Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 22.09.2008

SozG Gelsenkirchen: vergütung, gebühr, auflage, widerspruchsverfahren, behörde, vorverfahren, sozialhilfe, schwellenwert, vergleich, thüringen

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 12 AY 50/08
Datum:
22.09.2008
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 12 AY 50/08
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 20 AY 39/08
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 00.00.00 und der
Widerspruchsbescheid vom 00.00.00 werden abgeändert. Die Beklagte
wird verurteilt, an die Klägerin 120,19 EUR abzüglich der von der
Beklagten bereits gezahlten 92,82 EUR zu erstatten. Die weitergehende
Klage wird abgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu drei Zehntel. Die Berufung
wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten zu erstattenden
Aufwendungen für ein erfolgreiches Widerspruchsverfahren.
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Die Klägerin ist eine geduldete Roma aus dem Kosovo und erhielt von der Beklagten
Leistungen nach § 3 AsylbLG. Ihr Rechtsanwalt hat sich spezialisiert auf die Betreuung
von Leistungsempfängern nach den AsylbLG. Nach der grundlegenden Entscheidung
des Bundessozialgerichts vom 08.02.3007 (B 9b AY 2/06 R) machte er für eine Vielzahl
seiner Mandanten aus dem ehemaligen Jugoslawien Ansprüche auf höhere Leistungen
nach § 2 AsylbLG geltend. In dem Berufungsverfahren L 20 B 89/07 (S 2 AY 59/07 SG
Gelsenkirchen) teilte der Anwalt dem Landessozialgericht am 28.02.2008 mit, dass er im
Jahr 2007 insgesamt 92 Widersprüche betreffs § 2 AsylbLG bei der Beklagten eingelegt
habe. Für die Klägerin dieses Verfahrens und ihren Ehemann legte er unter dem
00.00.00 Widerspruch ein gegen die Nichtgewährung von Leistungen nach § 2
AsylbLG. Der Anwalt begründete den Widerspruch am 00.00.00 mit einem drei Seiten
langen Schriftsatz. Die Beklagte half dem Widerspruch, soweit er die Klägerin betraf, mit
Abhilfebescheid vom 00.00.00 ab und zahlte die höheren Leistungen ab Juni 2006
nach. Der Bevollmächtigte der Kläger machte mit Schreiben vom 00.00.00 einen
Aufwendungsersatzanspruch seiner Mandantin in Höhe der Hälfte von 395,08 Euro
geltend: 240 EUR Geschäftsgebühr (Nr. 2400 VV RVG) 72 EUR für 30 % Erhöhung (Nr.
1008 VV RVG) 20 EUR Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) 63,08 EUR
Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 395,08 EUR Gesamtbetrag; davon die Hälfte ergibt
3
197,54 EUR.
Die Beklagte lehnte es mit Schreiben vom 00.00.00 ab, mehr als 92,82 EUR (
Geschäftsgebühr 156 EUR plus Pauschale von 20 EUR plus Umsatzsteuer; davon die
Hälfte) an den Bevollmächtigten zu zahlen. Hier sei zwar von einem durchschnittlichen
Umfang der Tätigkeit des Anwaltes auszugehen, allerdings sei die Tätigkeit für den
Anwalt nicht schwierig gewesen. Die Bedeutung der Angelegenheit und das
Haftungsrisiko seien gering und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der
Auftraggeber seien unterdurchschnittlich. Die Klägerin legte dagegen mit Schreiben
vom 00.00.00 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
00.00.00 zurückwies. Zur Begründung führte sie aus, dass nur tatsächlich aufgewendete
Kosten zu erstatten seien. Bisher sei aber keine an seine Mandanten gerichtete
Honorarrechnung des bevollmächtigten Anwalts vorgelegt worden. Der
Widerspruchsbescheid war mit keiner Rechtsmittelbelehrung versehen.
