Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 20.04.2005

SozG Gelsenkirchen: aufschiebende wirkung, stadt, pauschal, glaubhaftmachung, bestreitung, darlehen, versicherung, notlage, rkg, ermessen

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
1
2
3
Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 11 AS 17/05 ER
20.04.2005
Sozialgericht Gelsenkirchen
11. Kammer
Beschluss
S 11 AS 17/05 ER
Grundsicherung für Arbeitssuchende
nicht rechtskräftig
Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht
Gelsenkirchen Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsanwältin X1, X2
Straße 00, 00000 D-S beigeordnet. Der Antrag des Antragstellers auf
Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Der Antrag der
Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs vom 28.02.2005 gegen den Bescheid vom 02.02.2005 wird
abgelehnt. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung wird abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin. Im Übrigen sind
außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe:
Der Antragstellerin war für das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
Prozesskostenhilfe zu gewähren, da die Rechtsverfolgung ​ wie sich aus den
nachstehenden Ausführungen ergibt ​ hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 73a
Sozialgerichtsgesetz ​ SGG ​ in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung ​ ZPO ​ hat. Wie
sich den folgenden Ausführungen entnehmen lässt, hat die vom Antragsteller beabsichtigte
Rechtsverfolgung demgegenüber keine hinreichende, sondern allenfalls geringe
Erfolgsaussicht, so dass sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen
war.
Der Antrag der Antragstellerin ist unzulässig, weil dem Antrag nunmehr das
Rechtschutzbedürfnis fehlt. Der Antrag war zunächst dahin auszulegen (§ 123 SGG), dass
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28.02.2005 gegen den Bescheid vom
02.02.2005 anzuordnen ist (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Der Antragstellerin waren mit
Bescheid vom 17.12.2004 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.09.2005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes nach §§ 19, 20 des Zweiten Buchs des
Sozialgesetzbuches ​ SGB II ​ gewährt worden. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die
Antragsgegnerin diese Leistungen nach § 66 Abs. 1 des Ersten Buchs des
Sozialgesetzbuches ​ SGB I ​ entzogen, so dass der Antrag als ein solcher nach § 86b Abs.
1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu verstehen war. Mit Schriftsatz vom 18.04.2005 hat die
Antragsgegnerin diesem Begehren ​ sinngemäß ​ entsprochen und mitgeteilt, dass die
4
5
6
7
8
9
vorläufige Zahlungseinstellung aufgehoben und Leistungen rückwirkend für die Zeit ab
dem 01.02.2005 erbracht werden. Da sie mithin dem Antragsbegehren in der Sache
entsprochen hat, ist die Antragstellerin klaglos gestellt und das Rechtschutzbedürfnis
nachträglich entfallen.
Der vom Antragsteller sinngemäß gestellte Antrag,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten für die Unterkunft nach
weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,
ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz ​ SGG ​ kann das Gericht der Hauptsache auf
Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden
könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die hier
begehrte Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG setzt die Glaubhaftmachung
des streitigen Rechtsverhältnisses voraus, aus dem der Antragsteller eigene Rechte ​
insbesondere Leistungsansprüche ​ ableitet (Anordnungsanspruch). Ferner ist erforderlich,
dass die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) vom jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht
werden. Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu bestimmen (vgl. Grieger,
ZfSH/SGB, 2004, 579 [583], Berlit, info also 2005, 3 [4 f.]).
Der Antragsteller hat bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Nach § 19
Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten
für Unterkunft und Heizung. Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst
gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege,
Hausrat, Bedarf des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen
zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Voraussetzung für die Gewährung
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ist Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig
ist, wer unter anderem seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln sichern kann (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II). Die Nichtaufklärbarkeit dieses
anspruchsbegründenden Tatbestandmerkmals geht zu Lasten desjenigen, der das
Bestehen des Anspruchs behauptet. Dies ist der Hilfebedürftige (vgl. Verwaltungsgericht ​
VG ​ Gelsenkirchen, Beschluss vom 20.03.2000 ​ Az.: 3 L 351/00 zu § 11 Abs. 2
Bundessozialhilfegesetz ​ BSHG ​ , Sozialgericht ​ SG ​ Gelsenkirchen, Beschluss vom
17.03.2005 ​ Az.: S 11 AS 12/05 ER zu § 9 Abs. 1 SGB II).
