Grundsätze der Datenauswertung; Angaben über die gezogenen Schlüsse (z. B. Spannoberwert oder
Kappungsgrenze).
Bislang hat der Gesetz- und Verordnungsgeber davon abgesehen, der Verwaltung normative Vorgaben darüber zu
machen, wie sie die Angemessenheitsgrenze ermittelt, so dass sie bis auf weiteres nicht auf eine bestimmte
Vorgehensweise festgelegt ist, sondern selbst aufgrund ihrer Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten am besten
einschätzen kann, welche Vorgehensweise sich für eine Erhebung der grundsicherungsrechtlich erheblichen Daten am
besten eignen könnte (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a. O., Randnr. 20).
b) Die von der Beklagten vorgelegten Unterlagen erfüllen nicht die Anforderungen des Bundessozialgerichts an ein
schlüssiges Konzept.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage
die hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiedergegeben
werden, was u.a. der Fall sein kann, wenn sie auf mindestens 10% des regional in Betracht zu ziehenden
Mietwohnungsbestandes beruht (Urteil vom 18.06.2005, B 14/7b AS 44/06 R, Randnr. 16).
Diesen Anforderungen entspricht das Konzept der Beklagten nicht. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte die
erforderliche Fallzahl an Wohnungen dem Konzept zugrunde gelegt hat. Ausweislich von Punkt 1. des Konzepts
sollen durch die herangezogenen Datenquellen "annähernd" 10% der Wohnungen im Landkreis A-Stadt, d. h. 11360
Wohnungen berücksichtigt worden seien. Allerdings werden unter Punkt 1.1 des Konzepts lediglich 4894 Datensätze
benannt. Es ist nicht ersichtlich, welche weiteren Wohnungen dem Konzept zugrunde gelegt wurden und wie viele
Wohnungen insgesamt berücksichtigt wurden. Insbesondere werden die Wohnungen, die von Gutachterausschüssen
erfasst wurden, nicht beziffert.
Ungenügend ist das Konzept der Beklagten auch deshalb, weil nicht hinreichend nach Wohnungsgrößen differenziert
wurde. Das Konzept der Beklagten differenziert die Wohnungsgröße nach drei Kategorien: Wohnflächen bis 50 qm,
Wohnflächen 51 bis 90 qm und Wohnflächen ab 91 qm. Eine Differenzierung nach Wohnungsgrößen ist geboten, weil
nach den Besonderheiten des jeweils maßgebenden örtlichen Wohnungsmarktes sowohl das Angebot als auch die
Nachfrage hinsichtlich kleinerer und größerer Wohnungen erheblich differieren kann, was wiederum Auswirkungen auf
das quadratmeterbezogene Preisniveau haben kann, wobei kleinere Wohnungen etwa aufgrund des Umstandes, dass
die Kosten für Bad und Küche auf eine kleinere Wohneinheit umgelegt werden müssen, im Regelfall einen höheren
Quadratmeterpreis aufweisen (BSG, Urteil vom 20.08.2009, B 14 AS 65/08 R, Randnr. 18). Die Differenzierung der
Beklagten birgt z. B: die Gefahr, dass für eine aus zwei Personen bestehende Bedarfsgemeinschaft ein
Quadratmeterpreis zugrunde gelegt wird, der für eine 90 qm große Wohnung ermittelt wurde. Da aus dem Konzept der
Beklagten nicht ersichtlich ist, wie viele Wohnungen welcher Größe in die Berechnung eingeflossen sind, ist es
möglich, dass der Quadratmeterpreis zu einem hohen Prozentsatz aus Wohnungen von ca. 85 bis 90 qm bestimmt
wurde, was den Quadratmeterpreis für eine Wohnung von 51 qm verfälschen würde. So zeigt z. B. der Mietspiegel
2008 für die Stadt XY., dass die durchschnittliche Basisnettomiete für eine Wohnung von 55 qm 7,88 EUR und für
eine Wohnung von 90 qm 6,32 EUR (Baualter 1995 bis 2001) beträgt. Beide Wohnungsgrößen würden nach der
Berechnung der Beklagten zum selben Anteil in die Berechnung einfließen. Ob, wie bei dem Mietspiegel für die Stadt
XY., bei der Wohnungsgröße in Schritten von 5 qm oder in größeren Einheiten zu differenzieren ist, kann offen
bleiben. Jedenfalls ist die Differenzierung der Beklagten nicht mehr ausreichend.
