Urteil des SozG Gießen vom 30.03.2009

SozG Gießen: eigenes verschulden, unnötige kosten, sparkasse, stadt, geldinstitut, ausnahme, verfügung, behörde, niederlassung, auflösung

Sozialgericht Gießen
Urteil vom 30.03.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 29 AS 801/06
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Übernahme von monatlichen Kosten von 6,00 Euro bei der Auszahlung von Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II) durch den Beklagten.
Der Kläger steht seit Januar 2005 im Leistungsbezug des Beklagten nach dem SGB II.
Der Kläger hatte zunächst ein Konto bei der Sparkasse O., Zweigstelle A-Stadt. Nachdem im Juni 2006 die
Sparkasse O. die eingehenden Sozialleistungen mit Pfändungen in Höhe von 37,00 Euro belastete und die Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht als geschütztes Vermögen ansah, erfolgte die Auflösung des Kontos durch
den Kläger zum 30. Juni 2006. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger gegenüber der Sparkasse O. noch mit einem
Minus von ca. 2.000,00 Euro belastet.
In A-Stadt gibt es neben der Sparkasse O. als weitere Geldinstitute eine Filiale der V. Bank A-Stadt eG, eine Filiale
der Dr. Bank sowie eine Niederlassung der De. Bank. Zudem gibt es eine Niederlassung der Post mit
Postbankservice.
Der Kläger beantragte bei dem Beklagten nach Auflösung des Kontos die Auszahlung seiner Leistungen nicht per
Überweisung. Mit Bescheid vom 7. Juli 2006 gewährte der Beklagte dem Kläger den Wunsch nach Barauszahlung im
Wege des Postbarscheck-Verfahrens. Er teilte dem Kläger mit, dass hierfür seitens des Beklagten Kosten von 2,10
Euro sowie weitere Kosten bei Auszahlung in Höhe von mindestens 3,50 Euro anfallen werden. Die Auszahlung per
Postbarscheck wurde durch den Beklagten sodann vorgenommen. Hierbei fielen jeweils eine Belastung von 2,10 Euro
im Verhältnis zwischen dem Beklagten und der P. Bank sowie eine Belastungspauschale der P. Bank bei Einlösung
in Höhe von 6,00 Euro an.
Gegen den Bescheid vom 7. Juli 2009 legte der Kläger mit Schreiben vom 21. Juli 2006 Widerspruch ein, der mit
Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2006 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hat der Kläger am 16. November
2006 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.
Der Kläger ist der Auffassung, die Eröffnung eines Kontos sei ihm in A-Stadt nicht möglich. Zur Eröffnung eines
Kontos bei der V. Bank bedürfe es der Einzahlung eines Genossenschaftsbeitrages von mindestens 100,00 Euro, die
ihm nicht zur Verfügung stünden und die er auch nicht zahlen wolle. Die De. Bank sowie die Dr. Bank würden ihm kein
Konto gewähren, da er einen negativen SCHUFA-Eintrag aufweise. Zwar würde die P. Bank ihm trotz des SCHUFA-
Eintrages ein Konto auf Guthabenbasis, also ohne Überziehungskredit, einrichten, eine Kontoeröffnung lehne er
jedoch grundsätzlich ab, da er hierfür Kontoführungsgebühren zahlen müsste. Da Leistungsempfänger nach dem SGB
II zu einem sparsamen Leben angehalten würden, möchte er auch auf diese Kontoführungsgebühren verzichten.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
10. Oktober 2006 aufzuheben und ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne zusätzliche Kosten der
Einlösung eines Postbarschecks zur Verfügung zu stellen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, der Kläger wäre in der Lage gewesen, ein Konto bei einem anderen
Kreditinstitut zu eröffnen und die Leistungen kostenlos in Empfang zu nehmen. Konten auf Guthabenbasis gebe es
neben der Dr. Bank auch bei der V. Bank eG.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakten, welche
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Übernahme der zusätzlich entstehenden Kosten durch die
Einlösung eines Postbarschecks bei der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II.
Nach § 42 Satz 1 SGB II werden Geldleistungen nach dem SGB II auf das im Antrag angegebene inländische Konto
bei einem Geldinstitut überwiesen. Der Gesetzgeber hat sich damit für den Regelfall der Überweisung von
Geldleistungen auf ein Konto des Leistungsempfängers entschieden. Hierfür werden dem Leistungsempfänger keine
weiteren Kosten in Rechnung gestellt.
Dem Leistungsempfänger steht es daneben frei, auch eine andere Zahlungsweise zu beantragen. Hierdurch verwirkt er
nach der Systematik des § 42 SGB II jedoch zunächst einmal seinen Anspruch auf kostenfreie Auszahlung. Werden
die Geldleistungen an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Berechtigten übermittelt, sind nach § 42 Satz 2
SGB II die dadurch veranlassten Kosten abzuziehen. Dies stellt eine spezialgesetzliche Abweichung von § 47 SGB I
dar.