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Mit der am 00.00.00 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf höheren
Aufwendungsersatz für das teilweise erfolgreiche Widerspruchsverfahren weiter. Sie
legt eine an sie und ihren Ehemann gerichtete Rechnung ihres Bevollmächtigten vom
00.00.00 über insgesamt 395,08 EUR vor. Nach Ansicht der Klägerin steht ihrem
Bevollmächtigten unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG genannten Umstände
die Mittelgebühr zu.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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den Bescheid der Beklagten vom 00.00.00 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 00.00.00 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Aufwendungsersatz in
Höhe von 197,54 EUR abzüglich der bereits erhaltenen 92,82 EUR zu zahlen.
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Die Beklagte hat im Hinblick auf die mit der Klageschrift vorgelegte Anwaltsrechnung
einen Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von insgesamt 117,10 EUR anerkannt. Sie
geht dabei von einer Geschäftsgebühr von 136 EUR zuzüglich einer Erhöhung wegen
mehrerer Auftraggeber aus. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß ,
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die weitergehende Klage abzuweisen.
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Neben den Gerichtsakten haben der Kammer die die Klägerin betreffenden
Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung der
Kammer gewesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der
Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 00.00.00und vom 00.00.00 haben sich die Beteiligten mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche
Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser
Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.
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Die statthafte Klage ist form- und fristgerecht erhoben und daher zulässig. Da der
Widerspruchsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthält, beträgt die Klagefrist
gemäß § 66 Abs. 2 SGG ein Jahr. In der Sache selbst ist die Klage teilweise begründet.
Die angefochtene Verwaltungsentscheidung ist nicht rechtmäßig. Die Klägerin hat
gegen die Beklagte einen Anspruch auf Kostenerstattung, der höher liegt als von der
Beklagten anerkannt und niedriger als von der Klägerin beansprucht.
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Gemäß § 63 Abs. 1 SGB X sind die zur zweckmäßigen Rechtsverfolgung notwendigen
Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich war. Hier war der
Widerspruch zur Hälfte erfolgreich, da nur zugunsten der Klägerin ein Abhilfebescheid
erlassen wurde. Dementsprechend kann die Klägerin Aufwendungsersatz auch nur zur
Hälfte beanspruchen. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind gemäß §
63 Abs. 2 SGB X erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten im
Vorverfahren notwendig war. Nach Abs. 3 der Vorschrift setzt die Behörde, die die
Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden
Aufwendungen fest. Die Kostenentscheidung bestimmt auch, ob die Zuziehung eines
Rechtsanwalts notwendig war.
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Im vorliegenden Fall hat die Beklagte in ihrem Abhilfebescheid nicht über ihre
Kostentragungspflicht entschieden und nicht darüber, ob die Zuziehung eines
Rechtsanwalts erforderlich war. Allerdings hat Sie durch den Bescheid vom 13.11.2007
mit Anerkennung eines Teilbetrag von 92,82 EUR zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre
Kostentragungspflicht und die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
dem Grunde nach anerkennt.
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Notwendige Aufwendungen zur Rechtsverfolgung im Vorverfahren sind bei
Beauftragung eines Rechtsanwalts dessen Honorarforderungen, soweit er sie
tatsächlich gegenüber seinen Mandanten geltend macht und soweit er sie in dieser
Höhe nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geltend machen darf. Der
Vergütungsanspruch eines Anwalts entsteht zwar bereits mit der Vornahme der
anwaltlichen Tätigkeit und wird bereits mit der Auftragserledigung fällig (§ 8 RVG).