Einen solchen Hilfebedarf hat der Antragsteller nach summarischer Prüfung im
einstweiligen Anordnungsverfahren nicht glaubhaft gemacht. Wie die Antragsgegnerin
zutreffend herausgestellt hat, stellen sich seine Einkommensverhältnisse auch unter
Zugrundelegung seines Vorbringens in der Antragschrift und den Angaben im
Verwaltungsverfahren sowohl im Hinblick auf die Vergangenheit als auch hinsichtlich eines
gegenwärtigen Bedarfs als ungeklärt dar. Der Antragsteller hat bis zum 31.03.2004 Hilfe
zum Lebensunterhalt erhalten. Für die Zeit ab dem 01.04.2004 ist ihm diese nach § 25 Abs.
1 BSHG um 25 % und für die Zeit ab dem 01.05.2004 um 100 % gekürzt worden.
10
Vollständig eingestellt wurden die Leistungen ab dem 01.08.2004, wohingegen die
Antragstellerin ​ die mit dem Antragsteller und dem gemeinsamen Sohn in
Bedarfsgemeinschaft lebt ​ durchgehend bis zum 31.12.2004 Hilfe zum Lebensunterhalt
unter Anrechnung des Kindergeldes bezogen hat. Dass der Antragsteller in der Zeit ab dem
01.08.2004 lediglich von Verkäufen auf Trödelmärkten, die insgesamt einen von ihm
geschätzten Ertrag von etwa 200,00 bis 300,00 EUR erbracht haben sollen, sowie von dem
Darlehen eines Freundes in Höhe von 100,00 EUR gelebt haben will, erscheint der
Kammer als nicht nachvollziehbar. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass sich nach den
schlüssigen Berechnungen der Antragsgegnerin ein Fehlbedarf von etwa 3000,00 EUR ab
Mai 2004 ergeben hat. In diesem Zusammenhang sind seine Ausführungen im Hinblick auf
die Verkäufe eigener Möbelstücke auf Trödelmärkten (zweimal pro Monat) und dem daraus
resultierenden Ertrag von etwa 200,00 bis 300,00 EUR zu pauschal und nicht
nachvollziehbar. Allein der Umstand, dass der Antragsteller anlässlich seiner Verkäufe
keine Quittungen ausgestellt haben mag, sollte ihn nicht daran hindern, im Rahmen seiner
Möglichkeiten umfassende und nachvollziehbare Angaben zu machen. Nahegelegen hätte
es jedenfalls, der Antragsgegnerin mitzuteilen, wann er bei welchen Trödelmärkten welche
Gegenstände veräußert hat, um eine einigermaßen schlüssige Prüfung der tatsächlichen
Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 SGB II zu ermöglichen. Darüber hinaus hätte er noch
Bescheinigungen über entrichtete Standmieten vorlegen können. Entsprechende Angaben
hatte die Antragsgegnerin bzw. die Stadt D-S bereits mit Schreiben vom 06.12.2004 vom
Antragsteller erbeten ("detaillierte Auflistung über Art und Höhe sämtlicher Gegenstände,
die der Antragsteller seit August 2004 zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes verkauft
hat sowie entsprechende Kaufbelege bzw. Quittungen"). Vor dem Hintergrund dieser
Gegebenheiten trägt auch die Erklärung des Vaters der Antragstellerin, dass er den
Antragstellern und dem gemeinsamen Sohn in der Zeit ab Februar 2005 zwei- bis dreimal
täglich ermöglicht habe, bei ihm Mahlzeiten zu sich zu nehmen und dass er die dafür
entstandenen Aufwendungen mit etwa 150,00 bis 200,00 EUR beziffere, wenig zur Klärung
des Hilfebedarfs bei, zumal auch diese Erklärung zu pauschal gehalten ist. Ebenso verhält
es sich mit der eidesstattlichen Versicherung vom 07.03.2005. Schließlich lässt sich nach
Auffassung des Gerichts allein aus dem Umstand, dass zwischenzeitlich nicht
unerhebliche Mietrückstände in Höhe von 2.303,00 EUR (Stand: 04.04.2005) aufgelaufen
sind, nicht die Schlussfolgerung auf Hilfebedürftigkeit ziehen, zumal die
Einkommensverhältnisse des Antragstellers unter Berücksichtigung der oben dargestellten
Aspekte auch gegenwärtig als ungeklärt anzusehen sind.