Der Gesetzgeber macht vom Abzug der zusätzlichen Kosten jedoch nach § 42 Satz 3 SGB II eine Ausnahme, wenn
der Berechtigte nachweist, dass ihm die Einrichtung eines Kontos bei einem Geldinstitut ohne eigenes Verschulden
nicht möglich ist. Sofern die Ausnahme greift hat danach auch auf anderem Wege als durch Überweisung eine
kostenfreie Auszahlung an den Leistungsempfänger zu erfolgen.
Der Kläger kann sich vorliegend nicht auf die Ausnahmeregelung des § 42 Satz 3 SGB II berufen, da es ihm nicht
ohne eigenes Verschulden unmöglich war, ein Konto bei einem Geldinstitut zu eröffnen.
Wie der Kläger selbst in der mündlichen Verhandlung am 30. März 2009 einräumte besteht für ihn die Möglichkeit,
trotz seines SCHUFA-Eintrages zumindest bei der P. Bank ein Konto auf Guthabenbasis zu eröffnen. Insofern kann
es dahingestellt bleiben, ob es beispielsweise bei der V. Bank eG zwingende Voraussetzung einer Kontoeröffnung ist,
den Genossenschaftsanteil zu zahlen. Hätte der Kläger ein Konto auf Guthabenbasis eröffnet, so hätte der Beklagte
die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne weitere Kosten an den Kläger durch Überweisung
weiterleiten können. Da der Kläger dies jedoch bewusst unterlassen hat, liegt bereits keine Unmöglichkeit im Sinne
des § 42 Satz 3 SGB II vor (vgl. Wagner, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl., § 42, Rn. 22).
Auch die bei Unterhaltung eines Kontos anfallenden Kontoführungsgebühren stehen dem nicht entgegen.
Kontoführungsgebühren sind als gesondert genannte Finanzdienstleistungen bereits in der Regelleistung nach § 20
SGB II inbegriffen (vgl. Behrend, in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl., § 20, Rn. 51). Der bloße Anfall von
Kontoführungsgebühren bei der Eröffnung eines Kontos führt daher nicht zur Unzumutbarkeit einer Kontoeröffnung, da
dieser Bedarf mit der Regelleistung abgedeckt wird.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Auszahlung seiner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in bar in
den Räumen des Beklagten.
Nach der Systematik des § 42 SGB II sieht der Gesetzgeber den Regelfall der Überweisung von Geldleistungen vor.
Hinsichtlich der Art und Weise der Auszahlung von Leistungen kommt dem Gesetzgeber dabei grundsätzlich ein
Gestaltungsspielraum zu. Insbesondere nach Gewährleistung der Möglichkeit der Eröffnung eines Kontos auf
Guthabenbasis für jeden Bürger, unabhängig von seiner bisherigen finanziellen Situation, stellt die Überweisung und
die damit zwingend verbundene Kontoführung einen nur geringen Eingriff in die Privatautonomie des
Leistungsempfängers dar. Die Überweisung als Regelauszahlung vermeidet andererseits unnötige Kosten für den
Leistungsempfänger, in dem eine persönliche Empfangnahme der Leistungen bei der Behörde entfällt. Diese würde im
Regelfall zusätzliche Kosten insbesondere durch An- und Abreise des Leistungsempfängers verursachen (vgl. in
diesem Zusammenhang zu § 47 SGB I bereits BSG, Urteil vom 24. Januar 1990, Az. 2 RU 42/89, Rn. 17 – zitiert
nach juris). Zudem entsprach der Gesetzgeber mit dem Überweisungsverfahren den haushaltsrechtlichen
Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, da eine persönliche Auszahlung in bar in den Räumen der
zuständigen Behörde neben zusätzlichem Personalaufwand weitere Kosten für die Vorhaltung und Sicherung
entsprechender nicht unwesentlicher Geldmengen mit sich bringen würde. So war ausweislich der
Gesetzesmaterialien Sinn und Zweck des § 42 SGB II die effiziente Erbringung von Geldleistungen in einem
automatisierten Verfahren unter Vermeidung von Kosten für besondere Zahlungsweisen (BT-Drucks. 15/1516, S. 63).
Allein eine Reduzierung solcher steuerfinanzierten Verwaltungskosten durch Verwendung der Überweisung als
Regelauszahlung rechtfertigt die grundsätzliche Obliegenheit zur Führung eines Kontos durch den
Leistungsempfänger. Dies gilt insbesondere dann, wenn die damit verbundenen Kontoführungsgebühren durch den
Regelsatz bereits ausgeglichen werden und der Gesetzgeber durch eine Ausnahmevorschrift in § 42 Satz 3 SGB II in
Einzelfällen die Möglichkeit einer kostenfreien Auszahlungsalternative eröffnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGG). Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 144
SGG. Gründe für eine Zulassung der Berufung nach § 144 Abs. 2 SGG lagen nicht vor.