Allerdings kann der Anwalt gemäß § 10 RVG die Vergütung nur aufgrund einer dem
Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Die Rechnung ist Voraussetzung für
die außergerichtliche oder gerichtliche Einforderbarkeit der Vergütung (Hartmann,
Kostengesetze, 38. Auflage, 2008, § 10 RVG Rn.1). Wenn der Anwalt dieser
Obliegenheit nicht nachkommt, kann er seinen Anspruch nicht geltend machen. Folglich
muss die Behörde im Falle des § 63 SGB X dem erfolgreichen Widerspruchsführer
keine Anwaltskosten als Aufwendungen erstatten, die der Anwalt mangels Rechnung
nicht gegen seinen Mandanten geltend machen könnte. Der Bevollmächtigte der Kläger
hat inzwischen unter dem 01.07.2008 seinen Mandanten eine Rechnung ausgestellt. Er
fordert darin allerdings zu Unrecht ein Honorar von 395,08 EUR von beiden
Auftraggebern. Nach dem RVG steht dem Bevollmächtigten der beiden
Widerspruchsführer nur eine Vergütung in Höhe von 240,38 EUR zu. Davon steht der
Klägerin die Hälfte als Aufwendungsersatz zu (also 120,19 EUR)
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Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung des Anwalts nach dem
Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zu diesem Gesetz. Nach Nr. 2400 VV RVG liegt
die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen
Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, zwischen 40 und 520 EUR. Eine Gebühr
von mehr als 240 EUR kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder
schwierig war.
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Die Höhe der Verfahrensgebühr nach Nr. 2400 VV RVG bestimmt der Rechtsanwalt
nach § 14 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der
Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers sowie
seines besonderen Haftungsrisikos (§ 14 Abs. 1 S. 3 RVG) nach billigem Ermessen. Die
von einem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung ist gegenüber Dritten nicht verbindlich,
wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 S. 4 RVG). Deshalb war die Beklagte bzw. ist das
Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt zu
prüfen. Bei Angemessenheit der angesetzten Gebühr ist der Kostenansatz zu
übernehmen. Bei Unbilligkeit ist die die Höhe der Betragsrahmengebühr von der
Behörde bzw. vom Gericht festzusetzen. Im Rahmen des dem Anwalt eingeräumten
"billigen Ermessen" wird von weiten Teilen der Rechtsprechung und Literatur ein
Toleranzrahmen von bis zu 20 v.H. akzeptiert (vgl. u.a. BSG vom 26. Februar 1992 –
Az.: 9a RVs 3/90; LSG NW vom 23.04.2007 in L 19 AS 54/06; LSG Thüringen vom 15.
Juli 2004 – Az.: L 6 B 25/04 SF und L 6 B 8/05 SF vom 05.04.2005; Madert in
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, a.a.O., § 12 Rdnr. 9; Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
Kommentar zum SGG, 8. Aufl., § 197 Rn 7c m.w.N.). Unter Berücksichtigung der
Umstände des Einzelfalls war die von dem Bevollmächtigten der Kläger beantragte
Gebühr von 312 EUR (240 EUR Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG plus 72 EUR
für 30 % Erhöhung nach Nr. 1008 VV RVG) unbillig im Sinne des § 14 Abs. 1 RVG. Sie
übersteigt die angemessene Gebühr um mehr als 20 v. H.
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Dabei ist vorab festzustellen, dass der in Nr. 2400 genannte "Schwellenwert" von 240
EUR nur dann maßgeblich ist, wenn die anwaltliche Tätigkeit weder umfangreich noch
schwierig war. Das ist hier nicht der Fall. Ansonsten gilt bei nur einem Auftraggeber die
Mittelgebühr, die nach Nr. 2400 VV RVG bei 280 EUR (= Mindestgebühr von 40 EUR
plus 240 EUR als Mitte zwischen Mindestgebühr und Höchstgebühr) liegt. Hier ist noch
eine Gebührenerhöhung gemäß Nr. 1008 VV RVG wegen mehrerer Auftraggeber
vorzunehmen. Da es sich hier um Betragsrahmengebühren handelt, kommt es entgegen
der früheren Ansicht der Beklagten nicht darauf an, ob der Gegenstand der anwaltlichen
Tätigkeit derselbe ist.
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Der Bevollmächtigte der Kläger befindet sich in einem Rechtsirrtum, wenn er meint,
dass bei zwei Auftraggebern gemäß Nr. 1008 VV RVG ein Zuschlag von 30 v. H. zu
dem in Nr. 2400 VV RVG genannten "Schwellenwert" von 240 EUR vorzunehmen sei.