Nach Auffassung des Gerichts hat der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund nicht
glaubhaft gemacht. Denn eine Eilbedürftigkeit im Sinne einer dringenden und
gegenwärtigen Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht (vgl. hierzu
VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 06.11.2000 ​ Az.: 3 L 2178/00 und Beschluss vom
23.01.2003 ​ Az.: 2 L 2994/02 m.w.N.) kann die Kammer zur Zeit nicht erkennen. Das ergibt
sich bereits daraus, dass die Stadt D-S bereits mit dem oben angesprochenen Schreiben
vom 21.12.2004 weitere Nachweise erbeten hat, die zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit
beitragen können. Mit einem am 14.12.2004 bei der Stadt D-S eingegangenen Schreiben
hat er ausgeführt, sich in den letzten drei Monaten ausschließlich durch den Verkauf
privater Gegenstände auf Trödelmärkten unterhalten und sich zudem 100,00 EUR von
einem Freund "geliehen" zu haben. An diesen Angaben hat er im Rahmen einer
persönlichen Vorsprache am 05.01.2005 festgehalten. Seit diesem Zeitpunkt sind ​
abgesehen von der Bescheinigung über Mietrückstände - keine weiteren
nachvollziehbaren Angaben erfolgt und Nachweise vorgelegt worden, die einen Hilfebedarf
stützen könnten, obwohl es der Antragsteller ​ wie oben gezeigt ​ durchaus in der Hand
gehabt hätte, geeignete Nachweise beizubringen. Wenn er jedoch nicht unerhebliche
11
Zeiträume zur Glaubhaftmachung seines Anspruchs verstreichen lässt, hat er damit zum
Ausdruck gebracht, dass ihm an einer schnellen gerichtlichen Entscheidung nicht gelegen
ist (vgl. auch Krodel, das sozialgerichtliche Eilverfahren, 1. Auflage 2005, Rdnr. 38). Wie
sich aus den Leistungsakten der Antragsgegnerin ergibt, scheint auch die Mitwirkung der
Antragsteller im Rahmen eines am 06.12.2004 gestellten Antrages auf Gewährung von
Wohngeld nicht optimal verlaufen zu sein. Dieser wurde nämlich von der Wohngeldstelle
abgelehnt, nachdem keine glaubhaften Nachweise über die Einkommensverhältnisse der
Bedarfsgemeinschaft vorgelegt werden konnten (Bescheid vom 14.02.2005).
Bei der auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG beruhenden
Kostenentscheidung hat das Gericht berücksichtigt, dass der die Antragstellerin betreffende
Teil des angefochtenen Bescheides vom 02.02.2005 die nach § 66 Abs. 1 SGB I
erforderlichen Ermessenserwägungen nicht erkennen lässt. Allein der Umstand, dass die
Antragstellerin gegen Mitwirkungsobliegenheiten verstoßen haben könnte, rechtfertigt nicht
die vollständige Entziehung der Leistung, ohne auf der Rechtsfolgenseite Ermessen
auszuüben (vgl. auch Bundessozialgericht ​ BSG, Urteil vom 26.05.1983 ​ Az.: 10 RKg
13/82, SozR 1200 § 66 SGB I Nr. 10; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ​ LSG NRW
, Urteil vom 22.05.2003 ​ Az.: L 16 KR 182/02, unveröffentlicht ​ zu recherchieren unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).