Hinzu kommt, dass die Beklagte die Wohnfläche von 51 bis 90 qm als Referenzgröße annimmt und bei 1-Personen-
Haushalten einen Zuschlag von 16% gewähren "kann". Diese Regelung liegt ausweislich des Wortlauts im Ermessen
der Beklagten und ist bereits deshalb rechtswidrig. Außerdem ist ein Zuschlag von 16% nicht ausreichend. So ergibt
sich aus dem Mietspiegel 2008 der Stadt XY., dass der Quadratmeterpreis für eine 90 qm große Wohnung 6,32 EUR
und für eine 35 qm große Wohnung (welche für einen 1-Personen-Haushalt regelmäßig angemessen groß ist) 10,17
EUR beträgt, so dass der Quadratmeterpreis für die 35 qm große Wohnung mehr als 50% teuer ist als der einer 90 qm
große Wohnung.
Ein weiterer Mangel des Konzepts ist, dass nicht ersichtlich ist, wie viele Wohnungen des jeweiligen Standards und
einer bestimmten Größe in die Bewertungen eingeflossen sind.
Daher kann von einer Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten und an der Validität der Datenerhebung
sowie der Einhaltung anerkannter mathematisch statistischer Grundsätze der Datenauswertung keine Rede sein.
Kritikwürdig ist auch, dass das Konzept offensichtlich auf zu alten Daten beruht. Der Gutacherausschuss für den
Landkreis A-Stadt hat offensichtlich Mietwerte aus den Jahren 1996 bis 2007 und der Gutachterausschuss für die
Stadt A-Stadt Daten aus den Jahren 2005 bis 2007 zugrunde gelegt. Daten, die älter als vier Jahre alt sind, können
jedenfalls nicht ohne weitere Prüfung dem Konzept zugrunde gelegt werden (vgl. § 558d Abs. 2 S. 3 BGB, wonach
nach vier Jahren ein qualifizierter Mietspiegel neu zu erstellen ist).
Nicht schlüssig ist das Konzept auch insofern, als die Werte der Gutachterausschüsse nochmals um 5% minimiert
wurden, da die gesamte Bandbreite des Wohnungsmarktes mit eingeflossen sei. Es ist aus dem Konzept nicht
erkennbar, zu welchem Anteil Wohnungen im unteren Segment und zu welchem Anteil Wohnungen des mittleren und
gehobenen Segments berücksichtigt wurden. Sofern fast ausschließlich Wohnungen im unteren Segment
berücksichtigt worden wären, könnte ein Abschlag nicht vorgenommen werden.
3. Die Aufhebung ist auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich. Die Beklagte kann nach
ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen besser durchführen als das Gericht, wobei es auch
unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, diese tätig werden zu lassen (vgl. Keller,
in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2009, § 131 Rdnr. 19a m.w.N.). Das Ermittlungsergebnis der
Beklagten ist für die Beurteilung des Streitgegenstandes nicht verwertbar. Es liegt ein gravierendes Ermittlungsdefizit
vor.
Die Kläger haben von der Möglichkeit, den Erlass einer einstweiligen Regelung nach § 131 Abs. 5 Satz 2 SGG zu
beantragen, bereits Gebrauch gemacht und erhalten von der Antragsgegnerin vorläufige Leistungen.
4. Die Sechsmonatsfrist nach § 131 Abs. 5 Satz 4 SGG ist eingehalten. Die Akten sind am 07.07.2010 beim
Sozialgericht Gießen eingegangen. Das Urteil wurde am 28.10.2010 verkündet.
5. Eine erforderliche Anhörung (vgl. Keller, a.a.O., Rdnr. 21) wurde durchgeführt.
6. Im Rahmen des ihr durch § 131 Abs. 5 SGG eingeräumten Ermessens hielt die Kammer eine Zurückverweisung für
sachgerecht.
Die anhand eines schlüssigen Konzepts erzielbaren Erkenntnisses sind vom Grundsicherungsträger grundsätzlich
schon für eine sachgerechte Entscheidung im Verwaltungsverfahren notwendig und in einem Rechtsstreit vom
Grundsicherungsträger vorzulegen; entscheidet er ohne eine hinreichende Datengrundlage, ist er im Rahmen seiner
prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst
prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 2. Halbsatz SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst
zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf. eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung
nachzuholen (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a. O., Randnr. 26). Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres
auf das Sozialgericht über, weil sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht tragfähig (schlüssig) erweist
oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden
sind (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a. O., Randnr. 26). Liegt der Bestimmung der Angemessenheitsgrenze des
Grundsicherungsträgers ein schlüssiges Konzept nicht zugrunde, besteht für das Sozialgericht die Möglichkeit, den
angefochtenen Verwaltungsakt innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Eingang der Akten alle Bescheide nach
§ 131 Abs. 5 SGG aufzuheben (BSG, Urteil vom 22.09.2009, a. a. O., Randnr. 27).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.