Vielmehr bestimmt Nr. 1008 VV RVG, dass sich die bei Betragsrahmengebühren der
Mindest- und der Höchstbetrag der Verfahrensgebühr für jede weitere Person um 30
Prozent erhöht. Folglich beträgt die Mindestverfahrensgebühr bei 2 Auftraggebern 52
EUR statt 40 EUR und die Höchstgebühr beträgt 676 EUR statt 520 EUR.
Dementsprechend errechnet sich bei zwei Auftraggebern eine Mittelgebühr von 364
EUR (= Mindestgebühr von 52 EUR plus 312 EUR als Mitte zwischen Mindestgebühr
und Höchstgebühr; vgl. Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar,
18. Auflage, 1008 VV, Rdn 241). Statt einer Mittelgebühr in dieser Höhe steht dem
Bevollmächtigten der Kläger dieses Verfahrens aber nur eine auf die Hälfte gekürzte
Mittelgebühr zu ( = 182 EUR).
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Mit der Mittelgebühr wird die Tätigkeit eines Rechtsanwalts in einem Durchschnittsfall
abgegolten. Ein Durchschnittsfall liegt vor, wenn nach den gemäß § 14 RVG
maßgebenden Kriterien die Angelegenheit als durchschnittlich zu bewerten ist, es sich
also um eine Angelegenheit mit durchschnittlicher Bedeutung für den Auftraggeber,
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durchschnittlichem Aufwand, durchschnittlicher Schwierigkeit, durchschnittlichem
Vermögensverhältnissen und durchschnittlichem Haftungsrisiko des Anwalts handelt.
Ob ein Durchschnittsfall vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit den sonstigen
sozialrechtlichen Vorverfahren, bei denen im gerichtlichen Verfahren
Betragsrahmengebühren entstehen, also Verfahren von privilegierten Personen im
Sinne von § 183 SGG Ein Abweichen von der Mittelgebühr ist bei einem
Durchschnittsfall nicht zulässig (BSG, Urteil v. 26.2.1992, 9a RVs 3/90; Urteil v.
22.3.1984, 11 RA 58/83, SozR 1300 § 63 Nr. 4; BVerwG, Beschl. v. 18.9.2001, 1 WB
28.01, Rpfleger 2002, 98). Schon ein einziger Umstand im Sinne des § 14 RVG kann
ein Abweichen von der Mittelgebühr rechtfertigen. Die Kammer geht mit dem LSG NW
(Urteil vom 23.04.2007 in L 19 AS 54/06) und dem LSG Thüringen (Beschluss vom
05.04.2005 in L 6 B 8/05 SF) davon aus, dass dass dabei eine Automatik nicht besteht
und eine starre mathematische Berechnungsmethode mit festen Zu- und Abschlägen
von der Mittelgebühr für jeden Umstand nicht geboten ist. Das würde der
Ungleichwertigkeit der einzelnen Umstände nicht gerecht werden. Grundsätzlich kann
ein im Einzelfall besonders ins Gewicht fallendes Kriterium die relevanten übrigen
Umstände kompensierend zurückdrängen. Nach der Überzeugung der Kammer muss
sich die Vergütung des Anwalts vorrangig nach Umfang und Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit richten, während den anderen im Gesetz genannten Umständen
nur untergeordnete Bedeutung beizumessen ist. Dabei findet ohnehin ein gewisser
Ausgleich bereits dadurch statt, dass bei schlechten Einkommens- und
Vermögensverhältnissen des Auftragsgebers die Bedeutung der Angelegenheit für den
Auftraggeber regelmäßig umso höher zu bewerten ist.
Im vorliegenden Fall ist von erheblich unterdurchschnittlichen
Einkommensverhältnissen und Vermögensverhältnissen der Auftraggeber auszugehen,
da sie nur Leistungen nach dem AsylbLG beziehen. Im Vergleich zu Verfahren, bei
denen es um die gänzliche Versagung existenzsichernder Leistungen oder um
lebenslange Rente geht, ist das vorliegende Verfahren, bei dem es nur um ein höheres
Leistungsniveau (entsprechend Sozialhilfe statt nach AsylbLG) geht, allerdingseine
Angelegenheit von unterdurchschnittlicher Bedeutung. Nur im Hinblick auf die
schlechten Einkommensverhältnisse der Kläger ist die Bedeutung doch als
durchschnittlich zu werten. Ein besonderes Haftungsisiko des Anwaltes ist hier
allerdings nicht ersichtlich. Der Kammer ist bisher nicht bekannt und es wird auch in
diesem Verfahren nicht vorgetragen, dass Anwälte, die in Verfahren nach dem AsylbLG
tätig werden, für solche Fälle eine zusätzliche Haftpflichtversicherung abschließen
müssen. Die anwaltliche Tätigkeit ist im vorliegenden Widerspruchsverfahren entgegen
der Rechtsansicht der Beklagten als durchschnittlich schwierig zu werten. Die hier
bedeutsame Rechtsfrage, wann eine rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der
Dauer des Aufenthalts vorliegt, ist nämlich umstritten mit zahlreichen sich
widersprechenden Entscheidungen sowohl der Verwaltungsgerichtsbarkeit wie der
Sozialgerichtsbarkeit.
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Die Tätigkeit des Anwalts der Kläger in diesem Widerspruchsverfahren war aber nicht
umfangreich. Der Anwalt der Kläger hat daneben nämlich eine Vielzahl gleichartiger
Verfahren betrieben (allein 92 gegen die Beklagte!), so dass er nur auf seine
Ausführungen in den anderen Verfahren zurückgreifen musste. Der auf die Vertretung
von Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG spezialisierte Anwalt konnte sich seine
Arbeit mit standardisierten Schreiben unter Verwendung von Textbausteinen sehr
erleichtern. Er musste sich nicht für jeden Fall in eine neue Materie einarbeiten, sondern
musste lediglich jeweils die individuellen Daten der von ihm schon früher in anderen
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Angelegenheiten vertretenen Mandanten in den Musterwiderspruch einarbeiten, den er
nur einmal für alle gleich gearteten Fälle entwerfen musste. Bei einer derart einförmigen
Massenarbeit eines Anwalts hält die Kammer einen Abzug von der Mittelgebühr um 50
Prozent für angemessen. Ein Abzug in dieser Höhe ist gerechtfertigt, wenn man
berücksichtigt, dass der Gesetzgeber in Nr. 1008 VV RVG den Zuschlag zur
Verfahrensgebühr bei anwaltlicher Tätigkeit in der gleichen Angelegenheit für einen
weiteren Auftraggeber sogar auf 30 Prozent reduziert hat. Und ab dem 8. Auftraggeber
ist eine Gebührenerhöhung nach dem Willen des Gesetzgebers sogar gänzlich
ausgeschlossen, denn bei der Erhöhung darf wegen der in Nr. 1008 VV RVG
vorgeschriebenen Obergrenze das Doppelte des Höchstbetrags der Gebühr nicht
überschritten werden (vgl. dazu Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz,
Kommentar, 18. Auflage, 1008 VV, Rdn 248; Bischof/Jungbauer, Kompaktkomentar
RVG, 2. Auflage, Seite 750). Daher hält es die Kammer für sachgerecht, dass ein
Anwalt, der für viele finanzschwache Mandanten Widersprüche mit gleichem Ziel und
nahezu gleichen Argumenten einlegt, für jedes dieser Verfahren nicht mehr als die
Hälfte der sonst angemessenen Verfahrensgebühr erhält.
Das von der Beklagten als Aufwendungsersatz an die Klägerin zu erstattende
Anwaltshonorar errechnet sich also wie folgt: 182,00 EUR halbe Verfahrensgebühr Nr.
2400 und 1008 VV RVG 20,00 EUR Telekommunikationspauschale 202,00 EUR
Zwischensumme 38,38 EUR 19 % Umsatzsteuer 240,38 EUR Endsumme davon die
Hälfte ergibt 120,19 EUR.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt das nur
teilweise Obsiegen der Klägerin.
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Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
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